Caspar David Friedrich und die Vorboten der Romantik

Sep 08, 2023 at 13:20 1274

Die herausragende Ausstellung Gemälde der deutschen Romantik aus der Nationalgalerie Berlin Staatliche Museen Preussischer Kulturbesitz: Caspar David Friedrich, Karl Friedrich Schinkel, Carl Blechen, die 1985 im Kunsthaus Zürich zu sehen war, ist schon lange her.

Nun zeigt das Kunst Museum Winterthur Reinhart am Stadtgarten mit der Schau Caspar David Friedrich und die Vorboten der Romantik (Amazon.de) vom 26. August bis am 19. November 2023 eine ebenfalls sehenswerte Übersicht mit 42 Werken von Caspar David Friedrich (1774-1840), denen 28 Arbeiten seiner Vorbilder, Vorläufer und Zeitgenossen gegenübergestellt werden. Die Ausstellung war zuvor in leicht veränderter Form im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt zu bewundern gewesen.

Der Schweinfurter Kunstsammler Georg Schäfer (1896-1975) trug nicht nur eine herausragende Sammlung an Werken von Carl Spitzweg zusammen, sondern in seinem Museum deutscher Kunst befinden sich unter anderem elf Werke von Caspar David Friedrich.

Der Winterthurer Kunstsammler Oskar Reinhart (1885-1965) wiederum schuf eine herausragende Privatsammlung, in der Werke von Bruegel, Cranach, Holbein, El Greco, Goya, Rubens, Chardin, Daumier, Poussin, Cezanne, Manet, Monet, Renoir, Van Gogh, ein Picasso der Blauen Periode und viele weitere Arbeiten von weltberühmten Künstlern in der Sammlung Oskar Reinhart Am Römerholz zu bewundern sind. Hinzu kommen die Kunstwerke im Kunst Museum Winterthur Reinhart am Stadtgarten, unter ihnen fünf Gemälde von Caspar David Friedrich, unter denen das auf dem Katalogumschlag reproduzierte Gemälde Kreidefelsen auf Rügen herausragt.

Oskar Reinhart erwarb zudem das kleinformatige, jedoch eindringliche Bildnis von Caspar David Friedrich 21.5 x 19.5 cm), das um 1806/1811 entstanden ist und von seinem Dresdner Malerfreund Gerhard von Kügelgen (1772-1820) stammt, der tragischerweise bei einem Raubüberfall ermordet wurde. Dieses Portrait, das sich in der Sammlung des Kunst Museum Winterthur befindet, ist natürlich ebenfalls in der Ausstellung zu sehen.

Leider fehlen weitere Bildnisse von Caspar David Friedrich, so insbesondere zumindest eines von mehreren seines langjährigen Freundes Georg Friedrich Kersting (1785-1847), der als bedeutender Vertreter der deutschen Romantik (und später des Biedermeier) in der Schau seltsamerweise überhaupt nicht vertreten ist, obwohl er zum Dresdner Malerkreis um Caspar David Friedrich, Theodor Körner, Gerhard von Kügelgen und Louise Seidler gehörte. Immerhin findet der Künstler im Katalog Beachtung. Friedrich war ein Anhänger der Befreiungskriege (gegen Napoleon). Seinem Malerfreund Kersting hat er deshalb 1813 sogar bei der Finanzierung der Ausrüstung für den Dienst bei den Lützowschen Jägern geholfen, obwohl er selbst nicht viel Geld hatte und sich dafür verschulden musste, wie er seinem Bruder Heinrich schrieb. Von Kersting besitzt das Kunst Museum Winterthur übrigens das hier nicht ausgestellte Werk Lesender bei Lampenlicht (1814).

Zwei Werke von Philipp Otto Runge (1798-1840) – Kat. 101 Der Abend (1802/03) und Kat. 102 Mondaufgang (um 1808) – aus den Beständen des Kunst Museum Winterthur sind zwar im Katalog abgebildet, aber in der aktuellen Schau nicht ausgestellt. Im Buch zur Ausstellung steht übrigens, dass Philipp Otto Runge ebenfalls ein Pommer ist, der an die Elbe ging, und an dessen Natursympbolik sich Caspar David Friedrich kurze Zeit orientierte. Das Winterthurer Museum besitzt zudem acht Werke von Carl Blechen (1777-1810), darunter Waldinneres mit Bach (um 1831/1835), die ebenfalls in der Ausstellung keine Berücksichtigung fanden. Auch wenn diese Arbeiten vielleicht nicht ins Konzept der Kuratoren passte, so stellte sich doch die Frage, warum Blechen, Kersting und Runge überhaupt nicht in der Schau vertreten sind.

Für eine Ausstellung, die sich insbesondere auf Vorbilder und Vorläufer von Caspar David Friedrich konzentriert, den grossen Neuerer der Landschaftsmalerei, ist es zudem seltsam, nicht zu erwähnen, dass der Greifswalder Künstler sich auf die romantische Mathemathik von Novalis bezog und zum Beispiel der goldene Schnitt für viele seiner Arbeiten zentral war.

Die Kuratoren Wolf Eiermann und David Schmidhauser heben im Katalog das Wort des Kunsthistorikers Werner Hofmann von den „Komposit-Landschaften“ Caspar David Friedrichs hervor, dessen Gemälde durch eine klar organisierte Bildstruktur bestechen, welche die gesehene Welt in beinahe abstrakte Schemen fasst. Der Bildraum löst sich zudem vom Erfahrungsraum des Betrachters. Dies führt laut den Kuratoren zu inhaltlich aufgeladenen Brüchen und Abstürzen wie im Kreidefelsen auf Rügen oder im Wanderer über dem Nebelmeer. Diese ungewöhnliche formale Strenge bricht nicht nur die Konventionen der Landschaftsmalerei auf, sondern konzentriert eine Kombination von Naturnähe und Naturferne, welche die Anschaulichkeit überwindet und den Raum öffnet vielfältige, gar widersprüchliche Interpretationen der Kunst des Greifswalders.

Die Kunstgeschichte debattiert seit Jahrzehnten über das eigene Erleben, persönliche Schicksalsschläge, religiöse und nationale Symbolik, verklausulierte Stellungnahmen gegen die französische Besatzung unter Napoleon im Werk von Caspar David Friedrich. Just diese Widersprüchlichkeit verortet Friedrichs Werk an der Bruchstelle zur Moderne, so die Kuratoren. Für sie ist es daher kein Zufall, dass der Künstler keine repräsentativen Gemälde für absolutistische Fürstenhöfe schuf, sondern subjektive Bildfindungen für ein aufgeklärtes Bürgertum. Die Kunst stehe nicht mehr im Dienst einer umfassenden Sinn-Entität, einer Religion oder Ideologie, sie sei vielmehr Ausdruck einer subjektiven Such- und Denkbewegung, möge diese in Friedrichs Epoche als noch so eigenwillig oder revolutionär erscheinen. Wolf Eiermann und David Schmidhauser vergleichen daher das Werk des Greifswalders mit jenem von Goya und Turner, die alle Symbolfiguren an der Schwelle zur Moderne erschaffen hätten.

Den Kuratoren geht es nicht um die kontroversen Interpretationen der Arbeiten von Caspar David Friedrich oder um die Darstellung des Künstlers als singuläre Figur, sondern sie sehen ihn eingebettet in ein komplexes kulturelles und künstlerisches Umfeld, das von der holländischen Landschaftsmalerei eines Jacob van Ruisdael bis zu den Stimmungsbildern von Claude Lorrain reicht. Sie sehen seine Kunst zudem als Überwindung der pittoresken Idyllen des in Dresden tätigen Adrian Zingg. Die Ausstellung fragt mit den Vorboten der Romantik nach den Stimmungsträgern in der Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts und lässt laut den Kuratoren damit Caspar David Friedrichs Beitrag zur Tradition der Landschaftsmalerei umso deutlicher hervortreten.

Meisterwerke von Caspar David Friedrich in Winterthur

Unter den 42 von Caspar David Friedrich im Kunst Museum Winterthur gezeigten Arbeiten finden sich einige Meisterwerke des Greifswalder Künstlers, allen voran natürlich das hauseigene, weltberühmte Gemälde Kreidefelsen auf Rügen aus dem Jahr 1818.

Der Friedrich-Biograf (Amazon.de) Detlef Stapf schreibt dazu in seinem Winterthurer Katalogbeitrag (Amazon.de), dass der Maler 1818, als es ihm wirtschaftlich wieder besser ging, mit 43 Jahren Zeit fand, dass es Zeit sei, eine Familie zu gründen. Am 21. Januar 1818, sechs Uhr morgens, heiratete er die 19 Jahre jüngere Caroline Bommer (1793–1847) im Kerzenlicht der eiskalten Dresdner Kreuzkirche, wobei ihm dieses Ereignis keine Feier wert war.

Ab der zweiten Hälfte jenes Jahres schuf Caspar David Friedrich in kurzer Folge jene ikonischen Bilder der Romantik mit einer »schönen Seele«, die ihn heute so populär machen und die seine Zeitgenossen nie zu Gesicht bekamen: Der Wanderer über dem Nebelmeer, Kreidefelsen auf Rügen oder Mann und Frau in Betrachtung des Mondes. Als Gemälde der Erinnerung erzählen sie laut Detlef Stapf Episoden aus dem Leben des im Februar 1818 verstorbenen Pastors Franz Christian Boll, der als Spiritus rector den Maler in seinen erweckungstheologischen Anschauungen tief geprägt hatte.

Die Hamburger Kunsthalle sandte das Meisterwerk Wanderer über dem Nebelmeer (in der Aussellung auf um 1817 datiert, von Detlef Stapf wie erwähnt auf die zweite Hälfte des Jahres 1818) nach Winterthur. Der Biograf schreibt dazu, ob Meer, Dampf oder Nebel – wir haben es mit atmosphärischen Erscheinungen der Natur zu tun, die unterschiedliche und gegenläufige Gefühle zwischen Rettung und Hoffnung, zwischen Morgenfreude und immanent wirkender Sorge vor dem Aufziehen weiterer Nebelschwaden umfasst. Der Wanderer blickt in die wogende Nebelschüssel, aus der nur einzelne spitze Steilkegel ragen, und betrachtet den in der Ferne aufragenden dreieckigen Berg. Kein Gipfelkreuz der Hoffnung ist zu sehen. Was passiert, wenn die Nebel zu ihm nach oben ziehen und ihn umschlingen? Die Ängstlichen mögen erschauern, doch dem Betrachter gehört, wenn auch vielleicht nur für kurze Zeit, der Blick über die ganze, verschleierte Welt. Friedrich hat eine Momentaufnahme gemalt, mit der er die Foto- und Filmtechnik einer Neoromantik vorwegnimmt, so Detlef Stapf.

Leider in Winterthur nicht zu sehen ist Das Eismeer von 1823/24, das sich heute ebenfalls in der Hamburger Kunsthalle befindet und in der Regel als Darstellung des endgültigen Scheiterns interpretiert wird. Das in Winterthur ausgestellte Eismeer von Chamonix von 1825/27 aus dem Museum Georg Schäfer stammt nicht von Caspar David Friedrich, sondern von Carl Gustav Carus (1789-1869) und ist in seiner Form, Kraft und Bedeutung nicht vergleichbar mit dem Meisterwerk des Greifwalders.

Hingegen im Kunst Museum Winterthur Reinhart am Stadtgarten zu bewundern sind die beliebten Meisterwerke Mondaufgang am Meer von 1822 und Mann und Frau in Betrachtung des Mondes um 1824, beide aus den Staatlichen Museen zu Berlin Alte Nationalgalerie.

Wolf Eiermann vergleicht im Katalog das Werk Blick auf Dresden mit Hofkirche und Schloss von Carl Gustav Carus mit Mondaufgang am Meer. Laut ihm hat Caspar David Friedrich in seinem Werk die Abendstimmung um weitere Effekte im Vergleich zu Carus potenziert.

Ein weiteres in Winterthur gezeigtes Meisterwerk ist eine um 1807 entstandene Version von Hünengrab im Schnee, das aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden stammt. Es kann sowohl als Lebensalter- und Jahreszeitendarstellung sowie als patriotisches Werk (gegen die Besatzung durch Napoleon) gedeutet werden, wobei die eine die andere Deutung nicht ausschliesst.

Christina Grummt zeigt in ihrem Katalogbeitrag, wie Caspar David Friedrich bei diesem Werk auf eine Eiche aus dem Karlsruher Skizzenbuch von 1804 zurückkommt. Dieses Blatt verdeutlicht laut ihr ganz konkret und beispielgebend, wie der Künstler sein Skizzenmaterial für die Schaffung seiner Ölbilder verwendet hat. Friedrich nutzte die Eichenstudie, zu der auch die Weiterführung der Zweiglein auf dem vorhergehenden Skizzenbuchblatt gehören, für die Eiche links im Ölgemälde Hünengrab im Schnee. Sie verweist zudem auf zwei weitere Werke, in denen diese Eiche ebenfalls auftaucht.

Der in Winterthur ausgestellte, aus dem Museum Georg Schäfer stammende, kleinformatige (34.2 x 44.2 cm) Kiefernwald mit Teich, um 1836 entstanden, ist zwar kein Meisterwerk, doch dabei handelt es sich um eines der letzten Bilder von Caspar David Friedrich. Der Künstler erleidet 1837 einen zweiten Schlaganfall, der ihn fast vollständig lähmt und in zwingt, die künstlerische Arbeit endgültig aufzugeben.

Wolf Eiermann schreibt zum Kiefernwald mit Teich, dass zur Zeit seiner Kreation nächtliche Naturängste, wie sie in Märchen und Schauerromanen bezeugt sind, nicht mehr vorherrschend waren. In der Landschaftsmalerei war ein Umschwung im Naturverständnis herbeigeführt worden. Der Betrachter von Friedrichs Kiefernwald mit Teich stellte sich weniger die Frage, wie er diesem schrecklichen dunklen Wald entfliehen kann, sondern wie es dem Künstler gelingen konnte, diese Zwischenphase der Dämmerung bei tief liegender Mondsichel, dunklem Wald und ins Tief blau getauchtem Himmel überhaupt zu erfassen und auf die Leinwand zu bannen. Wolf Eiermann vermutet, dass das Malen solcher Phänomene für Caspar David Friedrich zudem der Beweis war, mit seiner Kunst ein Stück vom als ewig empfundenen Kreislauf der Natur erhaschen zu können.

Biographie von Caspar David Friedrich 1774-1840

Caspar David Friedrich wird am 5. September 1774 als sechstes von zehn Kindern in Greifswald (Vorpommern) geboren. Die Stadt steht bis zum Wiener Kongress 1815 ganze 184 Jahre lang unter schwedischer Herrschaft. Seine Eltern sind Sophie Dorothea, geborene Behyl, und der Seifensieder und Kerzenmacher Adolf Gottlieb Friedrich. Die Mutter stirbt als Caspar David sechs Jahre ist.

1787 ertrinkt der Bruder Johann Christoffer beim Versuch, den beim Schlittschuhlaufen im Eis eingebrochenen Caspar David zu retten – ein für diesen traumatisches Erlebnis, das in den Schautafeln in der Ausstellung zurecht erwähnt wird, jedoch nicht im Katalog.

Der Biograf (Amazon.de) Detlef Stapf schreibt in seinem Winterthurer Katalog-Essay von einer Erkrankung Friedrichs, deren Symptome man heute im Spektrum von Autismus und Asperger verorten könne. Sie habe den Vierzehnjährigen nach der Schulzeit vor eine ungewisse Zukunft gestellt.

In den Jahren 1788 und 1798 erhält Caspar David Friedrich seinen ersten Zeichenunterricht bei Johann Gottfried Quistorp, dem Universitätsbaumeister und Zeichenlehrer an der Universität Greifswald. Laut Detlef Stapf unterrichtet dieser mit Hilfe seiner eigenen Sammlung von Kupferstichen, Abgüssen antiker Skulpturen und Gemälden. Er gibt seinen Eleven einen ersten, oft prägenden Überblick zur Kunstgeschichte, einen Querschnitt der Porträt-, Interieur- und Landschaftsmalerei Italiens, Frankreichs, Deutschlands und der Niederlande – des Barocks wie des Klassizismus. Dabei interessiert sich Friedrich nicht sonderlich für die Autoren der Werke. Auch später vermag er oft nicht, die Alten Meister der Bilder in der Dresdner Galerie zu benennen.

Laut Detlef Stapf zeigt Caspar David Friedrich für die klassischen Aufgaben einer künstlerischen Ausbildung nur mittelmässiges Talent. Der Lehrer bemerkt hingegen eine ausserordentliche Hingabe seines Schülers zur Landschaft und empfiehlt ihm wohl die Lektüre der Theorie der Gartenkunst von Christian Cay Lorenz Hirschfeld (1742–1792). Diese damals populäre Schrift enthält Vorschläge für die praktische Arbeit des Landschaftsgärtners wie des Landschaftsmalers. Friedrich nimmt die Hirschfeld’schen Instruktionen als Vorgaben, die ihn während seines Malerlebens begleiteten. So entsteht laut Detlef Stapf 1793 die Sepiazeichnung Ideale Gebirgslandschaft mit Wasserfall nach einem von Hirschfeld verwendeten Zitat aus Observations on modern gardening von Thomas Whately (1726–1772), in dem jener das Tal von Dowedale im englischen Derbyshire beschreibt. Diese Textaffinität Friedrichs begründet in seinen bedeutendsten Werken eine erzählende Bildkunst, die jedoch für den Betrachter oft verrätselt bleibt, so Detlef Stapf.

Auf Empfehlung seines Lehrers Johann Gottfried Quistorp studiert Caspar David Friedrich von 1794 bis 1798 an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen. Sie gilt zu ihrer Zeit als eine der fortschrittlichsten Akademien in Europa und steht ausländischen Studenten kostenfrei offen, weshalb der Sohn eines Handwerkers hier unterkommt.

Friedrichs Lehrer gehören zu den führenden dänischen Malern seiner Zeit: der Landschaftsmaler Christian August Lorentzen, der Portrait- und Landschaftsmaler Jens Juel sowie der Historienmaler Nicolai Abildgaard.

Im Frühjahr 1798 kehrte Friedrich nach Pommern und Mecklenburg zurück. In Greifswald, Neubrandenburg und Breesen entstenden zahlreiche Porträts von Verwandten und Freunden in der Kopenhagener Crayonmanier. Doch er erachtet seine Künste als noch immer so defizitär, dass er sich auf Empfehlungs seines Lehrers Quistorp an der Akademie in Dresden im Fach Landschaftsmalerei einschreibt.

Detlef Stapf erwähnt als Vorbilder Friedrichs in seiner Dresdner Zeit Adrian Zingg (1734–1816) und – noch wichtiger – Jakob Crescenz Seydelmann (1750–1829), den Erfinder der Sepiatechnik. Diese Zeichenmethode beginnt er zu verfeinern und weiterzuentwickeln.

Caspar David Friedrich verdient seinen Lebensunterhalt zunächst mit »Prospectmalerei« und dem Kolorieren von Veduten. In den Folgejahren kann er mit eindrucksvollen Bildern in effektvoller Sepiamanier von der damals noch wenigbereisten Insel Rügen reüssieren.

Laut Detlef Stapf sind Friedrichs Leistungen – so im Aktzeichnen – so mittelmässig, dass er sich dem Spott seiner Studentenkollegen ausgesetzt sieht. 1801 befindet er sich in einer psychischen Krise. Er versucht angeblich, sich das Leben zu nehmen (eventuell auch erst einige Jahre später). Er zieht sich in die Einsamkeit der Natur in der Sächsischen Schweiz zurück und widmet sich der Landschaftsmalerei. Er unternimmt erste Wanderungen auf Rügen. Die dabei entstehenden Skizzen bilden einen wichtigen Fundus für sein weiteres Schaffen. Er macht zudem die Bekanntschaft des bedeutenden frühromantischen Malers Philipp Otto Runge (1777-1810), der früh an Tuberkulose verstirbt.

Ohne sich an die gestellte Vorgabe – die antiken Sagen des Herkules – zu halten, erhält Caspar David Friedrich auf Wunsch Johann Wolfgang von Goethes 1805 – zusammen mit Joseph Hoffmann (1764-1812) – den halben ersten Preis beim Wettbewerb der Weimarer Kunstfreunde, der in der damaligen Kunstwelt als höchster zu erlangender Künstlerlorbeer gilt, so Detlef Stapf. Es ist dies Friedrichs erste öffentliche Anerkennung, und dies mit der Verbindung von Landschaft und religiöser Idee in den beiden Werken Wallfahrt bei Sonnenuntergang und Herbstabend am See. Für Goethes „Weimarer Preisaufgaben“, von 1799 bis 1805 ausgeschrieben, bedeutete der Skandal das Ende.

1806 wird Caspar David Friedrichs bis dahin unter schwedischer Herrschaft stehende Heimat Mecklenburg durch napoleonische Truppen besetzt und steht bis 1813 unter französischer Fremdherrschaft. Friedrich hat Kontakt zu einer vaterländisch gesinnten Gruppe, unter denen auch Heinrich von Kleist ist.

Nicht in Winterthur zu sehen ist Caspar David Friedrich (Greifswald 1774-1840 Dresden): Das Kreuz im Gebirge (Tetschener Altar), 1808. Öl auf Leinwand, 115 x 110 cm. Galerienummer: 2197 D. Foto Copyright © Albertinum, Gemäldegalerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden; Foto: Klut.

An Weihnachten 1808 präsentiert Caspar David Friedrich den Tetschener Altar, der enthusiastischen Zuspruch und empörten Widerspruch provoziert. Der sogenannte Ramdohr-Streit führt zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung um die romantische Kunst. Im Albertinum in Dresden ist zu lesen, dass der so genannte „Tetschener Altar“ das programmatische Hauptwerk aus der Frühzeit Caspar David Friedrichs ist. Es bezeichnet seinen vollkommenen Bruch mit den überkommenen Kunstregeln und -konventionen: Ein geistig verdichtetes und im Formalen höchst konzentriertes Landschaftsbild ist zum religiösen Andachtsbild erhoben worden. Der von Christian Gottlieb Kühn nach Friedrichs Entwurf geschnitzte Rahmen betont die sakrale Bestimmung betont.

Im Juli 1810 wandert Caspar David Friedrich zusammen mit Georg Friedrich Kersting durch das Riesengebirge. In der Folge entsteht eine Reihe von Werken. Am 12. September besucht ihn der Philosoph Friedrich Schleichermacher in seinem Atelier, am 18. September ist Goethe zu Gast.

Im Herbst 1810 präsentiert Caspar David Friedrich seine beiden Bilder Mönch am Meer und Abtei im Eichwald (heute im Besitz der Staatlichen Museen zu Berlin Nationalgalerie) auf der Berliner Akademieausstellung, wo sie auf Drängen des Theologen Friedrich Schleiermachers (1768–1834) gezeigt werden können. Die Gemälde stossen beim Publikum zunächst auf Unverständnis. Der am Strand stehende Mönch mit seiner düsteren Aussicht gilt als Glaubenszweifler. Der Gottgefällige kann nach herkömmlicher Ansicht nicht einsam sein. Clemens Brentano, Achin von Arnim und Heinrich von Kleist schreiben Rezensionen. Es ist erst die Besprechung durch Heinrich von Kleist – mit dem berühmten Vergleich der »weggeschnittenen Augenlieder« [sic] –, die den Fokus der Aufmerksamkeit auf Friedrichs radikale Bildästhetik richtet. So wird die Ausstellung zu einem gesellschaftlichen Ereignis. Der Hype erweckt das Interesse des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. (1770–1840), der die beiden Gemälde für den Kronprinzen erwibt. Dadurch wird der Maler aus Pommern laut Detlef Stapf gewissermassen geadelt. Auf Empfehlung des Königshauses nimmt die Berliner Akademie mit knapper Mehrheit den Künstler als auswärtiges Mitglied der Königlichen Kunstakademie auf. Caspar David Friedrich steht auf dem Höhepunkt seiner Anerkennung als Künstler. Seine wirtschaftliche und soziale Situation verbessert sich spürbar.

Die Völkerschlacht bei Leipzig 1813 leitet den Untergang ein, die Niederlage bei Waterloo 1815 beendet die Ära Napoleon.

1816 wird Caspar David Friedrich Mitglied der Königlichen Kunstakademie Dresden und erhält fortan ein festes Gehalt. 1817 macht er die Bekanntschaft mit dem Arzt und Maler Carl Gustav Carus, der ein lebenslanger Freund wird.

Wie oben erwähnt heiratet am 21. Januar 1818 Caspar David Friedrich – zur allgemeinen Überraschung – die knapp zwanzig Jahre jüngere Christiane Caroline Bommer. Die Hochzeitsreise bringt sie nach Greifswald, Wolgast, Stralsund und auf die Insel Rügen. In Herbst malt er die Kreidefelsen auf Rügen, die deswegen auch immer wieder als Hochzeitsbild interpretiert wurden.

Im Herbst 1818 macht Friedrich die Bekanntschaft des norwegischen Landschaftsmalers Johan Christian Dahl, der ebenfalls ein enger Freund wird.

1819 erfolgt der Erlass der restriktiven Karlsbader Beschlüsse, die weitreichende gesellschaftspolitische Folgen haben, darunter die Wiedereinführung der Zensur. Friedrich gibt in einigen Werken seiner freiheitlichen Überzeugung durch die Darstellung von Männern in der verbotenen altdeutschen Tracht Ausdruck.

Der Maler erhält in jenem Jahr Besuch durch den Prinzen Christian Frederik von Dänemark. Zudem kommt am 30. August die Tochter Emma zur Welt

1820 wird wie oben erwähnt Friedrichs Dresdner Malerfreund Gerhard von Kügelgen bei einem Raubüberfall ermordet. Er hatte mehrere Porträts von Friedrich gemalt, wovon ein eindrückliches in der Winterthurer Ausstellung zu sehen ist.

Der russische Grossfürst Nikolaj Pawlowitsch, der spätere Zar Nikolaus I., besucht Caspar David Friedrich in Begleitung des Dichters Wassili Schukowski. Sie kaufen zahlreiche Werke für den russischen Hof in St. Petersburg an.

1822 besucht der Dichters Friedrich de la Motte Fouqué, der Sonette auf Werke von Friedrich schreibt, den Greifswalder. 1823 mietet sein Malerfreund Dahl eine Wohnung im selben Haus wie Friedrich, das zu einem Zentrum der Dresdner Landschaftsmalerei wird. Schüler, Künstler und Auftraggeber besuchen die Künstler in ihren Ateliers, die nur wenige Treppen voneinander trennen. Am 2. September wird Friedrichs zweite Tochter Agnes Adelheid geboren.

1824 wird Caspar David Friedrich zum Professor der Dresdener Königlichen Kunstakademie ernannt, ohne jedoch mit der vakanten Leitung der Klasse für Landschaftsmalerei betraut zu werden. Am 23. Dezember kommt der Sohn Gustav Adolf, benannt nach dem schwedischen König, zur Welt.

Der preussische Kronprinz Friedrich Wilhelm besucht 1830 Friedrich in seinem Atelier. Auf der Kunst- und Gewerbeausstellung in Königsberg ist Friedrich mit neun Werken vertreten. Gleichwohl beginnt sein künstlerischer Ruhm abzunehmen.

Am 7. November 1834 besucht ihn der Bildhauer David d’Angers. Enthusiastisch urteilt dieser: «Friedrich! Der einzige Landschaftsmaler, der es bislang vermochte, alle Kräfte meiner Seele aufzurühren, der Maler, der eine neue Gattung geschaffen hat: die Tragödie der Landschaft.»

1835 erleidet Friedrich einen Schlaganfall, was zu einer zeitweisen Lähmung der rechten Hand führt. Er kann zunächst wieder arbeiten, aber wendet sich vor allem dem Aquarell und der Sepiatechnik zu. 1837 erfolgt ein zweiter Schlaganfall, der den Künstler fast vollständig lähmt. Er sieht sich gezwungen, die künstlerische Arbeit endgültig aufzugeben. Er stirbt am 7. Mai 1940 in Dresden.

Am Ende seines Lebens ist Caspar David Friedrich bereits vergessen. Das ändert sich erst über 60 Jahre später mit der sogenannten Jahrhundertausstellung 1906 in Berlin, in der 40 seiner Gemälde gezeigt werden, die seine Renaissance einläuten.

Dies sind wie immer nur einige Angaben zu einer sehenswerten Ausstellung und dem dazugehörigen Katalog, die einen Besuch in Winterthur nahe legen. Das Kunst Museum Winterthur Reinhart am Stadtgarten besitzt neben Werken von Caspar David Friedrich natürlich noch viele weitere Glanzlichter, darunter zum Beispiel von Albert Anker, Ferdinand Hodler, Max Liebermann, Lovis Corinth, Max Beckmann sowie mehrere Werke von Arnold Böcklin, darunter das Meisterwerk Villa am Meer (1878).

Wolf Eiermann und David Schmidhauser, Herausgeber und Kuratoren: Caspar David Friedrich und die Vorboten der Romantik. Mit Beiträgen von Konrad Bitterli, Wolf Eiermann, Christina Grummt, Patrick Melber, David Schmidhauser, Detlef Stapf. Hirmer Verlag, 2023, 248 Seiten mit 150 Abbildungen in Farbe, 25.7 x 28.7 x 2.2 cm. Den Ausstellungskatalog bestellen bei Amazon.de.

Ausstellung vom 26. August bis am 19. November 2023.

Unter der weiterführenden Literatur ist die Biografie von Detlef Stapf zu empfehlen, der zudem einen Essay zur hier besprochenen Ausstellung beigesteuert hat. Detlef Stapf: Caspar David Friedrich. Die Biographie. Okapi Verlag, 2019, 640 Seiten. Bestellen bei Amazon.de.

Werner Busch: Romantisches Kalkül, Schlaufen Verlag, Berlin, April 2023, 162 Seiten. Darin untersucht Werner Busch die Verbindung von Caspar David Friedrich zur romantischen Mathematik, zu den mathematische Fragmenten von Novalis und zur beobachtenden Empirie. Das Buch bestellen bei Amazon.de. Siehe zu Novalis zudem Franziska Bomski: Die Mathematik im Denken und Dichten von Novalis: Zum Verhältnis von Literatur und Wissen um 1800, ‎ De Gruyter Akademie Forschung, 2014, 246 Seiten. Bestellen bei Amazon.de.

Zitate und Teilzitate in dieser Ausstellungs-Rezension / Buchkritik des Katalogs sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.

Ausstellungs-Rezension / Buchkritik des Katalogs vom 8. September 2023 um 13:20 Schweizer Zeit. Artikel zuletzt ergänzt am 12. September 2023 um 14:09.