Friedrich Haerlin

Jan 22, 2004 at 00:00 3006

Die Biografie des Hoteliers bis zur Gründung des "Vier Jahreszeiten" in Hamburg

Das Vier Jahreszeiten gehört seit 2007 zur Fairmont-Hotelgruppe. Die im Januar 2008 mit der fünften Etage begonnene Renovation des Hotels wurde im September 2010 abgeschlossen. Siehe auch den englischen Artikel zum Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten in Hamburg [hinzugefügt am 3. März 2012].

Der Hotelier und Gründer des traditionsreichen Hotels „Vier Jahreszeiten“ in Hamburg, Friedrich Haerlin, war 1857 im Stuttgarter Vorort Gaisburg als jüngstes von vier Kindern des örtlichen Bäckermeisters, der zudem den Gasthof „Zur Krone“, einen Bauernhof und ein Fuhrgeschäft besass, zur Welt gekommen [Quelle: Ebelseder/Seufert: Amazon.de, Amazon.com].

Nach dem frühen Tod der Mutter 1871, im Alter von 48 Jahren, sollte der Junge als Bäckermeister ausgebildete werden, was sich jedoch wegen einer Mehlstauballergie nicht realisieren liess. Nach einer dreijährigen, 1875 sehr erfolgreich abgeschlossenen Kaufmannslehre wurde Friedrich von einer Importfirma als Commis angestellt.

Leider verspekulierte sich der Vater beim Bau von zwei Wohnhäusern und wurde Opfer der Gründerkrise von 1873. Als die Börsenkurse einbrachen, kündigten die Banken Kredite und Hypotheken, um an ihr Geld zu kommen. Der Vater sollte seine Grundschulden kurzfristig auf einen Schlag zurückzahlen. Da er dies nicht konnte, wurde sein gesamter Besitz versteigert. Den zwei Söhnen Wilhelm und Friedrich blieb bis auf dreihundert Mark nichts vom mütterlichen Erbe.

Da fasste der Siebzehnjährige den kühnen Entschluss, sein Glück im Ausland zu machen. Ende April 1876 kündigte er seine Stelle. Am 1. Mai 1876 stand er mit einem schmalen Koffer, fünfzig Reichsmark, dem ausgezeichneten Zeugnis seines ehemaligen Arbeitgebers und der Fahrkarte nach Genf auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof.

Nach drei harten Tagen der Reise in der dritten Klasse kam er in der Calvinstadt an, wo er allerdings niemanden kannte. Er fand zuerst keine Arbeit. Mehr als täglich eine Schüssel Suppe mit Weissbrot konnte er sich nicht leisten. Der Chef der Garküche hatte mit dem abgemagerten Jungen, der jede Arbeit anzunehmen bereit war, Mitleid. Er warf für ein ein gutes Wort beim Besitzer des Genfer Bahnhofsrestaurants ein. So begann am 1. Juli 1876 die Karriere von Friedrich Haerlin im gastronomischen Gewerbe als „Officebursche“.

Der Junge musste als einziger Deutscher rasch französisch lernen, was ihm später zugute kam. Rasch sprach sich herum, dass ein besonders Fleissiger im Bahnhofsrestaurant arbeitete. So wurde er auf den 1. November von einem Landsmann aus Baden abgeworben. Herrmann Blaile, der Inhaber des beliebten und vornehmen Café-Restaurants Chantepoulet, stellte ihn als Kellner ein.

Gearbeitet wurde sieben Tage in der Woche. Alle drei Monate bekam Friedrich Haerlin einen freien Nachmittag. Er schlief auf einem Sofa in Clubzimmer des Lokals. Kein Wunder, träumte der Junge noch immer heimlich von einer Karriere als Kaufmann. Doch zu einer Bewerbung hatte er gar keine Zeit.


View of the Raffles Hamburg hotel in 2012. Photo © Raffles Hotel Vier Jahreszeiten.

Im Frühjahr 1877 wurde der Zwanzigjährige von der Militärverwaltung in Stuttgart zur Musterung nach Stuttgart befohlen. Die Militärärzten teilten ihn ob seiner schwächlichen Konstitution mit wenig Begeisterung der Reserve zu. Zwei Monate später sollte er sich der Generalmusterung stellen. Da er das Geld zur Hin- und Rückreise nach Genf nicht hatte, nutzte er die Zeit, um seine kaufmännischen Kenntnisse zu verbessern. Bei der zweiten Musterung fiel er endgültig durch und wurde der Ersatzreserve II zugeteilt. Glücklicherweise wurde er nie eingezogen, musste nie in den Krieg ziehen.

In Genf waren Hermann Blaile und seine Stammgäste, darunter einige Hoteldirektoren, über die Rückkehr des Fleissigen erfreut. Einer dieser Herren offerierte ihm einen Traumjob als rechte Hand bei der Vorbereitung einer Hoteleröffnung in Menton, an der Côte d’Azur. Doch Haerlin machte der Klimawechsel gesundheitlich zu schaffen: Herzrasen, Schweissausbrüche und Angstzustände. Zudem erkrankte er an der Ruhr. Der Arzt empfahl die sofortige Abreise.

Zurück in Genf wurde er von einem anderen Stammgast an das „Grandhotel Thunerhof“ im Kanton Bern vermittelt. In diesem Neorenaissance-Bau in Thun fiel der junge Kellner dem Hoteldirektor auf, der ihn wie zuvor die Genfer zum Saisonende am 1. Oktober ein ausgezeichnetes Zeugnis ausstellte und in nach Menton weitervermittelte.

Haerlins zweiter Aufenthalt   diesmal im „Grand Hotel d’Orient“, wo er den milden Winter hindurch als Saalkellner arbeitete, und ohne gesundheitliche Probleme. Da sein Französisch unterdessen perfekt war, zog es ihn nach London, um Englisch zu lernen.

Zwei Wochen vor seiner Abreise erreichte ihn die Nachricht vom Tod seines Vaters im Alter von 53 Jahren – wegen eines nicht erkannten und daher nicht behandelten eingeklemmten Leistenbruchs. Er hatte kein Geld, um zur Beerdingung nach Stuttgart zu fahren. Es reichte nur für die Fahrt nach England, wo er zwölf Monate voller Demütigungen, Krankheiten und schlechter Bezahlung erleben sollte.

Vierzehn Tage nach der Ankunft in London fand er eine Stelle als Kellner im „Radleys Hotel“ in Southampton, das von der Passagierschifffahrt lebte. Zusammen mit zwei weiteren Landsleuten waren die Deutschen eigentlich nur geduldet, weil ihre Deutsch- und Französischkenntnisse für die internationalen Gäste gebraucht wurden. Neben dem Servieren mussten die Kellner Holz und Kohlen für die offenen Kamine schleppen, saubermachen, Fenster und Möbel putzen.

Friedrich Haerlin litt unter dem feuchten, kalten und nebligen Klima, erkrankte an Bronchialkatarrh und Gelbsucht und litt beständig unter Zahnschmerzen. Nach knapp einem Jahr gab ihm sein Bruder Wilhelm, der als Bauführer bei einem Architekten in Zürich arbeitete, den Tip, sich im weltbekannten Zürcher Hotel „Baur au Lac“ zu bewerben. Er streckte dem abgebrannten Friedrich auch das Reisegeld in die Schweiz vor, als dieser als Etagenkellner tatsächlich in die Limmatstadt verpflichtet wurde.

Der 1839 aus dem österreichischen Vorarlberg gekommene Johann Baur hatte sich 1844 ein Palasthotel am Zürichsee gebaut, in dem zum Beispiel die österreichische Kaiserin „Sisi“ mit zwei Prinzen und einem sechzigköpfigen Hofstaat einen ganzen Sommer verbrachte.

Friedrich Haerlin stieg auf Grund seiner Leistungen im „Baur au Lac“ auf. Das bedeutete, dass er vom als Etagenkellner vom 4. Stock in den 2. Stock absteigen durfte, wo die vornehmeren und anspruchsvolleren Gäste wohnten.

Da Hoteldirektor Menge im Winter in gleicher Funktion in Cannes im „Grand Hotel“ arbeitete und dort einen tüchtigen „1. Zimmerkellner“ brauchte, nahm er den Schwaben mit sich, der dort so überzeugte, dass er im Sommer 1881 im „Baur au Lac“ zum Oberkellner der Servier-Brigade befördert wurde. Im darauffolgenden Winter folgte er erneut Direktor Menge nach Cannes, diesmal als Oberkellner. Friedrich Haerlin hatte wichtige Stufen auf der Karriereleiter erklommen. Sein Bruder hatte inzwischen ebenfalls erste Erfolge – als Architekt – aufzuweisen.

Im Service hatte Friedrich nun genug Erfahrungen gesammelt. Was ihm fehlte, waren Kenntnisse und Praxis im Hotelmanagement. Zudem wusste er, dass seine besonderen Stärken im Kaufmännischen lagen. Ein Haus wie das „Baur au Lac“ war sein Traum, den er sich später in Hamburg erfüllen sollte.

Im Frühjahr 1882 erhielt Friedrich Haerlin durch die Vermittlung des Chefs des „Grandhotel Thunerhof“ vom Besitzer des Hotels „Bellevue“ in Bern das Angebot, das sein Leben verändern sollte: Der Hotelier Friedrich Osswald hielt schon länger vergebens nach einem Mann Ausschau, der die desolate Buchführung und interne Kostenkontrolle seines Hauses auf Vordermann bringen sollte. Haerlin sollte es richten – und wurde in Cannes im „Grand Hotel“ aufgetrieben.

Das direkt neben dem Bundeshaus – dem Schweizer Parlament – liegende „Bellevue“ war die erste Adresse in der Hauptstadt. Gekrönte Häupter, Millionäre, Diplomaten, Spione und „leichte Damen der Edelklasse“ stiegen dort seit 1865 ab.

Friedrich Haerlin war von der Aufgabe begeistert, weg vom Servieren hin zur Buchhaltung. Allerdings zahlte ihm Osswald weniger, als er als Oberkellner in Zürich verdient hatte. Am 1. Mai 1882 trat der Schwabe seine neue Stelle als „Sekretär-Empfangsherr“ an und realisierte rasch, dass das Hotel miserabel gemanagt wurde.

Haerlin setzte sich so erfolgreich gegen die langjährigen Angestellten durch, dass die von seinen Fähigkeiten überzeugte Philippine Osswald ihm beim Tod ihres Mannes im Herbst 1883 die Leitung des Hotels übertrug und ihm freie Hand garantierte. Sein Gehalt wurde verdoppelt.

Die von Friedrich Haerlin als ausgezeichnetes Kontrollinstrument erkannte doppelte Buchführung ersetzte das bisherige System. Er überwachte seine Angestellten genau und feilschte mit den Lieferanten um jeden Rappen. Da er immer prompt zahlte, wie er es von seiner Mutter im Familiengasthof gelernt hatte, wurde er dennoch beliebt. Die Bilanzen fielen von Jahr zu Jahr besser aus, und das Einkommen des jungen Direktors stieg dementsprechend.

Der Vertrag mit der Witwe Osswald, den Friedrich Haerlin selbst aufgesetzt und 1890 unterschrieben hatte, zeugt von seinen Fähigkeiten als kühler Rechner, nobler Kaufmann und weitplanender Privatmann, so seine Biografen. Neben einem guten Jahresgehalt erhielt eine Mindesttantieme garantiert. Zudem wurde er am Gewinn des Hotels beteiligt. Wie der Reingewinn zu ermitteln war, schrieb der Schwabe selbst ausführlich in den Vertrag. Sogar detaillierte Paragraphen für den Fall seiner Heirat hatte er festgeschrieben, obwohl damals weit und breit noch keine Braut zu sehen war. Für den Fall der Hotelübernahme durch die Söhne der Witwe hatte er sich eine Abfindung mit allen Beteiligten ausgehandelt.

Friedrich Haerlin brachte zudem das Landgut „Eichholz“, das zum Hotel gehörte, auf Vordermann. Die Erfahrungen auf dem elterlichen Bauernhof halfen dem Schwaben, sich gegen den selbstherrlichen Gutsverwaltern durchzusetzen, der in die eigene Tasche gewirtschaftet und das Gut zu einem Zuschussbetrieb gemacht hatte.

Am Neujahrstag 1891 begegnete der Hoteldirektor erstmals die 24jährige Thekla Toussaint aus Bremen, die als Gesellschaftsdame für die Gattin des amerikanischen Gesandten John Davis Washburn arbeitete. Friedrich war wie sein im Hotel weilender  Bruder von der Hanseatin begeistert. Der Direktor zeigte dem Fräulein die Stadt, und als er sie beim Eislaufen sah, war es endgültig um ihn geschehen. Doch er übte sich nicht nur in der Nacht zusammen mit Schweden im Eislaufen, um sie zu einem Tanz auf dem Eis bitten zu können. Sondern nach ihrer Abreise stand er in Briefkontakt mit ihr, um dieses schriftliche „Material“ von einem bekannten Graphologen untersuchen zu lassen, zusammen mit Briefen von sich selbst. Zudem erfuhr Haerlin von einem Bremer Gast, dass die Toussaints eine bekannte und fleissige Familie mit einer Hutfabrik waren und Tochter Thekla die beste Turnerin und Schwimmerin im jüngst gegründeten Damensportverein war.

Im folgenden Frühjahr besuchte der Hoteldirektor die Familie Toussaint in Bremen und hielt um die Hand von Thekla an. Die Heirat stellt er allerdings nicht vor Ablauf seiner Zeit im „Bellevue“ in zwei Jahren in Aussicht. Von verschiedener Seite wurde den zwei von der Heirat abgeraten. Zudem bot Frau Osswald ihrem Direktor an, zusammen mit ihrem Sohn Philipp als Teilhaber das Hotel zu übernehmen. Doch die zwei Verliebten liessen sich nicht mehr von ihrem Plan abbringen.

Am 1. April 1893 verliess Friedrich Haerlin mit einem auszeichneten Zeugnis und einem wertvollen Silberservice als Geschenk seiner Chefin das „Bellevue“ in Bern. Acht Tage später ehelichte er Thekla Toussaint in Bremen.

Am 1. Mai 1893 eröffnete das Paar das von ihnen in Thun gepachtete „Hotel Bellevue“, das rasch zum Geheimtip unter den Diplomaten im nahe gelegen Bern aufstieg. Fünf Familien quartierten sich den ganzen Sommer über im Hotel ein. Zur Eröffnung der zweiten Saison, am 2. Mai 1894, kam der erste Sohn des Hotelpaares, Otto, zur Welt. Am 20. März 1895 folgte die Geburt von Sohn Wilhelm und im Frühjahr 1896 die von Tochter Frieda.

1896 verkaufte die Bank, der das Hotel gehörte, das Haus an eine Aktiengesellschaft, die das benachbarte „Grandhotel Thunerhof“ dazuerworben hatte. Friedrich Haerlin beteiligte sich mit Eigenkapital an der neuen Gesellschaft und sollte die zwei Häuser leiten. Doch die Mitglieder des Aufsichtsrats produzierten beständig neue Pläne. Im Vertrag stand, dass der Verwaltungsrat dem Generaldirektor vorgesetzt sei. Als für ihn feststand, dass die zwei Häuser nie rentabel geführt werden könnten, verkaufte er seinen Aktienanteil im Sommer und kündigte auf Ende des Jahres.

Am 24. Februar 1897, seinem 40. Geburtstag, sollte in Hamburg das in Konkurs gegangene Hotel „Zu den vier Jahreszeiten“ versteigert werden. Friedrich Haerlin griff zu und kaufte das schmale Haus am Neuen Jungfernstieg 11. Hier beginnt die Geschichte des Grand Hotels „Vier Jahreszeiten“.


Die Quelle für diesen Artikel: Sepp Ebelseder, Michael Seufert: Vier Jahreszeiten. Hinter den Kulissen eines Luxushotels. Die Hanse, Hamburg, 2002, 460 S. Erstausgabe 1999, Rowohlt. Das Buch der zwei ehemaligen Redaktoren der Zeitschrift Stern ist die Quelle für den nebenstehenden Artikel. Es ist flüssig, leicht lesbar und unterhaltsam geschrieben, was sich in unserer Biographie von Friedrich Haerlin hoffentlich wiederspiegelt. Das Buch bestellen bei Amazon.de und Amazon.com.