Die Stiftung Langmatt gilt als eine der bedeutendsten Privatsammlungen des französischen Impressionismus in Europa. Diese Werke wurden vom Industriellen-Ehepaar Sidney und Jenny Brown, eine der drei Gründerfamilien der damaligen BBC (Brown, Boveri und Cie., heute ABB), zu Beginn des 20. Jahrhunderts zusammengetragen und sind seit 1990 in einer Jugendstilvilla in Baden bei Zürich ausgestellt. Da Museum und Park bis 2026 generalsaniert werden, bietet sich gerade die einmalige Gelegenheit, die impressionistischen Meisterwerke aus dem Museum Langmatt in Köln zu bewundern. Dies Bilder dieser Sammlung wurden noch nie ausserhalb der Schweiz ausgestellt.
In Köln sammelte ab 1908 der junge Museumsdirektor Alfred Hagelstange für das Wallraf-Richartz-Museum ebenfalls impressionistische und andere Arbeiten der Jahrhundertwende, wodurch er das Museum in die Moderne führte.
Nun treffen in Köln diese zwei herausragenden Sammlungen aufeinander. Das Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud in Köln zeigt seit dem 28. März und noch bis zum 27. Juli 2025 die Ausstellung Schweizer Schätze – Meisterwerke des Impressionismus aus dem Museum Langmatt, die von Barbara Schaefer kuratiert wurde.
Der Katalog zur Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud in Köln, herausgegeben von Barbara Schaefer: Schweizer Schätze – Meisterwerke des Impressionismus aus dem Museum Langmatt. Mit Beiträgen von Barbara Schaefer, Daniela Minneboo, Petra Oepen, Markus Stegmann. Hardcover, Wienand Verlag, 2025, 288 Seiten mit 305 farbigen und 18 s/w Abbildungen, 24 cm x 29 cm. ISBN: 978-3-86832-824-0. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und den Katalog bestellen bei Amazon.de.
Das Museum Langmatt besitzt rund 50 impressionistische Werke von Pierre Bonnard, Eugène Boudin, Mary Cassatt, Paul Cezanne, Edgar Degas, Paul Gauguin, Claude Monet, Camille Pissarro, Pierre-Auguste Renoir und Alfred Sisley.
Markus Stegmann, Direktor des Museums Langmatt, erläutert im Katalog, dass Sidney und Jenny Brown 40 dieser Werke zwischen 1908 und 1919 zusammentrugen. Zu dieser Zeit seien die Impressionisten noch immer umstritten gewesen. Das Sammlerehepaar war von Farbe, Licht und Bewegung dieser Werke so begeistert, dass sie diese Werke um sich haben wollten, entgegen aller möglicher Kritik.
Jenny (1871–1968) stammte aus der Winterthurer Industriellen-Familie Sulzer. Der Vater von Sidney, der begnadete Ingenieur Charles Brown (1827-1905), kam 1851 aus Uxbridge in der Nähe von London nach Winterthur, wo er für Sulzer arbeitete und die Winterthurerin Eugenie Pfau (1845-1929) heiratete. Durch seine Erfindungen entwickelte sich die Firma zu einer der bedeutendsten Maschienenfabriken der Schweiz. 1871 verliess er die Firma um, zusammen mit Investoren, die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) zu gründen, um Dampflokomotiven zu bauen. Um 1890 war die SLM beim Bau von Dampflokomotiven in der Schweiz führend.
1891 gründete sein Sohn, der Erfinder und Ingenieur, Charles Eugene Lancelot Brown (1863–1924) zusammen mit Walter Boveri (1865–1924) aus Bamberg im schweizerischen Baden das Elektrotechnikunternehmen Brown, Boveri & Cie. (BBC). Sein Bruder, Sidney William Brown (1865–1941), zog ebenfalls nach Baden und arbeitete als technischer Leiter und Delegierter des Schweizer Verwaltungsrats der BBC von 1891 bis 1935. Die BBC entwickelte sich im 20. Jahrhunderts zu einem Weltkonzern. Ein Schatten auf der Erfolgsgeschichte: Die deutsche Tochtergesellschaft der Firma setzte während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter ein. 1988 fusionierte die BBC mit dem schwedischen Unternehmen ASEA zur ABB Ltd.
Sidney Brown sammelte ähnlich früh impressionistische Kunst wie in der Schweiz sonst nur Hedy (1873–1952) und Arthur (1870–1936) Hahnloser-Bühler in Winterthur, während beispielsweise Oskar Reinhart (1885–1965) erst ab 1924 mit dem Kauf der Villa Am Römerholz in Winterthur seine Sammeltätigkeit massgeblich intensivierte oder der umstrittene Emil Bührle (1890–1956) nicht vor 1936 in Zürich diese Künstler zu sammeln begann.
Laut Markus Stegmann war es vor allem durch die Heirat von Walter Boveri mit der vermögenden Industriellentochter Victoire Baumann (1865–1930), dass die drei Jungunternehmen Brown und Boveri über genug Startkapital verfügten, um ein zukunftsträchtiges Unternehmen zu gründen und zu entwicklen.
Die BBC-Geschäfte entwickelten sich prächtig, sodass Jenny und Sidney Brown bereits 1901 ein repäsentatives Anwesen beziehen konnten. Die Villa Langmatt in unmittelbarer Nähe der BBC liessen sie von Karl Moser (1860–1936) bauen, einem der laut Markus Stegmann damals bedeutendsten Schweizer Architekten.
Bereits auf ihrer Hochzeitsreise 1896 erwarben Jenny und Sidney in der Galerie von Georges Bernheim in Paris ein im Vorjahr entstandenes, kleinformatiges Bild von Eugène Boudin (1824–1898), eines Vorläufers der Impressionisten und früheren Vertreters der Pleinairmalerei. Das Werk Wäscherinnen am Ufer der Touques (1895, Öl/Holz, 24 × 35 cm) zeigt eine Gruppe von Wäscherinnen bei ihrer harten Arbeit am Ufer der Touques in der Normandie, während im Hintergrund Fabrikschlote qualmen. Kein besonders idyllisches Motiv, mit Arbeiterinnen als Sujet. Doch die Browns bewiesen mit diesem Ankauf laut Markus Stegmann über ein sensibles Gespür für aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen.
Markus Stegmann schreibt, dass Jenny und Sidney Brown um die Jahrhundertwende öfters nach München reisten, einem Zentrum des Symbolismus und Jugendstils, während sich fortschrittliche Künstlerin in der Künstlervereinigung der Münchner Sezession formierten. Zunächst erwarb das Ehepaar zunächst vor allem Bilder von Julius Exter (1863–1939), einem Mitbegründer der Münchner Sezession im Jahr 1892, mit dem sie eine langjährige Freundschaft verband. Er kam regelmässig nach Baden zu Besuch, wo er Jenny und ihre drei Kinder porträtierte. Hinzu kamen Werke von Leo Putz (1869–1940), Franz von Stuck (1863–1928) und vielen anderen Künstlern. In dieser ersten Sammlung der Browns bildete die Münchner Sezession den Schwerpunkt.
Für die rasch wachsende Zahl oft grossformatigerBilder liessen sie die Sammler von Karl Moser 1904–1906 eine Gemäldegalerie mit Oberlicht als Anbau zur Villa errichten, so Markus Stegmann, der auf historische Fotos verweist, die zeigen, wie der grosszügige Saal mit Mobiliar, Teppichen und Kunstgewerbe reich ausgestattet war.
Kaum waren die grossformatigen, dunklen Werke der Münchner Sezession in die Gemäldegalerie eingezogen, wandten sich Jenny und Sidney Brown ab 1908 dem französischen Impressionismus zu, einem Hinweis von Carl Montag (1880–1956) folgend.
Der Winterthurer Künstler hielt sich seit 1903 in Paris auf und stand den Fauves nahe. Er führte nicht nur die Browns zu den einschlägigen Galerien und Kunsthandlungen in Paris, sondern beriet auch das Winterthurer Ehepaar Arthur und Hedy Hahnloser bei der Neuorientierung ihrer Sammlung hin zur französischen Kunst.
Laut Markus Stegmann besuchten die Browns mit Carl Montag zum Beispiel den Kunsthändler Ambroise Vollard (1866–1939). Er machte sie zudem mit einflussreichen Sammlern des Impressionismus bekannt, so mit Georges Viau (1855–1939). So gelangte 1908 das erste Gemälde von Paul Cezanne (1839–1906) in die Schweiz: Pfirsiche, Karaffe und Person (um 1900, Öl auf Leinwand, 60 × 73 cm).
In den 1930er- Jahren ergänzten die Browns ihre Impressionismussammlung um einige wenige Werke, darunter drei Bilder von Paul Cezanne, die am 9. November 2023 zwecks Rettung der Langmatt bei Christie’s versteigert wurden: Früchte und Ingwertopf, um 1890/93; Vier Äpfel, um 1885; Das Meer bei l’Estaque, um 1883.
Als Sidney Brown 1941 verstarb, endete die Sammeltätigkeit. Die Mutter lebte noch bis 1968. Markus Stegmann schreibt, dass von den drei Söhnen der Browns zwei, nämlich Sidney Hamlet (1898– 1970) und Harry Frank (1905–1972) homosexuell waren. John Alfred (1900–1987) wollte heiraten, aber seine Mutter war strikt gegen die Hochzeit mit Andrée Marthe Müller (1911–1976), die in Paris als Malermodell arbeitete und ihre nicht standesgemäss erschien.
Laut Markus Stegmann war von den drei Söhnen John, der spätere Stifter der Langmatt, der Bildenden Kunst am meisten zugeneigt. Zeitweise arbeitete er als Attaché am Louvre. Doch als er 1929 seinen Eltern begeistert von einem neuen Künstler berichtete, der ganz Paris in Erstaunen versetzte, reagierte seine Mutter mit Ablehnung. Es ging um… Pablo Picasso (1881–1973)!
Harry wirkte als Komponist und förderte als Mäzen Musiker und Musikerinnen sowie Ensembles und lud sie zu Konzerten in die Langmatt ein. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg konzertierten in der Villa in Baden zum Beispiel das Pariser Kammermusikensemble Ars Rediviva sowie die rumänisch-schweizerische Pianistin Clara Haskil.
Die Mutter Jenny Brown verstarb 1968. Im darauffolgenden Jahr heirateten John und Andrée Marthe. John war 69 Jahre alt, Andrée Marthe 58, die somit zu alt war, um noch Kinder zu gebären.
Sidney Hamlet verstarb 1970, Harry 1972. John erlitt 1971 einen Schlaganfall und war fortan an einen Rollstuhl gefesselt. John und Andrée Marthe zogen 1972 in die Villa Langmatt ein. In seinem endgültigen Testament vom 11. September 1979 vermachte John Brown das historische Ensemble einschliesslich der Impressionismussammlung, aller weiterer Kunstwerke, der Villa, des Parks und der Wertschriften an die Stadt Baden, mit der Auflage, eine Stiftung einzurichten, welche die Langmatt als Museum der Öffentlichkeit zugänglich machen sollte. Neben dem Andenken an Jenny und Sidney Brown und der Bewahrung ihrer Impressionismussammlung besteht der Stiftungszweck darin, das Kunstverständnis in der Region und darüber hinaus zu fördern.
Nach dem Tod von John Brown 1987 nahm die Stadt Baden die Schenkung an und richtete 1988 die Stiftung »Langmatt«, Sidney und Jenny Brown als Trägerin des Museums Langmatt ein, das im April 1990 erstmals seine Tore öffnete.
Markus Stegmann legt im Katalog dar, dass das Stiftungskapital mit CHF 5,3 Millionen (ohne Kunstsammlung und Immobilie) bereits zu Beginn viel zu gering ausgestattet war, um langfristig ein Museum betreiben zu können, einschlieslich des Unterhalts der seit 1990 denkmalgeschützten Villa. So kam es zur oben erwähnten Versteigerung von drei Cezanne-Gemälden, die CHF 40,33 Millionen einbrachten, wobei der für die Stiftung benötigte Betrag mit CHF 40 Millionen veranschlagt worden war.
Zuvor hatten in einer Volksabstimmung 79,25 % der Badener Stimmbevölkerung JA zu einem städtischen Beitrag von CHF 10 Mio. für die Sanierung des Gebäudes gesagt. Weitere CHF 6,6 Mio. hatte der Kanton Aargau mittels Swisslos-Fonds und eines Beitrags der Kantonalen Denkmalpflege übernommen. Weitere rund CHF 3,2 Mio. konnten durch Drittmittel gedeckt werden.
Die privatrechtliche Stiftung Langmatt hat das Recht, im Extremfall Sammlungsgut zu veräussern. Sie hat vor allem die Pflicht, den Stiftungszweck zu erfüllen, die Langmatt im Sinne des Stifters John Brown als historisches Ensemble der Öffentlichkeit zugänglich zu erhalten. Die erwähnte, renovierungsbedingte Schliessung des Museums bis 2026 ermöglichte die Ausstellung in Köln.
Dies sind nur einige historische Angaben zu einer Sammlung und einer Ausstellung, die eine Reise nach Köln rechtfertigen. Hinzu kommen die dortigen Impressionismus-Werke des Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud.
Im Katalog finden sich neben dem ausgiebig zitierten Essay von Markus Stegmann zudem Beiträge von Barbara Schaefer, der für die Ausstellung und den Katalog verantwortlichen Kuratorin. Sie steuert einen Essay zur Konzeption der Ausstellung bei. Hinzu kommen ihre Beiträge im Katalogteil zu den Impressionisten, zu Boudin, Corot, Degas, Renoir, Cezanne, Odilon Redon und zu Venedig. Die Lagunenstadt ist im Museum Langmatt mit vielen Werken vertreten, die nicht aus der Zeit des Impressionismus stammen. Von Daniela Minneboo stammt ein Beitrag zum Thema Pissarro und das ländliche Frankreich, von Petra Oepen zum modernen Leben in Paris, das unter Kaiser Napoleon III. und der Neugestaltung des Zentrums durch Eugène Haussmann zur Weltstadt wurde. Hinzu kommt eine Chronologie des Museums Langmatt von Markus Stegmann.
Herausgegeben von Barbara Schaefer: Schweizer Schätze – Meisterwerke des Impressionismus aus dem Museum Langmatt. Mit Beiträgen von Barbara Schaefer, Daniela Minneboo, Petra Oepen, Markus Stegmann. Hardcover, Wienand Verlag, 2025, 288 Seiten mit 305 farbigen und 18 s/w Abbildungen, 24 cm x 29 cm. ISBN: 978-3-86832-824-0. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und den Katalog bestellen bei Amazon.de.
Ausstellung: Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud in Köln seit dem 28. März und noch bis zum 27. Juli 2025: Schweizer Schätze – Meisterwerke des Impressionismus aus dem Museum Langmatt.
Ausgewählte Meisterwerke aus dem Museum Langmatt werden danach nach Wien reisen und dort in einer Ausstellung unter dem Titel Cézanne, Monet, Renoir. Französischer Impressionismus aus dem Museum Langmatt vom 25. September 2025 bis am 8. Februar 2026 in der Österreichischen Galerie Belvedere gezeigt, kuratiert von Alexander Klee.
Zitate und Teilzitate in dieser Ausstellungsrezension/Katalogkritik von Schweizer Schätze – Meisterwerke des Impressionismus aus dem Museum Langmatt sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.
Rezension/Katalogkritik/Ausstellungskritik von Schweizer Schätze – Meisterwerke des Impressionismus aus dem Museum Langmatt vom 20. Mai 2025 um 20:36 deutscher Zeit.