Handbuch zur Geschichte der Kunst in Ostmitteleuropa 400-1000. Vom spätantiken Erbe zu den Anfängen der Romanik

Juli 15, 2025 at 14:58 482

Bereits 2017 ist der erste Band in der auf neun Bücher angelegten Reihe Handbuch zur Geschichte der Kunst in Ostmitteleuropa 400-1000. Vom spätantiken Erbe zu den Anfängen der Romanik erschienen. Dabei handelt es sich um ein Forschungsprojekt des 1995 gegründeten Leibniz-Instituts für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) in Leipzig. Der erste Band enthält mehrere Einführungen, so in die ganze Reihe sowie speziell in die Zeit der Jahre 400 bis 1000, sowie ein Dutzend Beiträge von Spezialisten. Besonders hilfreich ist die 8-seitige Zeitliste (S. 80-87). Hinzu kommen Karten mit Orten und Fundplätzen der Spätantike, der Völkerwanderungszeit, der Awarenzeit, der Karolinerzeit sowie der späten Karolinger- und der Ottonenzeit. Nach detaillierten Beschreibungen der 294 fotografierten Objekte im Katalogteil folgt ein Anhang mit Glossar, Personen-, Orts- und Objektregister sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis. Mit 600 Abbildungen handelt es sich um ein reich illustriertes, unentbehrliches, wissenschaftliches Standardwerk.

Herausgegeben von: Christian Lübke, Matthias Hardt: Band 1 in der Reihe Handbuch zur Geschichte der Kunst in Ostmitteleuropa 400-1000. Vom spätantiken Erbe zu den Anfängen der Romanik. Deutscher Kunstverlag, Oktober 2017, 652 Seiten mit 600 meist farbigen Abbildungen, 21 × 27,5 cm, gebunden. ISBN: 978-3-422-06958-9. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und den Band 1 bestellen bei Amazon.de.

Laut dem Mitherausgeber des Bandes, Christian Lübke, gehören folgende heutige Länder zur Region Ostmitteleuropa: Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Kroatien. Hinzu kommen kulturräumliche Teilregionen von Ost- und Südeuropa: Weissrussland, die Region Kaliningrad in Russland, die Ukraine, Rumänien und Serbien. Wobei die heutigen Grenzen dieser Staaten der Region Ostmitteleuropa mit den Grenzen über die vielen Jahrhunderte hinweg nicht übereinstimmen, die Kultur- und Geschichtsregion zum Teil kleiner, zum Teil darüber hinaus ragte.

Die Zeit um das Jahr 1000 wird meist als Beginn der Kunstgeschichte in Ostmitteleuropa gesehen: Das Auftreten neuer Fürstendynastien, die über mehrere Jahrhunderte die Geschicke dieser Region bestimmen, die Annahme des Christentums, Bistumsgründungen und Königskrönungen gaben Impulse in Bautätigkeit und Kunstproduktion. Der erste Band des Handbuch zur Geschichte der Kunst in Ostmitteleuropa widmet sich diesem Epochenwandel, fragt vor allem aber auch nach dessen Voraussetzungen und Vorläufern sowie der gegenseitigen Wirkung des Kulturtransfers. Der Band untersucht die völkerwanderungszeitlichen Artefakte von der mittleren und unteren Donau, die frühchristlichen Zeugnisse in Pannonien und an der Adria, die Goldschätze der Awaren im Karpatenbecken sowie die vorromanischen Kirchenbauten in Kroatien und Mähren. Erschlossen werden diese Objekte in interdisziplinärer Perspektive durch ein internationales Autorenteam aus Archäologen, Kunsthistorikern und Historikern.

Die Herausgeber und Autoren betonen das Prozesshafte der behandelten Themen. Sie reihen sich ein in den Trend der Aufweichung der alten historischen Epochengrenzen, indem sie die Spätantike mit dem frühen Mittelalter in einer interdisziplinären Herangehensweise verbinden.

Christian Lübke legt in seinem Vorwort u.a. dar, dass die Geschichtswissenschaft im engeren Sinn mit Bezug auf die schriftlichen Quellen und sprachwissenschaftlich, nämlich slawistisch betrachtet, beginnt die Geschichte Ostmitteleuropas erst mit dem 6. Jahrhundert, als die gemeinhin als «Völkerwanderungszeit» bezeichnete Epoche sich bereits ihrem Ende näherte und die «Wanderung» der Slaven erst begann. Diese  beiden Wanderungen seien im Grunde gar nicht voneinander zu trennen.

Christian Lübke schreibt vom Einfluss des römisches Reiches (und Byzantions bzw. Konstantinopels) sowie des Christentums auf Ostmitteleuropa, von Hunnen, Slaven, Awaren, Protobulgaren und Mährern, von Strategien und Konflikten zwischen West und Ost bei der Mission und Kirchenpolitik, von der ottonischen Ostpolitik und ihrer Bedeutung für Ungarn.

Ein Dutzend Spezialisten untersuchen danach in zwölf Beiträgen die Nachwirkungen der Antike auf Ostmitteleuropa, Spätantike und frühes Christentum zwischen Adria und Donau, Kunst und Kunsthandwerk im Hunnenreich, die Neuchformierung im frühen Mittelalter (Slaven und Balten), die Kunst der Steppe in der ungarischen Landnahmezeit, die Christianisierung am südöstlichen und nördlichen Rand des Frankrenreiches (Salzburg und Hamburg!), Architektur und Bauausstattung im Alpen-Adria-Raum in der Karolingerzeit, die Sache nach kultureller Identität in Architektur und Kunsthandwerk im Grossmährischen Reich, die Anfänge der Residenzbildung, die Christianisierung, den Kirchenbau und den Übergang zu landeskirchlichen Strukturen in Böhmen und Mähren sowie den Schmuck der Westslaven im 10. Jahrhundert.

Rund die Hälfte des Bandes nimmt der Katalogteil ein. Fotografien von herausragenden Objekten und Fundstellen weden ergänzt durch Begleittexte, Karten und Skizzen. Die Matiere bleibt nicht trocken. Dieser erste Band der Reihe ist ein grosser Wurf, der Kunsthistorikern, Historikern, Archäologien und interessierten Laien wärmstens empfohlen werden kann.

Herausgegeben von: Christian Lübke, Matthias Hardt: Band 1 in der Reihe Handbuch zur Geschichte der Kunst in Ostmitteleuropa 400-1000. Vom spätantiken Erbe zu den Anfängen der Romanik. Deutscher Kunstverlag, Oktober 2017, 652 Seiten mit 600 meist farbigen Abbildungen, 21 × 27,5 cm, gebunden. ISBN: 978-3-422-06958-9. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und den Band 1 bestellen bei Amazon.de.

Siehe auch die Rezension von Marius Winzeler und Agnieszka Gąsior, Hrsg.: Handbuch zur Geschichte der Kunst in Ostmitteleuropa, Band 5. 1570−1670. Von der Renaissance zum Barock. Deutscher Kunstverlag (ein Verlag der Walter de Gruyter GmbH), 2025, 656 Seiten mit 650 Abbildungen., 21 x 27,5 cm. ISBN 978-3-422-06962-6. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und den Band 5 bestellen bei Amazon.de.

Zitate und Teilzitate in dieser Rezension sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.

Buchkritik/Rezension vom 15. Juli 2025. Hinzugefügt um 14:58 deutscher Zeit.