Jackson Pollock

Mrz 30, 1999 at 16:58 2809

Biografie, die Retrospektive aus dem MoMA nun in der Tate Gallery London

Die grosse Pollock-Retrospektive, die bis anfangs Februar im Museum of Modern Art in New York begeisterte, ist nun in der Londoner Tate Gallery zu bewundern. Pollock ist der amerikanische abstrakte Expressionist. Mit seiner beim mexikanischen Maler Siqueiros in New York in den 30er Jahren erlernten Technik des Drippings, die er ab 1943 in seiner Malerei anwandte und weiter entwickelte, hat er eine eigenständige Malsprache entwickelt, die der amerikanischen Nachkriegskunst neue Wege aufgezeigte, auf denen andere nach ihm leichter in unerforschte Kunstwelten vorstossen konnten. Die Neue Welt verlor ihren Komplex gegenüber Europa. Amerikanische Sammler und Museen rissen sich nun auch um die einheimischen Künstler.

Sein Frühwerk ist nicht eigenständig. Die Einflüsse reichen von seinen älteren Brüdern bis zu Picasso. 1930 gab Jackson die High School in Kalifornien auf und ging nach New York. Dort übernahm er in der Art Students League die Rolle von Bruder Charles als Lieblingsschüler von Thomas Hart Benton, den er als Ersatzvater akzeptierte. Sein leiblicher verstarb 1933. Doch das bei Benton geübte kopieren der alten Meister wie Rubens oder Tintoretto lag Pollock überhaupt nicht. Charles hatte Jackson die mexikanischen Muralisten Rivera und Orozco ans Herz gelegt. Orozco wurde für sein Frühwerk ein wichtiger Einfluss. Der mexikanische Einfluss auf die amerikanische Malerei dauerte  rund eine Dekade, vom Börsenkrach bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Auch für Pollock übernahm danach 1939-40 der Kunstkritiker John Graham die Rolle der Vaterfigur. Jackson wurde unter anderem mit dem Werk Picassos konfrontiert, das sich wie ein Schatten über ihn legte. Er stiess nun allerdings von politisch-ideologischen Motiven – er bewegte sich in kommunistischen Künstlerkreisen – zur symbolhaften Malerei vor. 1941 brachte Graham ihn in der von ihm in der McMillen Gallery organisierten Ausstellung unter, zusammen mit amerikanischen Künstlern wie Robert Motherwell und Lee Krasner, seiner späteren Frau. Sie übte auf den notorischen Trinker, der in psychotherapeutischer Behandlung war, einen stabilisierenden Einfluss aus. Die Amerikaner wurden bei McMillen bewusst europäischen Künstlern wie Bonnard, Braque, Matisse und Picasso gegenüber gestellt. 1942 wurde Pollocks The Flame im Metropolitan Museum in New York gezeigt. Er machte die Bekanntschaft der Sammlerin und Mentorin Peggy Guggenheim, die ihn in ihren Frühlingssalon 1943 aufnahm. In ihrer Galerie Art of This Century zeigte sie Pollocks Stenographic Figure, das jetzt auch in London zu sehen ist, und das damals in der Kritik mehrmals Erwähnung fand. Pollocks Stil begann sich zu verändern, auch unter dem Einfluss der Miró-Ausstellung im MoMA.

Pollocks Bruder Sande hatte schon 1930 mit dem mexikanischen Muralisten David Alfaro Siqueiros kurz in Los Angeles gearbeitet. Im April 1936 nahmen er und Jackson in New York an dem von Siquiros geleiteten Experimental Workshop. Laboratory of Modern Techniques in Art teil. Hier kam Pollock erstmals mit Spritzpistolen, manuellen und mechanischen Tröpfel- und Giesstechniken in Berührung, mit denen Siqueiros – oft am Boden arbeitend – experimentierte. Industriefarben wie zum Beispiel Nitrozelluloselacke wurden eingesetzt. Pollock wandte erstmals <das Prinzip des kontrollierten Zufalls> an. Eben an diese Techniken und Materialen knüpfte er 1943 wieder an, wobei er sie neu einsetzte, auf die politische Symbolik verzichtete. Warum dazwischen sieben Jahre lagen und wer oder was den Anstoss zur Rückbesinnung auf Siqueiros Techniken und Materialien – nicht Inhalte – gab, ist unklar. Vielleicht wird die Publikation zum Pollock-Symposium, das im Januar im MoMA stattfand, etwas zur Aufklärung beitragen.

Im Herbst 1943 organisierte Peggy Guggenheim eine Einzelausstellung mit Pollock, bei der Picassos Einfluss noch stark spürbar war. Doch mit den Schlüsselbildern Composition with Pouring II und Water Birdswaren Gemälde in einer neuen Technik ausgestellt, die vom Einfluss Mirós zeugen. Bereits 1995 in der Kunsthalle Düsseldorf wurde das erste Gemäde bei der Ausstellung Pollock-Siqueiros gezeigt. In London sind nun beide Bilder zusammen mit zwei Drucken in schwarzer Tinte auf blauem Papier, ebenfalls in der neuen Technik und aus dem Jahr 1943, zu sehen. Der Verbleib der Composition with Pouring I aus der selben Zeit, die im Catalogue Raisonné von Francis V. O’Connor und Eugene V. Thaw Aufnahme fand, ist unbekannt. Bei den zwei ausgestellten Gemälden goss und tröpfelte Pollock mehrere Farben auf noch traditionell aufgetragene Flächenpartien. Diese verschwanden in den folgenden Jahren, die Drippings wurden geboren – wobei die Technik bereits vorher von Künstlern wie André Masson oder Max Ernst angewandt wurde.

Peggy Guggenheim verschaffte Pollock den finanziellen Durchbruch. Pollock und Lee Krasner heirateten und zogen 1945 nach Long Island. 1947 folgte die letzte Einzelausstellung bei Peggy Guggenheim, die im Frühling nach Europa zog und danach Pollock nie mehr sah, von Venedig aus allerdings Ausstellungen seines Werkes im Ausland organisierte. Dieser stiess von der symbolhaften Kunst, die selbst noch 1943 in seinen Werken in der neuen Technik präsent waren, 1945 zur expresseiven Abstraktion vor. Der Umzug aufs Land in jenem Jahr dürfte ihm neue Perspektiven in der Malerei eröffnet haben. Im Januar 1948 stellte er erstmals seine Drippings öffentlich aus. Mit dem Wechsel zu Betty Parsons Galerie stiegen seine Preise kräftig an. Parsons heimste mit ihren bahnbrechenden Solo-Ausstellungen zu Pollock den Kredit ein, um den sich Guggenheim auf Grund ihrer <Aufbauarbeit> betrogen sah. Der Künstler half übrigens seinen älteren Brüdern nicht beim bestreiten des Unterhalts ihrer Mutter. Die Geschwister erkannten, dass nur der Jüngste in die Kunstgeschichte eingehen würde und mussten später mit ansehen, wie Pollock Vermögen und Bilder alleine in die Obhut von Lee Krasner gab.

Im Febuar 1944 erschien in Arts and Architecture das erste illustrierte Interview mit Pollock und im Mai erwarb das MoMA The She-Wolf, nachdem im April in Harper’s Bazaar der einflussreiche Artikel von James Johnson Sweeney Five American Painters mit einer Farbabbildung eben dieses Gemäldes erschienen war. Das Medienzeitalter hatte bereits begonnen. Der Macho wurde ironischerweise durch Photos in Modezeitschriften mit Damen, die vor seinen dekorativen Bildern posierten, dem grossen Publikum zum Begriff. So wurde im April 1948 mit Reflection of the Big Dipper(1947) erstmals ein Drip-Painting von ihm in Farbe abgebildet – und zwar in Vogue! Auch das Magazin Life trug im August 1949 das seine zur Popularität des Künstlers bei mit seinem suggestiven Artikel Is he the greatest living painter in the United States? Die Photographien von Hans Namuth und nicht zuletzt seine berühmten Filmaufnahmen des Künstlers bei der Arbeit, die den Mythos des vermeintlichen Action-Painting-Vorläufers begründeten, spielten eine wesentliche Rolle bei der Rezeption Pollocks. Pepe Karmel widmet denn auch dem Photographen und Filmer einen grösseren Artikel im Katalog. Namuths filmisch festgehaltener Pollock in action ist natürlich auch in der Ausstellung zu sehen.

So rasant sein Aufstieg gewesen war, so rasch stagnierte er. Bis 1947 war er auf der Suche nach einem eigenen Stil und nach sich selbst. Danach drückte er sich einige Jahre lang in seiner Sprache aus – teilweise unter dem Einfluss von Alfonso Ossorio, was die Oberflächenbehandlung seiner Bilder angeht. Doch bereits anfangs der 50er Jahre <verlor er sich wieder> (Jacques Michel). 1950 begann er wieder zu trinken. Im Frühling des folgenden Jahres beschränkte er sich auf schwarz-weisse Lackfarben. 1953 malte Pollock grossformatige Bilder, in denen er teilweise zum Pinselauftrag und zur Spachtelarbeit mit dem Palettmesser zurückkehrte. Seine letzten Meisterwerke wie Blue Poles entstanden. Sein internationales Ansehen war auf dem Höhepunkt, doch erstmals hatte er keine Einzelausstellung mehr. 1954 malte er fast nichts. Im folgenden Jahr musste er die Psychotherapie wieder aufnehmen. Er beendete 1955 sein letztes Ölgemälde, Search. Doch es blieb ihm keine Zeit mehr, Neues zu finden. Alkoholismus und Depressionen zerstörten ihn langsam. Seine Beziehung zu Krasner litt. 1956 raste er in angetrunkenem Zustand in einen Baum und wurde so – wie James Dean, der ein Jahr zuvor mit seinem Porsche ebenfalls tödlich verunfallt war – zum Mythos. Die Preise für seine Werke explodierten. Die Legende vom Naturburschen, dem jungen wilden aus Wyoming, ein Image, das er selber pflegte, wurde schon vor Jahren in Frage gestellt. Auch andere Mythen, die sich um Pollock rankten, wurde schon vor Jahren ein Ende bereitet, so 1973 von Hilton Kramer in The Jackson Pollock Myth I in: The Age of Avant-Garde.

Tate Gallery, London, bis zum 6. Juni 1999. Katalog: Kirk Varnedoe, Pepe Karmel, Jackson Pollock, The Museum of Modern Art, New York, 1998, 336 S., 425 Abbildungen (227 in Farbe, 198 Schwarz-Weiss), Hardcover. Das Buch bestellen bei Amazon.de oder Amazon.com. Weitere Bücher zu Jackson Pollock bei Amazon.de.

Zum Verhältnis von Pollock zu Siqueiros: Katalog zur Ausstellung Siqueiros – Pollock. Pollock – Siqueiros, Kunsthalle Düsseldorf, 30. September bis 3. Dezember 1995, 2 Bände, Dumont, 1995.

Die Pulitzer-Preis gekrönte Biographie: Steven Naifeh, Gregory White Smith: Jackson Pollock: An American Saga, Clarkson N. Potter, New York, 1989.

Siehe für den grösseren Kontext, die Wirkung von Pollock auf die amerikanische Kunst: Carter Ratcliff, The fate of gesture. Jackson Pollock and Postwar American Art, New York, Farrar, Straus & Giroux, 1996, 352 S. Ratcliff stellt Pollock etwas grosszügig als Vater der Minimal Art und vieler anderer Künstler dar. Uns erscheint er dagegen „lediglich“ als Maler, der die Akzeptanz für die amerikanische Nachkriegskunst erhöht, ja erst (mit) ermöglicht hat. Sein Buch erlaubt neue Einblicke in die US-Kunstwelt und bildet so eine Ergänzung zur erwähnten Biographie.