Das Hotel Vier Jahreszeiten in Hamburg in der Zeit des Nationalsozialismus

Jan 22, 2004 at 00:00 1943

1932 übernahm Fritz Haerlin das Hotel von seinem 75jährigen Vater, der sich zuerst zusammen mit seiner Frau in seiner alten Heimat Stuttgart zur Ruhe setzte, ehe sie 1937 auf ihren Landsitz bei Lindau am Bodensee zogen, wo sie bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bleiben.

Fritz Haerlin war ein Mann voller Widersprüche. Bereits im Juni 1933 trat er der SS bei, und zwar der SS-Reiterinspektion Nordwest. 1937 wurde er Parteimitglied. Das Vier Jahreszeiten blieb jedoch in der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 weitgehend eine politisch neutrale Insel der Glückseligen. Fritz Haerlin duldete keine Nazi-Propaganda, keine Hitler-Bilder, keine Parteiabzeichen, keinen Hitler-Gruss und keine Parteiveranstaltungen in seinem Hotel.

Gleichzeitig beherbergte Fritz Haerlin jüdische Emigranten. Als Juden der Aufenthalt in öffentlichen Gaststätten verboten wurde, liess er ihnen die Mahlzeiten in den Zimmern servieren. Ein bisschen Schwejk steckte schon in ihm. Zudem beschäftigte er noch Juden, als dies von den Nazis nicht mehr erwünscht war. Als sich 1938 die „Geheime Staatspolizei“ um den Fall des jüdischen Nachtportiers Harald Seligmann kümmerte, musste ihn der Hotelier allerdings entlassen, versuchte ihm aber zu einer Reise ins Ausland zu verhelfen. Die Gestapo verhinderte dies. Harald Seligmann wurde 1942 im KZ Neuengamme ermordet.

1933 gewann Fritz Haerlin als Reiter vier Dressurprüfungen – in der schwarzen Unform der SS. Beim internationalen Turnier 1934 in Berlin belegte er am 31. Januar den zweiten Platz. Im Februar war SS-Gruppenführer Werner Lorenz, der neue Chef des SS-Oberabschnitts Nord mit Sitz in Hamburg im Hotel zu Gast. Die zwei Reiter freundeten sich rasch an. 1935 waren die Frau und Kinder von Lorenz mehrere Monate im „Vier Jahreszeiten“ zu Gast, bis die Familie ein passendes Haus gefunden hatte. Für die Tochter Rosemarie entwickelte Fritz Haerlin väterliche Gefühle. Sie nannte ihn „Onkel Fritz“. 1960 belegte sie als Dressurreiterin im Einzelwettbewerb den siebten Platz bei den Olympischen Spielen in Rom. Prominent wurde sie als dritte Ehefrau des Hamburger Verlegers Axel Springer.

Vater Werner Lorenz wurde bei den Nürnberger Prozessen 1948 zu 20 Jahren Haft wegen Kriegsverbrechen verurteilt, weil er bei der Organisation der Zwangsevakuierung und der Umsiedlung von Bevölkerungsteilen, an der Eindeutschung und am Einsatz von Ausländern zur Zwangsarbeit entscheidend mitgearbeitet hatte. Bereits 1952 wurde er aus der Haft in Landsberg entlassen.

1934 eröffnete Fritz Haerlin im Souterrain des Hotels die Konditorei „Condi“. Die Inneneinrichtung hatte seine Freundin, die erfolgreiche Dressurreiterin Rica Duensing, mit Geschmack und Stilgefühl übernommen: Antiquitäten aus der Biedermeierzeit, dazu stilechte Ölbilder, Kupferstiche und Uhren. Das Personal rekrutierte sich vornehmlich aus jungen Damen der Hamburger Gesellschaft, die in Biedermeierkleidern servierten. Torten, Kuchen, Pralinen, Eis und Tellergerichte stammten aus der hoteleigenen Produktion.

Eine weitere Neuerung im Hotel war weniger verständlich: Die wertvolle Wandvertäfelung des 1926 im Art Deco-Stil aufwendig gestalteten „Casino“ verschwand hinter Spanplatten – und wurde erst 60 Jahre später wieder freigelegt. Das neue Restaurant erhielt den Namen „Grill“.

So ist der heutige „Jahreszeiten Grill“ im originalen Art Déco-Stil erhalten geblieben. Im Hotel befinden überhaupt noch immer viele antike Möbel, Gobelins und Spiegel aus unterschiedlichen Stilepochen (Barock, Chippendale-Möbel, Jugendstil, Art Deco). Alle Suiten und Zimmer sind individuell eingerichtet.

Zurück zu 1933: Damals kam der „Reichorganisationsleiter“ der NSDAP und Chef der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, ins Hotel. Nach der Zerschlagung der Gewerkschaften verkörperte seine Organisation die Zwangsehe von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Er war einer der wenigen NS-Führer, die das „Vier Jahreszeiten“ zu ihrem Lieblingshotel erkoren. Doch Ley war beim Hotelpersonal nicht beliebt, wegen seiner herablassenden Art und weil er nie Trinkgeld gab. Den polizeilich vorgeschriebenen Meldezettel füllte er bei Portier Carl Braun nicht aus. Die Nazis kujonierten ihre Gegner gerne mit Formalitäten, für sie selbst aber galten die Gesetze und Vorschriften natürlich nicht.

1935 kam es im „Vier Jahreszeiten“ zu einem historischen Treffen zwischen Offizieren der Garnison Hamburg und dem SS-Chef Heinrich Himmler. Dabei wurden erstmals vor Offizieren aktive Massnahmen zur Kriegsvorbereitung erwähnt.

Ab 1937 wurde Fritz Haerlin als Reserveleutnant jährlich zu Übungen eingezogen. Im März 1939 entschied er für den Fall, dass er in den Krieg eingezogen würde, dass sein Vertrauter und nunmehr Stellvertreter, Willy Wenckstern, das Hotel leiten sollte. Im August war es soweit. Als Fritz Haerlin seinen Gestellungsbefehl erhielt, übernahm Willy Wenckstern die Leitung im Vier Jahreszeiten.

Im Krieg mussten Abends im Hotel die Fenster verdunkelt werden. Viele Gäste blieben weg. 1938 war noch ein glänzendes Geschäftsjahr mit 72,816 Reichsmark an Einkünften aus dem Gewerbebetrieb gewesen. 1939 fiel die Summe auf 25,342 Mark, 1940 hatte Fritz Haerlin noch 18,110 Mark auf dem Konto. Damit war er noch immer ein vermögender Mann, denn ein Hauptmann erhielt im Krieg nur 96 Mark Sold.

Die Aufrechterhaltung des Hotelbetriebs wurde schwierig, da Köche, Kellner, Portiers, Handwerker, Hausdiener und Lehrlinge, die ihre Ausbildung beendet hatten, zur Wehrmacht eingezogen wurden. Da war Wenckstern froh, dass er mit Hans-Jürgen Wohlrab einen 21jähriger Koch engagieren konnte. Er war „Halbjude“ und wurde deshalb nicht in die Wehrmacht eingezogen. Als Fritz Haerlin gerade auf Urlaub war, kam es zu einem Streit in der Küche. Ein anderer Koch weigerte sich plötzlich, den Anweisungen des zum Sous-Chef aufgestiegenen Wohlrab entgegen zu nehmen: „Von dem Juden hier lassen wir uns doch nichts sagen.“ Doch Fritz Haerlin sah, das Wohlrab in der Sache recht und sich im übrigen korrekt verhalten hatte. Damit war der Fall erledigt. Der „Halbjude“ blieb fünf Jahre im Hotel beschäftigt.

Auf den 1. April 1941 wurde Herbert Kröger Page und Kellner im Vier Jahreszeiten. Nach dem Krieg wurde er als Chef des Grill-Restaurants zu einer Institution. Er hielt öfter Brandwache, doch wie durch ein Wunder blieb das Hotel den gesamten Krieg über von Bomben fast verschont.

Neben Militärs wohnten noch immer Prominente im Hotel, so der schwedische Asienforscher Sven Hedin, der die Seidenstrasse bereist und als erster Europäer den Transhimalaja und die Quellgebiete von Brahmaputra und Indus verforscht hatte. Unter den Stars waren die Schauspielerin und Schlagersängerin Ilse Werner, die Dirigenten Herbert von Karajan und Hans Knappertsbuch sowie Filmstar Heinz Rühmann.

Am 28. April 1941 verstarb der Gründer des Vier Jahreszeiten Friedrich Haerlin im Alter von 84 Jahren. Mit seiner Idee vom familiengeführten Hotel konnte er die anspruchsvollsten Gäste gewinnen und sich gegen die kapitalkräftigste Konkurrenz durchsetzen. Am 16. August 1942 folgte ihm seine Frau Thekla. Vor ihrem Tod konnte sie noch erleben, dass ihr Sohn Fritz aus Russland zurückkehrte. Er profitierte zum zweiten Mal davon, das er der einzige überlebende Erbe von drei Söhnen war. Er wurde vom Wehrdienst freigestellt. Mutter Thekla erlebte auch noch die Heirat ihres Sohnes und die Nachricht vom Enkelkind, das unterwegs war.

Fritz Haerlins Liebesgeschichte hatte 1940 begonnen, als er ins Rheinland verlegt und beim angesehenen Kohlenhändler Otto Knoops einquartiert wurde. Dessen 1920 in Krefeld geborene Tochter Agnes Annemarie Knoops hatte es ihm angetan. Die verliebte sich Hals über Kopf in den feschen Dressurreiter und erfolgreichen Hotelier.

Die beiden Liebenden sahen sich erst nach eineinhalb Jahren wieder, als Fritz aus Russland zurückkam. Über Feldpostbriefe hatten sie Kontakt gehalten. Sie beschlossen, rasch zu heiraten, was am 4. April 1942 in Krefeld geschah. Zuvor hatte Agnes als Volontärin das Leben vor und hinter den Kulissen des Grand Hotels kennen gelernt.

Am 23. März 1943 kam ihre Tochter Thekla Clara Haerlin zur Welt. Fritz konnte vor seiner Frau die Enttäuschung über ein Mädchen nicht verbergen, die sofort das Gefühl hatte, versagt zu haben. Am 2. November 1944 folgte die zweite Tochter, Annemarie. Es war eine erneute Enttäuschung für den Herrenreiter, der sich nicht vorstellen konnte, dass eine Frau fähig war, seine Nachfolge anzutreten.

Finanziell war 1943 ein gutes Jahr, denn das Büropersonal der Konsumgenossenschaft „Produktion“ zog in die ohnehin leerstehende dritte Etage des Vier Jahreszeiten ein, da ihre Hauptverwaltung von Bomben in Schutt und Asche gelegt worden war. Sie blieben dort bis Kriegsende. Die Hoteleinkünfte verdoppelten sich von 1942 auf 1943 auf 48,538 Reichsmark. 1944 konnte mit 87,711 Reichsmark gar das mit Abstand höchste Einkommen registriert werden, seit Fritz Haerlin das Hotel übernommen hatte.

Im November 1943 musste der Hotelier erneut in den Krieg. Dank einem vorgesetzten Kriegskameraden landete er in Paris, wo er den Hotelzimmernachweis für die Wehrmachtsoffiziere organisierte. Der Dienstsitz war in einem Hotel. Fritz genoss bis Februar 1944 das Leben in vollen Zügen. Danach ging es über Hamburg, wo er Familie und Hotel besuchte, nach Bergen in Norwegen. Er erlebte, wie am 20. April 1944 die historische Altstadt nach einem Unfall in Flammen aufging. Im Juni war er in Belgien, wo er den hochdekorierten Oberleutnant Henry Rachow kennen lernte, der nach dem Krieg eine wichtige Funktion im Vier Jahreszeiten übernehmen sollte. Insgesamt blieben das Hotel und die Hotelierfamilie vom Krieg weitgehend verschont.

Siehe zudem die Artikel zum Vier Jahreszeiten während der Weimarer Republik sowie zu Friedrich Haerlin.

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Die Quelle für diesen Artikel: Ebelseder/Seufert: Vier Jahreszeiten. Das Buch bestellen bei Amazon.de, Amazon.com.

Die Geschichte des Hotels Vier Jahreszeiten in Hamburg in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945. Artikel vom 22. Januar 2004.