Das Kabinett Valls

Apr 10, 2014 at 00:00 461

Hinzugefügt am 10. April 2014: Die französische Regierung, das Kabinett Valls, ist weiter gewachsen. Zusätzlich zum Premierminister und seinen 16 Ministern kommen nun noch 14 Staatssekretäre. 5 gehörten bereits der Regierung Ayrault an.

Artikel vom 2. April 2014 um 20:40: Der neue französische Premierminister, Manuel Valls, hat nicht lange gefackelt. Bereits heute, am 2. April 2014, hat er sein gegenüber der Regierung Ayrault stark verkleinertes Kabinett vorgestellt. Neu bilden neben ihm nur noch 16 statt wie bisher 38 Minister die Regierung: 8 Frauen und 8 Männer. 14 der 16 Minister dienten bereits in der Regierung Ayrault. 8 von ihnen behalten ihr altes Ressort. Es gibt also nur 2 neue Gesichter, die allerdings schon früher in Regierungen vertreten waren (Ségolène Royal und François Rebsamen).

Die Grünen – in Frankreich nach wie vor aussen grün und innen dunkelrot – liessen direkt nach der Ernennung von Manuel Valls zum Premierminister verlauten, unter diesem Mann vom rechten Flügel der Sozialisten wollten sie nicht weiter in der Regierung dienen. Manuel Valls hatte ihnen ein Superministerium für Umwelt und die Energiewende angeboten, was die Grünen jedoch nicht milde stimmte, wobei anzumerken ist, dass die Mehrheit der Grünen in der Abgeordnetenkammer und im Senat laut dem Wirtschaftsblatt Les Echos durchaus für einen Verbleib in der Regierung war. Die Grünen bleiben zerrissen zurück.

Das Kabinett Valls – eine Folge der verlorenen Kommunalwahlen 2014

Als Präsident versprach François Hollande bereits 2012 ein Ende der Austerität. Dazu ist es nicht wirklich gekommen. Die Regierung Ayrault fuhr den französischen Karren noch weiter in den Dreck, sodass die Sozialisten bei den Kommunalwahlen 2014 brutal abgestraft wurden. Sie verloren 155 Städte mit über 9000 Einwohnern an die konservative UMP, die ihrerseits nur 4 Städte an die Sozialisten verlor. 12 Städte gingen an Parteien der extremen Rechten, vor allem an den Front National, der unter Marine Le Pen immer salonfähiger wird, obwohl er nicht wirklich praktikable Lösungen anbietet.

Immerhin konnten die Sozialisten die Mehrheit in der Mehrzahl der grösseren Städte verteidigen. Dazu gehören insbesondere die Hauptstadt Paris und die Grossstadt Lyon. In Paris schaffte es Anne Hidalgo als erste Frau ins Bürgermeisteramt. Dies gelang ihr nicht zuletzt, weil sie als Tochter einer Näherin näher am Volk steht als Nathalie Kosciusko-Morizet, bekannt als NKM. Der Kandidatin der UMP werden zudem Ambitionen auf das Präsidentschaftsamt nachgesagt, während dem die aus Andalusien 1961 eingewanderte Ana das Bürgermeisteramt von Paris als Höhepunkt ihrer Karriere betrachtet. Die ausgebildete Sozialarbeiterin Anne Hidalgo wurde bereits 2001 von Bürgermeister Betrand Delanoë zu seiner Stellvertreterin ernannt. In seinem Windschatten schaffte sie es mit 54,5% der Stimmen im zweiten Wahlgang klar ins Pariser Bürgermeisteramt. 92 der 163 Stadträte von Paris, die sie schliesslich wählen, stehen hinter ihr.

Der UMP gelang es mit dem politischen Schwergewicht Alain Juppé mit rund 60% der Stimmen das Bürgermeister von Bordeaux souverän zu verteidigen. Der UMP-Bürgermeister von Marseille, Jean-Claude Gaudin, blieb mit 42% ebenfalls unangefochten im Amt. Der sozialistische Kandidat kam auf 31% und der Kandidat des Front National auf 26%.

Insgesamt waren die Kommunalwahlen ein solches Desaster für Präsident Hollande, dass er handeln musste. Seit 2008 war der PS von Wahlsieg zu Wahlsieg geeilt, um nun die Quittung für die miserable Regierungsarbeit auf nationaler Ebene zu erhalten. Die Mehrheit der Bürgermeisterämter in Frankreich ging klar verloren. Die UMP spürt wieder Aufwind. Der Front National bleibt auf bescheidenem Niveau.

Mit Manuel Valls designierte der Präsident einen Premierminister, der selbst im bürgerlichen Lager auf Sympathie stösst. Als populärster Minister der unpopulären Regierung Ayrault soll er nun die Kohlen aus dem Feuer holen. Innerhalb der linken politischen Familie stösst der Politiker mit katalanischen Wurzeln allerdings auf bedeutend weniger Gegenliebe. Bei den Primärwahlen der Sozialisten kam er im ersten Wahlgang auf lediglich 5,6% der Stimmen und musste im zweiten Wahlgang zusehen, wie François Hollande mit 56,6% der Stimmen der Kandidat der Sozialisten fürs Präsidentenamt wurde.

Premierminister Manuel Valls

Manuel Valls, 1962 in Barcelona als Sohn des katalanischen Malers Xavier Valls und der Tessiner Schauspielerin Luisangela Galfetti geboren, stellt das letzte Aufgebot der Sozialisten dar, denen es an glaubwürdigen, möglichen Reformern fehlt.

Manuel Valls trat 1980 den Jungsozialisten bei, wo er schon mit 17 Jahren den reformorientierten Michel Rocard unterstütze, der sich gegen den linken François Mitterrand stellte, unter dem er, Rocard, allerdings von 1988 bis 1991 als Premierminister diente. Ab 2001 amtete Manuel Valls als Bürgermeister von Evry, einer Stadt mit rund 52,000 Einwohnern in der Region Essonne, nicht weit von Paris gelegen. 2007 lehnte er die Einladung des neugewählten Präsidenten Sarkozy ab, Teil seiner Regierung der „Öffnung“ zu werden. Doch zeigte diese Offerte, dass Valls zum rechten Flügel der Sozialisten gehört, im bürgerlichen Lager Akzeptanz findet und sich die zwei Politiker, Sarkozy und Valls, durchaus schätzen. Beide gelten als Macher.

Wie einst Sarkozy wurde Valls in der Regierung Ayrault Innenminister und markierte wie einst Sarkozy schon einmal den harten Mann, so im Umgang mit den Sinti und Roma. Dies stiess im linken Lager nicht auf Begeisterung, bei der Mehrheit der Gesamtbevölkerung hingegen schon. So bedenklich der rechte Populismus von Valls ist, so hoffnungsfroh stimmt die wirtschaftliche Ausrichtung des neuen Premierministers, der sich zum Beispiel für die Aufweichung der 35-Stunden-Woche ausspricht. Frankreichs Arbeitsrecht muss dringend reformiert werden. Valls kämpfte in der Vergangenheit gegen ausufernde Sozialleistungen, gegen den Umverteilungswahn und andere sozialistische Irrwege. Valls trat übrigens noch sehr emotional, ja fast schon infantil peinlich für Dominique Strauss-Kahn (DSK) ein als längst klar war, dass DSK auf Grund seiner sexuellen Eskapaden und Belästigungen längst nicht mehr fürs höchste Staatsamt tragbar war. Da fehlte es Valls an Menschenkenntnis, politischem und moralischem Instinkt.

Manuel Valls sprach sich wiederholt gegen den in Frankreich grassierenden Rassismus und Antisemitismus aus, so im Fall des zweifelhaften „Komikers“ Dieudonné. Dass der neue Premier nun eine Art „Front National light“ einführen wird, muss daher nicht befürchtet werden. Er meinte vielmehr schon früher, dass man den Rechten das Thema der inneren Sicherheit nicht überlassen dürfe. Da ist er sich wieder mit Sarkozy einig.

Ob Manuel Valls nun zu einer Art Tony Blair oder Bill Clinton mutiert, in deren Linie er sich schon mehrfach einordnete, bleibt abzuwarten. Schlechter als unter der Regierung Ayrault kann es Frankreich fast nicht mehr gehen. Die Hoffnung (auf Reformen in Frankreich) stirbt zuletzt.

Das Kabinett Valls

Kurz nach seiner Designation zum Premierminister hat Manuel Valls bereits sein Kabinett vorgestellt. Das Kabinett Valls enthält ein Mitglied, das Präsident Hollande sehr vertraut ist: Ségolène Royal. Sie ist seine ehemalige, jahrzehntelange Partnerin; einen Trauschein besassen sie nie. Sie haben vier gemeinsame Kinder. Ségolène Royal hatte sich 2007 selbst um das Präsidentenamt beworben. Als offizielle Kandidatin der Sozialisten mass sie sich damals am Fernsehen mit dem rechtsbürgerlichen Spitzenkandidaten Nicolas Sarkozy, dem sie allerdings bei der Wahl unterlag. Nicht nur wurde Sarkozy Präsident, sondern es kam auch zur Trennung von Royal und Hollande, weil dieser sich der Journalistin Valérie Trierweiler zugewandt hatte, was während dem Präsidentschaftswahlkampf 2007 noch geheim gehalten wurde. Die hübsche Ségolène Royal kümmert sich neu um die Ökologie und die Energie.

Das zweite neue Gesicht im Kabinett ist jenes von François Rebsamen als Arbeitsminister. Die französische Arbeitslosenquote lag im Januar laut Eurostat bei 10,9%. Der bisherige Chef der Sozialisten im Senat und Bürgermeister von Dijon Rebsamen ist ein Vertrauter von Präsident Hollande. Im Präsidentschaftswahlkampf 2007 unterstütze er bereits ab 2006 Ségolène Royal. Unter den Ministern Pierre Joxe und Laurent Fabius schnupperte er als enger Mitarbeitern bereits vor Jahren an der grossen Politik. Der Mann im Elysée wollte laut dem Radiosender France Info Rebsamen sogar als Innenminister, doch Manuel Valls trat für seinen Vertrauten Jean-Jacques Urvoas aus Nordfrankreich für diesen bedeutenden Posten ein. Der Innenminister kontrolliert schliesslich die Polizei und die Nachrichtendienste, was Valls als abtretender Chef dieses Schlüsselressorts bestens versteht. Als Kompromiss entschieden Hollande und Valls, dass der bisherige Haushaltsminister Bernard Cazeneuve neuer Innenminister wird. Cazeneuve ist ein Mann von Hollande; er war einer von vier Sprechern von Hollande im Präsidentschaftswahlkampf 2012.

Der bisherige Arbeitsminister Michel Sapin ist ein weiterer Vertrauter von Präsident Hollande. Die zwei Politiker teilten sich 1977 in der Offiziersschule in Angers ein Zimmer. Sapin wechselt neu ins Finanzministerium. Der Abgang von Finanzminister Pierre Moscovici ist kein grosser Verlust. Das gilt ebenfalls für das Ende von Frédéric Cuvillier als Transportminister.

Bedenklich stimmt, dass einige Linkssozialisten weiterhin Gewicht haben. Der bisherige Aussenhandelsminister Benôit Hamon wechselt ins Bildungsministerium. Sylvia Pinel vom Parti radical de gauche kümmert sich fortan um den Wohnungsbau und die Gleichheit der Territorien. Der bisherige Industriereform- und Reindustrialisierungsminister (Ministre du redressement productif) Arnaud Montebourg kümmert sich nun zusätzlich noch um das Wirtschaftsministerium. Montebourg ist die fleischgewordene Antithese zu Premier Valls. 2007 scherzte Montebourg im Präsidentschaftswahlkampf, Royals einziger „Fehler“ (défaut) sei ihr Lebensgefährte Hollande. Dennoch durfte er unter Präsident Hollande Minister werden. Montebourg hat sich nicht nur mit linkspopulistischen, sondern auch mit nationalistischen Parolen eine bedenkliche Reputation erarbeitet. Dass er nicht aussortiert wurde, muss als Geständnis an die Parteilinke gewertet werden, die spätestens seit der Wahl von Valls als Premier in Aufruhr ist. Bei den Primärwahlen der Sozialisten landete er 2011 überraschend auf dem dritten Platz.

Die Justizministerin Christiane Taubira, die sich mehrfach öffentlich mit Innenminister Valls stritt, so bezüglich der Politik gegenüber den Sinti und Roma, darf ihr Amt unter Premierminister Valls weiterhin ausüben. Die Kulturministerin Aurélie Filippetti, die Ségolène Royal nahe steht, bleibt ebenfalls auf ihrem Posten. Gleiches gilt für Agrarminister Stéphane Le Foll, der als Vertrauter von Präsident Hollande zudem neu als Regierungssprecher amten wird. Le Foll schaffte es im Juni 2012 bei den Parlamentswahlen den ehemaligen Premierminister François Fillon von der UMP zu schlagen.

Aussenminister Laurent Fabius war als Schwergewicht der Sozialisten nie in Gefahr, sein Amt zu verlieren. Marisol Touraine als Sozialministerin, Marylise Lebranchu als Ministerin für Dezentralisierung, Staatsreformen und die Administration sowie Verteidigungsminister JeanYves Le Drian (ein Mann von Hollande) behalten alle ebenfalls ihre Ämter. George Pau-Langevin kümmert sich um die Überseegebiete Frankreichs.

Die Präsidentensprecherin Najat Vallaud-Belkacem, die aus Markokko stammt, machte bei der Kommunikation der Regierungspolitik nicht immer eine gute Figur, was allerdings auch äusserst schwierig war. Sie kümmert sich fortan um Frauenrechte, die Städte, die Jugend und den Sport.

Bei der Präsentation der Regierung Ayrault schrieb ich von einer „Gurkentruppe“. Bei zwei neuen Namen im Kabinett Valls hat sich daran nichts fundamental geändert. Immerhin erhielten einige fähigere Politiker (das ist relativ) gewichtigere Ämter, allen voran natürlich Premierminister Valls selbst. Geht nun ein Reformruck durch Frankreich? Die Staatsverschuldung liegt bei über 93% des BIP, die Arbeitslosigkeit wie erwähnt bei 10,9%. Es ist längst Zeit zum Handeln.

Manuel Valls: L’Exigence. Grasset, 2016, 96 pages. Das frz. Taschenbuch bestellen bei Amazon.de oder Amazon.fr.

Frz. Buch von Jean-Marc Ayrault: Matignon 2012. Une ambition raisonnée. Coiffard éditions, 2012, 438 pages. Commandez ce livre chez Amazon.de ou Amazon.fr.

Frz. Buch von François Hollande: Les leçons du pouvoir. Edition Stock, 2018, 288 pages. Frz. Buch bestellen bei Amazon.de oder Amazon.fr.

Artikel vom 2. April 2014 um 20:40 französischer Zeit. Bücher + Buchumschlag am 6. September 2020 hinzugefügt.