Zum Brexit ist eigentlich schon alles gesagt worden. Einige wichtige Punkte hier noch einmal zusammengefasst. Boris Johnson und die Brexiters leben in einer Parallelwelt. Den harten Brexit, so wie sie ihn verkauft haben, gibt es nicht. Wer ungehinderten Zugang zum Europäischen Binnenmarkt will, der muss Normen, Produktzulassungen und vieles mehr akzeptieren, gewisse Regeln einhalten.
Die Situation ist völlig verfahren, ja gefährlich. Die EU ist nicht einfach nur ein Binnenmarkt, eine Freihandelszone und eine Zollunion. Es geht nicht nur um die vier Freiheiten, die reibungslose Verschiebung von Gütern, Dienstleistungen, Menschen und Kapital. Die EU ist nicht zuletzt ein Friedensprojekt. Seit dem Zweiten Weltkrieg herrscht hier Frieden. Die Länder der EU bekriegen sich nicht mehr, so wie es früher regelmässig und mit verheerenden Folgen der Fall war.
Wir leben in der globalisierten, vernetzten Welt, in der es internationale Lieferketten gibt. So einfach aus der EU austreten und meinen, mit der Unterschrift unter einen harten Brexit sei es getan, ist eine Illusion. Mit dem von Boris Johnson für den 31. Oktober angestrebten Brexit wäre das ganze Drama nicht vorbei, sondern es würde erst anfangen. Das Vereinigte Königreich bestehend aus England, Schottland, Wales und Nordirland müsste nun allerlei Verträge neu aushandeln. Mit der EU. Mit der ganzen Welt. So etwas dauert Jahre. Kurzfristig käme es zu Verwerfungen. Langfristig wäre das Vereinigte Königkreich natürlich alleine lebensfähig, doch es würde nicht wirklich Sinn machen, denn das Vereinigte Königreich ist nur noch eine kleine Macht in der grossen Welt.
Natürlich ist London das bedeutendste Finanzzentrum der Welt, allerdings nicht zuletzt, weil es Teil der EU ist, Teil des EU Binnenmarktes, vom Freien Kapital- und Zahlungsverkehr zwischen den EU-Mitgliedstaaten profitiert. London hat denn auch, natürlich nicht nur und nicht vor allem aus diesem Grund, doch auch deswegen, beim Brexit-Referendum ganz klar für den Verbleib in der EU gestimmt. So war es ebenfalls in Schottland, wo die sozialdemokratischen Nationalisten nun erneut ein Unabhängigkeitsreferendum anstreben.
In Nordirland und Irland sind viele über die Wiedererrichtung von Grenzposten und Grenzkontrollen auf der Insel bei einem ungeregelten, harten Brexit beunruhigt. Der Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken könnte wieder auffflammen. Nordirland gehört ja nicht zu Grossbritannien, sondern ist nur Teil des Vereinigten Königreichs. Schon jetzt ist die Lage kompliziert. Seit den Wahlen vom 2. März 2017 zur Northern Ireland Assembly konnten sich die Parteien nicht auf eine regionale Exekutive einigen. Die Posten des First Ministers und des depuity First Ministers (trotz ihrer Titel gleichberechtigt), sind seither vakant!
Die protestantischen Unionisten der nordirischen DUP sind auf der Ebene des Vereinigten Königreichs mit den Tories verbunden. Bei den von Theresa May angesetzten Unterhauswahlen vom 8. Juni 2017 verloren die Konservativen ihre Mehrheit der Sitze und mussten so die 10 Abgeordneten der DUP in eine Koalitionsregierung aufnehmen, um weiterhin an der Macht zu bleiben.
Der Theresa May am 24. Juli 2019 nachfolgende Premierminister Boris Johnson hat diese Mehrheit im Unterhaus bereits wieder verloren. Zuerst verliess Phillip Lee die Partei, weshalb die Mehrheit von einer Stimme im Unterhaus verloren ging. Dann stimmten 21 Tories mit der Opposition für die Verhinderung eines ungeregelten harten Brexits. Daraufhin warf der Premierminister die 21 Rebellen aus der Konservativen Partei hinaus. Dazu gehören so prominente Tories wie die mehrfachen Minister Kenneth Clarke und Philip Hammond sowie der Enkel von Winston Churchill, Nicholas Soames. Danach haben noch der Bruder von Boris, Jo Johnson, sowie Amber Rudd die Regierung verlassen. Boris Johnson ist daher heute weit von einer Mehrheit im Unterhaus entfernt.
Boris Johnson und die Brexiters leben weiterhin in einer Schweinwelt. Fakten spielen keine Rolle mehr. Dass der Premierminister es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, ist längst bekannt. Viele Anekdoten aus seiner Zeit als Korrespondent in Brüssel zeugen davon, wie er die Wahrheit verdreht, ja Stories schon einmal erfindet. Während der Brexit-Kampagne nahm es der ehemalige Bürgermeister von London mit den Fakten ebenfalls nicht so genau. Bei Boris geht es vor allem um Boris. Um den Brexit geht es ihm gar nicht. Noch 2016 äusserte er sich klar gegenüber der Journalistin Marion Van Renterghem, sie werde kein Nest von Spinnern (not a nest of nuts) in London finden, die aus der EU austreten wollten. Kurz darauf wurde er mit Nigel Farage von UKIP zu dem Gesicht der Leave-Kampagne.
Boris Johnson ist ein Getriebener. Die erst am 20. Janvier 2019 gegründete Brexit Party und ihr populistischer, charismatischer Führer Nigel Farage bestimmen die Agenda, zusammen mit den Anhängern eines ungeregelten Brexits innerhalb der Konservativen Partei. Bei den Europawahlen 2019 gewann die Brexit Party 30,74% und wurde stärkste Partei. Die proeuropäischen Liberaldemokraten kamen dahinter mit 19,75% auf den zweiten Platz, gefolgt von Labour mit nur 13,72% und den Grünen mit 11,76%. Die damals noch von Theresa May angeführten Tories landeten mit 8,84% nur auf dem fünften Platz! Seither hat sich der Wind gedreht, denn der neue Parteiführer und Premierminister Boris Johnson verspricht den Brexit für den 31. Oktober. Doch sein Brexit ist eine Illusion.
Nigel Farage, Boris Johnson und die Brexiters leben in einem Paralleluniversum. Sie glauben, sie könnten aus der EU austreten, jedoch die Vorteile des Binnenmarktes und der Zollunion behalten. Gleichzeitig wollen sie Freihandelsabkommen mit Ländern rund um den Globus schliessen. Sie vergessen dabei, dass das Vereinigte Königkreich rund die Hälfte seines Handels (Importe und Exporte) mit der EU abwickelt, was auf der Akzeptierung von EU-Regeln und -Normen beruht.
Boris Johnson verspricht sich viel von einem Freihandelsabkommen mit Donald Trump. Dummerweise ist der amerikanische Präsident ein Protektionist, der Handel als Nullsummenspiel zu betrachten scheint. Er ist geradezu eine Gefahr für den Freihandel. Das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP sowie die asiatische Trans-Pacific Partnership (TPP) hat er mutwillig versenkt. Trumps Slogan lautet America First.
Der Brexit macht ökonomisch und strategisch keinen Sinn. Das Vereinigte Königkreich ist die zweitgrösste Volkswirtschaft der EU gerade weil sie Teil der EU ist. Treten die Briten aus, könnten sie die zukünftige EU-Gesetzgebung nicht mehr beeinflussen, müssten aber, um Handel mit der EU zu treiben, deren Regeln weiter befolgen. Zudem würden innerhalb der EU die Freihandelsbefürworter wie Deutschland und die Niederlande geschwächt, der «Club Med» der Südländer Italien, Spanien, Portugal und Griechenland gestärkt werden. Wer zudem die EU-Landwirtschaftspolitik und andere Fehler der EU korrigieren will, muss Mitglied der EU bleiben.
Bei einem ungeregelten wie bei einem weichen Brexit würden alle verlieren, das Vereinigte Königreich wie die in der EU verbleibenden 27 Länder. So würde die bereits schwächelnde deutsche Automobilindustrie hart getroffen werden. Doch die gravierendsten Folgen hätte der Brexit für die Briten, da die Situation asymmetrisch ist, die Briten mehr von der EU abhängen als die einzelnen EU-Länder von den Briten.
Leider macht die Opposition keinen guten Eindruck. Der Labour-Führer Jeremy Corbyn ist ein linker Spinner, der den Untergang der Sowjetunion bedauert, ein Freund der Venezolander Chavez und Maduro war bzw. ist, und in der Frage des Brexit lange keine klare Haltung an den Tag legte. Als die Briten in die EU drängten, waren es die Konservativen, die dafür waren. Jeremy Corbyn stimmte damals dagegen. Bis heute steht der Labour-Führer der EU skeptisch gegenüber. Die Labour-Wähler sind mehrheitlich pro-EU, jedoch eine deutliche Minderheit ist dagegen, weshalb Corbyn eine klare pro-EU Haltung lange vermied, und ihm heute in der Frage viele misstrauen.
Klar pro-EU sind die Liberaldemokraten und die Grünen. Können sie sich zusammen mit den Tory-Rebellen und den vernünftigen innerhalb von Labour auf einen klaren Kurs und eventuell auf einen Übergangspremierminister einigen?
Das Vereinigte Königreich hat bereits den „besten Deal“. Dieser nennt sich EU-Mitgliedschaft. EU-Richter haben klargemacht, die Briten könnten unilateral das EU-Austrittsgesuch nach Artikel 50 zurücknehmen und in der EU verbleiben, ohne dass die anderen 27 EU-Mitgliedsstaaten dazu etwas sagen (abstimmen) müssten. Dies wäre die beste und einfachste Lösung für alle. Noch sind wir weit davon entfernt. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
In den USA geht wohl ein Konjunkturzyklus zu Ende. Hinzu kommen eine gefährliche Budget-Schieflage und hohe Staatsschulden sowie der von Präsident Trump angezettelte Handelskrieg mit China und mit der EU. In Italien sind die Staatsschulden in den Händen einer neuen Regierung, der man nicht richtig trauen kann. In dieser Situation einen wie immer gearteten Brexit anzustreben, macht erst recht keinen Sinn.
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Das offizielle Photo von Boris Johnson aus seiner Zeit als Aussenminister / Official photo as Foreign Secretary. Photo credit: www.gov.uk.
Artikel vom 9. September 2019 umd 12:13 deutscher Zeit.