Volker Resing: Die Biografie von Friedrich Merz

Feb 13, 2025 at 11:17 452

Friedrich Merz (*1955 in Brilon) hat Jura studiert. Bevor er in die Politik ging, arbeitete er als Amtsrichter in Saarbrücken und im vorpolitischen Raum in Bonn als Syndikus beim Verband der Chemischen Industrie. 1989 wurde er Abgeordneter im Europaparlament, 1994 wurde er in den Bundestag gewählt. In den 2000er Jahren scheiterte er als Rivale von Angela Merkel, die ihn beiseite schob. Nach einem Jahrzehnt in der Privatwirtschaft als Wirtschaftsanwalt und Aufsichtsrat strebte er ab 2018 sein politisches Comeback an. Zuerst scheiterte er an Armin Laschet, doch im Januar 2022 wurde er Vorsitzender der CDU Deutschlands, im Februar jenen Jahres Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und im September 2024 Kanzlerkandidat von CDU und CSU für die Bundestagswahl vom 23. Februar 2025.

In den zwölf Jahren als Wirtschaftsanwalt habe er ein Drittel seiner Zeit nicht in Deutschland verbracht und die Hälfte der Zeit nicht Deutsch gesprochen. Das habe auch seinen Blick auf Deutschland verändert, erzählte Friedrich Merz seinem Biografen Volker Resing im Gespräch.

Volker Resing: Friedrich Merz: Sein Weg zur Macht. Herder Verlag, Januar 2025, 224 Seiten. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und das Buch bestellen bei Amazon.de.

Volker Resing war ab 2002 Hauptstadtkorrespondent in Berlin für verschiedene Tageszeitungen sowie katholische Kirchenzeitungen. Er war Redakteur der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. Von 2014 bis Januar 2022 war er Chefredakteur der Herder Korrespondenz. Seit 2022 leitet er das Ressort Innenpolitik „Berliner Republik“ der Monatszeitschrift Cicero.

Zurück zum Jahr 2018: Damals wechselte ein gewisser Jörg Kukies ebenfalls von der Privatwirtschaft in die Politik und wurde beamteter Staatssekretär bei Finanzminister Olaf Scholz, von Dezember 2021 bis November 2024 diente er als beamteter Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Zuvor war Jörg Kukies Deutschlandchef des amerikanischen Investmentbanking- und Wertpapierhandelsunternehmens Goldman Sachs, für das er seit 2000 in Frankfurt und London tätig war, ehe er 2014 in die Spitze aufrückte. Volker Resing merkt an, dass es – anders als im Fall von Friedrich Merz – bei Jörg Kukies keine kritische öffentliche Nachfrage zu seinem Beschäftigungsverhältnis vor dem Wechsel in die Politik gibt.

Volker Resing hinterfragt die Klischees, die über Friedrich Merz zirkulieren: die des Provinzlers aus dem Sauerland, die des spiessigen Konservativen mit einem überholten Frauen- und Familienbild, die des Globalisten und Wirtschaftsliberalen, der weltweit unterwegs ist, bei grossen Unternehmen Millionen verdient hat und für das Soziale und die normalen Menschen kein Gefühl habe.

Friedrich Merz hat ein Buch mit dem Titel Mehr Kapitalismus wagen geschrieben, auf dem Cover posiert er wie ein Wirtschaftsboss (ich: Der Jurist Merz war nie Manager oder gar Unternehmer). Der Pilot Merz, der mit seiner (ich: winzigen) Privatmaschine zur Hochzeit von Christian Lindner nach Sylt fliegt, bedient ebenfalls ein Klischee. Volker Resing fragt in seiner Friedrich Merz-Biografie, ob der CDU-Politiker wirklich die späte Rache der Kohl-Ära sei, die aus den 1980er-Jahren nun plötzlich in der Gegenwart auftauche. Er geht zudem der Frage nach, wie viel Anti-Merkel in Merz steckt.

Für Volker Resing steht fest, dass Angela Merkel ohne die tiefe CDU-Krise nach 16 Jahren Helmut Kohl und Spendenaffäre nicht Kanzlerin geworden wäre, Olaf Scholz ohne unsortierte Union als Folge von 16 Jahren Angela Merkel ebenfalls nicht ins Kanzleramt eingezogen wäre. Friedrich Merz könne ebenfalls nur als Krisengewinnler ins Amt kommen, als Ordner einer zutiefst unklaren und wirtschaftlich dramatischen Situation nach einer gescheiterten Ampelkoalition.

Bei einer Rede am Aschermittwochrede 2024 in Apolda in Thüringen sprach Friedrich Merz nachdem der CDU-Landesvorsitzende Mario Voigt gegen die Ampel argumentiert, gegen die Grünen gegiftet, gegen die Linken-Regierung unter Bodo Ramelow ausgeteilt und in Björn Höcke von der AfD den Hauptfeind ausgemacht hatte. Friedrich Merz hatte laut Volker Resing drei zentrale Botschaften für sein CDU-Publikum: Die AfD ist des Teufels; zur Not muss man auch mit den Grünen regieren; die Zukunft wird hart: Alle werden mehr arbeiten müssen, es gebe weniger Geld zu verteilen, und für die Sicherheit Deutschlands brauche es enorme Investitionen.

Dies waren unbequeme Formulierungen des eigentlich laut Volker Resing vom Volk so geliebten Klartext-Merz. Mancher im Saal hätte doch gern das Gegenteil gehört: Die Grünen sind des Teufels, die AfD ist nicht ganz so schlimm, und es wird schon alles gut, wenn die CDU regiert. Dies sei eine Art Test für einen möglichen Merz-Wahlkampf gewesen. Die grundsätzliche Sympathie für seine Person habe ihn durch den Abend in Apolda getragen. Nur bei seiner Milde mit den Grünen habe es Buhrufe gegeben.

Der Biograf zitiert einen ungenannten, engen und langen Wegbegleiter des CDU-Vorsitzenden mit den Worten: »Einen wie Friedrich Merz wählen die Deutschen bei schönem Wetter nicht zum Kanzler.« Merz’ wirtschaftlicher Erfolg löse – typisch deutsch vielleicht – Skepsis statt Bewunderung aus. Seine geschliffene Rede und Schlagfertigkeit, im Prinzip bewundernswert, sorgten für Distanz und Abstand. Sein bürgerlich-korrektes Auftreten sei kein Sympathiebringer, wirke auf manche eher arrogant. Wenn die Krise gross sei, dann könnte die Sorge der Menschen um Wohlstand und Sicherheit dazu führen, im Unbequemen das Notwendige zu sehen und jemanden wie Merz zu wählen.

In einem Kapitel zur Familiengeschichte und zur frühen Biografie steht unter anderem, dass Friedrich Merz 1955 in Brilon als ältestes von vier Kindern geboren wurde, dass seine Frau Charlotte Merz die Tochter eines saarländischen Rechtsanwalts ist. Sie lernte ihren künftigen Mann während des Studiums kennen. Als sie schwanger wird, ist sie noch unverheiratet und hat ihr Studium nicht abgeschlossen. Ganz so bürgerlich sei es schon damals auch in bürgerlichen Familien nicht mehr zugegangen. Der gesellschaftliche Wandel, den die Politik und insbesondere die CDU in den späten Kohl-Jahren verarbeiten und adaptieren musste, sei im Hause Merz längst angekommen gewesen. Später wurde Charlotte Merz Richterin, dann Direktorin des Amtsgerichts. Sie sei die wichtigste Beraterin des Politikers Merz, so werde es immer wieder auch von Wegbegleitern gesagt.

In der beginnenden Oppositionszeit nach der verlorenen Bundestagswahl 1998 habe Schäuble, Merkel und Merz noch das Bestreben geeint, die CDU erneuern zu wollen. Die enge Vertrautheit und Freundschaft zwischen Schäuble und Merz begann 1995 und hielt ein Leben lang bis zum Tode Schäubles 2023. Volker Resing zitiert hierzu den FAZ-Journalisten Karl Feldmeyer: Kanzler Kohl hatte 1995 eine neue Kommission für eine Steuerreform eingesetzt, deren Vorsitz Schäuble übernahm. Doch es gab bereits eine vergleichbare Runde. Zuvor hatte der Bundesfachausschuss Wirtschaft der Partei eine Arbeitsgruppe Steuerreform gegründet, deren Vorsitz Merz innehatte. Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem alten Hasen und dem jungen Hund hätten nahegelegen. Stattdessen verhielten sich beide pragmatisch und Schäuble lud Merz ein, auch in seinem Gremium mitzuarbeiten.

Feldmeyer verweist zudem darauf, dass Merz Wert auf seine Unabhängigkeit lege. Er wolle auch als stellvertretender Fraktionsvorsitzender zumindest als Teilzeitbeschäftigung weiter seinen Beruf als Rechtsanwalt ausüben. Dies sollte ebenso den politischen Lebensweg von Friedrich Merz bestimmen.

In seiner ersten Rede in der neuen Legislaturperiode am 13. November 1998 nahm Merz sich den neuen Bundesfinanzminister und SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine vor und die Steuer- und Finanzpolitik der neuen Regierung. Die Themen Staatsquote, Steuerbelastung, Beschäftigungs- und Sozialpolitik beschäftigten Merz Zeit seines Lebens besonders, so Volker Resing. Er sei mit seinem konfliktiven Stil auch auf Skepsis gestossen, später sollte sich dann für fast zwei Dekaden der eher vermittelnde Ton von Angela Merkel in der Union durchsetzen. Bis aus Merkel und Merz Kontrahenten wurden, brauchte es allerdings noch eine gewisse Zeit – und ein politisches Erdbeben. Ende 1998 sei davon noch nichts zu spüren gewesen.

Der Autor zitiert den Merkel-Biografen Ralph Bollmann, der berichtete in seinem Buch von der Weihnachtsfeier der Unionsfraktion 1998. Die frisch zur CDU-Generalsekretärin erkorene Angela Merkel, die bereits auf eine Zeit als Regierungssprecherin von Lotharde Maizière zurückblicken konnte, mit dem sie bis ins Weisse Haus zu Präsident George Bush gekommen war, und die bereits Regierungserfahrung am Kabinettstisch von Helmut Kohl gesammelt hatte, verstand sich gut mit dem nahezu gleichaltrigen Friedrich Merz, einem (relativ) neuen Abgeordneten, der gerade erst stellvertretender Fraktionsvorsitzender geworden war. Sie seien sich einig gewesen, dass Schäuble 2002 Kanzler werden müsse. Seit diesem Abend würden sich beide duzen, so Bollmann.

Am 4. November 1999 platzte die Bombe der Parteienspendenaffäre. Kohl erklärte der Öffentlichkeit, er habe von dieser Spende keine Kenntnis gehabt. Nur fünf Monate später, am 10. April 2000, wurde Angela Merkel auf dem CDU-Bundesparteitag in Essen zur neuen Parteivorsitzenden gewählt. Kohl weigerte sich im Verlauf der eskalierenden Affäre, die Namen von Parteispendern zu nennen, denen er versprochen hatte, ihre Identität niemals preiszugeben. Wolfgang Schäuble verstrickte sich in Ungereimtheiten im Zusammenhang mit der Annahme einer weiteren Spende und wurde untragbar. Erstaunlich bleibt laut Volker Resing im Rückblick, wie schnell die CDU noch einmal ihre Führungsmannschaft auswechselt und auch Parteigranden der Kohl-Ära wie etwa Volker Rühe, Jürgen Rüttgers und Kurt Biedenkopf abstraft und auf die neue Generation setzt. Friedrich Merz gehörte zu den Unterstützern von Angela Merkel. Jede Zeile des FAZ-Briefes könne er unterschreiben, habe Merz Merkel wissen lassen, so schreibt es der von Volker Resing zitierte Ralph Bollmann.

Am 29. Februar 2000, wählte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Abgeordneten, der erst seit sechs Jahren dem Parlament angehörte, zu ihrem neuen Vorsitzenden. 217 von 226 Stimmen votierten für Friedrich Merz. Es sei ein beeindruckendes Ergebnis gewesen, denn in diesen wilden Wochen sei nichts gewiss gewesen, so Volker Resing.

Nur das Erdbeben der Spendenaffäre habe in der Nach- Kohl-Ära einen derart drastischen Generationswechsel und den Aufstieg des Neulings Merz ermöglich. Nur die Unterstützung Schäubles, ein ganz besonderer Rückenwind, habe Merz auf seinem Weg vorangetragen. Es sei eine bemerkenswerte Doppelzuneigung Schäubles gegenüber Merz und Merkel gewesen, die dazu geführt habe, dass er bei beiden die besonderen Talente erkannte und beide als seine möglichen Nachfolger angesehen habe.

Dies sind nur einige Elemente aus der Merz-Biografie von Volker Resing, der zudem unter anderem den Fraktionsvorsitz von Merz, den Leitkulturkampf, die Scheidung von Merkel, die Zeit bei BlackRock, alte Netzwerke, das Comeback von Merz, den Endspurt aufs Kanzleramt und die Hürden für den Klartexter Merz beleuchtet.

Volker Resing benennt die Fehltritte von Friedrich Merz auf der Zielgeraden: Er prangerte den angeblichen »Sozialtourismus« der ukrainischen Kriegsflüchtlinge an, klagte in einer Talkshow über die »kleinen Paschas« – gemeint waren Kinder mit migrantischer Herkunft –, die Lehrerinnen terrorisierten und es so an Integrationswillen fehlen liessen, und behauptete, Zuwanderer würden sich auf Steuerzahlerkosten »die Zähne machen«, während deutsche Normalos keine Termine bekämen.

Merz’ größter Fehler sei seine Einlassung zur Zusammenarbeit mit der AfD gewesen. In einer etwas gedrechselten Formulierung hatte er im ZDF-Sommerinterview 2023 erklärt, dass es eine Art von Miteinander auf kommunaler Ebene mit der AfD geben könne. Nicht im Buch, da nach Abschluss des Manuskriptes geschehen: Der Entschliessungsantrag Drucksache 20/14698, nur eine Empfehlung an die Bundesregierung ohne bindende Wirkung, die Merz bewusst mit Stimmen der AfD am 29. Januar 2025 im Bundestag durchbrachte, was zu Grossdemonstrationen führte und linke Wähler am 23. Februar 2025 mobilisieren könnte.

Der Biograf kommt zum Schluss, dass Friedrich Merz in seiner Eigenständigkeit und Eigensinnigkeit mehr an Gerhard Schröder als an Angela Merkel erinnere.

Volker Resing: Friedrich Merz: Sein Weg zur Macht. Herder Verlag, Januar 2025, 224 Seiten. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und das Buch bestellen bei Amazon.de.

Friedrich Merz: Neue Zeit. Neue Verantwortung: Demokratie und Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert. Econ Verlag, November 2020, 240 Seiten. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und das Buch bestellen Buch bestellen bei Amazon.de.

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Rezension vom 13. Februar 2025. Hinzugefügt um 11:17 deutscher Zeit.