Der FAZ-Journalist Justus Bender (*1981) veröffentlichte 2017 das im Vorjahr verfasste Buch Was will die AfD? Er sagte in einem möglichen Szenario wichtige politische Ereignisse und Entwicklungen vorher. Der Migrationsforscher Gerald Knaus las das Werk acht Jahre später, war begeistert und sagte in der Dikussionssendung von Markus Lanz:
»Wenn dieser Trend so weitergeht, dann sage ich voraus, dann könnte eintreten, was ein Korrespondent der F.A.Z. in einem Buch 2017 vorausgesagt hat. Das ist unglaublich. Der hat ein Buch über die AfD geschrieben und hat gesagt – 2017! –, im Jahr 2021 wird Olaf Scholz eine Regierung bilden. Das war damals noch nicht jedem klar. Die Regierung wird bis 2025 regieren und wird am Ende unbeliebt sein. Und dann gibt es einen Terroranschlag. Und unter dem Eindruck von Terror und Angst wird die AfD 28 Prozent gewinnen. Und dann werden alle demokratischen Parteien sagen: ›Wir machen jetzt aber eine Koalition gegen die AfD.‹ Und nach einem Jahr wird das scheitern, weil die Parteien sich nicht einigen. Und dann wird in der CDU jemand aufstehen und sagen: ›Machen wir die Koalition mit der AfD.‹ Und 2026 gibt es den AfD-Kanzler.«
Laut Justus Bender sahen Hunderttausende diesen Teil des Videos auf Tiktok und Instagram, weshalb es zu einer Neuauflage des von Robin Alexander (Die Welt) als „Standardwerk“ bezeichneten Buches kam. Am 29. Oktober 2025 erschien im Pantheon Verlag erneut Was will die AfD? Justus Bender verfasste dazu ein neues Vorwort sowie ein neues Schlusskapitel, das sich mit der Frage befasst, welche Strategien gegenüber Rechtspopulisten funktionieren, verfasst hat. Der Rest blieb unverändert.
Justus Bender: Was will die AfD? Eine Partei verändert Deutschland. Aktualisierte und erweiterte Neuauflage, Pantheon Verlag, 29. Oktober 2025, 224 Seiten. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und das Buch bestellen bei Amazon.de.
Justus Bender erklärt im Vorwort, dass es ihm 2017 um ein Gedankenspiel ging, wie die AfD an die Macht kommen könnte, ohne 50% der Stimmen zu erreichen. Es ging ihm nicht darum, vorherzusagen, dass Olaf Scholz einmal Bundeskanzler werden würde oder Jens Spahn in der CDU zu denen gehören würde, die eine Normalisierung der AfD nahelegen. Das sei nur Kolorit gewesen, um das Gedankenspiel lebendiger zu machen. Die Leser sollten vor allem verstehen, dass eine stärker werdende AfD schon mit 28% den Bundeskanzler stellen könnte. Warum? Weil in einem solchen Fall nur noch instabile Bündnisse gegen sie möglich wären. Koalitionen von nervösen Parteien, die unter Existenzangst litten.
Justus Bender schreibt im neuen Vorwort, dass wenn sich die Ampel-Parteien vertrugen, die AfD-Politiker von »Kartellparteien« oder»Blockparteien« sprachen. Egal was man wähle, man bekomme immer das Gleiche, nur die AfD stehe für den Neuanfang. Wenn sich die Ampel-Koalitionäre stritten, sprachen AfD-Politiker von chaotischen Zuständen und verlachten die rot-grün-gelbe Regierung für ihre Unfähigkeit. Wie es die Ampel machte, machte sie es falsch. Eine stärker werdende AfD erzeuge automatisch diese Situation. Auch die seit 2025 regierende schwarz-rote Koalition leide unter diesem Effekt. Ab einer gewissen Grösse entstehe ein Sog, der die AfD immer weiter nach oben trage.
Justus Bender schrieb seine Erstfassung 2016, als die AfD bei lediglich 13% war. Das Buch wurde im folgenden Jahr veröffentlicht und erwies sich als teilweise erschreckend voraussehend. In seinem neuen Vorwort verweist der Autor zurecht darauf, wie knapp die Bundestagswahl 2025 ausgegangen ist. Dem Bündnis Sahra Wagenknecht fehlten nur rund 9500 Stimmen für den Einzug in den Bundestag. Hätte es diese bekommen, wäre eine Zweierkoalition unter Friedrich Merz unmöglich geworden. Die Union hätte eine Afghanistan-Koalition mit SPD und Grünen versuchen können, eine ähnliche Konstellation wie die Ampel. In Benders Szenario waren es genau diese Koalitionsverhandlungen, die an einem Mitgliedervotum der SPD gescheitert wären, ein Mitgliedervotum, das die SPD im Jahr 2025 tatsächlich ankündigte und abhielt. Wäre das Bündnis Sahra Wagenknecht in den Bundestag gekommen, hätten Unionspolitiker im Jahr 2026 eine Koalition mit der AfD erwägen können. 9500 Stimmen sind nur 0,019%. der bei der Bundestagswahl abgegebenen Stimmen. Justus Bender folgert daraus, dass die Mehrheitsverhältnisse in Deutschland auf Sand gebaut seien.
Der Journalist und Autor sieht die Geschichte der AfD nicht als Aneinanderreihung grosser Veränderungen: Partei von bürgerlichen Eurokritikern, die immer radikaler wird, wobei Eurokritiker die Partei verlassen und Rechtsextreme hinzukommen. Heute seien nicht nur die Führungspersönlichkeiten andere, sondern auch die Mitglieder. Doch Justus Bender sieht die AfD anders. Ihr Erfolg sei nie daraus entstanden, an einem bestimmten ideologischen Ort zu sein, eine feste Position zu vertreten, ein bestimmtes Personal zu haben, das für etwas stehe. Ihr Erfolgsgeheimnis laute, das genaue Gegenteil davon zu tun: nicht genau zu sagen, wofür man stehe. Die Leute von der AfD wollten immer das eine und das andere und beides zugleich.
Für AfD-Funktionäre in Talkshows bedeute »Remigration« einfach nur die Abschiebung von Ausreisepflichtigen. Für das politische Vorfeld der Partei bedeute »Remigration« jedoch eine gewaltsame ethnische Säuberung Westeuropas. Diese Vieldeutigkeit habe die AfD schon immer kultiviert, auch in den Anfangsjahren. Da hätten Professoren argumentiert, die Bundesrepublik dürfe nicht für die Staatsverschuldung südeuropäischer Länder in Haftung genommen werden, weil dies einen Staatsbankrott riskiere. Und die Tumben in der Partei hätten gerufen, man dürfe nicht zuschauen, wie faule, verlogene Griechen das gute deutsche Geld verprassten. Beides sei zur gleichen Zeit gesagt worden, ein Argument war akademisch, das andere nationalchauvinistisch. Für jeden sei etwas dabei gewesen, im Hörsaal und am Kneipentresen.
Justus Bender unterstreicht, Extremisten bräuchten keine Klarheit, in der gesagt werde, dass Extremismus gut sei. Das würde viele Menschen sehr erschrecken und die Unmenschlichkeit ihrer Position offenbaren. Sie seien nicht darauf angewiesen, dass jemand sage, ihre Aussagen seien wahr. Es reiche, wenn Unklarheit darüber herrsche, was wahr sei und was falsch. Sie brauchten eine Situation, in der Dinge nebulös seien, moralische Gesetze aufgeweicht und ein kleines bisschen Chaos in den Köpfen der Zuhörer herrsche. Der Rechtsextremismus sei nicht umsonst eine irrationalistische Haltung.
An anderer Stelle erläutert Justus Bender, dass Rechtsradikale Menschen seien, die eine rechte Politik in besonders fundamentaler Weise und besonders kompromisslos betrieben. Sie seien aber nicht notwendigerweise Menschen, die dabei unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnten, solche Menschen bezeichne man als Rechtsextreme. Rechtsradikale seien also keine Rechtsextremen. Sie seien aber auch keine Rechtspopulisten, denn deren Weltverständnis sei eher von Stimmungen geprägt als von Ideologie. Rechtspopulisten wollten die Bauchgefühle einer vermuteten Mehrheit des Volkes von der Belästigung durch Andersdenkende befreien. Bei Rechtspopulisten könnten Positionen, die traditionell links oder rechts waren, durcheinander purzeln, ohne dass die Betreffenden so etwas wie eine Dissonanz empfänden.
In seinen Kapiteln schildert Justus Bender, wie er bei frühen AfD-Parteitagen 2013 und 2014 manchmal der einzige Journalist vor Ort war, wie es ist, jahrelang mit AfD-Mitgliedern zu sprechen und was sie ihn gelehrt haben. Danach analysiert er die ideologischen Wurzeln der AfD, die er nicht als eine Gegenbewegung zum Liberalismus des 20. Jahrhunderts sieht, sondern als seine Fortsetzung in ihrer extremsten Form. Dass der Hyperliberalismus in einer Diktatur enden könne, habe schon Platon gewusst. An anderer Stelle schreibt Justus Bender, es gebe Libertäre in der AfD, aber sie seien eine Minderheit. Viele in der AfD wollten einen starken Staat, der ihre Interessen durchsetze, eine autoritäre Volksherrschaft.
An wiederum anderer Stelle betont der Autor, man solle die AfD nicht mit scharfen Diffamierungen aufwerten, weil man damit ihr Spiel betreibe. Er glaube nicht, dass es sich bei ihnen um Anti-Demokraten handel. Mehr noch, sie seien vielleicht radikal-demokratischer als manch andere Bürger. Sie seien Hyperdemokraten. Genauso seien sie Hyperliberale. Sie wollten eine Befreiung, aber nicht von Klassen, Rassen oder Geschlechtern, sondern von der Stigmatisierung von Bauchgefühlen, eine Befreiung von der Zumutung des Rationalismus, den die repräsentative Demokratie ausmache.
Justus Bender beantwortet in einem Kapitel die Frage, warum seiner Meinung nach die AfD strukturell nicht in der Lage sei, sich zu mässigen, warum die Radikalen bisher immer gewinnen konnten, und warum das keine Verschwörung einzelner Funktionäre sei. Danach beschreibt er, wie das intellektuelle Vorfeld der Partei versuche, die Ressentiments ihrer Anhänger zu rationalisieren, wie einige AfD-Politiker nur deshalb gegen Radikale kämpften, weil sie alte Rechnungen begleichen wollten und ein demokratisches Gewissen nur heuchelten. Danach folgen Szenarien, wie die AfD an die Macht kommen könnte und wie die Partei Deutschland verändern würde. Im aktualisierten Schlusskapitel befasst er sich mit möglichen Gegenstrategien.
Nur ein Detail aus den letzten Seiten: Justus Bender schreibt, dass die AfD-Wähler Teil der Bevölkerung waren, der mit dem unemotionalen, bürokratischen Politikstil Merkels die grössten Probleme hatte. Olaf Scholz sei in vielem eine Fortsetzung dieses Stils gewesen. Friedrich Merz sei das Gegenteil. Er mache Fehler. Er benutze Wörter, die er später bereu. Er sei emotional. Das müsse nicht bedeuten, dass er die AfD halbiere, wie er einmal angekündigt hat. Aber er sei der Politikertypus, der überhaupt eine Chance habe, der emotionalen Mobilisierung von Rechtspopulisten etwas entgegenzusetzen. Ich würde dem entgegnen, dass Merz mit Sprüchen wie Zuwanderer würden sich auf Steuerzahlerkosten »die Zähne machen«, während deutsche Normalos keine Termine bekämen, oder mit seiner Bemerkung zum «Stadtbild», sich auf das Niveau der AfD begibt, deren Aussagen damit aufwertet und somit das Original am rechten Rand stärkt.
Für den FAZ-Journalisten gibt es nur ein demokratisches Werkzeug, das der AfD in ihrer Geschichte nachweislich geschadet habe, und das seien von Bürgern organisierte Massenproteste. In der ersten Hälfte des Jahres 2024 gingen Hunderttausende Deutsche auf die Straße, um gegen die AfD zu demonstrieren. Auslöser war die Teilnahme von AfD-Vertretern an einer Konferenz in Potsdam, auf der über »Remigration« gesprochen wurde. Die AfD sank in dieser Zeit in den Umfragen des Allensbach-Instituts von 19,5% auf 14%.
Für Justus Bender ist die AfD die Erfindung eines politisch-medialen Perpetuum mobiles, bestehend aus Skandalisierung, Relativisierung, unfreiwilliger Symbiose von AfD und Journalisten, wobei sich Medien, AfD-Politiker und -Anhänger sowie ihre Gegner in TV-Debatten, im Internet, etc. gegenseitig befeuerten. Er bezeichnet die AfD aus drei Gründen (im Buch die Details) als Internetpartei.
Justus Bender schreibt, dass Angela Merkel einst in der Eurokrise von einer »Alternativlosigkeit« deutscher Politik sprach, sei ihr insofern zum Verhängnis geworden, als dass sie so der Alternative für Deutschland bei der Namensfindung geholfen habe. Nach allem, was man über Merkels Absichten wisse, habe sie aber nicht gemeint, dass tatsächlich keine Alternativen vorhanden wären. Sie habe damit vielmehr gemeint, dass es nach rationaler Abwägung aller Optionen nur eine Möglichkeit gebe, die aus ihrer Sicht von allen Alternativen das kleinste Übel darstellte.
Das sind nur einige Informationen aus Was will die AfD? Darin fehlen mir allerdings einige Fakten und Argumente, weshalb die AfD immer grösser wurde. Das Buch ist lesenswert, jedoch nicht das Standardwerk. In den sechzehn Jahren der entscheidungsschwachen Kanzlerin Merkel (2005-2021) blieb zuviel liegen. Sie war vor allem eine Machtpolitikerin. Das müsste ein Buch zur AfD ebenfalls analysieren: fehlende Investionen in die Infrastruktur von der Digitalisierung über Brücken bis zu den Schienen der Deutschen Bahn, zuerst ignorierte, dann im deutschen Alleingang angegangene Migrationskrise, verfehlte Aussenpolitik gegenüber Erdogan, Braunkohle, Atomendlager, Atomausstieg, Öl und Gas aus Russland, militärische Abhängigkeit von den USA, wirtschaftliche Ausrichtung auf China, verfehlte Corona-Politik mit Grenzschliessungen und Lockdowns, etc.
Stimmen für Extremisten und Populisten in AfD, BSW und Linke sind Warnzeichen für Fehler und Versäumnisse der jeweils Regierenden, in deren Reihen Populismus auch nicht unbekannt ist. Dabei bleibt festzuhalten, dass Angela Merkel bei ihrem Abtreten von der politischen Bühne 2021 die populärste Politikerin in Deutschland war. Der Wähler trägt die (Mit-) Verantwortung für den heutigen Reformstau.
Als ergänzende Pflichtlektüre zum Verständnis der AfD ist die Analyse von Michael Kraske und Dirk Laabs zu empfehlen: Angriff auf Deutschland. Die schleichende Machtergreifung der AfD.
Das hier besprochene Buch von Justus Bender: Was will die AfD? Eine Partei verändert Deutschland. Aktualisierte und erweiterte Neuauflage, Pantheon Verlag, 29. Oktober 2025, 224 Seiten. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und das Buch bestellen bei Amazon.de.

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Rezension/Buchkritik von Was will die AfD? Eine Partei verändert Deutschland vom 30. November 2025. Hinzugefügt um 12:12 deutscher Zeit.