Weisser Tee: Geschichte, Herstellung und Eigenschaften des Yin Zhen

Jul 18, 2005 at 00:00 798

In den 1990er Jahren trat der grüne Tee seinen Siegeszug durch die westliche Welt an, weil er gesünder als der schwarze ist. Seit Beginn dieses Jahrtausends ist nun der weisse Tee in Mode gekommen, der nachweislich noch positivere Wirkungen hat.

Der historisch nicht überprüfbaren Überlieferung nach wird weisser Tee in China seit 1500 Jahren angebaut. Bekannt ist, dass ihn bereits die frühen Song-Kaiser (960-1279) schätzten. Im Westen hingegen war er bis vor wenigen Jahren nahezu unbekannt. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Kaiser Zhao Ji, der zwischen 1107 und 1110 seinen Generellen Überblick über die Tees verfasste, beschrieb die Knospen als „weiss wie Jade“ und „von einer unvergleichlichen Qualität“. Bis 1769 wurde der Weisse Tee einzig im Distrikt Jianou in der Provinz Fujian angebaut, ehe die Mandschu-Kaiser der Qing-Dynastie die Produktion der „Silbernadeln“ (Bai Hao Yin Zhen) anordneten.

Der weisse Tee war also ursprünglich den chinesischen Kaisern und dem Hochadel vorbehalten. Im Gegensatz zum grünen Tee, der bereits im 17. Jahrhundert den Weg nach Europa fand, wurde der weisse deshalb erst Ende des 19. Jahrhunderts vom Pariser Teehandelshaus Mariage Frères in die Alte Welt importiert.

Tees von Mariage Frères

Die „Silbernadeln“ besitzen für den Laien keinen grossen geschmacklichen Ausdruck, sind nicht auf Anhieb zu schätzen und folglich nur etwas für Kenner. Zudem gehört der nur in kleinsten Mengen produzierte Tee zu den teuersten überhaupt und wird deshalb wohl nie den Massenmarkt erobern.

Dank der weiterhin weissen Tee trinkenden Elite in China ging die Tradition der „Silbernadeln“ selbst nach den Revolutionen von 1912 und 1949 nicht unter. Das Wissen um den Yin Zhen – Geschichte, Anbau, Eigenschaften und Herstellung durch spezialisierte Kleinproduzenten – ging nie verloren ging. Während Teile der kommunistischen Elite weiterhin dem weissen Tee zusprachen, wurden die stark anwachsenden Massen der Volksrepublik mit Billigtees abgespeist. Nicht die subtilen Nuancen der Knospen und Blätter der jeweiligen Anbaugebiete standen im Vordergrund, sondern ein homogenisierter, jeder Zeit reproduzierbarer Einheitsgeschmack wurde bedient. Im Westen – nicht zuletzt in England – hielt mit der „industriellen“ Grossproduktion und dem Teebeutel ebenfalls eine Form von „Tee-Unkultur“ Einzug.

Weisser Tee stammt wie grüner oder schwarzer vom Teestrauch (Camellia sinensis), unterscheidet sich von diesen jedoch durch die rigorose Auswahl der verwendeten Pflanzenteile sowie durch seine Herstellung.

Weisse Tees von Mariage Frères, Paris 2005. Tees von Mariage Frères

Er lässt sich in zwei Familien aufteilen: Den historischen Yin Zhen, der einzig aus den zarten Blattknospen mit noch weissem Flaum besteht. Er stammt von ausgewählten Teesträuchern in spezialisierten und traditionsreichen Kleinstplantagen in den Bergen der an der Formosastrasse gelegenen südchinesischen Provinz Fujian. Er braucht eine ungewöhnlich lange Infusionszeit von 15 bis 20 Minuten und zeichnet sich durch seine kristalline und helle Mandarinfarbe aus. Im Geschmack ist er samtig, frisch und blumig. Ein ideales Sommergetränk für den Nachmittag oder nach dem Essen.

Der Yin Zhen wird an nur zwei Tagen im März (First Flush) um fünf Uhr im Morgengrauen von Hand gepflückt, wenn noch Tau über den Plantagen liegt. Danach wird er einige Stunden in der milden Morgensonne im natürlichen Wind auf Holzrosten gewelkt, bis er zu fünfzig Prozent dehydriert ist. Danach sind die Knospen weich genug, um ohne zu zerbrechen am selben Tag noch einige Stunden weiter an der Sonne getrocknet zu werden, bis sie nur noch rund fünf Prozent Wasser enthalten. Und fertig ist der Yin Zhen.

Der weisse Tee wird also weder wie der grüne gedämpft noch wie der schwarze fermentiert. Die Blätter werden nicht einmal gerollt oder zum Trocknen künstlich erhitzt, sondern der Yin Zhen durchläuft lediglich die zwei Operationen des – rein natürlichen – Welkens und Trocknens.

Die zweite Familie des weissen Tees, Pai Mu Tan oder „weisse Pfingstrose“ genannt, stammt teilweise wie der Yin Zhen aus den Provinzen Fujian und Anhui, wird seit den 1980er Jahren aber zusätzlich an anderen Standorten angebaut, so im indischen Darjeeling und in Nepal. Beide weissen Tees werden zwar auf dieselbe Weise hergestellt, der Pai Mu Tan jedoch besteht aus der Knospe sowie dem ersten jungen Blatt. Daher ist er um ein mehrfaches preiswerter als die „Silbernadeln“. Er kommt zudem mit einer Infusionszeit von lediglich sieben Minuten aus und ist grünlicher als der Yin Zhen.

Ende 2004 lancierte das Pariser Teehaus Mariage Frères eine Reihe von parfümierten Yin Zhen. Da diese zu delikat sind, um mit Essenzen verfeinert zu werden, erfolgt die Parfümierung über blosses Mischen. Die Teeknospen werden mehrere Monate lang zum Beispiel mit ausgewählten, Aroma gebenden Orangen- und Rosenblüten, Jasmin, Lotus- oder Ringelblumen gelagert, bis sie davon imprägniert sind. Danach können sie zusammen als Tee in nur sieben Minuten aufgebrüht werden, da die Parfüms die Entwicklung des Aromas beschleunigen. Mit diesen neuen Kreationen möchten die Pariser den europäischen Teeliebhabern den Einstieg in die Aromawelt des weissen Tees erleichtern. Bei rund 20 Euros für 20g dürfte der Kreis der Enthusiasten allerdings begrenzt bleiben. Und nicht überall, wo weisser Tee draufsteht, ist solcher drin: So lancierte die Firma Lipton ein Produkt unter diesem Namen, obwohl es sich dabei um einen gemeinen Grüntee handelt.

Weisser Tee findet nicht nur als Lifestyle- und Gesundheits-Getränk grössere Resonanz, sondern auch als Kosmetik-Inhaltsstoff. Als Polyphenole bekannte Phytochemikalien hemmen den Oxidationsprozess der freien Radikale, stärken das Immunsystem und steigern die Entschlackung des Körpers. Polyphenole sind auch in anderen Teesorten enthalten. Doch gehen sie durch die Verarbeitung weitgehend verloren. Da der weisse Tee auf besonders schonende und natürliche Art hergestellt wird, ist er ein rund 100% wirksamerer Antioxidiant als selbst der zurecht als besonders gesund geltende grüne Tee, da er dreimal mehr Polyphenole enthält. Eine Tasse weisser Tee enthält genauso viele Antioxidantien wie drei Tassen grüner Tee oder zwölf Gläser Orangensaft.

Die ersten, die im Detail wissenschaftlich den Weissen Tee erforschten, waren Spezialisten von Origins, einer auf natürliche Ingredienzien fokussierten Firma, die zum Kosmetikkonzern Estée Lauder gehört. Im Januar 2001 lagen die Forschungsergebnisse vor, im August kam bereits das erste Pflegeprodukt auf den Markt. Die Linie A Perfect World © mit weissem Tee avancierte rasch zum Bestseller von Origins.

Neue amerikanische Forschungsergebnisse zeigen übrigens, dass weisser Tee nicht nur freie Radikale neutralisiert, sondern zudem die Langerhanszellen in der Haut schützt. Auf Grund seiner ausserordentlichen Qualitäten wird weisser Tee als Getränk, Kosmetik- und Medizin-Bestandteil in Zukunft wohl noch häufiger bei uns anzutreffen sein. Ob die Produktion bei erhöhter Nachfrage die unabdingbare Qualität wird beibehalten können, steht allerdings auf einem anderen (Tee-) Blatt geschrieben.

Photo: Mariage Frères, 30 Rue du Bourg-Tibourg, Paris August 2015. Photo Copyright: Norio Nayama/Mariage Frères. Quelle: https://www.flickr.com/photos/norio-nakayama/20063285944/ + Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Mariage_Fr%C3%A8res,_30_Rue_du_Bourg-Tibourg,_Paris_August_2015.jpg

Tees von Mariage Frères

Artikel vom 18. Juli 2005