Die Zuckerl-Koalition unter Kanzler Christian Stocker in Österreich

Mrz 04, 2025 at 14:23 197

In Wien wurde am 3. März 2025 die erste sogenannte Zuckerl-Koalition bestehend aus der ÖVP, der SPÖ und den NEOS angelobt. Es handelt sich um die erste Dreierkoalition, die erst nach rekordlangen fünf Monaten nach der österreichischen Nationalratswahl vom 29. September 2024 zustande kam.

Zuvor scheiterten zuerst Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS, dann zwischen ÖVP und SPÖ, danach zwischen der FPÖ und der ÖVP, weshalb am Ende nochmals die Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen einen zweiten Versuch unternahmen, der erfolgreich mit der Zustimmung zu einem 210-seitigen Koalitionsvertrag unter dem Titel Jetzt das Richtige tun. Für Österreich endete.

Zuletzt stimmten über 1500 der insgesamt rund 3000 NEOS-Mitglieder, die sich rechtzeitig zur Abstimmung angemeldet hatten, bei einer Mitgliederversammlung am 2. März 2025 mit überwältigenden 94,13% dem Koalitionspakt und der Zuckerl-Koalition zu; Pflicht gewesen war mindestens eine Zweidrittelmehrheit. Die zuständigen ÖVP- und SPÖ-Gremien hatten bereits am 28. Februar 2025 der Koalition und dem Regierungsprogramm zugestimmt.

Der Jurist und ÖVP-Chef Christian Stocker (*1960), als ehemaliger Vizebürgermeister von Wiener Neustadt nicht gerade ein politisches Schwergewicht, übernahm am 3. März 2025 als Bundeskanzler die Führung der Regierung. Vizekanzler wurde der Chef der Sozialdemokraten (SPÖ) und Linkspopulist Andreas Babler (*1973), der ein Jahrzehnt lang Bürgermeister von Traiskirchen (Niederösterreich) war, einer Kleinstadt mit knapp 20,000 Einwohnern. Das Aussenministerium leitet neu die Vorsitzende der liberalen NEOS, Beate Meinl-Reisinger (*1978), einer gelernten Juristin ohne Exkutiverfahrung, die unter anderem in der Wirtschaftskammer Österreich und im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit bzw. Wirtschaft, Familie und Jugend in untergeordneten Funktionen tätig war. Danach arbeitete sie als Referentin für Frauen-, Familien- und Integrationspolitik im Kabinett von Staatssekretärin Christine Marek (ÖVP), ehe sie an der Gründung der NEOS mitarbeitete und für diese liberale Partei 2013 in den Nationalrat einzog. Seit 2018 ist sie die NEOS-Vorsitzende.

Noch weniger überzeugt die Grösse der neuen Regierung, der neben dem Kanzler 13 Minister und 7 Staatssekretäre angehören – so viele wie nie zuvor. Die ÖVP übernimmt neben dem Kanzleramt 5 Ministerien und stellt drei Staatssekretäre. Die SPÖ übernimmt 6 Ministerien (der parteilose Finanzminister wurde von den Sozialdemokraten nominiert) und stellt drei Staatssekretäre.

Die liberalen NEOS wurden im Oktober 2012 gegründet, fusionierten im Januar 2014 mit dem Liberalen Forum und schafften nun am 3. März 2025 erstmals den Sprung in die österreichische Regierung. Als kleinster Partner der Zuckerl-Koalition übernehmen die pro-europäischen NEOS neben dem Aussenamt lediglich das Bildungsministerium (Christoph Wiederkehr *1990). Zu diesen zwei Ministern kommt mit Sepp Schellhorn (*1967) der Staatssekretär für Deregulierung im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten unter der Leitung von Beate Meinl-Reisinger.

Von den NEOS kommt zum Beispiel die Idee, um „Fake News“ und der Radikalisierung in Sozialen Netzwerken vorzubeugen, sollen junge Österreicher künftig kostenlosen Zugang zu Qualitätsmedien erhalten. Ebenfalls von den NEOS stammt im Koalitionsvertrag der Plan der raschen Einführung eines zweiten verpflichtenden Kindergartenjahres. Daneben setzen sich die NEOS für die Deregulierung ein. Ob solche Vorschläge dieser liberalen Partei bei der nächsten Wahl helfen werden, ist unsicher.

Österreich hat dringend einen liberalen Impuls nötig, denn wie in Deutschland und anderen europäischen Ländern ist die Staatsquote zu hoch. Es besteht kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Die abgewählte schwarz-grüne Regierung hat es 2024 geschafft, ein Defizit von 4,1% des BIP anzuhäufen, was weit über den 3%-Maastricht-Kriterien liegt. Die Staatschulden liegen zur Zeit zudem bei über 83% des BIP, ebenfalls weit über den Maastricht-Kriterien von 60%.

In der nun von Beate Meinl-Reisinger angeführten österreichischen Aussenpolitik mischt wie in Deutschland der Kanzler nicht nur mit, sondern hat oft sogar mehr Gewicht.

In der deutschen Ampel-Regierung konnte die FDP, die mit Christian Lindner immerhin den Finanzminister stellte, liberalen Ideen zu wenig Raum geben. In Österreich ist es immerhin so, dass die NEOS mit der ÖVP zumindest einige Überschneidungen in der Finanz-, Wirtschafts- und Steuerpolitik haben, wobei sich die bürgerliche Volkspartei, wie oben erwähnt, zumindest in den letzten Jahren auf diesen Gebieten nicht mit Ruhm bekleckert hat.

Im Wirtschaftsministerium sitzt mit Wolfgang Hattmannsdorfer (*1979) von der ÖVP nun ein Mann, den Kanzler Stocker als ehemaligen Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) und daher „Kämpfer“ für den Wirtschaftsstandort und die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs vorgestellt hat. Die unter Hattmannsdorfer dienende Parteikollegin und Staatssekretärin Elisabeth Zehetner (*1977) wiederum präsentierte der Kanzler als langjährige Geschäftsführerin der Jungen Wirtschaft – der Interessenvertretung für junge Selbständige -, die aufgezeigt habe, „dass Technologie und Innovation der Schlüssel für einen effektiven Klimaschutz“ seien.

Weniger überzeugt die Wahl des parteilosen Markus Marterbauer (*1965) als Finanzminister, der von der SPÖ nominiert worden war. Der Nationalökonom Marterbauer war seit 2011 Abteilungsleiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien. Der Keynesianer tritt klar für einen „linken“ Wirtschaftskurs ein. Er steht für schuldenfinanzierte Investititonen, eine Vermögenssteuer, für kürzere Arbeitszeiten und einen starken Sozialstaat. Der neue Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer, zuvor Teil der ÖVP-FPÖ-Regierung in Oberösterreich, machte sich dort einen Namen mit Kürzungen bei der Sozialhilfe. Konflikte scheinen in der Steuer-, Finanz- und Wirtschaftspolitik dieser Koalition vorprogrammiert.

Im Koalitionsvertrag von ÖVP, SPÖ und NEOS ist unter anderem zu lesen, dass die Zuckerl-Regierung, um klare Leistungsanreize für mehr Arbeitsstunden zu senden, Überstunden bzw. Zuschläge steuerlich besser begünstigen will. Arbeiten im Alter soll erleichtert werden: Für Personen in einer echten Alterspension (keine vorzeitige Alterspension) soll ein neues Modell des Zuverdienstes durch die Bundesregierung mit den Sozialpartnern entwickelt werden. Für alle Arbeitnehmer sollen die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Auf den 1.1.2027 wird der der Grundfreibetrag von 15% bis €33.000 auf 15% von €50.000 dauerhaft angehoben. Das Steuerrecht soll vereinfacht werden.

Im Koalitionsvertrag schreiben ÖVP, SPÖ und NEOS, um die Wettbewerbsfähigkeit sowie Produktivität zu steigern, den Standort zu stärken, Arbeitsplätze zu schaffen und die Transformation der Industrie zu gewährleisten, setze die Bundesregierung strukturelle Massnahmen zur Stärkung des Wirtschafts-, Produktions- und Innovationsstandortes um. Dies erfolge durch eine Schwerpunktsetzung zur Senkung von Energiekosten, Bürokratiekosten sowie Lohnstückkosten insbesondere Lohnnebenkosten/Arbeitskosten.

Die Nationalratswahl vom September 2024, bei der die FPÖ zur stärksten Partei aufstieg und mit dem rechtsextremen Herbert Kickl an der Spitze sogar die Möglichkeit erhielt, eine Regierung zu bilden, wobei er vor Kraft kaum mehr gehen konnte, den Bogen überspannte und daher im Ringen um eine Koalition mit der ÖVP scheiterte, hat gezeigt, dass sich die Parteien von Mitte links bis Mitte rechts zusammenreissen und die Probleme Österreichs lösen müssen, sonst wird die FPÖ bei den nächsten Wahlen noch stärker dastehen.

Seit 2014 herrscht Krieg in Europa. Spätestens seit dem Februar 2022 sollte allen Europäern klar sein, dass Putin imperiale Absichten hat und vor blutigen Kriegen mit Hunderttausenden von Toten nicht zurückschreckt. Solide Finanzen und eine starke Armee sind auch in Österreich notwendig, um für die Zukunft im Verbund mit den Demokratien dieser Welt gerüstet zu sein. Die neue Koalition in Wien muss kompromissbereit, pragmatisch und zukunftgerichtet agieren. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob äussere Bedrohungen wie jene durch Putins Russland und Trumps Vereinigte Staaten von Amerika die österreichischen Mitte-Parteien zusammenschweissen werden.

Das Jammern über das politische Personal in Österreich bringt nichts. Die FPÖ als Alternative lässt geradezu erschaudern. In Umfragen schneiden die Rechtsextremen noch besser ab als bei der Nationalratswahl im September 2024. Die drei Regierungsparteien haben jetzt hoffentlich den Ernst der Lage erfasst.

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Foto von Bundeskanzler Christian Stocker vom März 2025. Photo © Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten Österreichs/BMEIA/Michael Gruber (via Wikimedia).

Artikel vom 4. März 2025 um 14:23 Wiener Zeit.