Pablo Picasso. Kriegsjahre 1939 bis 1945

Mrz 04, 2020 at 14:41 1536

Noch bis am 14. Juni 2020 ist in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, K20 Düsseldorf, die Ausstellung Pablo Picasso. Kriegsjahre 1939 bis 1945 zu sehen (Katalog). Sie entstand in Zusammenarbeit mit dem Musée de Grenoble, wo die Schau zuvor zu sehen war, sowie in Kooperation mit dem sehenswerten Musée national Picasso in Paris.

Laut den Kuratoren der Ausstellung wurden Picassos Jahre während des Zweiten Weltkriegs selten und wenig beleuchtet. Sie werden dank neueren Studien inzwischen als wichtiger und spannender Wendepunkt im Werk des spanischen Künstlers betrachtet. Die Düsseldorfer Ausstellung widmet sich nun exklusiv diesen dunklen Kriegsjahren, in denen sich Pablo Picasso im Unterschied zu vielen anderen Künstlern dazu entschied, in Paris zu bleiben.

Laut den Direktoren der Museen in Grenoble und Düsseldorf, Guy Tosatto und Susanne Gaensheimer, unterscheiden sich Picassos, während dem Zweiten Weltkrieg entstandene Werke thematisch und formal nicht wesentlich von jenen, die er davor schuf, doch der raue und bisweilen wenig gefällige Stil und die Allgegenwart von Tod, Leiden und Angst zeugten von der unheilvollen und bedrückenden Atmosphäre eines Landes unter Vorherrschaft der Nazis.

Die Chronologie der Ausstellung in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen setzt mit der französischen und britischen Kriegserklärung an Nazi-Deutschland vom 3. September 1939 an und endet mit dem Sieg der Alliierten am 8. Mai 1945. Das Leben und Schaffen Picassos in diesen Jahren wird detailreich nachezeichnet. Laut den Ausstellungsmachern schlägt sich die Gewalt des Weltgeschehens jener Jahre im strengen, schonungslosen Stil mit ungestümen Verzerrungen nieder, wobei die Lebenskraft des künsterlischen Schaffens die Hoffnung wachhält. Die Werke Mann mit Schaf  aus dem Jahr 1943 symbolisierten den künstlerischen Widerstand gegen die Besatzung. Dazu sind in der Ausstellung und im Katalog zum Beispiel gleichnamige Studie mit Grafitstift, Feder- und Tuschezeichnungen, eine Fotografie von Brassaï, eine Bronze sowie (nur im Katalog) eine Gipsskulptur zu sehen.

Der Katalog enthält eine Picasso-Chronologie von 1939 bis 1945 mit Hinweisen auf Korrespondenzen und Werke, wobei alle ausgestellten Werke abgebildet sind. Eine Reihe von Essays widmet sich dem Thema Picasso und Zweiter Weltkrieg. Brigitte Leal schreibt in ihrem Beitrag, für Pablo Picasso habe im Krieg eine Quelle für neue Ausdrucksmöglichkeiten erkannt, einen lebendigen und menschlichen Stoff, den es umzugestalten gelte. Martin Schieder beschreibt die Befreiung von Picassos Pariser Atelier im August 1944. Stéphane Guégan widmet sich der Kunst der Mehrdeutigkeit. Sophie Bernhard untersucht die Beziehung von Alltag und Krieg im Werk von Picasso von 1939 bis 1945. Laurence Madeline widmet sich in einem etwas konfusen Artikel der traurigen Geschichte von Dora Maar, ihrem Widerstand und dem Ende ihrer Beziehung mit Picasso.

Auch in den Kriegsjahren liess Picasso die Obsession für die weibliche Gestalt nicht los, wobei Dora Maar für eine gewisse Zeit noch deren wichtigste Verkörperung blieb. Neben Portraits und Akten widmete sich Pablo Picasso vor allem dem Thema Stillleben, die laut Tosatto und Gaensheimer in einer Zeit der Nahrungsmittelknappheit und Rationierung meist als Allegorien der allgegenwärtigen Entbehrung erschienen. Expliziter komme das Drama der Kriegsjahre in den Darstellungen von Tierschädeln und Totenköpfen zum Ausdruck.

In einem kurzen, den Essays vorangestellten Beitrag (Malen in Kriegszeiten) erwähnt Guy Tosatto, dass Pablo Picasso kurz nach der Befreiung einem US-amerikanischen Journalisten, der hinter dessen zwischen 1939 und 1945 entstandenen Arbeiten nach einer verborgenen politischen Botschaft suchte, sagte, er habe den Krieg nicht gemalt, aber er sei sich sicher, dass der Krieg Eingang genommen habe in die Bilder, die er geschaffen habe (Peter D. Whitney: „Picasso is safe. The artist was neither a traitor to his paintings nor his country.“ San Francisco Chronicle, 3. September 1944).

Tossato erwähnt zudem zurecht, dass für Picasso der Krieg bereits 1936 mit dem Spanischen Bürgerkrieg und den darin verübten Massakern begonnen habe. Er habe nicht nur die Republikaner aktiv gegen Franco unterstützt, sondern mit Guernica von 1937 eine künstlerische Grosstat und einen Akt des Widerstands vollbracht. Das Werk hat den Schreibenden seltsamerweise vor vielen Jahren bei einem Besuch im Museo Reina Sofia in Madrid nicht beeindruckt. Für Picasso war der Krieg mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bereits verloren, denn Franco und die Nationalisten übernahmen Madrid bereits Ende März 1939, und am 1. April ergaben sich die letzten republikanischen Kräfte in Spanien. Damit wurde Picasso zur unerwünschten Person in seinem Geburtsland.

Pablo Picasso war im Zweiten Weltkrieg kein aktives Mitglied der Résistance und setzte – mit Ausnahme des erwähnten Vorkriegswerkes Guernica – die Dramen, die sich um ihn herum abspielten, nicht direkt in seinen Arbeiten um. Von den Nazis wurde er als „entarteter“ Künstler eingestuft, was ihn nicht daran hinderte, unbeeindruckt, unbeirrbar und kompromisslos seinen künstlerischen Weg weiter zu gehen. Zudem war er als Gefolgsmann der Republikaner gebrandmarkt. Die Nazis betrachteten ihn daher als doppelten Feind.

Die Chronologie im Katalog mit der Gegenüberstellung von Leben und Werk, den vielen Korrespondenzen jener Jahre und den erläuternden Informationen zu Vita und Œuvre ist hervorragend gemacht. Nach wie vor faszinieren den Schreibenden Picassos Skulpturen mehr als seine Gemälde, Zeichnungen und anderen Werke. In Düsseldorf sind neben der erwähnten Bronze Mann mit Schaf unter anderen Werken noch Der Schnitter, eine Bronze von 1943, sowie Frau mit Orange (Frau mit Apfel), ebenfalls von 1943 zu bewundern.

Bis am 14. Juni 2020 sind in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf rund 140 Werke von Pablo Picasso aus den Kriegsjahren 1939 bis 1945 ausgestellt. Sowohl die Reise dorthin als auch der Erwerb des Katalogs sind empfehlenswert.

Susanne Gaensheimer, Kathrin Beßen, Hrsg.: Pablo Picasso. Kriegsjahre 1939 bis 1945. Hardcover, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Wienand Verlag, Februar 2020, 331 Seiten mit 288 farbigen und 52 s/w Abbildungen, 28 x 22 cm. Mit Beiträgen von Susanne Gaensheimer, Sophie Bernard, Stéphane Guégan, Brigitte Léal, Laurence Madeline, Guitemie Maldonado, Martin Schieder, Guy Tosatto. Das Buch / Den Ausstellungskatalog bestellen bei Amazon.de.

Der Ausstellungskatalog bildet die Hauptquelle für diesen Artikel. Zitate und Teilzitate sind zur besseren Lesbarkeit nicht mit Gänsefüsschen ausgezeichnet.

Siehe zu Picasso auch den englischen Artikel The Young Picasso zur Ausstellung in der Fondation Beyeler.

Kritik / Rezension vom 4. März 2020. Hinzugefügt um 14:41 deutscher Zeit.