Bei der Landtagswahl in Thüringen vom 1. September 2024 gingen 73,6% der 1,65 Millionen Wähler an die Urnen. Die AfD unter dem Rechtsextremen Björn Höcke stieg mit 32,8% der Stimmen und 32 von insgesamt 88 Sitzen zur stärksten Partei im Thüringer Landtag auf.
Die AfD verfügt damit über eine Sperrminorität (mindestens 30 Sitze) im Landtag. Die Partei kann so die Wahl von Verfassungsrichtern und der Spitze des Landesrechnungshofes verhindern. Ohne die Stimmen der AfD ist eine Selbstauflösung des Landtages nicht mehr möglich.
Die CDU landete bei 23,6% (+1,9), das neu gegründete BSW, nach Sahra Wagenknecht benannt, kam auf Anhieb auf 15,8%, vor der Linken des nun abgewählten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow mit 13,1% (-17,9), der mit 6,1% (-2,1) weiterhin einstelligen SPD, den Grünen mit 3,2% (-2), den erstmals antretenden Freien Wählern mit 1,3% und der FDP mit erbärmlichen 1,1% (-3,9).
Der Thüringer Landtag siegt daher wie folgt aus: AfD 32 Sitze, CDU 23, BSW 15, Linke 12 und SPD 6. Grüne und FDP scheiterten an der Fünfprozenthürde und flogen aus dem Landesparlament raus. Es wird schwierig, eine Regierungskoalition gegen die AfD zu bilden. Tiefe ideologische Gräben müssen überwunden werden.
Ein Blick zurück in die dunkle Geschichte des Landes: In Thüringen gelang es der NSDAP nach der Landtagswahl vom 8. Dezember 1929 erstmals, mit Innenminister Wilhelm Frick im Januar 1930 an einer Landesregierung beteiligt zu werden. Hier lernten die Nazis, wie sie ihre Macht einsetzen, ausbauen und später missbrauchen können. Bei der Landtagswahl vom 31. Juli 1932 wurde die NSDAP mit 42,5% der Stimmen klar stärkste Partei in Thüringen (vor der SPD mit 24,3%), der Nazi Fritz Saukel wurde am 26. August 1932 zum Ministerpräsidenten gewählt.
Die AfD ist nicht die NSDAP, Höcke ist nicht Hitler, auch wenn er Begriffe wie „völkisch“ und andere Nazi-Parolen bewusst gebraucht. Allerdings stuft der thüringische Verfassungsschutz den thüringischen Landesverband der Alternative für Deutschland seit März 2021 als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ ein. Das Amt für Verfassungsschutz beim Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales (AfV) teilte zudem mit Wirkung zum 28. März 2024 mit, dass es die Junge Alternative Thüringen (JA Thüringen) als gesichert rechtsextremistisch einstuft.
Die AfD steht heute nicht kurz vor der Machtübernahme. Alle anderen im Thüringer Landtag vertretenen Parteien lehnen (zumindest heute noch) eine Zusammenarbeit mit Björn Höcke und der AfD ab. Unter den Wählern sind laut einer Umfrage von infratest dimap nur 32% der Meinung, die AfD sollte die nächste Regierung führen, was ihrem Wähleranteil entspricht. Immerhin 39% der Befragten sind der Meinung, die CDU sollte diese Rolle übernehmen, obwohl sie bei der Wahl bei nur 23,6% der Stimmen landete.
Björn Höcke mag die AfD in Thüringen zur stärksten Partei gemacht haben, doch nicht nur für seine Partei, sondern auch für ihn selbst wachsen die Bäume nicht in den Himmel. 2019 unterlag er Thadäus König von der CDU ihm Kampf um ein Direktmandat im Wahlkreis Eichsfeld I klar mit 21,4% zu 49%. 2024 trat Björn Höcke im Wahlkreis Greiz II, in dem er gar nicht wohnt, zur Wahl an. Diesmal unterlag er erneut einem Kandidaten der CDU im Kampf um ein Direktmandat im Thüringer Landtag. Christian Tischner holte 43%, Björn Höcke „nur“ 38,9%.
Die AfD möchte natürlich als grösste Fraktion im Landtag das Amt des Landtagspräsidenten für sich in Anspruch nehmen, so wie es die Gepflogenheiten in Thüringen vorsehen. Hans Pfeifer führte dazu in einem Artikel auf den Seiten der DW aus, dass der Landtagspräsident die Wahl des Ministerpräsidenten organisiert, wichtige Beamte ein- und absetzen kann, wichtigen Gesetzestexten die Unterschrift verweigern und damit formal ihre Gültigkeit verhindern kann.
Eine Umfrage von infratest dimap vom 1. September 2024 zeigt, dass die Wähler in Thüringen mit der politischen Arbeit von führenden Parteivertretern auf nationaler Ebene wie folgt überzeugt sind: Sahra Wagenknecht vom BSW kommt auf 46%, Friedrich Merz (CDU) auf 29%, Tino Chrupalla von der AfD auf 23%, Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD auf 20%, Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen auf 18%; Ministerpräsident Markus Söder von der CSU steht nicht auf der Liste.
Laut einer Umfrage von infratest dimap vom 1. September 2024 geht 62% der Wähler in Thüringen die militärische Hilfe Deutschlands für die Ukraine zu weit, 25% schätzen sie als angemessen ein, nur 7% geht sie nicht weit genug. Allerdings sagten nur 5% aller Wähler, der Krieg zwischen der Ukraine und Russland spielte bei ihrer Wahl die wichtigste Rolle. Selbst bei den Wählern des BSW sagten dies nur 17%; Sahra Wagenknecht rennt ja durch die Welt mit der Forderung, Deutschland müsse die Militärhilfe an die Ukraine einstellen, damit es rasch zu Friedensverhandlungen mit Russland komme, was natürlich Putin in die Hände spielt. Nebenbei bemerkt hat Thüringen bezüglich der Ukraine-Politik kein Wort mitzureden.
Der am 1. April 1972 (ein schlechter Aprilscherz) im westfälischen Lünen geborene Björn Höcke ist übrigens wie der nun abgewählte Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken ein politischer Westimport.
Ein Blick zurück zeigt, dass im Oktober 2019 CDU und SPD in Thüringen die schlechtesten Ergebnisse ihrer Geschichte einfuhren. Die SPD hat sich 2024 nochmals um 2,1 Prozentpunkte verschlechtert, die CDU sich mit 1,9 Prozentpunkten leicht verbessert.
Thomas Kemmerich von der FDP wurde im Februar 2020 zum Ministerpräsidenten gewählt, weil die AfD im entscheidenden Wahlgang nicht mehr ihren eigenen Kandidaten, sondern den FDP-Mann unterstützte. Die Freude dauerte nur kurz. Im März 2020 wurde der populäre Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken wiedergewählt.
2019 waren laut infratest dimap noch 58% der Wähler mit der Arbeit der Thüringer Landesregierung zufrieden, nur 39% unzufrieden. 2024 hat der Wind gedreht: 57% der Thüringer Wähler sind mit der Arbeit ihrer Landesregierung unzufrieden, nur 39% zufrieden. Ministerpräsident Bodo Ramelow bleibt mit einer Zustimmung von 51% der beliebteste Politiker in Thüringen, klar vor Björn Höcke mit 24%, Georg Maier von der SPD mit 23%, Mario Voigt von der CDU mit 22%. Dennoch war die Linke der grosse Wahlverlierer 2024: 13,1% (-17,9 Prozentpunkt).
Interessant ist, dass die Wähler der Linken laut infratest dimap 2024 zu immerhin 62% mit der Arbeit der Thüringer Minderheitregierung bestehend aus Linke, SPD und Grünen zufrieden waren, nur 32% waren unzufrieden. Unter den sozialdemokratischen Wählern waren 72% mit der Landesregierung zufrieden, 22% unzufrieden. Unter den Wählern der Grünen waren gar 86% mit der Landesregierung und den Regierungsparteien zufrieden, nur 9% unzufrieden. Doch an den Wahlurnen dominierte bei der Mehrheit der Anhänger der Regierungsparteien der Unmut.
Wie weiter in Thüringen? Die Bildung einer Koalition wird kompliziert. Kommt es erneut zu einer Minderheitsregierung? Neben der Begeisterung für die stärkste Partei AfD hält sich jene für den zweiten Wahlsieger BSW ebenfalls in Grenzen. 50% der Wähler fänden laut infratest dimap eine Regierungsbeteiligung des Bündnis Sahra Wagenknecht nicht gut, nur 44% fänden sie gut. Allerdings beträgt der Wähleranteil des BSW nur 15,8%. So gesehen sind die 44% keine ganz so schlechte Zahl.
AfD, BSW und Linke verfügen über eine klare Mehrheit von 59 der 88 Sitze im Thüringer Parlament. Daher wird es nichts mehr mit der Abgrenzung von der extremen Linken und der extremen Rechten.
Sollte die CDU mit der Linken zusammenarbeiten, um eine Regierung zu bilden? Laut infratest dimap bejahen dies 47% aller Wähler, 44% verneinen dies. Bei der Linken bejahen dies 93%, 7% verneinen dies. Bei der CDU sind immerhin 55% der Wähler für eine Zusammenarbeit mit der Linken, 39% sind dagegen.
Sollte die CDU mit dem BSW zusammenarbeiten, um eine Regierung zu bilden? Laut derselben Umfrage sind unter allen Wählern 56% dafür, 33% dagegen. 92% der BSW-Wähler bejahen dies, 4% sind dagegen. Immerhin 60% der CDU-Wähler sind dafür, 31% dagegen. Interessant: Selbst 40% der AfD-Wähler sind für eine Zusammenarbeit von CDU und BSW, 51% dagegen. Bei der Zusammenarbeit von CDU und Linke hingegen sind 82% der AfD-Wähler dagegen, nur 10% dafür!
Zum Thema das Buch von Michael Kraske, Dirk Laabs: Angriff auf Deutschland. Die schleichende Machtergreifung der AfD. Verlag C.H. Beck, 2024, 350 Seiten. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei gleichem Preis – bei Amazon.de.
Björn Höcke am Wahlabend 2019 fotografiert von Sandro Halank. Photo Copyright: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0.
Artikel vom 2. September 2024 um 14:18 deutscher Zeit. Satz hinzugefügt um 14:21. Buchhinweis am Ende hinzugefügt am 4. September 2024 um 15:10 deutscher Zeit.