Biografie von Richard Wagner

Apr 02, 2013 at 00:00 1367

Vor 200 Jahren, am 22. Mai 1813, erblickte Richard Wagner das Licht der Welt. Er revolutionierte die Musikwelt, insbesondere die Oper, die Dirigierkunst, die Harmonik, den Musiktheaterbau, führte die Leitmotivtechnik ein und schuf das Gesamtkunstwerk. Berüchtigt war er für seinen Charakter, seine Geldprobleme, seine Frauengeschichten sowie antisemitische Ausfälle wie die Schrift Das Judenthum in der Musik (Volltext bei Wikipedia zu lesen). Das Echo war dementsprechend geteilt: Genie, Ekstatiker, Erneuerer, Scharlatan, Rattenfänger und Weltzerstörer wurde er genannt.

Der „Hofbiograf“ Wagners, Carl Friedrich Glasenapp, verfasste unter der Aufsicht des Komponisten eine zweibändige Biografie, die 1876 und 1877 erschien. Nach Wagners Tod 1883 in Venedig wurde das Werk unter der Leitung seiner Witwe und zweiten Frau, Cosima Wagner, einer Tochter des Komponisten, Pianisten und Dirigenten Franz Liszt, auf sechs Bände ausgedehnt. Walter Hansen schreibt dazu, Glasenapps Wagner-Biographie biete „eine Fülle interessant zu lesender Details, von denen allerdings nur ein Teil wahr und der andere Teil halbwahr oder vollends aus den Fingern gesogen“ sei. „Zum Ausgleich hat Glasenapp wichtige Fakten und Zusammenhänge unterschlagen.“ Laut Walter Hansen war dieser Biograf der erste unter den Wagner-Schmeichlern, auf den bis heute liebdienerische Autoren folgten, „die unkritisch aus seinem Werk zitieren und damit das Bild Wagners mit Weihrauch vernebeln.“

Walter Hansen hat eine unterhaltsame und kenntnisreiche Biografie von Richard Wagner verfasst (dtv 2006, Neuauflage 2013; bestellen bei Amazon.de). Das Buch fesselt den Leser von Anfang bis Ende. Das liegt nicht nur am Autor, sondern auch am unglaublichen Leben des Komponisten. Das Wagner-Gedenkjahr 2013 hat uns bereits eine Fülle an Wagner-Büchern beschert, auf die noch viele weitere folgen werden. Wir begnügen uns hier mit der Biographie von Walter Hansen.

Richard Wagners amtliche ausgewiesener Vater, Friedrich Wagner, war Polizeiaktuarius in Leipzig, Schriftführer im Polizeipräsidium und laut Walter Hansen „ein geistreicher Hallodri mit Hang zur Schauspielerei und zu Schauspielerinnen.“ Sein bester Freund war der gutmütige und vielseitig begabte Schauspieler, Maler und Dichter Ludwig Geyer, der sich der Familie nach dem Typhus-Tod von Friedrich Wagner annahm; Richard war damals erst 6 Monate alt. Gerüchte kursieren bis heute, dass Geyer der eigentliche Vater von Richard gewesen sei, doch wie Walter Hansen bemerkt, fehlen bis heute dafür Beweise. Entscheiden sei allein, dass es der Komponist selbst nicht wusste, weshalb die Frage nach dem Vater in Wagners Werken immer wieder auftauche, so der Biograf. Richard Wagner hiess übrigens bis zu seinem 15. Geburtstag Geyer, ehe er wieder den Namen Wagner annahm.

„Wer ist dein Vater?“, fragt Gurnemanz den Gralskönig Parsifal. „Ich weiss es nicht“, lautet dessen Antwort. Die Liste solcher Beispiele aus den Werken Richard Wagners ist lang, wie Walter Hansen belegt.

Die Frage nach dem Vater betrifft sogar Wagner Mutter Johanna Rosine, die 1778 (oder 1774, je nach Historiker) amtlich ausgewiesen als Tochter des Bäckers Johann Gottlob Pätz aus Weissenfels und der Dorothea Erdmuthe Pätz, geborene Iglisch, zur Welt kam. Johanna Rosine kam nach Leipzig in ein Internat für junge Aristokratinnen, das für einen Bäcker eigentlich unbezahlbar war und das Bäckerstöchtern normalerweise verschlossen blieb. Der anonyme Geldgeber konnte später als Prinz Constantin von Sachsen-Weimar-Eisenach identifiziert werden. Er war ein Bruder des Erbprinzen und späteren Grossherzogs Carl August, der als fürstlicher Freund Goethes in die Literaturgeschichte einging. Da beide Prinzen als erotische Draufgänger bekannt waren, die illegitime Kinder kurz nach der Geburt unauffällig einer kinderreichen Familie übergaben, stellt sich die Frage, ob Richard Wagners Mutter eine uneheliche Prinzentochter war. Walter Hansen meint auch hierzu, dass nichts bewiesen sei. Der Komponist selbst wusste es nicht. Doch die geheimnisvolle hohe Geburt bildet ein wiederkehrendes Motiv in den Werken von Richard Wagner.

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Richard Wagners Leben hat viel „von einer Komödie an sich, und zwar von einer merkwürdig grotesken“, bemerkte Friedrich Nietzsche, ein junger Freund und glühender Bewunderer Wagners, der sich später zu einem Feind und Kritiker entwickelte. Richard Wagner war „diabolisch, arrogant, rücksichtslos – aber auch weichherzig, fair, verletzlich und wesentlich lustiger, als viele Biographen weismachen wollen“, so Walter Hansen, der das doppelbödige Wesen des Komponisten ausleuchtet. Er schreibt von der „Hochspannung, die bestimmend ist für Richard Wagners Dämonie und Naivität, für seinen Charme und seine Schlitzohrigkeit, für Verzeihliches und Unverzeihliches, für Begreifliches und Unbegreifliches, für seine unberechenbaren Beziehungen zu Frauen, Freunden und Feinden, für die Entfaltung seiner Schöpferkraft und die Hemmungslosigkeit beim Ringen um sein Werk“.

Walter Hansen hat seine Wagner-Biografie auf 360 Seiten beschränkt. Viele auf wenigen Zeilen abgehandelte Ereignisse könnte man mit Leichtigkeit zu vollen Romanen und Kinofilmen verarbeiten.

Richard Wagner wurde in seiner Jugend mehrfach herumgereicht. So lebte er 1822 im Thomé’schen Haus am Markt in Leipzig bei Geschwistern seine verstorbenen Vaters Friedrich Wagner. In jenem Haus hatte nicht nur Napoleon vor der Völkerschlacht bei Leipzig sein Quartier aufgeschlagen, hier war auch König Friedrich August I verhaftet worden. Richard wohnte im Hinterhofzimmer bei der zur „alten Jungfer gewordenen“ Tante Friederike und dem eigenbrötlerischen Bücherwurm Onkel Adolf. Das Thomé’sche Hause wurde das „Königshaus“ genannt, weil hier seit 120 Jahren alle sächsischen Könige bei ihren Leipzig-Besuchen zu Gast in prunkvoll ausgestatteten Fürstensuiten waren. Hier durfte der kleine Richard spielen und im Fürstenbett schlafen. Der Aufenthalt bliebt nur eine Episode von wenigen Tagen, weil der Kleine Onkel Adolf rasch auf die Nerven ging und wieder zu seiner Mutter und seinen Schwestern nach Dresden gesandt wurde. Dennoch hat diese Episode Richards Fantasie angeregt.

Solche Geschichten gibt es im Leben von Richard Wagner im Dutzend. Der Junge lebte im Alter von 10 bis 13 Jahren unter dem Regiment der Mutter mit vier älteren und einer jüngeren Schwester. Schwester Rosalie wurde 1826 „Königliche Hofschauspielerin“ mit einem vorteilhaften Engagement am Deutschen Theater in Prag, was sie zur Ernährerin der Familie machte. Einzig Richard durfte nicht mit nach Prag. Er blieb in der Familie seines Schul- und Jugendfreundes Rudolf Böhme, in der er als Kostgänger geduldet wurde.

Schon als Jugendlicher wollte Richard Wagner Komponist werden. Als er die Siebte und die Neunte von Beethoven hörte, waren dies für ihn Offenbarungen. Mit 15 hatte er sich, ohne Wissen der Familie und ohne ihn selbst bezahlen zu können, für ein paar Monate den Gewandhaus-Musiker Gottlieb Müller als Kompositionslehrer engagiert. Nach wenigen Monaten erfüllten ihn jedoch die Lehren von Müller „mit grossem Widerwillen. Die Musik war mir durchaus nur ein Dämonium, eine mystisch erhabene Ungeheuerlichkeit; alles Regelhafte schien sie mir durchaus zu entstellen“.

Im April 1829 hörte Richard Wagner die 26jährige, wunderschöne Primadonna assoluta Wilhelmine Schröder-Devrient als Leonore in Beethovens Oper „Fidelio“. Es war ein Schlüsselerlebnis für den Jungen, so Walter Hansen. Noch in jener Nacht schrieb er der Sängerin einen glühenden Brief. Später sollte er für sie Stücke bzw. Rollen komponieren.

Richard Wagner polarisierte künstlerisch und menschlich. Sein Leben war gekennzeichnet durch glückliche Zufälle. Als Student forderte er so zum Beispiel viele Duellgegner heraus, die sich alle selbst erledigten. Wundersame Wendungen pflasterten seinen Weg. So rettete ihn König Ludwig II von Bayern vor dem finanziellen Ruin. Frauengeschichten gehörten zum Komponisten wie das Salz in die Suppe. Obwohl er kleinwüchsig war, lag ihm die Frauenwelt zu Füssen. Er hatte Affären mit Frauen von Gönnern und Freunden; der Seidenhändler Otto Wesendonck und der Dirigent Hans von Bülow gehörten zu den Gehörnten. Geldprobleme plagten ihn bis fast zuletzt. Wenn er welches hatte, schmiss er damit nur so um sich, bis er wieder hoch verschuldet war. Wenn er komponierte, brauchte er verschwenderischen Luxus. Glühende Verehrer und Verehrerinnen seiner Kunst halfen ihm immer wieder aus unmöglichen Situationen heraus. Einige inspirierten ihn. Er musste einige Niederlagen einstecken (so in Paris) und konnte künstlerische Erfolge feiern wie sonst wohl kaum ein Komponist des 19. Jahrhunderts.

Richard Wagner floh nicht nur vor Gläubigern, sondern auch wegen revolutionärer Umtriebe im politischen Sinn. Dennoch half ihm ein König fürstlich. König Ludwig II von Bayern, ein ebenso massloser Mensch wie Richard Wagner selbst, versprach dem Opern-Fürsten zwei Theater, die allerdings nie gebaut wurden. Doch finanziell unterstützte der König den Komponisten grosszügig – mit dem Geld seiner Untertanen. Trotz aller Widrigkeiten gelang es Richard Wagner zuletzt in Bayreuth das von ihm gewünschte Opernhaus auf die Beine zu stellen, auch wenn danach bei der Premiere fast alles schief lief.

Am 14. September 1882 reiste Richard Wagner mit seiner Frau Cosima, den Kindern, dem russischen Maler, Bühnenbildner und Schriftsteller Paul von Joukowsky (einem Freund des amerikanischen Schriftstellers Henry James, von dem er sich gerade trennte, als er Wagner kennenlernte), Diener Georg, Kammerjungfer Betty und einer Köchin nach Venedig.

Walter Hansen beschreibt, wie Wagners Umgebung in Venedig unter dem unberechenbaren Wechsel von Jähzorn-Anfällen und überschäumender Herzlichkeit des Komponisten litt. Am 13. Februar 1883 stritt er sich mit seiner Frau Cosima beim Frühstück. Wagner zog sich in sein Arbeitszimmer zurück. Cosima spielte weinend am Klavier Schuberts „Lob der Tränen“. Wagner schrieb an seinem Aufsatz „Über das Weibliche im Menschlichen“ gerade den Satz: „Gleichwohl geht dem Prozess der Emanzipation des Weibes nur unter ekstatischen Zuckungen vor sich. Liebe – Tragik …“ Da entglitt ihm die Feder. Er sank auf die Tischplatte und konnte gerade noch die Klingel ziehen. Das Zimmermädchen Betty hörte ihn noch sagen: „Meine Frau – den Doktor.“ Der Diener Georg legte ihn aufs Ruhebett. Cosima umarmte ihren Mann. Als der Arzt eintraf, hielt sie einen Toten in ihren Armen.

Richard Wagner wurde am 18. Februar 1883 im Garten seiner Bayreuther Villa Wahnfried beigesetzt. Seine Grabplatte ist namenlos.


Lieber Leser, sie werden sich fragen, wo bleibt die Biografie? Die würde Hunderte von Seiten füllen. Das hat Walter Hansen gemacht. Zusammenfassen lässt sich so ein Leben nicht. Bestellen Sie die faszinierende Biografie bei Amazon.de (Walter Hansen: Richard Wagner, dtv 2006, Neuauflage 2013).


Hinzugefügt am 26. Mai 2013: Die CD Wagner in Switzerland wurde 2013 bei Sony RCA Red Seal in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Radio SRF veröffentlicht. Die CD enthält Live-Aufnahmen aus dem Jahr 2012 mit dem Tonhalle-Orchesters Zürich unter der Leitung des herausragenden Dirigenten David Zinman. In der Tonhalle Zürich spielten sie aus dem Fliegenden Holländer die Ouvertüre und „Die Frist ist um“; aus dem Rheingold „Abendlich strahlt der Sonne Auge“; aus der Walküre den Walkürenritt und „Leb wohl, du kühnes herzliches Kind“; aus der Götterdämmerung den Sonnenaufgang und Siegfrieds Rheinfahrt. Den Holländer und den Wotan – zwei seiner Paraderollen – singt der lettische Bassbariton Egils Silins. Dies sind knapp 68 Minuten herausragender Musik aus der Schweiz! Die CD mit Infos und Illustrationen auf 84 Seiten bestellen bei Amazon.de.