Vor fünf Jahren, im Januar 2020, stimmten die Grünen einer Koalition mit der ÖVP zu. Das machte insofern Sinn, als so eine neue Allianz getestet, ein politischer Neuanfang gewagt werden konnte. In der Folge schaffte es die türkis-grüne Regierung allerdings nicht zu überzeugen. Das lag zum einen an äusseren Umständen wie der Covid-Krise, Putins Eskalation des Krieges gegen die Ukraine und die Energiekrise, doch hinzu kam vor allem viel Unfähigkeit der Regierung, die seit dem 6. Dezember 2021 unter der Führung von Kanzler Karl Nehammer (*1972) von der ÖVP und Vizekanzler Werner Kogler (*1961) von den Grünen steht.
Bei der österreichischen Nationalratswahl vom 29. September 2024 kriegte Türkis-Grün vom Wähler die Rechnung präsentiert und verlor die Mehrheit: Die ÖVP erlebte mit einem Minus von 11,19 Prozentpunkten und nur noch 26,27% eine herbe Niederlage. Den Grünen erging es nicht besser: Ein Minus von 5,66 Prozentpunkten und nur noch 8,24%. Die rechtsextreme FPÖ landete hingegen mit 28,85% und einem Plus von 12,68 Prozentpunkten klar auf dem ersten Platz. Die liberalen NEOS profitierten immerhin ein klein wenig und legten um 1,04 Prozentpunkte auf 9,14% zu. Die sozialdemokratische SPÖ konnte sich in der Opposition nicht erneuern und stagnierte mit 21,14% (-0,04). Andere Parteien schafften es nicht in den Nationalrat mit insgesamt 183 Sitzen, in dem die FPÖ mit 57 Mandaten die grösste Partei ist, vor der ÖVP mit 51, der SPÖ mit 41, den NEOS mit 18 und den Grünen mit 16 Sitzen.
Da direkt nach der Nationalratswahl niemand bereit war, mit den politischen FPÖ-Schmuddelkindern um den rechtsextremen Herbert Kickl (*1968) eine Koalition einzugehen, sprachen ÖVP, SPÖ und NEOS über die Bildung einer schwierigen Dreierkoalition. Doch nach drei fruchtlosen Monaten warfen die NEOS unter Führung der Parteichefin Beate Meinl-Reisinger (*1978) Anfang Januar das Handtuch, nicht zuletzt mit dem Argument, die zwei grossen Parteien seien nicht zu Strukturreformen bereit, wobei sich ÖVP und NEOS bei Ausgabenkürzungen näher standen, die Sozialdemokraten hingegen auf neue Steuern nicht verzichten wollten.
Die SPÖ setzt nach wie vor auf „Umverteilen“. Dabei sind in Österreich Steuern und Abgaben sowie die Staatsquote viel zu hoch. Wie Deutschland, Frankreich und andere Staaten, so hat auch Österreich kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem.
ÖVP und SPÖ verhandelten danach noch kurz weiter – zusammen hätten sie im Nationalrat die minimale Mehrheit von einer Stimme -, doch kurz darauf warf auch die ÖVP das Handtuch, ebenfalls wie die NEOS mit dem Hinweis, die SPÖ beharre zur Haushaltkonsolidierung auf neuen, höheren Steuern, statt auf Ausgabenkürzungen. Die EU-Kommission rechnet für 2025 mit einem Budgetdefizit von 3,7% in Österreich. Es besteht also durchaus Handlungsbedarf.
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Nun gibt es rechnerisch und politisch eigentlich nur noch die Option einer Regierung von FPÖ und ÖVP, denn ÖVP, NEOS und Grüne zusammen würde eine Stimme zur Mehrheit fehlen. Die Rechtsextremen und die Christdemokraten kämen zusammen auf 108 von 183 Sitzen. Eine komfortable Mehrheit.
Allerdings ist die ÖVP im Wahlkampf 2024 klar die Linie gefahren, wer die FPÖ von der Macht fernhalten will, der wählt die ÖVP. Kanzler Nehammer stand dafür ein, genauso sein Generalsekretär Christian Stocker (*1960), der nach dem angekündigten Abgang von Karl Nehammer nach am 5. Januar 2025 zum geschäftsführenden Bundesparteiobmann der ÖVP ernannt wurde und allenfalls Vizekanzler unter Kanzler Kickl von der FPÖ werden könnte. Zum neuen ÖVP-Generalsekretär wurde der bisherige Bundesgeschäftsführer der Volkspartei, Alexander Pröll, ernannt.
Eine Koalition von FPÖ und ÖVP würde eine 180-Grad-Wende bedeuten, die von einigen ÖVP-Wählern vielleicht abgelehnt werden würde. Doch der Abgrenzung der ÖVP von der FPÖ fällt es schon lange an Glaubwürdigkeit. In fünf von neun österreichischen Bundesländern arbeiten die zwei Parteien zusammen: Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Vorarlberg.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen (*1944), bis zu seiner Kandidatur für das höchste Staatsamt 2016 ein Grüner, sagte, am 5. Januar, dass er heute, am 6. Januar, Herbert Kickl von der FPÖ treffen werde, weil die Vorbehalte in der ÖVP gegen die FPÖ seit dem angekündigten Abgang von Kanzler Nehammer leiser geworden seien und sich daher eventuell eine neue Koalitionsmöglichkeit auftue.
Heute nun hat Bundespräsident Alexander van der Bellen offiziell Herbert Kickl den Auftrag zur Bildung einer Regierung erteilt. Sondierungsgespräche mit der ÖVP können beginnen. Der Rechtspopulist Herbert Kickl kommt seinem Ziel näher, „Volkskanzler“ zu werden.
Der Putin-freundliche Herbert Kickl, der sich in der Covid-Krise als Impfgegner positionierte und ein (nutzloses) Entwurmungsmittel gegen das Virus empfahl, schwadroniert gerne von „Systemparteien“ und „Volksverrätern“, träumt von „Notgesetzen“ gegen Asyl und einer „Beobachtungsstelle für linke Lehrer“, verkündet, er habe eine „Fahndungsliste“ (von missliebigen Personen). Herbert Kickl will sie wie einige Rechtsextreme in Frankreich gegen einen angeblichen „Bevölkerungsaustausch“ wehren, wie auch „gegen die Globalisten in Politik, Wirtschaft und Medien“. Herbert Kickl meinte schon mal, die „Erlösung“ sei (mit ihm und der FPÖ) in Sicht. Hans Rauscher hat im Standard einmal herausgearbeitet, wie sich Herbert Kickl gerne der Sprache der Nazis bedient.
An der Alternative zu einer Koalition von FPÖ und ÖVP, Neuwahlen, hätte nur die FPÖ ein Interesse. Laut der neuesten Umfrage des Instituts IFDD vom 4. Januar 2024 für die Kronen Zeitung liegt die FPÖ bei 37%, die ÖVP bei 21%, die SPÖ bei 19%, die NEOS bei 11% und die Grünen bei 8%. Die KPÖ käme auf 3% – und damit nicht in den Nationalrat.
Bei der ÖVP verweisen einige darauf, dass der harsche FPÖ- und Kickl-Kritiker Christian Stocker der richtige Mann sei, um die Möglichkeit einer Koalition Koalition mit den Freiheitlichen auszuloten. Doch die ÖVP würde so weiter zur „Normalisierung“ der Kickl-FPÖ beitragen. Bei Wahlen wird zudem oft der Juniorpartner der vorhergehenden Koalition abgestraft, während dem der führende Partner oft vom Kanzlerbonus profitiert. Ein Argument für eine Koalition ist, dass sich die FPÖ in der Regierungsverantwortung abnutzt, entzaubert. Es gibt keine guten Lösungen mehr. Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen.
Herbert Kickl sprach sich im Mai 2022 gegen ein Ölembargo gegen Russland und gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine durch den Westen aus. Er positioniert sich immer wieder als (bestenfalls) nützlicher Idiot Putins.
Zur Zeit fahren Viktor Orban – ein Vorbild von Kickl – in Ungarn und Robert Fico in der Slowakei einen Schmusekurs gegenüber Diktator Putin. Die EU kann es sich nicht leisten, dass zusätzlich Österreich offiziell Putin-freundlich wird, insbesondere weil Donald Trump noch im Januar ins Weisse Haus einzieht und damit die bereits jetzt viel zu geringe Hilfe für die Ukraine drastisch kürzen könnte, um so einen „Frieden“ zu erzwingen, der vor allem Putin hilft und Europa weiter destabilisieren dürfte. Eigentlich hätte die EU eine Wirtschaft, die stark genug ist, um sich alleine hinter die Ukraine und gegen Russland zu stellen, doch es fehlt der politische Wille. Putin setzt laut Schätzungen rund 8% des BIP und 40% des Budgets für Rüstung ein. Mit ihm wird es nicht so schnell Frieden geben. Er kann notfalls vier Jahre abwarten, bis Trump aus dem Amt scheidet, um dann wieder Unruhe zu stiften.
Der Bundespräsident hat in seiner Rede, in der er den Auftrag zur Bildung einer Regierung an Herbert Kickl bekanntgab, die Haushaltslage, die Rezession und die steigende Arbeitslosigkeit in Österreich, die Sicherheitslage mit Putins Angriffskrieg und den dabei notwendigen Zusammenhalt der EU erwähnt, wobei er all dies mit dem FPÖ-Chef zuvor erörtert habe. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
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Herbert Kickl im Jahr 2020. Foto Copyright © C.Stadler/Bwag; CC-BY-SA-4.0 (via Wikipedia/Wikimedia).
Artikel vom 6. Januar 2025 um 13:26 österreichischer Zeit. Tippfehler um 18:00 korrigert (Wirtschaft, nicht Wirtschaftskrieg).