Der neue Ministerpräsident Thüringens regiert mit knapper Mehrheit.
Hinzugefügt am 5. Dezember 2014 um 11:25: Die Antrittsrede von Bodo Ramelow war staatstragend. Er bat die Opfer der SED-Diktatur um Entschuldigung. Konkret bat er seinen auf der Tribüne sitzenden Freund Andreas Möller, der in einem Stasi-Gefängnis gesessen hatte, um Entschuldigung für das erlittene Leid. Er erinnerte an die Besetzung der Stasi-Zentrale in Erfurt vor 25 Jahren, ohne die er heute nicht hier stehen würde. Er erklärte: „Wir müssen gemeinsam den Weg der Aufarbeitung gehen.“. Mit Johannes Rau betonte er, er wolle versöhnen statt spalten. Es sei ihm „trotz aller Differenzen … an einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der Opposition gelegen.“ Er dankte der abtretenden Ministerpräsidentin Lieberknecht für ihre Arbeit. Er trat für einen pfleglichen Umgang der Politiker untereinander ein und unterstich, er wolle die Menschen wieder mehr am politischen Leben beteiligen.
Artikel vom 5. Dezember 2014 um 10:58 CET: Die Abgeordneten Thüringens haben in Erfurt heute Geschichte geschrieben. 25 Jahre nach dem Mauerfall wurde erstmals ein Vertreter der Partei Die Linke zum Ministerpräsidenten eines Bundeslandes gewählt. Zudem kommt es zur ersten Rot-Rot-Grünen Regierungskoalition. Dies könnte natürlich auch bald im Bund drohen, auch wenn die SPD und die Grünen insbesondere mit Blick auf die Aussenpolitik der Linken eben gerade dies verneinen. Im Bund wäre Rot-Rot-Grün bereits bei der Bundestagswahl 2013 möglich gewesen, auch wenn Merkel und die CDU als grösste Partei siegten, allerdings ihren bisherigen Koalitionspartner FDP verloren, der aus dem Bundestag rausflog. Im Bundestag mit 631 Sitzen kommen SPD (193 Sitze), Linke (64 Sitze) und Grüne (63 Sitze) zusammen auf 320 Abgeordnete, während dem die CDU lediglich 311 Parlamentarier stellt. Das sollte eigentlich all jenen zu denken geben, die
Der Thüringer Landtag umfasst 91 Sitze. Die Mehrheit liegt folglich bei 46 Sitzen. Die Linke und die SPD zusammen kontrollieren genau 46 Mandate, haben also nur eine Stimme Mehrheit. Die zwei Parteien können sich folglich nur durchsetzen, wenn sie geschlossen bleiben. CDU und AfD zusammen kontrollieren 45 Sitze.
Im ersten Wahlgang waren nur 90 Stimmen gültig. Bodo Ramelow erhielt lediglich 45 Stimmen. 44 Landtagsabgeordnete stimmten mit Nein. Daneben gab es eine Enthaltung und eine ungültige Stimme.
Im zweiten Wahlgang: Bodo Ramelow gewählt! Wieder waren nur 90 Stimmen gültig, doch Bodo Ramelow erhielt 46 Stimmen. 43 Abgeordnete stimmten mit Nein, einer enthielt sich der Stimme.
Die Linke war seit 1999 die grösste Oppositionspartei in Thüringen. Daher ist es nicht so unglaublich, dass sie es nun an die Spitze der Exekutive schafft, da sich Regierungen in der Regel über die Jahre abnutzen. Allerdings hat Mike Mohring, der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Erfurter Landtag recht, wenn er mit Verweis auf Umfragen betont, dass Rot-Rot-Grün nicht dem Wählerwillen entspricht, insofern eine Mehrheit von rund 60% sich gegen eine Koalition von Linke, SPD und Grünen unter Führung der Linken ausspricht, wobei natürlich die Parlamentarier frei sind bei der Koalitionswahl. Der Denkzettel könnte allerdings bei der nächsten Landtagswahl kommen. Bis dahin geht es jedoch noch fünf Jahre. Sollte Rot-Rot-Grün bis dahin vernünftig regieren, könnten sich die Wähler an die neue Konstellation gewöhnt haben und der Denkzettel ausbleiben.
Der Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün ist nicht radikal. Ein Ende der Demokratie in Thüringen und eine Rückkehr zur Einparteienherrschaft à la SED ist nicht zu befürchten. Die neue Koalition bekennt sich zu einem ausgeglichenen Haushalt, auch wenn Wahlgeschenke wie mehr Lehrer, die Abschaffung des Landeserziehungsgeldes und ein erstes kostenloses Kita-Jahr ebenfalls dazu gehören. Die neue Koalition hat klar festgeschrieben, dass es keine Neuverschuldung geben darf. Papier ist geduldig und nimmt alles an. Wie immer in der Politik zählen nicht die schönen Absichtserklärungen, sondern was am Ende hinten rauskommt.
Die Wahl von Bodo Ramelow in Thüringen war möglich, weil der neue Ministerpräsident 1956 in Niedersachsen geboren wurde, von 1981 bis 1990 als Gewerkschaftssekretär in Mittelhessen arbeitete und erst 1990 als Chef der Gewerkschaft HBV in Thüringen in den Osten ging. Er ist folglich nicht durch die Geschichte der Linken belastet, die ja aus der ostdeutschen Einheitspartei SED (später PDS) entstand. Dennoch ist der Zeitpunkt der Bildung der Regierung von Rot-Rot-Grün peinlich. Am 4. Dezember 1989 besetzten Bürger die Erfurter Stasi-Zentrale. 25 Jahre und einen Tag später darf nun die Nachfolgepartei der SED, die Linke, den Ministerpräsidenten stellen. Das kommt bei einer Mehrheit der Wähler nicht gut an, insbesondere weil längst nicht alle Linke in Thüringen unbelastet sind und sich klar von der SED abgrenzen, auch wenn natürlich selbst sie keine Rückkehr zur DDR-Diktatur wollen.
Die Linke erzielte bei der Landtagswahl in Thüringen vom 14. September 2014 mit 28,2% ein Rekordergebnis (+0,8%). Die SPD wurde mit 12,4% für ihre Koalition mit Christine Lieberknecht brutal abgestraft (-6,1%). Die Grünen schafften den Wiedereinzug mit 5,7% (-0,5%) knapp. Die AfD kam als neue Kraft auf 10.6%. Die FDP flog mit 2,5% (-5,2%) klar raus. Die CDU von Ministerpräsidentin Lieberknecht sah sich als stärkste Kraft als Siegerin, doch die SPD wollte mit ihr nicht weiter regieren. Die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl lag bei schwachen 52,7%. Die Verteilung im Landtag: CDU 34 Sitze, Linke 28, SPD 12, AfD 11 und Grüne 6.
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Bodo Ramelow während der Regierungsmedienkonferenz am 3. September 2019 in der Thüringer Staatskanzlei in Erfurt. Photo Copyright © Olaf Kosinsky / Quelle Wikipedia. This image was published by Olaf Kosinsky under the free licence CC BY-SA 3.0-de