Die zwei Journalistinnen Nina Horaczek und Barbara Toth der linksliberal-alternativen Wiener Wochenzeitung Falter haben 2017 mit Sebastian Kurz. Österreichs neues Wunderkind? eine erste, mit 128 Seiten dünne Biografie zum neuen Bundeskanzler vorgelegt (Amazon.de).
Im Prolog nennen die Autorinnen „Kontrolle“ als das Wort, das Sebastian Kurz beschreibe. Er sei die „personifizierte Selbstkontrolle“. Wenn er auftrete, überlasse er nichts dem Zufall, seine Sätze seien wie gestanzt und er spreche nahezu druckreif. Sein persönliches Team bestehe aus einer Handvoll Jugendfreunde. Er habe das Team im Griff, das Team halte ihm die Partei im Griff.
Nina Horaczek und Barbara Toth stellen fest: „Kein Bruch, kein Umweg stört den Karriereweg dieses Wunderkindes der konservativen Politik, von seinem nicht abgeschlossen Studium abgesehen — aber selbst das lässt sich rechtfertigen“. Zurecht verweisen sie auf die guten Gründe: Wer werde schon mit 24 Staatssekretär, mit 27 Aussenminister und mit 31 Chef einer Partei, Wahlsieger und bald Kanzler? Seit dem Abschluss des Buches Ende November 2017 ist Sebastian Kurz in der Tat wie erwartet zum Regierungschef gewählt worden.
Er habe es als „Wunderkind“ in die internationalen Schlagzeilen geschafft und werde in einem Atemzug mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und den kanadischen Premierminister Justin Trudeau genannt.
Seinen Weg an die Spitze des Staates bezeichnen die Journalistinnen als eine der „am besten vorbereiteten und professionellsten Machtübernahmen in der Geschichte der österreichischen Nachkriegszeit“.
Zum Privatleben von Sebastian Kurz ist wenig bekannt. Nina Horaczek und Barbara Toth beschreiben ihn als „Durchschnittsmenschen ohne Allüren und Eitelkeiten. Sportler, Tierliebhaber, Langzeitfreundin, Eltern aus dem städtischen Mittelstand, Grosseltern vom Land.“
Wer nun einen Verriss aus links-alternativer Sicht erwartet, wird angenehm überrascht — trotz dem obligaten Hinweis auf den bösen „Neoliberalismus“ und die damit einhergehende „Entsolidarisierung“. Bei aller Kritik an Kurz ist das Buch nicht einseitig. Die Autorinnen schreiben selbst, es handle sich „weder um eine Jubelbiografie noch eine Abrechnung, sondern eine gründliche Rekonstruktion seiner bisherigen Laufbahn sowie ein politisches Porträt.“ Allerdings fehlt es ihrem Werk hier und dort an Tiefe. Das hat mehrere Gründe. Das Buch beruht weitgehend auf dem journalistischen Wissen, das sich der aufmerksame Zeitungsleser ebenfalls zulegen konnte. Die Kürze des Buches limitiert ins Detail gehende Exkurse. Zudem ist Sebastian Kurz noch sehr jung. Dennoch sollten die Autorinnen bei einer allfälligen Neuauflage ihren Text substantiell erweitern und insbesondere dort weiterrecherchieren, wo jetzt erst Andeutungen zu finden sind.
Nina Horaczek und Barbara Toth schreiben, Sebastian Kurz. Österreichs neues Wunderkind? sei im Laufe des Nationalratswahlkampfes 2017 mit dem Wissen von Sebastian Kurz, aber ohne seine Unterstützung entstanden. Mehrere Anfragen um einen Gesprächstermin mit ihm seien ohne Ergebnis geblieben. Allerdings habe er zugestimmt, dass sein Büro Fragen zu seiner Person beantworte. Sie, die Autorinnen, hätten sich entlang einer biografischen Achse dem Phänomen Kurz über sechs Perspektiven genähert: Macht, Familie, Freiheit, Leistung, Sicherheit und Veränderung.
„Diese sechs Perspektiven ergeben eine Art persönliches, politisches Programm von Sebastian Kurz, und das ist kein Zufall. Kurz ist ein Politiker, der mehr aus sich heraus agiert, aus seinem persönlichen Empfinden und seiner — in Jahren vielleicht geringen, aber trotzdem intensiven und dichten — Lebenserfahrung, als dass er sich von Traditionen und Ideologien leiten lässt.“ Er sei ein Produkt seiner Generation, der Ära der Post-Demokratie, Post-Ideologie und des Post-Populismus.
Was ist damit gemeint? Noch leben wir in Demokratien, auch wenn einige morsch sind. Am Schluss des Buches wird dazu die Soziologin Isolde Charim — typischerweise aus einer Zeitung — zitiert: Kurz sei ein Art Messias der Postdemokratie, „also einer formell demokratischen Fassade für Lobbyinteressen“.
Und was ist Post-Populismus? Wir erleben ja gerade wieder eine Blütezeit des Populismus. Die Autorinnen meinen, wieder besser verständlich, das Einzige, worauf sich Menschen der Prägung von Sebastian Kurz zu verlassen glauben könnten, sei ihr „selbstbestimmtes und selbstoptimiertes Ich.“ Das mache die Faszination von Kurz aus. Und das mache ihn „zu einem so wandlungsfähigen wie gleichzeitig unberechenbaren Politiker.“ Er habe sich bereits mehrfach in seiner rasanten Karriere neu erfunden.
Die Autorinnen betonen, Sebastian Kurz sei ein blendender Kommunikator und Stratege, ein Meister des Effekts. Seine Lieblingsrolle sei jene des Coaches und Motivators, nicht des Umsetzers. Er kümmere sich nicht um Details, sondern sei, wenn es kompliziert werde, bereits beim nächsten grossen Wurf. Was seinem bis zuletzt makellosen Image schaden würde müsse weggedrückt oder weitergereicht werden. Die Autorinnen attestieren ihm einen Teflon-Effekt. Da wäre der Hinweis auf Angela Merkel gerechtfertigt gewesen, an der zumindest bis vor kurzem ebenfalls kaum etwas haften blieb.
Obwohl Sebastian Kurz sich als Nicht-Politiker andiene, sei er „das typische Produkt parteiischer, österreichischer Elitenbildung“. Er habe fast alle ÖVP-Nachwuchs-Förderprogramme durchlaufen und früh an seinem Karrierenetzwerk gebastelt. Er habe das täuschen, tarnen und durchstechen gelernt, weshalb man sich den Machtpolitiker Kurz nicht als Gegner aussuchen wolle.
Nina Horaczek und Barbara Toth enden ihren Prolog mit der Prophezeiung, die Erwartungen an Sebastian Kurz seien derart hoch, dass er diese gar nicht erfüllen könne. Ich würde sagen, scheitert Sebastian Kurz mit seiner türkis-blauen Koalition, wird es bald heissen: Zu kurz gesprungen! Wobei sich dann die Frage stellt, wen kann die ÖVP aufbieten, um dem Wunderkind nachzufolgen?
Mit einem nahezu fehlerfreien Wahlkampf, nach amerikanischem Vorbild als Bürgerbewegung, sei es Kurz gelungen, Straches FPÖ auf den dritten Platz zu verweisen. Dass in Österreich nun als Preis für diesen Wahlsieg „ein Ruck nach ganz rechts“ bevorstehen könnte, wie von den Autorinnen befürchtet, scheint übertrieben. Sie beschreiben Kurz als „politisches Start-Up, im Stil eine Kopie von Macrons <En marche>, in den Inhalten eine Art ÖVP light …“ Gegen Ende des Buches schreiben sie, Kurz sei „kein Rechtspopulist klassischen Zuschnitts… Aber die Übernahme fast aller Positionen der FPÖ im Wahlkampf Hauptthema Migration zeigt einen bedenklichen Schwenk der ÖVP“.
Österreich hat prozentual zur Gesamtbevölkerung 2015 mehr Migranten aufgenommen als Deutschland. Dass man dies nicht so schnell wiederholen kann, sollte auch den Autorinnen klar sein, die schreiben, Kurz habe sich im Wahlkampf (2017) „als freundlicher Rechtspopulist positioniert“. Österreich hat seinen Teil im Gegensatz zu allen anderen EU-Ländern mit Ausnahme von Deutschland und Schweden zur „Bewältigung“ der Krise beigetragen. Am Schluss war Deutschland gar völlig isoliert.
Die zwei Facebook-Seiten voller Negative-Campaigning gegen Kern des von der SPÖ gut bezahlten externen Politberaters Tal Silberstein habe perfekt in das von der ÖVP aufgebaute Bild des „wir sind die Sauberen“ gepasst, so unsere Autorinnen. Zu dieser Geschichte gäbe es allerdings noch andere Perspektiven.
Uneinig seien sich die Wahlforscher, ob der Silberstein-Skandal am Ende nicht am meisten der FPÖ geholfen habe. Die 31,5% für Kurz (für die ÖVP) seien 3% niedriger ausgefallen als in den letzten veröffentlichten Umfragen prognostiziert.
Dies sind nur wenige Details aus dem flüssig geschriebenen Buch. Es liest sich rasch und fasst vor allem zusammen, was wir heute über allerlei Publikationen bereits über Sebastian Kurz wissen. Auch wer den Autorinnen in ihrem Urteil nicht immer zustimmen kann, findet doch allerlei Wissenswertes zum österreichischen „Wunderkind“.
Nina Horaczek und Barbara Toth haben die erste Biografie von Sebastian Kurz verfasst. Eine zweite, von Bild Chefreporter Paul Ronzheimer, kommt in den nächsten Tagen auf den Markt. Der junge Mann an der Spitze der Regierung beschäftigt Journalisten nicht nur in Österreich.
Nina Horaczek und Barbara Toth: Sebastian Kurz. Österreichs neues Wunderkind? Residenz Verlag, 2017, 128 Seiten. Das Buch bestellen bei Amazon.de.
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Artikel vom 1. Februar 2018 um 00:01 Berliner Zeit.