2008 öffnete das Franz Marc Museum in Kochel am See seine Pforten. Ein gutes Jahrzehnt danach hat das Museum einen neuen Sammlungskatalog veröffentlicht. Der reich bebilderte Band präsentiert nicht nur über 100 repräsentative Werke der Sammlung, darunter neu hinzugefügte Werke wie die Skulpturen von Anthony Cragg und Per Kirkeby, welche die Parallelität von natürlichem Wachstum und künstlerischer Schöpfung thematisieren, sondern bietet daneben viel Wissenswertes zum Museum, zu Franz Marc, zum Blauen Reiter, zu Künstlerinnen des Expressionismus, zur Volkskunst, zur Künstlervereinigung Die Brücke, zu Paul Klee, zum Bauhaus, zu Künstlerbüchern und Mappenwerken sowie zur Kunst nach 1945.
Das Franz Marc Museum im bayerischen Kochel am See wird ohne öffentliche Subventionen von der Stiftung Etta und Otto Stangl und der Franz Marc Stiftung betrieben und vereint Werke, die von drei Sammlergenerationen zusammengetragen wurden.
Die Sammlung nahm ihren Anfang mit dem Barmer Pianoforte-Fabrikanten Rudolf Ibach (1873-1940). Sein bereits 1794 gegründetes Familienunternehmen war zeitgenössischer Kunst traditionell verbunden. Rudolf Ibach war der Vater von Etta Stangl. Er war den kreativen Neuerern seiner Zeit gegenüber aufgeschlossen. Insbesondere sammelte er Werke von Expressionisten und betätigte sich selbst in der Weltwirtschaftskrise, als er seine Sammlungstätigkeit zeitweise unterbrechen musste, als Mäzen. In der berühmten Moderne Galerie Heinrich Thannhauser erwarb er eine bedeutende Anzahl an Aquarellen von Paul Klee.
Vier Jahre nach dem Tod ihres Vaters heiratete seine Tochter Elsa Ibach (genannt Etta; 1913-1990) den Bildhauersohn Otto Stangl (1915-1990). Diesen hatte sie während ihres Studiums in der privaten Bildhauerschule von dessen Vater Hans Stangl kennengelernt, der ihnen riet, eine Galerie zu eröffnen. Erste Schritte unternahmen sie 1946. Im darauffolgenden Jahr gründeten sie in München-Schwabing die Moderne Galerie Otto Stangl, die im Februar 1948 mit einer Ausstellung von Gemälden von Alexej von Jawlensky eröffnet wurde. Sie gehörten mit zu den ersten Galeristen, die sich um die Rehabilitierung der von den Nazis verfemten Kunst der Expressionisten bemühten. Die Sammlung von Rudolf Ibach bildete den Kern der ersten Ausstellungen und half entscheidend, das Renomme der neuen Galerie mitzubegründen.
In den ersten Jahren nach Kriegsende waren die Vereinigten Staaten von Amerika der primäre Absatzmarkt und ein existenzsichernder Faktor der Galerie. In einem Brief beklagte Etta Stangl, dass täglich die schönsten Sachen reinkämen, doch kein Mensch in Deutschland das Geld habe, sich Kunst zu kaufen.
Neben der klassischen Moderne stellten Etta und Otto Stangl in ihrer Galerie zeitgenössische Künstler wie den Schweizer Max Bill und Werke von der Nouvelle Ecole de Paris aus. Die Gruppe ZEN 49 wurde 1949 auf Bestreben des britischen Konsuls und Kunstkritikers John Anthony Thwaites in den Räumen der Galerie gegründet. Sie und andere, die dem Netzwerk der Galerie Stangl angehörten, standen der von der amerikanischen Militärregierung initieriten reeducation durch internationale Malerei nahe. Hilla von Rebay, die Initiatorin des New Yorker Solomon R. Guggenheim Museums (damals noch Museum of Non-Objective Painting) stand seit 1948 mit Etta und Otto Stangl in Kontakt und verschaffte den Galeristen durch den Erwerb von Werken ein Auskommen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten und versorgte sie und die mit ihnen verbundenen Künstler mit Carepaketen, die Lebensmittel und Malutensilien enthielten.
Die Dresdner Sammlerin Ida Bienert, die vor dem Krieg neben Rudolf Ibach und Otto Ralfs die bedeutendste Klee-Sammlung besass, gehörte zu den regelmässigen Gästen der Modernen Galerie Otto Stangl. Zu diesem Kreis gehörten zudem die Kunsthistoriker Ludwig Grote (der Klee und Kandinsky ans Bauhaus geholt hatte), Wilhelm Worringer, Franz und Juliane Roh, der Kunstkritiker Werner Haftmann, die Künstler Gabriele Münter und Adolf Erbslöh sowie die Witwe von Franz Marc, Maria Marc.
Maria Marc wandte sich auf die Vermittlung des Franz-Marc-Monografen Klaus Lankheit an Otto Stangl, der ihr lange Jahre als Berater, Nachlassverwalter des Werks ihres verstorbenen Mannes und später als Testamentvollstrecker verbunden sein sollte. Von der innigen Freundschaft zwischen Maria Marc und den Stangls zeugt ein Konvolut an Briefen im Archiv des Franz Marc Museums.
Klaus Lankheit und Otto Stangl setzten sich dafür ein, die Werke von Franz Marc in Deutschland zu halten. Gemeinsam initiierten sie die Gründung des Franz Marc Museum im Jahr 1986, die auf den Wunsch der Witwe Maria Marc zurückging, die Werke ihres Mannes an ein namhaftes Museum zu vermitteln.
Franz Marc (1880-1916) zog 1914 mit seiner Frau Maria 1914 nach Kochel am See. Dort bemühten sich nun Jahrzehnte später Klaus Lankheit und Otto Stangl um ein Gründstück samt Gebäude für das Museum. Der Wunsch erfüllte sich, weil der Bürgermeister von Kochel selbst Mitglied des Förderkreises war. Mit der Erbengemeinschaft Franz Marc und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gründeten sie 1985 die Franz Marc Stiftung. Bedeutende Leihgaben und Stiftungen für das neue Museum konnten dank Stangls Vernetzung in der Kunstwelt gefunden werden.
1990, im Todesjahr von Otto und Etta Stangl, glich die Sammlung einem komplexen und heterogenen Konvolut von fast 3000 Werken aus zwei Generationen Sammeltätigkeit. Sie musste noch immer inventarisiert und dokumentiert werden. Der Öffentlichkeit war sie noch nie in ihrer Gesamtheit gezeigt worden. Zum Glück wurden die Werke nach dem Tod des Sammlerehepaares nicht in alle Welt zerstreut. Die Erben, allen voran die als Ibach geborene Schwester von Etta, Charlotte Mittelsten Scheid, formten aus dem gewaltigen Nachlass eine Sammlung. Hilfe kam von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und von vielen Künstlern, die von der Galerie Otto Stangl vertreten worden waren. Bedeutende Mäzene wie Wilhelm Winterstein, Wilhelm von Finck und die Ernst von Siemens Kunststiftung setzten sich für das neue Museum ein. Sie ermöglichten den Ankauf weiterer zentraler Werke. Die Familie Mittelstein Scheid wurde zur treibenden Krafthint dem Neubau und der inhaltlichen Erweiterung des Franz Marc Museums. Mit der Gründung der Etta und Otto Stangl Stiftung sicherten sie seine Zukunft und bedachten es mit Leihgaben.
Franz Marc Museum. Die Sammlung. 21,7 x 3,5 x 27,1 cm, Hirmer Verlag, Mai 2019, 288 Seiten. Das Buch bestellen. Dieser Artikel beruht auf dem Sammlungskatalog. Zitate und Teilzitate wurden der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.
Artikel vom 19. August 2019 um 18:46.