Bacon Giacometti

Jul 02, 2018 at 18:29 754

Bacon Giacometti. Der Katalog und die Ausstellung in der Fondation Beyeler

In Zusammenarbeit mit der Fondation Giacometti in Paris fügt die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel ihrer Geschichte eine weitere, herausragende Ausstellung hinzu: Bacon Giacometti.

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Zwei Giganten der Kunst des 20. Jahrhunderts treffen aufeinander. Über 100 herausragende Gemälde und Skupturen sind zu bewundern.

Die Fondation Beyeler hat sich bereits früher den zwei Künstlern angenähert. Zusammen mit dem kunsthistorischen Museum Wien organisierte sie 2004 die monografische Ausstellung Francis Bacon und die Bildtradition, und 2009 widmete sie Alberto Giacometti eine Retrospektive.

Der Kunsthändler und Museumsgründer Ernst Beyeler (1921-2010) gehörte neben Michel Leiris, Isabel Rawsthoren, Jacques Dupin und David Sylvester zu den wenigen Menschen, die beide Künstler persönlich kannten. Als Galerist vermittelte Ernst Beyeler rund 350 Werke von Alberto Giacometti, von Francis Bacon um die 40 Werke, darunter vier Triptychen. Von beiden Künstlern finden sich heute Schlüsselwerke in der Fondation Beyeler. Zudem kam Ernst Beyeler bei der Etablierung der Alberto Giacometti-Stiftung in Zürich neben den Brüdern Hans C. und Walter A. Bechtler sowie Hans Grether eine Schlüsselrolle zu.

Der aus einer Künstlerfamilie stammende Alberto Giacometti (1901-1966) und der Autodidakt Francis Bacon (1909-1992) verbindet vieles. Sie kannten und schätzten sich. Nachdem beide in jungen Jahren dem Surrealismus verbunden waren, wählten sie nach dem Zweiten Weltkrieg bewusst nicht den damals vorherrschenden Weg hin zur Abstraktion, sondern verschrieben sich der menschlichen Figur. Beide bezeichneten ihre Kunst als „realistisch“, wobei sich ihre „Realismus“-Begriffe stark voneinander unterschieden.

Beide verarbeiteten in ihrer Kunst die Erschütterungen, welche der Zweite Weltkrieg ausgelöst hatte. Sie versuchten dem Wesen des Menschen auf den Grund zu gehen. Zu ihren Themen gehörten die komplexen Beziehungen des modernen Menschen zu anderen Individuen und Gruppen, existenzielle Nöte, Ängste und Zwänge, Einsamkeit und Schmerz, Sexualität und Gewalt, Leben und Tod, die Suche nach Schönheit und Wahrheit, wobei beide dabei von Selbstzweifeln und Obsessionen begleitet wurden und sich permanent vom Scheitern bedroht fühlten.

Der Katalogbeitrag des Kunsthistorikers, Kurators und Schriftstellers Michael Peppiatt ist besonders lesenwert. Er hat nicht nur eine Biografie und viele weitere Bücher zu Bacon verfasst, sondern war zudem ein enger Freund des Künstlers, den er als Kritiker rund 30 Jahre lang begleitete. Nicht zuletzt ist er der Gastkurator der Ausstellung Bacon Giacometti in der Fondation Beyeler.

Michael Peppiatt sieht bei „Francis Bacon und Alberto Giacometti: Parallele Sichtweisen einer schrecklichen Wahrheit.“ Beide Künstler waren nach 1945 Verteidiger der figurativen Tradition, wobei Alberto Giacometti im Streit mit den Vertretern der US-amerikanischen Abstraktion zur Gallionsfigur der Europäer wurde. Zu seinen Bewunderern gehörte auch der acht Jahre jüngere Francis Bacon. Es ging um die condition humaine. Giacometti wurde als führender Vertreter des Existenzialimus gehandelt, von dem er sich allerdings später zu distanzieren suchte.

Anders als Eduardo Paolozzi, Lucian Freud, William Turnbull und andere machte sich Francis Bacon allerdings nach dem Krieg nicht sofort auf den Weg nach Paris zum legendär chaotischen Atelier des verehrten Schweizer Bildhauers. Er bewunderte ihn weiterhin aus der Ferne.

Die Werke von Giacometti und Bacon wurden in London 1952 im Institute of Contemporary Arts und 1955 in der Hanover Gallery zusammen ausgestellt. Es sind allerdings bisher keine Dokumente gefunden worden, die belegen, dass sie sich damals getroffen haben. Es ist auch nicht klar, ob sie sich während Bacons wiederholten Paris-Aufenthalten begegnet sind. Hingegen sind ihre Treffen während Giacomettis London-Aufenthalten zwischen 1962 und 1965 belegt. Dazu gibt es unter anderem Fotografien von Graham Keen von 1965, die in der Fondation Beyeler zum Teil zum ersten Mal gezeigt werden.

Laut Michael Peppiatt traf Bacon allerdings einmal Giacometti in Paris und sagte ihm, wie sehr er ihn und sein Werk bewunderte, wobei Bacon Peppiatt gegenüber kein genaues Datum nannte. Hingegen sah er ihn 1955 im Hafen von Cannes an einem Nachbartisch, ohne dass die beiden bei dieser Gelegenheit miteinander gesprochen hätten. Zu einer persönlichen Beziehung kam es erst Jahre später.

Michael Peppiatt schreibt, Isabel Rawsthorne habe es als Ehrensache angesehen, nachdem sie mehrmals sowohl von Giacometti als auch von Bacon porträtiert worden war und mit dem einen wie mit dem anderen enge Freundschaft geschlossen hatte, die beiden zusammenzubringen. Als Giacometti im Vorfeld seiner Retrospektive in der Tate mehrfach nach London kam, habe Rawsthorne eine Reihe von Abendessen für die zwei Künstler in Fitzrovia und Soho organisiert, zu denen sie auch weitere gemeinsame Freunde wie den Schriftsteller Michel Leiris und den Kunstkritiker und Kurator David Sylvester sowie Bacons neuen Lebensgefährten George Dyer einlud.

Michael Peppiatt beschreibt Treffen in berühmten Restaurants, die sich danach in bekannten Clubs fortsetzten. Dazu gehörte natürlich auch Bacons Stammlokal, der Colony Club, in dem der Maler regelmässig Unmengen an Champagner bestellte. Daneben besuchte Bacon die Giacometti-Retrospektive in der Tate Gallery, und Giacometti wiederum war beeindruckt von Bacon neuesten Porträts, die in der Marlborogh Gallery ausgestellt wurden.

Bacon sagte in London zu Giacometti, er halte ihn für den unbstreitbar für den grössten lebenden Künstler, was dieser mit der Entgegnung quittierte, gan im Gegenteil sei Bacon der grösste lebende Künstler.

Laut Michael Peppiatt wusste der acht Jahre jüngere Bacon, dass er Giacometti verschiedene stilistische Kunstgriffe zu verdanken hatte, inbesondere die käfigartige Raumstruktur, die er eindeutig vom Schweizer übernahm und immer wieder als Mittel einsetzte, um die zentralen Figuren hervorzuheben, herauszukristallisieren und die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken, ohne die es seinen Kompositionen an Perspektiefe, an Tiefe gefehlt hätte. Herausragend – nicht nur diesbezüglich – ist Bacons, um 1952 enstandene, grossformatige (198 x 137 cm) Ölgemälde Marching Figures, das sich in Privatbesitz befindet und in der Fondation Beyeler einen der zahlreichen Glanzpunkte der Ausstellung Bacon Giacometti bildet.

Für Michael Peppiatt ist Bacon und Giacometti das Chaos in ihren Ateliers gemeinsam. Für Bacon-Fans ein Muss ist ein Besuch von Dublin. Dort ausgestellt ist Bacons Studio für über 30 Jahre, das sich ursprünglich in London an der Adresse 7 Reece Mews in South Kensington befand. Es blieb bis 1998 unberührt, als es der Bacon-Erbe John Edwards und der Willensvollstrecker Brian Clarke der Hugh Lane Gallery in Dublin, Bacons Geburtsort vermachten. Seit 2001 ist das chaotische Studio von Bacon in Dublin Besuchern zugänglich. Siehe dazu das Buch: 7 Reece Mews: Francis Bacon’s Studio. Foreword by John Edwards, photographs by Perry Ogden. Thames & Hudson, 2001. Das Buch bestellen bei Amazon.co.ukAmazon.de und Amazon.fr.

Laut Michael Peppiatt wurde das Atelier für Bacon wie für Giacometti zum Nabel und Schutzschild ihrer Existenz, fast zum Aufbewahrungsort ihrer Fantasie, das es soe viele für ihre Arbeit wichtige Spuren und Bezugspunkte enthielt, dass schon ihre Anwesenheit in diesem von Farbe beziehungsweise Gips übersäten Chaos genügte, um potenziell aufregende Ideen und Bilder auszulösen. Beide Ateliers glichen einem Archiv ihrer Leistungen, Fehlschläge und Ambitionen. Sie kannten jedes Detail in ihren Studios, jeden Farbfleck und Gipssplitter, und diese Vertrautheit wirkte wie ein Ansporn, der sie motivierte, in ihrer „Suche nach dem Absoluten“ (Sartre). Daher blieben sie ihren Ateliers treu, auch als sie sich längst grössere hätten leisten können.

Zum „Realismus“ vermerkt Peppiatt, Giacometti habe immer wieder betont, sein einziges wahres Zielt sei es zu versuchen, Dinge – egal ob ein Glas, eine Nase oder einen Baum – genau so zu reproduzieren, wie er sie sah, während Bacon von sich sagte, es gehe ihm nur darum, die tiefsten Empfindungen über das Leben zu vermitteln, die er als überzeugter Atheist verspüre (selbst wenn er ein Kreuzigung oder einen Papst dazu als Thema verwenden musste). Auf den Vorwurf schrecklicher Bildmotive antwortete Bacon, sie seien kaum schrecklicher als die Nachrichten, die man täglich in der Zeitung lesen könne.

So wie Giacometti es hasste, in die „existenzialistische“ Schublade geschoben zu werden, so stark war die Aversion Bacons gegen die Qualifizierung seiner Kunst als „expressionistisch“. Peppiatt erwähnt als Gemeinsamkeit zudem den Bezug beider Künstler auf Diego Velázquez, dessen Porträt von Papst Innozenz X aus der Sammlung des Palazzo Doria-Pamphilj beide kopiert hatten. Beide verdankten viel der Kunst der Vergangenheit, angefangen bei der Kunst der Ägypter. Doch auch hier macht Peppiatt bei aller Ähnlichkeit wieder einen Unterschied aus: Während Bacon sich auf wenige grosse Namen wie Michelangelo, Rembrandt, Velázquez, Degas, Manet, van Gogh und Picasso bezog, war Giacometti bei seiner Fähigkeit zur grenzenlosen Bewunderung viel umfassender und verwies auf sämtliche Kunst der Vergangenheit, aller Epochen und Zivilisationen.

Als wesentlichsten Unterschied der zwei Giganten des 20. Jahrhunderts macht Peppiatt den Umstand aus, dass sich bei Giacometti alles, was er tat, auf der Zeichnung gründete, während Bacon bestenfalls elementare zeichnerische Notizen machte. Bacon äusserte gar, weder könne noch wolle er zeichnen. Vorzeichnungen würden nur die von ihm angestrebte Spontaneität behindern. Gleichzeitig erklärte er etwas zweideutig, an Giacometti schätze er am meisten dessen Zeichnungen und nicht dessen Leistungen als Bildhauer oder Maler. Für Giacometti hingegen schien ständiges Zeichnen, Kopieren und Auslöschen und wieder Zeichnen das einzige Mittel zu sein, das ihn befähigte zu reproduzieren, was er sah. Dieses radikale Bekenntnis zur Spontaneität amüsierte Giacometti, der zudem der Meinung war, Bacons mangelndes Zeichentalent sei ein gravierendes Hindernis bei der Schaffung einer dauerhaften, lohnenswerten Bildsprache.

Einen weiteren Unterschied macht Peppiatt bei der Bedeutung des Modells aus. Bacon hatte in seiner Frühphase noch nach lebendigen Vorbildern gearbeitet. Doch nachdem der Fotograf Cecil Beaton, der ihm Modell sass, über das Resultat schockiert war und Bacon dies erfuhr, vernichtete er das Bildnis umgehend und malte fortan nach Fotografien, die er sich zum Teil eigens von seinem Freund, dem Soho-Fotografen John Deakin, anfertigen liess. Fotos von berühmten Gemälden, Kriegsszenen, Affen im Zoo, etc. kamen hinzu und übersäten den Boden seines Ateliers. Für Giacometti hingegen war es ein Glaubensgrundsatz, nach einem unmittelbar vor ihm sitzenden Modell arbeiten zu können.

Giacomettis Bilder sind stumm und in sich gekehrt, Bacons Werke hingegen schrien geradezu nach Aufmerksamkeit, bei Giacometti dominieren Grautöne, Bacon hingegen schwelgte in grell leuchtenden Farben und scharfen Tonkontrasten, so Peppiatt.

Politisch stand Giacometti zu Beginn seiner Karriere der Kommunistischen Partei Frankreichs nahe und blieb der Linken sein ganzes Leben lang treu. Bacon hingegen sah sich als „altmodischen Liberalen“, der sich von einer liberalen Mitte-Rechts-Regierung mehr Freiheit für das Individuum versprach.

Giacometti und Bacon einte das Gefühl der Entfremdung und der Isolation, dass der Mensch der Nachkriegszeit geerbt habe, das Bedürfnis, das Menschenbild zu verzerren, damit es eine neue, schreckliche Wahrheit vermitteln könne, das unerbittliche Bewusstsein, dass alle Sterblichen dazu verdammt seien, in einer Leere zu existieren, so Peppiatt.

Bacon blieb über Giacomettis Tod 1966 hinaus vom Schweizer Künstler dauerhaft beeinflusst und beeindruckt. Seinem Biografen Daniel Farson sagte er, Giacometti habe ihn mehr als irgendein anderer beeinflusst. Dies und noch viel mehr ist dem Katalog zur Aussstellung in der Fondation Beyeler zu entnehmen. Die Fahrt nach Basel ist für jeden Kunstfreund Pflicht.

Die Ausstellung Bacon Giacometti ist noch bis am 2. September 2018 in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel zu sehen. Den deutschen Katalog Bacon Giacometti, Fondation Beyeler, Hatje Cantz Verlag 2018, 202 Seiten, bei Amazon.de bestellen. Order the English version from Amazon.comAmazon.fr and Amazon.co.uk.

Der Ausstellungskatalog bildet die Hauptquelle für diesen Artikel. Zitate und Teilzitate sind zur besseren Lesbarkeit nicht mit Gänsefüsschen ausgezeichnet.