Otto Dix und die Schweiz

Okt 25, 2024 at 13:44 88

Seit dem 22. Juni und nur noch bis zum 27. Oktober 2024 zeigt das Bündner Kunstmuseum Chur die Ausstellung Otto Dix und die Schweiz, die von Stephan Kunz und Prof. Dr. Ina Jessen kuratiert wurde.

Der gleichnamige Katalog: Otto Dix und die Schweiz. Bündner Kunstmuseum Chur, Verlag Scheidegger & Spiess, 2024. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei gleichem Preis – und den Ausstellungskatalog bestellen bei Amazon.de.

Otto Dix (1891-1969) stieg in der Weimarer Republik zum berühmten Künstler und Kritiker der Misstände im Ersten Weltkrieg, seiner Profiteure und der Folgen danach auf. Als Adolf Hitler und die Nazis legal an die Macht kamen und danach rasch eine Diktatur errichteten, wurde er zum verfemten Künstler. Noch im Jahr 1933 verlor er seine Professur an der Kunstakademie Dresden, seine Werke galten als „Entartete Kunst“.

Otto Dix zog sich zuerst auf Schloss Randegg zurück. Danach, ab 1936, lebte er zumeist nahe des Bodensees in Hemmenhofen (Deutschland) in der Nähe der Schweizer Grenze. Hier schuf er von 1933 bis 1945 zahlreiche Landschaftsbilder, welche die Verwerfungen und Widersprüche der Zeit auf eine überraschende Weise reflektieren. Laut den Ausstellungsmachern in Chur ist bei den im Bündner Kunstmuseum Chur ausgestellten Werken die altmeisterliche Malweise auffallend, die in starkem Kontrast zu seinem früheren neusachlichen und veristischen Schaffen steht. Seine Landschaften gelten als Bilder der „inneren Emigration“ und vermitteln mit ihrer unheimlichen Leere das Unbehagen an der damaligen Zeit.

Die Schweiz ist in den 1930er-Jahren ein wichtiger Referenzpunkt in Otto Dix‘ malerischem wie zeichnerischem Werk. Seine künstlerischen und biografischen Verbindungen in die Schweiz wurden bisher aber kaum beachtet. Das Bündner Kunstmuseum schafft hier Abhilfe. Im Zentrum der Ausstellung stehen die Werke von Otto Dix, die Ende der 1930er-Jahre entstanden sind, als sich der Künstler längere Zeit zur Kur im Engadin aufhielt, und die bisher noch nie zusammen gezeigt wurden. Alle diese Arbeiten werden zeitgeschichtlich, künstlerisch und biografisch eingeordnet.

Das Gemälde San Gian im Winter (1938) aus der Sammlung des Bündner Kunstmuseums kann so erstmals in einem grösseren Kontext von weiteren Ölbildern und einer Reihe von Zeichnungen gezeigt werden.

Stephan Kunz und Ina Jessen erläutern im Katalog, dass dieser die Ausstellung ergänzt, indem er biografische Verbindungslinien nachzeichnet und die politischen Gegebenheiten in den 1930er-Jahren beleuchtet.

Für die Jahre 1929, 1934 und 1938 sind Ausstellungen von Dix’ Werken in der Schweiz dokumentiert, die nachhaltige Beziehungen zwischen Otto Dix, dem Kunstverein Schaffhausen (heute Museum zu Allerheiligen) und Wolfensberger in Zürich aufzeigen. Die Ausstellungen im Kunstsalon Wolfsberg zählten laut den Ausstellungsmachern angesichts der anti-modernistischen NS-Kunstpolitik zu den wenigen verbliebenen Möglichkeiten für Otto Dix, seine Arbeiten in der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Die Publikation geht zudem auf die 1939 im Grand Hôtel National in Luzern veranstaltete Auktion Gemälde und Plastiken Moderner Meister aus deutschen Museen ein. Dort bot die Galerie Fischer die von den Nationalsozialisten aus öffentlichem Besitz beschlagnahmte und als «entartet» diskreditierte Moderne zum Kauf an.

Otto Dix zeichnete in den Kantonen St. Gallen, Appenzell und Glarus eindrückliche Berglandschaften mit feinem Silberstift. Nach einem Verkehrsunfall im Sommer 1937 kam er schliesslich zur Erholung nach Pontresina ins Engadin und weilte mehrere Monate im gediegenen Kurhaus von Dr. Ruppanner.

Stephan Kunz schreibt in einem Katalobeitrag, dass Otto Dix durch seine Beschäftigung mit Friedrich Nietzsche von dessen Begeisterung für die besondere Landschaft dieses Hochtals in Graubünden wusste, die der Philosoph euphorisch beschrieben hatte. Nietzsches wiederholte Aufenthalte in Sils Maria im Engadin erwiesen sich als Wendepunkt in der Entwicklung seiner Philosophie. In der Folge war er von einer anhaltenden Faszination für das Engadin geprägt.

Laut Stephan Kunz hat der Aufenthalt in dieser Landschaft auch deutliche Spuren im Schaffen von Otto Dix hinterlassen. So entstand eine eindrückliche Gruppe von neun Gemälden, die er alle 1938 nach vor Ort gefertigten Skizzen in den Ateliers in Hemmenhofen und Dresden malte. Begleitet werden sie von fein ausgearbeiteten, sehr bildhaften Zeichnungen, die zum Ausdruck bringen, wie minutiös Otto Dix seine Gemälde vorbereitet und dabei immer auch die Präzision und den Detailreichtum der alten Meister im Kopf hatte. Laut Stephan Kunz hat Otto Dix im Engadin zu einer eindrücklichen Klarheit in der Landschaftsmalerei gefunden. In den Jahren 1933–1945 sind rund 160 Gemälde und unzählige Zeichnungen entstanden, die den Künstler als «Widersacher» erscheinen lassen, der das vermeintlich harmlose Motiv mit überraschenden Rückgriffen in die Vergangenheit zu unheimlichen Zeitzeugnissen machte. Laut Stephan Kunz handelt es sich um Gegenbilder einer Wirklichkeit, die seine beissende Sozialkritik der 1920er-Jahre an Grausamkeit noch übertreffen. Der Schreibende würde dem Widersprechen und die sozialkritischen Bilder von Otto Dix aus der Zeit der Weimarer Republik eindeutig als den Höhepunkt seines Schaffens bezeichnen. Überzeugender schreibt Stephan Kunz danach, dass Otto Dix seine Landschaften mehr und mehr entleerte und sie im Engadin schliesslich in einer Totenstille erstarren liess.

Laut Stephan Kunz hält an der Vorstellung einer übersteigerten Wirklichkeit fest und entwickelt eine Malweise in Öl auf Holz, die ihm grösste Detailgenauigkeit erlaubt. In seinen Engadin-Bildern sei Leben in allen Dimensionen erfahrbar, aber nicht in seiner Endlichkeit, nicht in seiner Vergeblichkeit wie das menschliche Dasein auf Erden, sondern als ein zyklisches Werden und Vergehen. Die Landschaftsbilder von Otto Dix interpretiert er als eine Reflexion über das Dasein. In seinen Engadin-Bildern erreiche Otto Dix eine andere Stufe des Bewusstseins dem Leben und der Zeit gegenüber und schaffe die Grundlage für kommende Werkgruppen.

Im Katalog befasst sich Ina Jessen zudem mit der politischen Landschaft, Felix Graf widmet sich der Beziehung von Otto Dix zum Lithografen Johann Edwin Wolfensberger, Andreas Rüfenacht analysiert die Otto Dix-Ausstellung des Kunstvereins Schaffhausen 1934, Sandra Sykora untersucht die Auktion mit «entarteter» Kunst der Galerie Fischer in Luzern vom 30. Juni 1939, bei der Werke von Otto Dix angeboten wurden. Eine Kurzbiografie rundet die Publikation zur Ausstellung im Bündner Kunstmuseum Chur ab.

Der Katalog: Otto Dix und die Schweiz. Bündner Kunstmuseum Chur, Verlag Scheidegger & Spiess, 2024. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei gleichem Preis – und den Ausstellungskatalog bestellen bei Amazon.de.

Siehe zu Otto Dix zudem die Biografie von Uwe M. Schneede: Otto Dix. Taschenbuch, Beck’sche Reihe, Verlag C.H. Beck, 2019, 128 Seiten mit 40 Abbildungen, davon 19 in Farbe. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei gleichem Preis – und die Biografie bestellen bei Amazon.de.

Siehe zu Otto Dix zudem den Artikel „Der böse Blick/Die Evil Eye“ zur Ausstellung 2017 in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf.

Zitate und Teilzitate in dieser Austellungskritik / Katalogkritik / Rezension von Otto Dix und die Schweiz sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Rezension/Kritik vom 25. Oktober 2024. Hinzugefügt um 13:44 deutscher Zeit.