Der Revolte in Algerien fehlen Führer und Programm

Mrz 03, 2019 at 18:39 2388

Als am 10. Februar 2019 eine von Präsident Abdelaziz Bouteflika unterschriebene Pressemitteilung ankündigte, der gesundheitlich seit Jahren schwer angeschlagene Politiker stehe für eine fünfte Amtszeit zur Verfügung, begann der Unmut in Algerien. Ab dem 22. Februar gingen viele auf die Strasse. Seither ist ein Ende der Proteste nicht anzusehen. Warum?

Die letzte öffentliche Rede von Präsident Abdelaziz Bouteflika (*1937) datiert vom 8. Mai 2012. Damals betonte er, seine Generation habe ihre Pflicht getan und es sei nun an der nächsten, die Arbeit weiterzuführen. Doch nichts in dieser Hinsicht geschah. Der Präsident erlitt 2013 einen (ersten) Schlaganfall und ist seither nicht mehr in der Lage, Algerien zu regieren. Dennoch blieb er im Amt, wurde wiedergewählt und soll nun gar nochmals antreten. Warum ist es so schwierig, ihn zu ersetzen?

Abdelaziz Bouteflika kämpfte noch im Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich. Er diente unter anderem als Aussenminister von 1963 bis 1979. Erstmals wurde er 1999 als Präsident gewählt. Er half, den Bürgerkrieg zu beenden, der zwischen 1991 und 2002 rund 150,000 Leben kostete. Er brachte den Frieden zurück nach Algerien.

Doch 45% der Algerier sind heute unter 25 Jahre alt. Viele kennen nur die immer korruptere Herrschaft von Bouteflika und nicht die Jahre des Bürgerkriegs. Sie wollen zurecht nicht nochmals eine Amtszeit warten, ehe sich die Lage zum Besseren wendet.

Nach der Unabhängigkeit versuchten es die Politiker des Landes mit sozialistischen Rezepten und zwischendurch auch mit diktatorischer Gewalt. In den 1990er Jahren versuchten es einige Führer mit marktwirtschaftlichen Reformen. Unter Präsident Bouteflika wurden viele Staatsbetriebe privatisiert. Doch noch heute ist Algerien weitgehend vom Öl und Gas abhängig, wobei die Förderung in korrupten Staatsbetrieben erfolgt. Die Energieausfuhren machen noch heute rund 95% der Exporte und 60% der Staatseinnahmen Algeriens aus.

Das Regime Bouteflika hat abgewirtschaftet. Die Wirtschaft ist nicht genügend diversifiziert. Anders als zum Beispiel in Marokko fehlt es an einer Tourismusindustrie und der dafür notwendigen Infrastuktur. Der Öl- und Gassektor, die Polizei, die Verwaltung, die Gerichte, die Politiker, alle sind korrupt. Die Fernsehsender sind nicht unabhängig. Die aktuellen Proteste wurden im TV nicht gezeigt, weshalb eine TV-Chefin aus Protest kündigte.

Anders als zur Zeit des Bürgerkriegs spielen die Islamisten bei den heutigen Protesten keine Rolle. Vor allem viele Junge, Studenten, Arbeitslose, aber auch Intellektuelle, Journalisten und andere gehen auf die Strasse. Doch der Revolte in Algerien fehlen Führer und Programm. Die Proteste wurden weitgehend über soziale Netzwerke, über das Internet organisiert. Was die Protestierenden eint, ist der Wunsch nach einem Abgang des Präsidenten.

Abdelaziz Bouteflika hat in 20 Jahren mehr Macht in seinem Amt konzentriert als alle Präsidenten zuvor. Doch seit 2013 ist er amtsunfähig. Das Regime klammert sich an ihn, weil es keinen Ersatz finden konnte. Die Profiteure der Situation sind nicht nur die Brüder von Bouteflika, sondern zudem viele korrupte Staatsbeamte und Politiker (selbst in den Oppositionsreihen) sowie Geschäftsleute. Der an der Pariser Sorbonne lehrende Kader Abderrahim verglich die aktuelle Situation in Algerien mit jener der späten Jelzin-Ära und dem damaligen Aufstieg der Oligarchen. Solche sieht er als Strippenzieher auch in Algerien, zusammen mit den erwähnten Politikern, Staatsbeamten und anderen Profiteuren des aktutellen Systems.

Die aktuellen Proteste scheinen das Regime noch nicht zu sehr zu beunruhigen, weil es ihnen an Führer und Programm fehlt. Zudem ist es nicht darauf erpicht, Märtyrer zu schaffen. Die Leute auf der Strasse haben keine Waffen. Noch liegt das Gewaltmonopol beim Regime.

Ist die Lage also unter Kontrolle? Nicht wirklich. Die neue Generation will nicht mehr warten. Insbesondere die Jungen fühlen sich vom Regime mit dem scheintoten Präsidenten an der Spitze verarscht. Im Internetzeitalter hilft die Fernsehzensur wenig. Die Unzufriedenheit überspannt zudem die Generationen. Könnten die Proteste in Gewalt umschlagen? Wäre das Regime bereit zurückzuschlagen? Affaire à suivre.

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Der algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika im Jahr 2012. Foto von Magharebia / Wikimedia Commons. Bücher zu Algerien bei Amazon.de

Artikel vom 3. März 2019. Hinzugefügt um 18:39 Berliner Zeit.