Bei der Landtagswahl vom 9. Oktober 2022 in Niedersachsen lag die Wahlbeteiligung mit 60,3% tiefer als 2017 mit 63,1%. Die Sozialdemokraten von Ministerpräsident Stephan Weil (*1958) mussten Federn lassen und verloren 3,5% im Vergleich mit 2017, doch die SPD blieb nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis mit 33,4% und 57 Sitzen klar die stärkste Partei im Landtag mit insgesamt 146 Sitzen.
Der bisherige Partner der SPD in der Grossen Koalition, die von Bernd Althusmann geführte CDU, wurde mit 28,1% (-5,5%) und neu 47 Sitzen noch stärker abgestraft. Nach am Wahlabend zogen der CDU-Landesvorsitzende Althusmann und der CDU-Fraktionsvorsitzende Dirk Toepffer Konsequenzen: Althusmann trat vom Vorsitz zurück, Toepffer stellte seinen Posten zur Verfügung. Friedrich Merz hat sich im Bund zwar als Oppositionsführer etabliert, doch fällt er hin und wieder als billiger Populist auf, zuletzt mit der unhaltbaren Bezeichnung „Sozialtourismus“ für Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, wofür er sich nur halbherzig entschuldigt hat.
Insgesamt verlor Rot-Schwarz 9%. Dennoch könnte die Grosse Koalition mit 114 von 146 Mandaten im Landtag problemlos weiterregieren. Doch viele sind dieser Konstellation überdrüssig, weshalb die Zeichen auf Rot-Grün stehen. Die Grünen sind einer der Wahlgewinner mit neu 14,5% (+5,8) und nun 24 Sitzen. Für Rot-Grün mit 81 von 146 Mandaten im Landtag würde es klar reichen. Danach sieht es zur Zeit aus, da dies Ministerpräsident Stephan Weil klar anstrebt und von den Grünen ebenfalls gewünscht wird.
In Niedersachsen ist die rechtsradikale und rechtspopulistische AfD im Aufwind: 10,9% bedeuten ein Plus von 4,7% gegenüber 2017 und neu 18 Sitze. Die fünfte Partei im bisherigen Landtag, die FDP, flog aus dem Parlament raus. Mit 4,7% (-2,8%) blieb sie unter der 5%-Hürde. Laut Umfragen von infratest dimap zum Kandidatenfaktor sank der Liberale Landeschef Stefan Birkner in der Gunst der Wähler von 26% im Jahr 2013 über 16% im Jahr 2017 auf nun 14% im Jahr 2022. Allerdings ist fraglich, ob ein anderer Spitzenkandidat viel hätte ändern können. Der Partei weht ein steifer Wind entgegen, da sich in der Ampel im Bund Finanzminister Lindner mit Subventionen und anderen Staatshilfen während der Coronakrise, „Tankrabatt“, „Sondervermögen“, „Doppelwumms“ und anderen „Wundertaten“ des Staates nicht gerade als Liberaler bewährt. Wenn er dabei noch behauptet, er halte an der „Schwarzen Null“ fest, dann ist die Bezeichnung Schönreden ein Euphemismus.
Für die linksextreme und linkspopulistische Die Linke reichte es nur für 2,7%. Ein Minus von 1,9%, womit es für die Partei trotz vielerlei Versprechen an Wohltaten für Arme in der Wirtschaftskrise bei hoher Inflation erneut nicht zum Einzug in den Landtag reicht. Andere Parteien kamen insgesamt auf deutlich mehr Stimmen (aber keine Sitze): 5,7% (+3,2%).
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Was trieb die Wähler um?
Laut Umfragen von infratest dimap für die ARD sorgten sich 73% der Wähler in Niedersachsen darüber, dass Einkommen und Wohlstand spürbar sinken. Ebenfalls 73% gaben an, dass eine grosse Wirtschaftskrise bevorstehe. 70% sind der Ansicht, dass der Klimawandel unsere Lebensgrundlagen zerstört. 67% gaben als Sorge an, dass Putin in der Ukraine Atomwaffen einsetzt. „Nur“ 60% machen sich grosse Sorgen, dass sie auf Grund steigender Preise Rechnungen nicht mehr bezahlen können.
Ebenfalls laut infratest dimap spielten die Themen Energieversorgung (27%), Preissteigerungen (19%) und Klimawandel (17%) für die Wahlberechtigten in Niedersachsen die grösste Rolle bei ihrer Wahlentscheidung.
Dass die SPD in Niedersachsen 2022 immerhin 3,5% verlor, liegt wohl weniger an Ministerpräsident Stephan Weil, den immerhin 67% der Wahlberechtigten als guten Ministerpräsidenten bezeichneten, sondern wohl eher an der SPD im Bund. Verteidigungsministerin Lambrecht wirkt überfordert. Laut infratest dimap sind 80% der Wähler der Meinung, dass Bundeskanzler Scholz viel schneller Entscheidungen treffen müsste als bisher, 67% gaben an, Scholz wirke auf sie zögerlich und unentschlossen, 68% meinten, die Regierung und der Kanzler sollten nur gezielt jenen Menschen helfen, die es wirklich nötig haben. 54% der Wähler in Niedersachsen gaben an, sie seien mit der Arbeit der Bundesregierung unzufrieden.
Bei der theoretischen Direktwahl des Ministerpräsidenten in Niedersachsen hätten laut infratest dimap 2017 nur 35% Bernd Althusmann von der CDU und 50% Stephan Weil von der SPD gewählt. 2022 sank die Zustimmung für Althusmann auf 27%, während dem jene für Weil auf 53% stieg. Der Herausforderer war in den Augen der Wähler zu schwach.
Ein Blick zurück
Stephan Weil regiert mit wechselnden Koalitionspartner Niedersachsen seit 2013. Bei der damaligen Landtagswahl wurde die Regierung von CDU und FDP von Ministerpräsident David McAllister ganz knapp abgewählt. SPD und Bündnis 90/Die Grünen gewannen zusammen einen Sitz mehr als Schwarz-Gelb. Daher wurde im Februar 2013 Stephan Weil mit der minimalen Mehrheit von einer Stimme – 69 von 137 Abgeordneten – zum Ministerpräsidenten gewählt.
Im August 2017 trat Elke Twesten aus der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen aus in die CDU ein. Stephan Weil verlor seine knappe Parlamentsmehrheit. Am 15. Oktober 2017 kam es daher zu vorgezogenen Neuwahlen. Die SPD wurde zur stärksten Kraft, doch Rot-Grün verlor die Mehrheit im Landtag. Ministerpräsident Stephan Weil blieb jedoch im Amt und bildete mit der CDU eine Grosse Koalition, die am 22. November 2017 mit 104 von 137 Stimmen – eine Stimme weniger als SPD und CDU im Landtag kontrollierten – wiedergewählt.
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Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil im Jahr 2018. Photo Copyright: Foto-AG Melle (via Wikimedia). Bücher zu Niedersachsen bei Amazon.de.
Artikel vom 10. Oktober 2022 um 18:33 deutscher Zeit.