Das Zentrum Paul Klee (ZPK) in Bern zeigt vom 28. Januar bis am 7. Mai 2023 die Ausstellung Joan Miro: Neue Horizonte / New Beginnings (Amazon.de, Amazon.com), die dem wenig bekannten Spätwerk des katalanischen Künstlers gewidmet ist.
Die meisten der 74 grossformatigen Arbeiten werden erstmals in der Schweiz ausgestellt. Sie stammen vorwiegend aus den späten 1960er, den 1970er und den frühen 1980er Jahren. Das Spätwerk kommt weitgehend aus den Beständen der Fundació Joan Miró in Barcelona sowie der Fundació Pilar i Joan Miró auf der Insel Mallorca.
Mit dem Bezug eines eigenen Ateliers in Palma im Jahr 1956 erweiterte und revidierte Joan Miró (1893–1983) sein bisheriges Schaffen. Er überarbeitete frühe und nahm die Arbeit an unvollendeten Werken wieder auf. Dieser Moment der Selbstkritik und des Neuanfangs bildet den Ausgangspunkt der Ausstellung Joan Miró: Neue Horizonte / New Beginnings.
Die konventionelle Malerei an der Staffelei empfand Joan Miró fortan als Einschränkung. Er suchte nach neuen Ausdrucksformen. So «malte» er beispielsweise statt mit dem Pinsel mit Feuer und Schere, erweiterte seine Technik auf Textilien und übermalte ab den 1960er Jahren auf dem Flohmarkt erstandene, billige Bilder von Landschaften und Genredarstellungen mit impulsiven Pinselstrichen in seiner eigenen Bildsprache: Linien und Flecken in Schwarz oder den Primärfarben. Dabei übermalte er die Arbeiten nicht einfach, sondern ergänzte sie, indem er zum Beispiel den menschenleeren Landschaften Figuren hinzufügte. Der detailgenauen Abbildung der gekauften Bilder setzt Miró reduzierte Linien und Flächen entgegen.
In Palma beschäftigte sich der Künstler zuerst hauptsächlich mit Keramik und Druckgrafik. Als er 1959 die Malerei wieder aufnahm, entstanden vorwiegend abstrakte, oft grossformatige Gemälde, die gestischer und sparsamer gestaltet sind und sich stark von seinen früheren surrealistischen Arbeiten unterscheiden. Nicht zuletzt bei seinen USA-Reisen 1947 und 1959 interessierte er sich für die Arbeiten der amerikanischen Abstrakten Expressionisten.
Joan Miró erhielt den Auftrag für ein Wandgemälde in Cincinnati und reiste 1947 erstmals in die USA. Er hält sich mehrere Monate in Cincinnati und New York auf und entdeckt in dieser Zeit die grossformatigen Werke der Abstrakten Expressionisten mit ihrer gestischen Malweise. 1952 in Paris begegnet er erneut Arbeiten von Jackson Pollock, und während einer Reise in die USA 1959 ist er erneut beeindruckt vom Abstrakten Expressionismus. Dazu schrieb er später: «Es zeigte mir die Freiheiten, die wir uns herausnehmen können, und wie weit wir gehen können, über die Grenzen hinaus. In gewissem Sinn hat es mich befreit». In seinem Spätwerk wirkt Joan Miró selbst befreit und wagt sich an grössere Formate; er spritzt und schüttet direkt Farbe auf die Leinwand, lässt sie in langen Spuren hinunterrinnen und arbeitet mit Hand- und Schuhabdrucken.
Zudem beeinflussten ihn die Kalligrafie sowie die Leere und Konzentration in der japanischen Kultur, die er 1966 und 1969 bei Japan-Reisen aus der Nähe studieren konnte. Joan Miró eröffnete damals in eigene Ausstellungen, führte Wandbilder aus und lernte Tradition und Technik der Kalligrafie kennen.
Bereits in den 1920er Jahren und schliesslich vor allem in seinem Spätwerk setzte sich Joan Miró mit der Idee der Leere auseinander, der in der westlichen Kunsttradition kaum Bedeutung zukommt. In der Auseinandersetzung mit dem Zen-Spiritualismus und der Tradition der Meditation wie auch der Bildkomposition der japanischen Kultur lernte er die Präsenz und die Bedeutung der Leere kennen, die wie ein dargestellter Gegenstand oder eine Figur wirken kann.
Joan Miró vereinfachte sein Vokabular, die Linien und Flächen seiner Bilder geben Kräfte- und Energieströme wieder, Symbole und Figuren seiner verspielten Bildwelt verlieren an Bedeutung. Er experimentierte mit Collagen und Textilien, malte mit den Händen, arbeitete mit der Schere, mit Feuer und Wasser. Die neuen Gemälde sind offen für Interpretationen und streben zugleich nach einer allen Menschen zugänglichen Universalität. In der Skulptur arbeitete er nun mit gefundenen Objekten und grellen Farben, die an Pop-Art erinnern.
Die Ausstellung im ZPK zeigt zum Beispiel ein Gemälde von 1933 mit Mirós bekannter Bildsprache mit bunten Farben – meist Primärfarben – sowie Schwarz und Weiss und organischen Formen, die an Körper und Figuren erinnern, wobei teils kleine Gesichter zu sehen sind. Diese Bildsprache trägt zu Mirós Erfolg bei und wird rasch kommerzialisiert. Der Künstler entwickelte die Komposition des Gemäldes mit Hilfe einer vorbereitenden Collage, die im ZPK gleich daneben ausgestellt ist. Aus Zeitungen und Magazinen schnitt er Abbildungen von Maschinen und Apparaturen, von Alltagsgegenständen und Haushaltsartikeln aus, die er zu einer Komposition zusammenklebte. Im nächsten Schritt übertrug er die Formen der Collage in ein Gemälde. Von den abgebildeten Objekten ist kaum mehr etwas zu sehen. Joan Miró wollte mit diesem Vorgehen die übliche Arbeitsweise der Malerei durchbrechen, so die Kuratorinnen. Die Spontaneität wird durch einen bewussten Denkprozess während der Übertragung von der Collage zum Gemälde unterbrochen.
Bereits in seinem Frühwerk verwendete Joan Miró die Collage, um den üblichen Entstehungsprozess eines Kunstwerks aufzubrechen. Doch im in Bern ausgestellten Spätwerk erkennt der Betrachter laut den Ausstellungsmacherinnen, dass die Collage nun das Endresultat und nicht Teil des künstlerischen Arbeitsprozesses ist. Joan Miró setzte in seinen Werken Materialien ein, die der Malerei fremd sind, darunter Sand- oder Schleifpapier, Holzstücke, Nägel und Alltagsgegenstände. Gleichzeitig bleibt der Entstehungsprozess sichtbar: Haken und Nägel, mit denen die Materialien angebracht sind, bleiben sichtbar, ebenso die Leinwand, auf der alles befestigt ist. Miró verbindet die Collage-Elemente mit der Malerei.
1973 schuf Joan Miró fünf Werke, die er als «Verbrannte Leinwände» betitelte. Er schüttete Benzin auf Teile der Leinwand, zündet diese an und löscht sie wieder. So entstanden Löcher, die den Blick auf die Konstruktion des Rahmens erlaubten. Joan Miró nutzte das Verbrennen wie andere malerische Mittel – etwa das Verschütten von Farbe, die Verwendung von Schuhabdrücken, Farbklecksen und mehr. Dabei entfernte er sich bewusst von der traditionellen Malerei, deren Grenzen er auslotete. Bereits in den 1930er Jahren sprach er davon, «die Malerei zu ermorden». In dieser Zeit wandte er sich von einer abbildenden Malerei ab und einer abstrakteren Bildsprache zu. In seinem späten Schaffen führte er diese Haltung konsequent weiter: Mit Übermalungen, Collagen, Textilarbeiten und Verbrennungen verliess er die traditionelle Malerei, durchbrach deren Regeln und Konventionen. Er sprach dabei von Anti-Malerei.
Dies und mehr gibt es zu entdecken im Katalog, herausgegeben von Nina Zimmer und Fabienne Eggelhöfer, mit Beiträgen von Patricia Juncosa Vecchierini, Teresa Montaner, Fabienne Eggelhöfer: Joan Miro: Neue Horizonte / New Beginnings, Snoeck Verlag, Januar 2023, 176 Seiten mit rund 100 farbigen Abbildungen. Den Ausstellungskatalog mit einer Einführung zu Mirós Spätwerk und Beiträgen zu Joan Mirós grossem Atelier in Palma sowie zur Überarbeitung seiner eigenen Werke bestellen bei Amazon.de, Amazon.com.
Zitate und Teilzitate in dieser Ausstellungskritik / Rezension / Buchkritik von Joan Miro: Neue Horizonte sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.
Buchkritik / Rezension der Ausstellung Joan Miro: Neue Horizonte hinzugefügt am 16. Februar 2023 um 17:51 Schweizer Zeit. Detail aufdatiert am 17. Februar 2023 um 10:29.