Von Katharina Dröge (*1984), seit Dezember 2021 zusammen mit Britta Hasselmann Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, kam die wohl substantiellste Erwiderung auf die Regierungserklärung von Kanzler Merz am 14. Mai 2025 im Bundestag.
Die Bundestragesrede von Katharina Dröge am 14. Mai 2025 im vollen Wortlaut:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!
Herr Merz, Sie übernehmen dieses Amt in sehr schwierigen Zeiten:in einer Zeit, in der der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine weiterhin mit unverminderter Brutalität fort-gesetzt wird, in einer Zeit, in der der amerikanische Präsident die internationale Ordnung schreddert und Europa weiss, dass wir uns auf die USA aktuell nicht mehr verlassen können, und in einer Zeit, in der 151 Abgeordnete einer rechtsextremen Partei hier im Deutschen Bundestag sitzen. Deshalb, Herr Merz: Auf Sie wird es ankommen. Auf Ihre Regierung wird es in dieser Zeit ankommen. Deswegen ist es von mir sehr ernst gemeint – bei allen politischen Differenzen, die uns trennen, und das sind einige –, dass ich Ihnen im Namen der gesamten grünen Bundestagsfraktion viel Erfolg für die nächsten Jahre wünsche, viel Erfolg für diese Regierung; denn dieses Land hat das verdient. Dieses Land hat es verdient, dass Sie eine Regierung sind, die funktioniert.
Mit Blick darauf muss man aber auch sagen: Da hatten Sie, Herr Merz, den denkbar schwierigsten Start hier im Deutschen Bundestag. Ich kann verstehen, dass Sie beide, Herr Miersch und Herr Merz, in dieser Debatte nicht darüber sprechen wollten; aber es ist keine Kleinigkeit,wenn ein Kanzler im ersten Wahlgang keine Mehrheit bekommt. Das ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Wir alle hier sind Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Jeder von uns weiss, was eine Kanzlerwahl bedeutet. Jeder von uns weiss, dass das am Ende die zentrale Vertrauensabstimmung ist. Die zentrale Frage der Spitzen einer Koalition an die Abgeordneten, die diese Koalitio nin Zukunft tragen müssen, ist: Geht ihr diesen Weg mit? Vertraut ihr uns? Bei dieser zentralen Frage hat keine Mehrheit hinter Ihnen gestanden. Es ist die bittere Nachricht dieses 6. Mai der letzten Woche an das Land gewesen, dass Ihre Koalition Ihnen dieses Vertrauen erst einmal nicht ausgesprochen hat. Und das ist erheblich; denn damit ist diese Koalition deutlich instabiler, als es gut für unser Land ist und als ich es Ihnen gewünscht hätte. Deshalb, Herr Merz, hätte ich uns und Ihnen gewünscht, dass Sie die darauffolgende Woche, diese erste Woche Ihrer Kanzlerschaft, genutzt hätten, um wieder ein bisschen mehr Ordnung, ein bisschen mehr Ruhe und Stabilität in Ihre Koalition zu bringen.
Aber ausgerechnet beim Thema Europapolitik – Sie sagen zu Recht, dass dies Ihr Schwerpunkt als Kanzler sein wird – haben Sie selbst erhebliches Chaos in diese Koalition gebracht. Ich sage Ihnen ausdrücklich, Herr Merz: Es war gut und richtig, dass Sie gemeinsam mit anderen europäischen Regierungschefs als Erstes in die Ukraine gefahren sind. Das war ein wichtiges Signal. Wir erkennen das ausdrücklich an. Und es war auch richtig und wichtig, dass Sie nach Paris und nach Warschau gefahren sind. Aber ich frage mich ganz ehrlich: Wer in dieser Koalition, wer im Bundeskanzleramt, im Auswärtigen Amt oder von irgendwoher hielt es für eine gute diplomatische Idee, dem polnischen Regierungschef ausgerechnet zum Antrittsbesuch, quasi als vergiftetes Gastgeschenk, verschärfte Schliessungen der Grenzen zu Polen und die Zurückweisung von Geflüchteten nach Polen mitzubringen? Was ist das für ein Signal an die polnische Regierung gewesen? Ich habe nicht verstanden, wie Sie sich darüber wundern konnten, dass Donald Tusk – zu Recht – maximal verärgert auf diese Art Ihrer Europapolitik reagiert hat. Denn im Kern ist das, was Sie gemacht haben, Herr Merz, und wo die SPD, Lars Klingbeil und Matthias Miersch, irgendwie stillschweigend und betreten zuschaut, die Aufkündigung der europäischen Zusammenarbeit in der Asylpolitik; die beschliessen Sie hier gerade. Im Kern ist das eine Politik, die sagt: Deutschland macht seins, und die anderen können dann mal sehen, wo sie bleiben. Deswegen ist ganz Europa an dieser Stelle so verärgert über das, was Sie machen.
Wir haben jetzt hier eine Regierungsbefragung erlebt, bei der die Bundesregierung, der Chef des Bundeskanzleramtes und der Vizekanzler, auf die wiederholte Nachfrage von zig Abgeordneten immer noch nicht beantworten konnte, ob der Innenminister eigentlich plant, europäisches Recht zu brechen. Sie konnten die Frage nicht beantworten, ob es Ihre erste Amtshandlung war, Herr Dobrindt, sich einfach über europäische Verträge hinwegzusetzen, und wie die rechtliche Grundlage der Zurückweisung an den deutschen Grenzen eigentlich aussieht. Ein Chaos über Tage und bis heute keine Antwort! Das ist ein erhebliches Problem, das Sie an dieser Stelle erzeugen.
Und Sie setzen das Ganze ja fort. Es war auch gut, dass Sie zum Antrittsbesuch zu Ursula von der Leyen gefahren sind, Herr Merz. Aber dann haben Sie ausgerechnet dort auf einer Pressekonferenz vorgeschlagen, dass das gerade erst auf europäischer Ebene beschlossene Lieferkettengesetz wieder abgeschafft werden soll. Ich frage Sie ganz ehrlich: Was war das für ein Signal an Europa? Was war es für ein Signal an die Welt, dass ein deutscher Bundeskanzler sagt: „Die Verletzung von Menschenrechten, Kinderarbeit und die Ausbeutung von Menschen sind Deutschland jetzt egal“? Das sagt ein deutscher Bundeskanzler!
Was ist das für ein Signal an die Unternehmen in diesem Land? Viele Unternehmen haben sich doch schon auf den Weg gemacht, weil sie sich darauf verlassen haben, dass Gesetze auch gelten und dass diese Politik in Deutschland und Europa kommt. Was für ein Durcheinander schaffen Sie an dieser Stelle? Sie haben das ja offensichtlich noch nicht einmal miteinander abgestimmt. Ihr Vizekanzler, Lars Klingbeil, ist wenige Tage später auch nach Brüssel gereist, und er hat dort das komplette Gegenteil gesagt. So sollte man keine Europapolitik machen, Herr Merz.
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie diese Regierungserklärung genutzt hätten, um Antworten auf ein paar Fragen zu geben. Das haben Sie leider nicht gemacht. Im Kern war das, was wir hier erlebt haben, ein etwas längliches Vorlesen des Koalitionsvertrages. Die zentralen Fragen für unser Land sind weiterhin unbeantwortet – auch die wirtschaftspolitischen.
Sie haben keine Antwort auf die Frage gegeben, wie eine zukunftsfähige Energieversorgung Deutschlands aussieht. Das Einzige, was wir von Katherina Reiche wissen, ist, dass Kohlekraftwerke länger laufen sollen und dass fossile Gaskraftwerke in grossem Umfang ausgeschrieben werden.Keine Antwort von Ihnen gibt es auch auf die Frage,wie der Rekordausbau der erneuerbaren Energien, die zentrale Erfolgsgeschichte der letzten Koalition dank der Arbeit von Robert Habeck, fortgesetzt werden soll. Sie haben hier eigentlich einen Elfmeter ohne Torwart.
Keine Antwort von Ihnen gibt es auch auf die Frage,wie der Rekordausbau der erneuerbaren Energien, diezentrale Erfolgsgeschichte der letzten Koalition dankder Arbeit von Robert Habeck, fortgesetzt werden soll. Sie haben hier eigentlich einen Elfmeter ohne Torwart und könnten den Ball jetzt reinmachen; aber es gibt keine einzige vernünftige Antwort von Ihnen. Das Einzige, was Sie zum Thema Klimaschutz gesagt haben, war wie immer: Der CO2 -Preis soll das regeln.
Eine Frage, die die CDU niemals beantwortet, ist auch: Wie hoch soll dieser CO2 -Preis eigentlich sein? Denn ohne steigende CO2 -Preise wird es keinen Klima-schutz geben. Da gibt es von Ihnen keine Antwort.
Eine weitere zentrale wirtschaftspolitische Frage: In meiner Heimatstadt Köln demonstrieren heute Tausende Beschäftigte von Ford für die Zukunft ihres Arbeitsplatzes. Aber genau die Frage, wie es diese Koalition mit dem Verbrenner-Aus 2035 hält, haben Sie nicht beantwortet. Das heisst, Sie haben sich um eine der zentralen Zukunftsfragen der deutschen Automobilindustrie gedrückt. Das schafft keine Planungssicherheit. Wenn Sie so weitermachen, gibt es keine Orientierung und am Ende auch keinen Hochlauf der Elektromobilität.
Wir haben darüber hinaus die Ankündigung des Finanzministers gehört, dass der Bundeshaushalt – anders als Sie das gesagt haben, Herr Merz – nicht vor dem Sommer beschlossen wird. Wir haben gelernt, dass es noch keinen Plan für das Sondervermögen von 500 Milliarden Euro gibt, keinen Investitionsplan für die Zukunft unseres Landes. Wir haben aber nicht gelernt, was mit der Reform der Schuldenbremse passieren wird. Sie, Matthias Miersch, haben gesagt, sie soll kommen. Von der CDU hören wir das Gegenteil. Auch hier gibt es offene Fragen, die Sie nicht beantwortet haben.
Und die grösste Frage, die Sie nicht beantwortet haben, betrifft die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Sehr viele von Ihnen haben in dieser Debatte über genau dieses Thema gesprochen, aber aus meiner Sicht nur aus einem einzigen Grund: um zu verdecken, dass Sie im Kern keine einzige Antwort auf diese Frage haben.
Wir haben das auch gerade in der Regierungsbefragung geklärt: Im Mai geht dem Gesundheitsfonds das Geld aus. Sie werden dafür eine Lösung bieten müssen, denn im Oktober drohen diesem Land Steigerungen der Krankenversicherungsbeiträge. Das heisst, es wird teurer für die Versicherten, es wird teurer für die Unternehmen.Und die einzige Antwort, die Sie darauf geben, ist eine Kommission, die irgendwann mal – 2027 – Ergebnisse präsentieren soll. Bis dahin ist das Leben für die Menschen in diesem Land aber teuer geworden, und deswegen erwarten sie jetzt eine Antwort von ihrer Regierung.
Das letzte Thema, zu dem Sie, Herr Merz, grundsätzlich nicht sprechen, ist das Thema Fachkräftezuwanderung. Ja, Sie haben jetzt einmal gesagt: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Doch Sie schaffen es nie, diesen Satz ohne ein „Aber“ danach auszusprechen. Sie schaffen es nie, den Menschen, die seit Generationen hier leben und dieses Land mit aufgebaut haben, einmal Danke zu sagen. Punkt! Schon das schaffen Sie nicht. Aber Sie schaffen es vor allen Dingen nicht, zu sagen: Wenn unsere Wirtschaft zukunftsfest sein soll, dann brauchen wir Arbeitskräftezuwanderung.Es braucht entschiedene Massnahmen dieser Bundesregierung, um das Ganze anzugehen. Andernfalls spielen Sie mit der Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland – und das nur aus ideologischen Gründen.
Am Ende dieser Debatte geht es für mich, Herr Merz, auch darum, dass Sie eine Antwort auf die Frage geben,wie Sie als Kanzler ein Stück weit Vertrauen zurückgewinnen wollen. Die Politik, die Sie in den letzten Jahren gemacht haben, war an vielen Stellen eine Politik, die verbrannte Erde hinterlassen hat. Sie haben einen Wahlkampf gemacht, der an zentralen Stellen auf falschen Aussagen basiert hat. Sie haben hier im Bundestag eine Abstimmung mit den Stimmen der AfD gewonnen. Sie haben hier im Deutschen Bundestag Ihr Wort gebrochen. Und Sie haben in den letzten drei Jahren sehr viele Gelegenheiten genutzt, Herr Merz, um zu polarisieren, um Stimmung zu machen gerade gegen diejenigen Menschen in diesem Land, die gesellschaftliche Minderheiten sind: gegen Arbeitslose, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen Geflüchtete. Ich erwarte von Ihnen, Friedrich Merz – Sie haben ja hier in Ihrer Rede einen anderen Ton gefunden –, dass Sie Kanzler aller Menschen in diesem Land sind. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie als Kanzler Brückenbauen und dass Sie sich als Kanzler nicht daran beteiligen, in Zukunft das fortzusetzen, was Sie in der Vergangenheit gemacht haben. Ein Bundeskanzler muss für alle Menschen da sein, gerade für die Schwächsten in diesem Land; daran werden wir Sie messen.
Volker Resing: Friedrich Merz: Sein Weg zur Macht. Herder Verlag, Januar 2025, 224 Seiten. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und das Buch bestellen bei Amazon.de.
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Foto © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons).
Volltext der Bundestagsrede vom 14. Mai 2024. Am 15. Mai 2025 hinzugefügt um 17:45 deutscher Zeit.