Die polnische Opposition oder wie man Wahlen nicht gewinnt

Okt 15, 2019 at 14:40 1738

Die scheinbare Stärke einer zweifelhaften Regierung ist oft lediglich das Spiegelbild einer schwachen Opposition. Bei der Parlamentswahl 2019 hat die polnische Opposition „erfolgreich“ demonstriert, wie man Wahlen nicht gewinnt: Mit schwachen Führern, die untereinander zerstritten sind, ist gegen eine Regierung, die die staatlichen Massenmedien auf ihren dubiosen Kurs gebracht hat, während dem die privaten Massenmedien weitgehend von regierungsfreundlichen Unternehmern kontrolliert werden, kein Blumentopf zu gewinnen. Wie man es besser macht, hat gerade die ungarische Opposition in Budapest demonstriert: Weitgehend geeint, hinter einem zumindest aus heutiger Sicht glaubwürdigen Kandidaten.

Der „Giftzwerg“ Jarosław Kaczyński hat die konservative Regierungspartei PiS erfolgreich aus der polnischen Wahlschlacht geführt. Am 13. Oktober 2019 waren rund 30,25 Millionen registrierte polnische Wähler aufgerufen worden, ihr Parlament neu zu wählen. Rund 61,74% der Wähler gingen schliesslich an die Urnen. Bei der letzten Wahl 2015 lag die Wahlbeteiligung bei lediglich 50,92%. Doch nicht die Opposition konnte gegen den zweifelhaften Kurs der Regierung mehr Wähler mobilisieren, sondern vor allem die PiS legte zu.

Im Unterhaus (Sejm), das uns hier interessiert, kam die PiS 2019 auf 43,6% der Wählerstimmen (+6%). Das brachte ihr dank dem Wahlsystem eine absolute Mehrheit von 235 Mandaten im Sejm mit ingesamt 460 Sitzen. Die 43,6% sind das beste Resultat einer politischen Formation in der postkommunistischen Zeit, also seit 1989! Vor vier Jahren konnte die PiS rund 5,7 Millionen Wähler mobilisieren, 2019 waren es über 8 Millionen.

Das stärkste Oppositionsbündnis, die Bürgerkoalition (KO) bestehend aus der wirtschaftsliberal-konservativen Bürgerplattform (PO), der wirtschaftsliberalen Nowoczesna (Moderne) sowie den Grünen kam auf lediglich 27,4% der Stimmen (-4,3%) und neu 134 Sitze im Sejm. Nur gut einen Monat vor der Wahl wechselte die PO ihren Spitzenkandidaten gegen die ehemalige Parlamentspräsidentin Malgorzata Kidawa-Blonska als neue Spitzenkandidatin aus. Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit sieht anders aus.

Die Opposition war zersplittert. Die Koalition von linken Parteien namens Lewica trat getrennt an und kam auf 12,6% der Stimmen (+1,4%) bzw. 49 Mandate. Das Bündnis Polnische Koalition bestehend aus der Volkspartei/Bauernpartei kam auf 8,6% (-5,3%!) der Stimmen und neu 30 Sitze. Damit schaffte sie es über die Prozenthürde, die für einzelne Parteien bei 5% und für Koalitionen bei 8% steht. Als fünfte Kraft neu ins Parlament kam die sogenannte Konföderation, eine rechtsradikale Formation bestehend aus Nationalisten, erzkonservativen Katholiken und Monarchisten. Die Konföderation kam auf 6,8% (+1,9%) und 11 Sitze. Die PiS hat nun erstmals parlamentarische Konkurrenz auf der Rechten erhalten. Wird sie nun noch mehr nach rechts abdriften? Andere Parteien kamen insgesamt auf 1,1% (+0,3%), was bei weitem nicht für den Einzug ins Parlament reichte.

Die Regierungspartei PiS punktete mit dem Ausbau des zuvor schwachen Sozialstaates. Dazu gehören ein für polnische Verhältnisse grosszügiges Kindergeld, die Senkung des Rentenalters sowie das Versprechen, den Mindestlohn auf umgerechnet hohe 910 Euro zu erhöhnen. Wirtschaftlich geht es Polen nach wie vor gut, was weitgehend der wirtschaftsliberalen Vorgängerregierung zu verdanken ist. Mit Ministerpräsident Mateusz Jakub Morawiecki hatte die PiS zudem bisher einen ehemaligen Unternehmer und Banker an der Spitze der Regierung, der als seriös und nicht so EU-skeptisch gilt wie Parteichef Jarosław Kaczyński und die vorherige Regierungschefin Beata Szydło. Zumindest im Stil gilt er als akzeptable Gesicht der PiS.

Doch auch unter Ministerpräsident Morawiecki hat sich die Lage der polnischen Medien, insbesondere der Staatsmedien, nicht verbessert. Von unabhängiger Berichterstattung kann nur in wenigen Fällen gesprochen werden. Die Justiz wird von der Regierung und Vertretern der Regierungspartei PiS nach wie vor bedrängt. Die EU läuft Sturm gegen die polnische Regierung, was teilweise kontraproduktiv wirkt, zu einer Abwehrhaltung führt. Verschwörungstheorien, so um den tragischen Absturz des Flugzeuges, in dem Kaczyńskis Zwillingsbruder und fast 100 weitere bedeutende Polen umkamen, immer grössere Wahlgeschenke, ein zweifelhafter Blick zurück auf historische polnische „Vorbilder“ wie Józef Piłsudski, die politische Polarisierung, Korruptionsfälle in PiS- und PiS-nahen Kreisen, all das ist nicht sehr erbaulich.

Noch ist Polen nicht verloren. Doch der Weg, den die PiS (nicht zuletzt auf Grund der Errodierung des Rechtsstaates zurecht „Piss“ ausgesprochen) unter Jarosław Kaczyński geht, ist den Bach hinunter.

Das Foto zeigt Jarosław Kaczyński im polnischen Unterhaus (Sejm) im Jahr 2016. Foto von Adrian Grycuk / Wikipedia.

Artikel vom 15. Oktober 2015 um 14:40 deutscher Zeit.