Giovanni Segantini 1858-1899

Sep 02, 1999 at 00:00 2699

Biografie, Biographie, Leben und Werk

Zum 100. Todestag von Giovanni Segantini fand im Kunstmuseum St. Gallen vom 13. März bis zum 30. Mai 1999 die Ausstellung Armonia della vita -Armonia della morte. Giovanni Segantini: Eine Retrospektive (Amazon.de) statt. Seit dem 12. Juni und noch bis zum 20. Oktober 1999 ist im Segantini Museum in St. Moritz Giovanni Segantini, 1858-1899. Ausstellung zum 100. Todestag zu sehen.

Giovanni Segantini wurde am 15. Januar 1858 in der trientinischen Kleinstadt Arco am nördlichen Ende des Gardasees als österreichischer Staatsbürger geboren. Sein Vater hatte zwei Kinder aus erster Ehe in Mailand, wohin er für drei Jahre von 1861 bis 1864 zog. Danach kehrte er für sechs Monate zu Giovanni und seiner seit seiner Geburt kranken und unterstützungsbedürftigen Mutter zurück, die am 5. März 1865 im Alter von 37 Jahren verstarb. Den jungen Segantini gibt der Vater daraufhin in die Obhut seiner Tochter Irene, die sich wegen ihrer Arbeitstätigkeit nur wenig um Giovanni kümmern kann. 1866 verstirbt sein Vater. Im Dezember 1870 kommt Segantini in eine Erziehungsanstalt für Minderjährige, wo er drei Jahre lang bleibt, aber weder lesen noch schreiben lernt. Er wird Schuhmacher. Der katholische Anstaltsgeistliche entdeckt sein zeichnerisches Talent und fördert es. Von 1873 bis 1874 arbeitet Giovanni im Photo- und Drogeriegeschäft seines Halbbruders im Trient. Der Umgang mit der Technik der Photographie wird ihm später für die Dokumentation der eigenen Werke sowie von Bildmotiven von grossem Nutzen sein.

Danach kehrt er zu Irene nach Mailand zurück, wo er von 1875 bis 1879 Tageskurse in Malerei und Abendkurse für Ornamentik an der Accademia di Belle Arti im Palazzo di Brera besucht. In dieser Zeit gewinnt Giovanni Segantini verschiedene Preise und freundet sich auch mit dem Möbelentwerfer Carlo Bugatti (aus der berühmten Designer-Familie, die heute vor allem dank der Autos von Ettore Bugatti noch bekannt ist) und dem Maler Emilio Longoni an. Zudem pflegt er Kontakte zu Künstlern der lombardischen Schule der Scapiagliatura. 1879 erringt Segantini mit der Darstellung eines Kircheninterieurs seinen ersten wichtigen Erfolg. Er lernt den Kunstkritiker und -händler Vittore Grubicy de Dragon kennen, der ihn betreut, berät und zusammen mit seinem Bruder Alberto Grubicy später finanziell unterstützen wird. Im Jahr darauf eröffnet er sein erstes Atelier in Mailand und lernt die siebzehnjährige Luigia Bugatti (genannt Bice) kennen, die Schwester seines Studienfreundes Carlo, die bis zu ihrem Tod 1938 seine Lebensgefährtin bleiben wird. In den folgenden Jahren wohnt er mit Bice in verschiedenen Ortschaften. 1882 kommt sein erster Sohn Gottardo zur Welt, der später selbst Maler und zum Biographen seines Vater wird (gest. 1874). 1885 kommt ein zweiter Sohn zur Welt, Alberto, der 1904 stirbt. 1885 ein dritter, Mario, ebenfalls ein Maler (gest. 1916). 1886 kommt seine Tochter Bianca zur Welt, die 1909 in Leipzig die Schriften und Briefe ihres Vaters in deutscher Sprache herausgeben wird (gest. 1980).

Giovanni Segantini regelt 1883 sein Verhältnis zu seinem Händler und Mäzen Vittore Grubicy. Diesem wird notariell bestätigt, dass er die Bilder Segantinis, die er für würdig erachtet, mit dem Monogramm <G.S.> signieren darf. Zudem vertritt er Giovanni in allen öffentlichen und privaten Belangen und verfügt über sein Schaffen und seinen Besitz. Im selben Jahr wird auf der Weltausstellung in Amsterdam Segantinis Gemälde Ave Maria bei der Ueberfahrt mit der Goldmedaille ausgezeichnet. In diesem Jahr lässt er sich zusammen mit seiner Familie in Savognin, im schweizerischen Graubünden nieder. An der Amsterdamer Weltausstellung von 1886 gewinnt er mit An der Stange die Goldmedaille und an der Londoner Weltausstellung von 1888 ist er einer der bestvertretenen Künstler in einer Italien gewidmeten Ausstellung. Der italienische Staat erwirbt sein Werk An der Stange. 1889 wird er an der Pariser Weltausstellung für Kühe an der Tränke mit der Goldmedaille ausgezeichnet.

1891 werden seine Werke im ersten geschlossenen Auftritt des italienischen Divisionismus an der Prima esposizione trienale di Brera gezeigt. Segantini knüpft Kontakte zu den Kunsthändlern Ernst Arnold in Dresden und Edkard Schulte in Berlin. 1892 erhält er in München und in Turin an Ausstellungen die Goldmedaille. Im Jahr darauf erwirbt die Walker Art Gallery in Liverpool das Bild Die Strafe der Wollüstigenvon ihm, das 1891 in Berlin mit Zurückhaltung aufgenommen worden war. 1894 werden in einer Retrospektive in Mailand 90 seiner Werke gezeigt. In jenem Jahr verlässt Segantini Savognin, weil er die kantonalen Steuern nicht bezahlt und von Gläubigern verfolgt wird. Er lässt sich in Maloja im Oberengadin nieder. Das Hochgebirge und seine Menschen werden zu seinem Hauptthema. 1894 trifft er die Kunsthändler Bruno und Paul Cassirer sowie Felix König in Berlin, die ihn vertreten. Segantini macht auch die Bekanntschaft mit dem Maler Giovanni Giacometti (Vater des noch berühmteren Alberto). 1894 markiert auch den Beginn des Austausches von Segantini mit den Wiener Secessionisten, die in ihm einen ihrer Wegbereiter sehen.

1895 erhält Segantini für Rückkehr ins Heimatland auf der ersten Biennale in Venedig den Preis des italienischen Staates. Im Jahr darauf wird ihm an der Ausstellung der Münchner Secession ein ganzer Saal überlassen. Der Industrielle und Sammler August Zeiss erwirbt Die traurige Stunde, die er der Nationalgalerie Berlin übergibt, an der sein Freund Hugo von Tschudi Direktor ist. Das Gemälde Pflügen wird von der Neuen Pinakothek in München erworben. 1896/97 arbeitet Segantini am Engadiner Panorama für die Pariser Weltausstellung von 1900. Das Projekt scheitert jedoch an den enormen Kosten. 1897 geht er mit dem Frankfurter Händler Hermes Verpflichtungen ein und plant die Restaurierung und Erweiterung des Schlosses Belvedere in Maloja, das er mit seiner Familie bewohnen möchte. Im selben Jahr erhält er in Dresden die grosse Goldplakette und der österreichische Staat finanziert die von William Ritter verfasste Luxusmonographie über Leben und Werk Segantinis.

1898/99 widmet sich der Künstler vor allem der Verwirklichung des Alpentryptychons, das bei seinem Tod unvollendet war und das gescheiterte Engandiner Panorama hätte ersetzen sollen. Die Hamburger Kunsthalle erwirbt direkt vom Künstler das Gemälde Glaubenstrost. Er nimmt an Ausstellungen in St. Petersburg und Wien teilt. Dort erwirbt die Secession Die bösen Mütter. Zudem ist er auf einer Jahresausstellung in Brüssel vertreten. Im September 1899 begibt sich Giovanni Segantini auf den 2700 m hohen Schafberg, um am Mittelbild Natur seines Alpentryptychons zu arbeiten. Am 18. September erleidet er eine Bauchfellentzündung und verstirbt am 28. des Monats in Anwesenheit seiner Lebensgefährtin Bice, seines Sohnes Mario sowie seines Freundes und Arztes Oskar Bernhard. Bereits am 26. November 1899 wird in Mailand die Gedächtnisausstellung Giovanni Segantini eröffnet. In den Folgejahren ehren in weitere Ausstellungen. 1908 wird in St. Moritz das Segantini Museum eröffnet.

Diese biographischen Daten mögen ermüdend sein. Doch sie demonstrieren seine damalige Wertschätzung in ganz Europa. Er galt zu Lebzeiten als Erneuerer, Prophet und Revolutionär. Er gehörte zur Avantgarde. Ein Kritiker nannte ihn in einem Nachruf gar für sich alleine eine Sezession. Dies kontrastiert mit seiner heutigen Bedeutung für das grosse Publikum. Sein früher Realismus, seine Genrebilder sowie seine divisionistisch gemalten symbolistischen Naturdarstellungen sind heute so wenig gefragt, dass dieser Band im Moment die einzige im Buchhandel erhältliche Monographie von Giovanni Segantini darstellt. Der Band mit Beiträgen von sechs Autoren leuchtet sein Werk aus. Wir haben uns hier lediglich auf einige biographische Angaben beschränkt.

Giovanni Segantini, Hg. von Beat Stutzer, Texte von Matthias Frehner u.a., Zürich, Neue Zürcher Zeitung, 1999, 216 S. Ausgabe bei Hatje Cantz, 1999, bestellen bei Amazon.de.

Giovanni Segantini, Hg. von Beat Stutzer, Texte von Matthias Frehner u.a., Zürich, Neue Zürcher Zeitung, 1999, 216 S. Ausgabe bei Hatje Cantz, 1999, bestellen bei Amazon.de.