Catherine Belton: Putins Netz

Apr 23, 2022 at 14:18 1930

Catherine Belton ist eine investigative Journalistin für Reuters, die russische Politik am Institut für Slawische und Osteuropastudien am University College London studiert und sechs Jahre lang als Korrespontin für die Financial Times in Moskau gearbeitet hat.

Catherine Belton schreibt in ihrem Buch Putins Netz (Amazon.de), dass die Silowiki, das Netzwerk von Putins Freunden aus KGB- und FSB-Zeiten, nicht einfach nur Wirtschaft, Politik und Justiz übernommen haben, um sich zu bereichern, sondern um die westlichen Demokratien  und ihre Institutionen zu unterminieren und zu korrumpieren. Bereits in seiner fünfjährigen Zeit als KGB-Verbindungsoffizier zur Stasi in Dresden habe Wladimir Putin sich um Terroristen, Schmuggel von Higtechgütern und Geldwäsche gekümmert. Er sei keinesfalls der kleine Agent gewesen, als der er früher dargestellt worden sei. Jelzin entmachtete die Führungsriege des KGB, doch dadurch sei eine vielköpfige Hydra entstanden. Wie Putin zum Stellvertretenden Bürgermeister in St. Petersburg wurde ist unklar, doch Seilschaften aus alten Kadern überlebten die Jelzin-Zeit und kamen später mit Putin an die Macht zurück.

Bereits in der Sowjetzeit hat der sowjetisch kontrollierte Ostblock auf Schmuggel gesetzt, da der Westen 1950 gegen ihn ein Embargo auf alle Hightechgüter erliess. Es enstanden Tarnfirmen in Westdeutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein, die durch Schmuggelgeschäfte und illegale Waffenverkäufe in den Nahen Osten und nach Afrika dringend benötigte Devisen erwirtschafteten. Als Putin in Dresden eintraf, litt der KGB immer noch unter dem schweren Schlag von Anfang der 1980er Jahre, als der Überläufer Wladimir Wetrow, Mitglied der auf die Beschaffung wissenschaftlicher und technologischer Erkenntnis aus dem Westen spezialisierten „Direktion T“, die Namen die Namen aller 250 KGB-Mitarbeiter weltweit verraten hatte, die am Technologieschmuggel und der Industriespionage beteiligt waren. Zu Putins Aufgaben gehörte es, Leute für die Spionage im Hightech-Sektor zu rekrutieren.

Nach dem Fall der Sowjetunion haben Netzwerke aus Silowiki und Kriminellen weiterhin Milliarden veruntreut und unter anderem im Westen versteckt. Catherine Belton erwähnt unter anderem den sogenannten „Moldauischen Waschsalon“. Zwischen 2010 und 2014 wurden über moldauische, lettische und estnische Banken 20 Milliarden Dollar aus der Russischen Eisenbahngesellschaft gewaschen. An der Spitze der Bahn stand einst der Putin-Vertraute aus KGB-Zeiten Wladimir Jakunin. Dieser war u.a. einst bei den Vereinten Nationen in New York verdeckt tätig gewesen. Er war später ein wichtiger Anteilseigner der Bank Rossija und Mitglied der Datschengemeinschaft Osero. Zu Zeiten des Moldauischen Waschsalons erwähnt Catherine Belton Andrej Krapiwin als Auftraggeber bei der Bahn, der Milliarden veruntreute und in den Westen lenkte.

Über die Danske Bank flossen ingesamt über 200 Milliarden Dollar Schwarzgeld. Der russische Steueranwalt Sergej Magnitski, der dies aufgedeckt hatte, starb nach der Veröffentlichung seiner Funde in einem Moskauer Gefängnis. Weitere Untersuchungen ergaben, dass zwischen 2006 und 2010 insgesamt über 800 Millionen Dollar über irreguläre Steuerrückzahlungen aus Russland geschafft wurden, wofür Teile desselben Netzwerks an Firmen und Banken genutzt wurden.

Diese Riesensummen dienten nicht nur der persönlichen Bereicherung, sondern zudem der Kontrolle in Russland und der strategischen Korrumpierung des Westens. Catherine Belton verfolgt Geldflüsse, untersucht Strohgesellschaften, Firmengeflechte. Dabei kommt der Westen nicht gut weg. Zu viele liessen sich bestechen, machten mit, schauten weg. Politiker und Parteien wurden gezielt unterstüzt. So in Frankreich Jean-Marie Le Pen und seine Tochter Marine Le Pen, die Millionenkredite über verschleierte Kanäle erhielten. Neben dem Front National (heute Rassemblement National genannt) gehören zu den Kreml-freundlichen Parteien im Westen unter anderen die Lega in Italien, die FPÖ in Österreich und die AfD in Deutschland. Hier hätte die Autorin weiterbohren sollen.

Boris Johnson und seiner Beziehung zum ehemaligen KGB-Offizier und Banker Alexander Lebedew hätte Catherine Belton ebenfalls mehr Aufmerksamkeit widmen können. Sie erwähnt den Oligarchen zwar als Besitzer des Evening Standard, aber nicht als Eigentümer des Independent. Boris Johnsons wiederholte Urlaube auf Lebedews Anwesen in Umbrien kommen nicht vor. Auch nicht der Hinweis darauf, dass Lebedew an jenem Abend präsent gewesen sein soll, an dem Boris Johnson und Michael Gove zusammen überlegten, ob sie für den Brexit kämpfen sollten. Boris Johnson machte zudem Lebedew trotz der Vorbehalte des britischen Geheimdienstes zum Lord von Hampton und Sibiren. Boris Johnson war Londons Bürgermeister und wurde danach Premierminister (und ist es bis heute). Deshalb hätten seine Beziehungen zu Russen genauer untersucht werden müssen.

Zu den Moskauer Bombenanschlägen, die Putin bei der Etablierung an der Macht halfen, kann Catherine Belton leider keine Aufklärung geben. Sie schreibt lediglich, dass in Moskau viele flüsterten, dass hinter diesen blutigen Explosionen Putins Sicherheitskräfte gesteckt hatten, nicht zuletzt, weil sein rigoroses Durchgreifen im Anschluss seine Macht stärkte. Sie hätte noch anfügen können, dass Journalisten, die Recherchen anstellten, ihr leben lassen mussten.

Catherine Belton schreibt, dass die Stasi 10 RAF-Terroristen in der DDR Unterschlupf gewährte. Die Beziehungen zum KGB seien nach dem Fall der Mauer zuerst gar nicht untersucht worden. Dabei hatten die Sowjets die Aktivitäten der Stasi mit Verbindungsoffizieren auf allen Ebenen genau überwacht. In diesem Umfeld war Putin tätig. Markus Wolf und Erich Mielke wollten mit diesen Aktivitäten nicht in Verbindung gebracht werden, weshalb diese in Dresden und nicht in Ost-Berlin stattfanden. Laut einem ehemaligen RAF-Mitglied soll Putin bei den Treffen zwischen Terroristen und dem KGB als einer der Führer aufgetreten sein, und ein Stasi-General habe seinen Befehlen gehorcht. Der KGB habe keine direkten Anweisungen gegeben, sondern Vorschläge zu Zielen gemacht und Waffen und Geld beschafft. Der Anschlag auf den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred herrhausen, am 30. November 1989, wenige Wochen nach dem Fall der Mauer, war eine Tat, auf die das habe zutreffen können, denn die verwendeten technischen Mittel waren von höchster Präzision, weshalb es ein staatlich unterstützter Anschlag gewesen sein müsse, zitiert die Autorin einen westlichen Geheimdienstexperten. Stasi-Mitarbeiter bildeten RAF-Mitglieder im Umgang mit Sprengstoffen, Panzerabwehrrakent und der Zündung von Bomben per Lischschranke – wie bei der Ermordung von Herrhausen – aus. Die Autorin hat allerdings keine Beweise, dass Putin mit diesem konkreten Fall etwas zu tun hatte.

Die KGB-Leute in Dresden brachten ihre ostdeutschen Kollegen dazu, ihnen den Grossteil der Stasi-Unterlagen über die Zusammenarbeit mit den Sowjets auszuhändigen, bevor die Demonstranten die Bezirksverwaltung der Staatsicherheit stürmten. Sie wurden weitgehend vernichtet, die wertvollsten Objekte jedoch nach Moskau gebracht, so Putin später. Teile des von Putin betreuten und mit aufgebauten KGB-Netzwerkes an illegalen „Schläfern“ blieben bestehen. Bei der Auflösung des Stasi-Auslandnachrichtendienstes HVA unter Regierungschef Hans Modrow im Dezember 1989 verschwanden Vermögenswerte in unbekannter Höhe, und Hunderte Millionen Mark flossen durch die Liechtensteiner und Schweizer Tarnfirmen von Martin Schlaff ab.

Putin kehrte im Februar 1990 aus Dresden nach Russland zurück. Von seinem ehemaligen Mentor und Chef in Dresden, Oberst Lasar Matwejew, wurde er angewiesen, in seine Heimatstadt Leningrad zurückzugehen, wo Stadtratswahlen stattfanden. Nach wenigen Wochen gelang es Putin, zur rechten Hand von Anatoli Sobtschak aufzusteigen, einem charismatischen Juraprofessor und Mitglied einer Gruppe von Unabhängigen und Reformern, die seit der Wahl im März 1990 die Mehrheit im Stadtrat stellten. Von Anfang an so vom KGB arrangiert, wurde Putin Sobtschaks Problemlöser, Verbindungsmann zu den Sicherheitsbehörden, sein Schatten, der im Hintergrund über ihn wachte.

Catherine Belton beginnt ihr lesenswertes Buch Putins Netz (Amazon.de) mit Angaben zu Aufstieg und Fall von Sergej Pugatschow. Um das Jahr 2000 war Pugatschow ein Kreml-Insider gewesen, der hinter den Kulissen viele Strippen gezogen hatte, um Wladimir Putin an die Macht zu bringen. Er hatte einst als Bankier des Kreml gegolten, ein Meister der Hinterzimmerdeals und Mitglied des innersten Machtzirkels in Russland, der die Regeln so formulierte und auslegte, wie es den Beteiligten am besten passte, und sich dabei der Strafverfolgungsbehörden, der Gerichte und sogar manipulierter Wahlen bediente.

Doch dann wandte sich die Kreml-Maschinerie, der er damals selbst angehört hatte, gegen ihn. Er wurde ein Opfer von Putins unaufhaltsam wachsendem Einfluss. Zunächst nahm sich der Kreml sein Firmenimperium vor. Deshalb verliess Pugatschow Russland und ging zuerst nach Frankreich, dann nach England. Putins Männer hatten ihm zuvor zuerst ein vom Präsidenten genehmigtes Hotelprojekt am Roten Platz entrissen, nur einen Steinwurf vom Kreml entfernt, ohne ihn auch nur zu entschädigen. Danach wurden sein zwei Werften, die zu den grössten Russlands zählten und deren Wert auf 3,5 Milliarden Dollar geschätzt wurde, für einen Bruchteil des Preises an einen von Putins engsten Verbündeten, Igor Setschin, verkauft. Anschliessend erwarb ein enger Verbündeter Ramsan Kadyrows, des mächtigen tschetschenischen Präsidenten, Pugatschows weltgrösstes Kokskohlevorkommen in der sibirischen Region Tuwa im Wert von geschätzt 4 Milliarden Dollar – für nur 150 Millionen Dollar.

Putins Leute warfen Sergej Pugatschow zudem vor, er trage die Schuld am Zusammenbruch der Meschprombank, die er in den Neunzigerjahren mitgegründet hatte und die den Schlüssel seiner Macht darstellte. Die Kremlbehörden eröffneten ein Strafverfahren gegen ihn, in dem sie ihn beschuldigten, durch die Überweisung von 700 Millionen Dollar auf ein Schweizer Konto auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 die Insolvenz der Bank verursacht zu haben. Pugatschow beharrte darauf, das Geld sei sein eigenes gewesen. Das interessierte den Kreml nicht. Es schien auch kaum eine Rolle zu spielen, dass Setschins Übernahme der Werften zu einem Bruchteil ihres Wertes viel größere Auswirkungen auf die Zahlungsrückstände der Bank ihren Gläubigern gegenüber gehabt hatte. Laut dem lngjährigen Experten für das russische Bankensystem, Richard Hainsworth, war die Absicht des Kreml eindeutig: »Leute innerhalb des Staates haben die Regeln zu seinen Ungunsten manipuliert, um den Kollaps der Bank herbeizuführen, natürlich so, dass sie selbst davon profitierten«.

Die Kreml-Maschinerie hatte sich laut Catherine Beltonie zuerst ihre politischen Feinde ins Visier genommen, doch mittlerweile wandte sie sich auch gegen Putins frühere Verbündete. Pugatschow war das erste Mitglied des inneren Zirkels, das stürzte. Der Kreml war hinter Pugatschow her, seit dieser Russland verlassen hatte. In seinem Haus in Frankreich war er von finsteren Gestalten bedroht worden, die ihm der Insolvenzverwalter der Meschprombank auf den Leib gehetzt hatte. Drei Mitglieder der Moskauer Mafia hatten ihn auf eine Jacht verschleppt und waren mit ihm vor die Küste Nizzas hinausgefahren, wo sie von ihm 350 Millionen Dollar verlangten, als Garantie für die »Sicherheit« seiner Familie.

Sergej Pugatschow war überzeugt, dass Wladimir Putin selbst hinter seiner Verfolgung stand. »Wie kann er mir das antun? Ich habe ihn doch zum Präsidenten gemacht«, sagte er einst in seiner Küche in Chelsea zu Catherine Belton.

Der Kreml entwickelte einiges Geschick darin, seine Feinde unter Einschaltung des englischen Rechtssystems zu verfolgen, während eine PR-Maschinerie dafür sorgte, dass die Seiten der englischen Boulevardpresse mit Behauptungen über die gestohlenen Reichtümer des russischen Oligarchen gefüllt waren. Der Milliardär Beresowski, der schnell sprechende einstige Kreml-Insider, hatte – vergeblich – versucht, vor dem britischen High Court 6,5 Milliarden Dollar von seinem früheren Geschäftskollegen Roman Abramowitsch, dem früheren Gouverneur, einzuklagen. Beresowski hatte einen der grössten russischen Ölkonzerne, Sibneft, und einen Teil von Rusal, Russlands Aluminiumgiganten, in Teilen mit dem Oligarchen Abramowitsch besessen. Dieser Abramowitsch zwang ihn, seine Anteile zu einem Schleuderpreis zu verkaufen. Die zuständige Richterin Dame Gloster erklärte Beresowski zum »grundsätzlich unzuverlässigen Zeugen« und stellte sich hinter Abramowitsch, der behauptete, Beresowski sei nie der Besitzer der Unternehmen gewesen; er sei nur für politische Unterstützung und Protektion bezahlt worden. Die Einschätzung wurde in Russland mit einiger Verwunderung zur Kenntnis genommen, wo Beresowski weithin als Besitzer von Sibneft betrachtet worden war. Richterin Gloster hatte zu Beginn der Verhandlungen angegeben, dass ihr Stiefsohn Abramowitsch in der Frühphase des Prozesses vertreten hatte. Die Anwälte von Beresowski behaupteten, seine Beteiligung sei weitreichender gewesen. Sie legten jedoch keine Beschwerde ein. Später stellte sich heraus, dass der Stiefsohn von Richterin Gloster fast 500 000 Pfund erhalten hatte, um Abramowitsch in der Frühphase des Prozesses zu vertreten.

Laut Catherine Belton verfeinerte der Kreml seinen Umgang mit dem britischen Gerichtssystem im Verfahren gegen Muchtar Abljasow weiter, einem kasachischen Milliardär, der zugleich der bedeutendste politische Gegner des kasachischen Präsidenten und wichtigen Kreml-Verbündeten Nursultan Nasarbajew war. Abljasow wurde von der russischen Einlagensicherungsbehörde vorgeworfen, bei der kasachischen BTA-Bank, deren Vorsitzender er gewesen war und die über Zweigstellen in ganz Russland verfügte, mehr als 4 Milliarden Dollar veruntreut zu haben. Die russische Behörde beauftragte eine Gruppe von Anwälten von der renommierten Londoner Kanzlei Hogan Lovells, die in Großbritannien daraufhin elf zivile Betrugsklagen gegen Abljasow ein reichten und das Einfrieren seiner Mittel verlangten. Privatdetektive hatten die Spuren der verschwundenen 4 Milliarden bis zu einem Netz aus Offshore-Firmen im Besitz des kasachischen Magnaten verfolgt.

Dies sind nur einige wenige Angaben aus einem rund 700-seitigen Buch, das voller Details ist, so zur „Operation Lutsch“, zu Londongrad, zur Beziehung von Putins Netzwerk zu Donald Trump. Die Stärken liegen bei der Darstellung der wirtschaftlichen Dimension von Putins Herrschaft. Die jahrelange Beschäftigung mit dem Thema, zahllose Recherchen, Interviews, Hintergrundgespräche und Insiderinformationen machen Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste zu einem Standardwerk. Unbedingt lesen!

Catherine Belton: Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste. HarperCollins, deutsche Erstausgabe Februar 2022, 704 Seiten. Das Buch bestellen bei Amazon.de. English original edition: Putin’s People, HarperCollins, 2020. Order it from Amazon.com, Amazon.co.uk, Amazon.fr.

Zitate und Teilzitate in dieser Buchkritik / Rezension von Catherine Berlin: Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste (Amazon.de)/English edition: Putin’s People (Amazon.com, Amazon.co.uk, Amazon.fr) sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Rezension / Buchkritik vom 23. April 2022 um 14:18 deutscher Zeit.