Cecilia Bartoli St Petersburg

Nov 01, 2014 at 16:55 2076

Auf ihrem neuesten Album (Amazon.de) entführt uns der Mezzosopran Cecilia Bartoli ins imperiale Sankt Petersburg. Die Römerin widmet sich der Barockmusik am russischen Hof im 18. Jahrhundert. Wie auf früheren Alben entdeckt sie für uns einige weitgehend vergessene Komponisten neu.

Ihre Entdeckungen machte Cecilia Bartoli im Weltberühmten Mariinsky Theater in Sankt Petersburg. Um den Zugang zu den Archiven dieser Institution bemühte sich der Mezzosopran lange vergeblich, ehe ihr die Unterstützung des Dirigenten Valery Gergiev die Tür öffnete, dem sie deshalb im lesenswerten CD-Büchlein dankt

Laut traditioneller Sicht beginnt Russlands Operntradition mit der Premiere von Glinkas Ein Leben für den Zaren im Jahr 1836. Die Grundlage für die eigene, nationale russische Oper wurde bereits im 18. Jahrhundert gelegt. Drei Zarinnen legten den Grundstein dazu: Anna (1730-40), Elisabeth (1741-61) und Katharina (1762-96).

Das Musikleben zur Zeit von Zarin Anna Iwanowna

Die Zarin Anna Iwanowna war die Halbnichte von Peter dem Grossen. Sie verbrachte die meiste Zeit ihres Lebens in Kurland, im heutigen Lettland gelegen. Sie wandte sich von der traditionellen russischen Lebensweise ab und förderte insbesondere die Musik . Sie brachte eine italienische Operntruppe nach Sankt Petersburg. Über diplomatische Kanäle hatte sie diese für ein Jahr vom Hof des polnischen Königs August II verpflichtet. Eine zweite Operntruppe kam 1733/34 nach Russland, welche die commedia dell’arte ins Land brachte.

Cecilia Bartoli. Ein Photo für das Album St Petersburg im Jahr 2014. Die CD bestellen bei Amazon.deAmazon.comAmazon.co.ukAmazon.fr. Photos © Decca / Uli Weber.

Die Kaiserin Anna baute ab 1732 die bescheidene Hofkapelle zu einem Ernst zu nehmenden Orchester aus. Bereits im Jahr zuvor hatte sie ein Kadettenkorps gegründet, das zwar in erste Linie eine Militärschule war, daneben aber auch eine Ausbildung in Musik, Tanz und anderen Künsten bot. Jean-Baptiste Lande war der Tanzlehrer. Er initiierte, was später als Imperiale Ballettschule von Sankt Petersburg Weltruhm erringen sollte. Talentierte Sänger aus orthodoxen Kirchenchören wurden für Opernaufführungen verpflichtet. Zarin Anna gründete die erste russische Musikakademie. Die Geiger und Komponisten Domenica Dall’Oglio und Lugi Madonis erhielten Einladungen nach Russland.

Die Zarin Anna Iwanowna wollte eigentlich den berühmten Komponisten Nicola Porpora – französischer Artikel zur Kastratenmusik – an ihren Hof rufen, doch dieser lehnte ab. Daher kam der heute vergessene Francesco Domenico Araia als erster russischer Hofkomponist nach Sankt Petersburg. Araia stammt wie Porpora aus Neapel. Er war Komponist, Kapellmeister und Cembalist und kam mit einer dritten italienischen Musikkompanie nach Russland. Später gesellte sich zum ihm der berühmtere Tänzer und Ballettlehrer Antonio Rinaldi (auch als Fossano bzw. Fusano bekannt).

Araias Oper La forza dell’amore et dell’odio war 1734 in Mailand uraufgeführt worden.Zwei Jahre später wurde sie im Sankt Petersburger Winterpalast zur ersten italienischen Oper, die in Russland auf die Bühne kam. Von da an schrieb er jedes Jahr eine neue Oper für den russischen Hof. Solche Werke wurden damals nur zu Krönungen, Jahrestagen der Krönung und andere wichtigen Staatsdaten aufgeführt. Ballette und Oratorien hingegen standen regelmässig auf dem Spielplan, so bei wöchentlichen Banketten und Bällen. Der Austausch zwischen italienischen und russischen Künstlern erwies sich als fruchtbar. Die Kooperation zwischen Ost und West war besser als heute.

Die Musik unter Zarin Elisabeth

Zarin Elisabeth Petrowna Romanowa kam 1741 an die Macht, nach dem Tod der kinderlos gebliebenen Anna. Diese war wegen ihrer repressiven Methoden, ihrem Prunk und ihrer Verschwendung nicht beliebt. Sie hatte kurz vor ihrem Ableben den Baby-Sohn ihrer Nichte als ihren Nachfolger bestimmt, doch Elisabeth, die Tochter von Peter dem Grossen, organisierte einen Staatsstreich und übernahm die Macht. Sie galt als musikalisches Talent und Schönheit.

Zarin Elisabeth war liberaler als ihre Vorgänger und setzte deren nach Westen orientierten Kurs weiter. Sie sang selbst im Chor ihrer privaten Kapelle. Sie unterstützte die Aufführung weltlicher Musik und gründete die Russische Kunstakademie.

Bis Mitte der 1750er Jahre stammten alle am Hof aufgeführten Opern aus der Feder von Domenico Araia. Eine neue Oper wurde pro Jahr aufgeführt. 1755 sang der gefeierte Kastrat Carestini die Titelrolle in Araias Oper Alessandro nell’Indie. Im selben Jahr kam Araias Oper Tsefal i Prokris auf die Bühne. Das Libretto stammte von Alexander Sumarokov, dem Begründer der modernen russischen Literatur. Die Sänger waren nun Russen. Das Libretto selbst war in russischer Sprache abgefasst. Dieses Werk gilt als die erste nationale Oper Russland.

Zuvor schon hatten Studenten aus dem Kadettenkorps Russland erstes Theater gegründet. Es stand unter der Führung des Poeten, Dramatikers und Historikers Alexander Sumarokov.

1755 kam der Cembalist und Komponist Hermann Friedrich Raupach aus Stralsund nach Sankt Petersburg. Nach Araias Entlassung 1759 wurde er dessen Nachfolger als Hofkomponist von Zarin Elisabeth. Die zwei auf von Cecilia Bartoli auf russisch gesungen Arien auf dem Ablum St Petersburg stammen aus Raupbachs Opern Herkulesund Alceste. Alceste wurde 1758 erstmals am Peterhof aufgeführt.

Die Werke zu jener Zeit standen bezüglich ihrem Stil, der Harmonie und der Form bereits an der Grenze zum Klassizismus. Klassische Einfachheit und Chromatik hielten einzig. Entscheidend bei der Entwicklung der Musik vom Barock hin zur Klassik waren die Gastauftritte von Giovanni Battista Locatelli und seiner Opernkompanie. Ab 1759 präsentierten sie mehrfach wöchentlich italienische musikalische Komödien, die den Anfang vom Ende der opera seria am Zarenhof einleiteten.

Die Musik unter Zarin Katharina der Grossen

Nach dem Tod von Zarin Elisabeth Ende 1761 ernannte ihr Nachfolger, Peter III, Vincenzo Manfredini als neuen Hofkomponisten in der Nachfolge des Stralsunder Raupach. Manfredinis heute vergessene Opern gehören zur Musik der Klassik. Seine Zeit war kurz, denn nach nur sechs Monaten verstarb Peter III unerwartet. Seine Frau, Katharina die Grosse, die am Ableben ihres Gatten nicht unschuldig war, übernahm das Zepter. Sie war 1744 von Zarin Elisabeth an den russischen Hof geholt wurden, um ihren Neffen und Nachfolger, den Grossfürsten Peter, zu heiraten.

Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin war Katharina die Grosse nicht wirklich musikalisch. Sie zog die leichten musikalischen Komödien von Giovanni Paisello den strengen Opern vor. Immerhin schrieb sie russische Libretti zur Musik von Komponisten wie dem Italiener Sarti. Vor allem aber war sie ab 1763 der Meinung, dass ihr fortan nur noch europaweit bekannte Namen zur Ehre gereichen würden. Deshalb löste man Baldassare Galuppi aus seinem prestigereichen Vertrag am Dom von San Marco in Venedig und holte ihn nach Sankt Petersburg. Seine Komödien waren hier durch das Wirken von Giovanni Battista Locatelli bereits bekannt.

Cecilia Bartoli. Ein Foto für das Album St Petersburg im Jahr 2014. Das Photo wurde inspiriert von Marlene Dietrichs Rolle in Josef von Sternbergs Film The Scarlett Empress. Schon bei früheren Alben liess sich der Mezzosopran von berühmten Filmen inspirieren, so von Anita Eckbergs Szene im Trevi-Brunnen in Rom in Federico Fellinis Klassiker La Dolce Vita. Photos © Decca / Uli Weber.

Weniger erfolgreich verlief die Zeit des berühmten italienischen Komponisten Domenico Cimarosa von Dezember 1787 bis Juni 1791 in Sankt Petersburg. Katharina sei wenig erbaut gewesen über ihren neuen Hofkomponisten, wird berichtet. Es mag daran gelegen haben, dass sich damals ihr Interesse bereits von der italienischen Oper weg und hin zum französischen Theater bewegt hatte.

Die in Stettin geborene Katharina die Grosse verhalf der Musik und dem Theater zu einem Boom in Russland. Öffentliche Opernhäuser wurden errichtet. Die besten Musiktheater waren private Unternehmen wie jenes des Grafen Scheremetjew, dessen Leibeigenentheater noch heute berühmt ist. Italienische, französische und russische Theatertruppen und Musikgruppen treten in der Zarenhauptstadt auf. Russische Komponisten wie Beresowski, Bortnjanski und Fomin erreichen grosse Popularität und erfinden zum Teil sogar eigene Genres. innerhalb weniger Jahre ist es unter Zarin Katharina den Russen gelungen, ihre ausländischen Lehrer auf den Gebieten der Musik, Architektur, Kunst und Wissenschaft einzuholen.

Das Album St Petersburg von Cecilia Bartoli

Cecilia Bartoli sagte über die italienischen Arien auf ihrem Album St Petersburg, diese seien langsamer, ernster, dramatischer, nostalgischer und melancholischer als die Barockwerke, die damals in Italien geschrieben wurden.

Obwohl die Zeit von Domenico Cimarosa in Sankt Petersburg unter keinem guten Stern stand, zeigt das Album von Cecilia Bartoli mit der Arie “agitata in tanta pene” aus der Komposition von 1788, La vergine del sole, dass der Italiener auch am Zarenhof bemerkenswerte Werke des Genres opera seria schuf. Leider begeisterte sich Katharina die Grosse damals mehr für ihre Favoriten von der Schreibenden Zunft, Diderot and Voltaire.

Das Album St Petersburg enthält elf Weltpremieren mit Musik von Francesco Domenico Araia, Domenico Cimarosa, Domenico Dall’Oglio/Madonis, Hermann Raupach und Vincenzo Manfredini. Im Zeitalter des Barock wurden die meisten Opern auf italienisch geschrieben. Wie erwähnt, singt Cecilia Bartoli zwei Arien von Raupach auf russisch, was für sie nach eigener Aussage eine grosse Herausforderung war. Sie sind Zeugen auf dem Weg zur russischen Nationaloper.

Die erste Arie auf der CD, “Vado a morir”, stammt von Francesco Domenica Araia. Sie wird von Cecilia Bartoli mezza voce gesungen. Das letzte Stück des Albums ist Vincenzo Manfredinis Chor “A noi vivi, donna eccelsa” aus der Oper Carlo Magno. Es offeriert eine spezielle Weltpremiere, nämlich die erste Aufnahme eines Duetts von Cecilia Bartoli mit ihrer Mutter, die auch ihre erste Lehrerin war, dem Sopran Silvana Bazzoni. Begleitet werden die zwei Sängerinnen vom Chor des Orchesters RSI Radiotelevisione svizzera.

I Barocchisti unter der Leitung Diego Fasolis mögen nicht immer den subtilsten Sound erzeugen, dennoch bilden sie eine wertevolle Begleitung und manchmal gar einen Kontrast zum Koloratur-Mezzosopran von Cecilia Bartoli.

St Petersburg bietet einen kleinen Einblick in die Barockmusik, die für den russischen Kaiserhof komponiert wurde. Die Photos des Albums wie auch die Präsentation der CD im Spiegelsaal von Versailles demonstrieren die Kunst von Cecilia Bartoli, ihre Alben immer adäquat zu präsentieren.

Das Album: Cecilia Bartoli mit dem Orchester I Barocchisti unter der Leitung von Dirigent Diego Fasolis: St Petersburg. Das CD-Begleitbüchlein bietet umfangreiche, lesenswerte Informationen, auf denen dieser Artikel weitgehend beruht. St Petersburg bestellen bei Amazon.deAmazon.comAmazon.co.ukAmazon.fr.