Nordkorea. Buchkritik von Jasper Becker: Rogue Regime

Feb 27, 2006 at 00:00 481

Die Tyrannei von Kim Jong Il

Nordkorea ist ein schwarzer Fleck auf der Landkarte. Obwohl der Journalist Jasper Becker nicht selbst das Land bereisen konnte, so versucht er doch, mit Hilfe von Interviews von Flüchtlingen und anderen mündlichen wie schriftlichen Quellen, Licht ins abgründige Dunkel dieses Schurkenstaates zu bringen. Nach der Lektüre dieses Buches (Jasper Becker: Rogue Regime. Kim Jong Il and The Looming Threat of North Korea) wird sich niemand mehr Illusionen über die Natur des Regimes in Nordkorea machen können (Amazon.de, Amazon.co.uk, Amazon.com).

Noch radikaler als einst in der Sowjetunion beruht Nordkorea auf einem Geflecht von unverschämten Lügen, Propaganda, Personenkult und vor allem Terror. Das beginnt mit dem falschen Namen des verstorbenen Diktators Kim Il Sung, der von einem früheren Widerstandshelden gegen die japanische Besetzung gestohlen wurde, und endet mit Hunger, Gefangenenlagern und Mord.

Seit Ende des Koreakrieges 1953 – den Kim Il Sung begann und dafür bei Stalin warb – schafften es nur wenige Flüchtlinge, dem Terrorregime des Nordens zu entkommen und sich ins Ausland abzusetzen. Ihren Berichten über die Untaten der Machthaber und die katastrophale gesundheitliche und wirtschaftliche Lage wurde zu lange kein Glauben geschenkt. Sie wurden als simple Propaganda des Südens abgetan.

Schätzungen gehen heute davon aus, dass seit den 1980er Jahren rund drei Millionen Menschen in Nordkorea verhungerten, weil das Regime an seiner unsinnigen Landwirtschaftspolitik festhielt und sich um das Wohl seiner Bürger keinen Deut scherte.

Eine Untersuchung der UNO aus den 1970er Jahren zeigte, dass die Nordkoreaner bereits damals im Durchschnitt 20 Zentimeter kleiner als die Südkoreaner waren und viele Mädchen die Pubertät erst mit 18 oder 19 Jahren erreichten. Die katastrophale Versorgungslage war also keinesfalls das Ergebnis von wetterbedingten Misserernten, sondern sie war und ist systemimmanent, seit in den 1940er und 1950er Jahren die Bauern in staatliche Betriebe gezwungen wurden und die Juche-Politik, eine Form von nationalistischer und xenophober Autarkie, ohne Rücksicht auf Verluste jeglicher Art durchgesetzt wurde.

Gleichzeitig erlaubt sich der Diktator alles. 1998 bat die UNO die USA um $600 Millionen humanitärer Direkthilfe für Nordkorea. Zeitgleich leistete sich Kim Il Song 200 Mercedes S-500 Limousinen. Für sich und seine Günstlinge ist dem Diktator nichts gut genug.

Nach dem Tod von Kim Il Sung 1994 hatten viele Beobachter den Kollaps der Systems vorausgesagt. Andere sahen in Kim Jong Il gar einen Reformer. Doch über ein Jahrzehnt nach dem Ableben des Vaters sitzt der Sohn nach wie vor im Sattel. Von einer Lockerung des Regimes und einem wirtschaftlichen Aufbruch kann keine Rede sein. Den zagen Reformen seit Juli 2003 traut Becker nicht, denn bereits in der Vergangenheit sandte Nordkorea wiederholt trügerische Zeichen aus. Nach wie vor erpresst Kim Jong Il mit seinen konventionellen, biologischen, chemischen und vielleicht sogar nuklearen Waffenarsenalen erfolgreich die Staatengemeinschaft, insbesondere Südkorea und die USA.

Die UNO hat laut dem Autor wiederholt versagt, nicht nur in Nordkorea, sondern auch in Ruanda, Somalia, Bosnien, im Kosovo und im Irak. Daher fordert Becker neue Mechanismen, um mit Schurkenstaaten umzugehen. Dazu gehört ein neuer Rahmen innerhalb des internationalen Rechts, wie ihn Tony Blair vorgeschlagen hat, sowie eine Methode, um dieses Recht notfalls durch die legitime Anwendung von militärischer Gewalt durchzusetzen.

Doch wer wird dies wagen angesichts der Möglichkeit, dass Nordkorea laut Experten eine bis zwei Atombomben besitzt, wofür allerdings bis heute die letzten Beweise fehlen, wie der Autor festhält? Bereits die Definition von schurkischem Verhalten wäre allerdings ein Fortschritt. Kim Jong Il müsste dann Rechenschaft vor einem internationalen Gericht ablegen, was es China erschweren würde, das Regime weiter zu unterstützen. Doch Becker vermisst bis heute den politischen Willen, um eben dies umzusetzen und danach Nordkorea zu entwaffnen. Wie der letztere Punkt gegenüber diesem hochgerüsteten Land mit seinen riesigen unterirdischen Waffenfabriken und -arsenalen durchgesetzt werden soll, bleibt jedoch unklar.

Jasper Becker: Rogue Regime. Kim Jong Il and The Looming Threat of North Korea. OUP, 2005, 299 S. Buch bestellen bei Amazon.de, Amazon.co.uk, Amazon.com.

Buchkritik / Rezension vom 27. Februar 2006. Am 19. Oktober 2020 hinzugefügt zu unseren Seiten im neuen Design. Interessanterweise führen die alten Links nun zum Buch mit dem leicht anderen Covertitel: Rogue State: The Continuing Threat of North Korea.

Siehe auch das Buch von Bleiker zu Nordkorea.