Die Bilanz von Schwarz-Gelb ist nicht halb so gut wie die Kanzlerin behauptet.
Diese Chuzpe muss an erst einmal haben. Die Kanzlerin behauptete am 21. November 2012 im Bundestag allen Ernstes: „Ein nüchterner Blick auf die Fakten zeigt: Diese Bundesregierung ist die erfolgreichste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung“. Die Kanzlerin verwies in ihrer Begründung auf die tiefste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung, die höchsten Ausgaben für Forschung und Bildung und die höchste Entlastung für die Kommunen. Sie erwähnte zudem „zwei ehrgeizige Projekte“, die Energiewende und die Aussetzung der Wehrpflicht mit der Einführung eines Freiwilligendienstes.
Die magere Bilanz von Angela Merkel wird auch durch Schönreden nicht besser. Natürlich, je mehr Menschen in Arbeit sind, je sozialer ist ein Land. Doch bei der tiefen Arbeitslosenrate vergass die Kanzlerin zu erwähnen, dass die Rate von zur Zeit 6,5% – rund 2,75 Millionen Arbeitslose – herzlich wenig mit ihrer Regierungsarbeit zu tun hat. 6,5% mag zur Zeit in Europa und angesichts der Krise akzeptabel klingen, doch jede Zahl über 5% ist zu hoch und verweist auf strukturelle Probleme. Vor allem aber verdankt Deutschland die tiefe Rate weitgehend den Hartz-Reformen von Rot-Grün. Mit Schwarz-Gelb hat sie fast nichts zu tun. Doch die Hartz-Reformen bedürfen der Nachbesserung. Was bitte sollen Ein-Euro-Jobs und 400-Euro-Jobs sein? Das hat nichts mit Marktwirtschaft zu tun. Schlimmer noch, „MAE-Kräfte“, also Menschen, die „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“, also Zusatzjobs im Rahmen des „Arbeitslosengeldes II“, ausführen, tauchen in der Arbeitslosenstatistik nicht auf. Damit wird nicht nur die Arbeitslosenstatistik geschönt, ja gefälscht, es wird nicht nur der Wettbewerb verfälscht, vor allem wurde in Deutschland eine neue Unterklasse geschaffen. Schaut man sich noch Hartz IV an, so wird das Bild noch düsterer. Rund 8 Millionen Deutsche, also knapp 10% der Gesamtbevölkerung, leben von Hartz IV. Eine solche Politik kann auf lange Sicht nicht gut gehen. Was hat Schwarz-Gelb gemacht, um diese soziale Zeitbombe zu entschärfen? Nichts!
Angela Merkel verwies in ihrer Bundestagsrede vom 21. November 2012 zudem auf solide Finanzen. Die Neuverschuldung sei auf ein Niveau von €17,1 Milliarden heruntergekommen, nachdem im Krisenhaushalt 2010 noch €80 Milliarden vorgelegen hätten, beim mit 5% des BIP stärksten Wirtschaftseinbruch in der Geschichte der Bundesrepublik. Drei Jahre bevor die Schuldenbremse es von der Bundesregierung verlange, könne die Regierung die Vorgabe einhalten und die strukturelle Neuverschuldung auf 0,35% des BIP begrenzen.
Auch da vergass die Kanzlerin wieder einiges, so das kleine Wörtchen „strukturell“ zu erläutern. Es handelt sich um die um „Konjunktur- und Sondereffekte bereinigte Neuverschuldung“. Doch die Bundesregierung profitierte haufenweise von besonderen Umständen. Der SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück führte dazu in seiner Rede noch vor der Kanzlerin aus, dass die Regierung „die gute Zeit nicht genutzt“ und „Vorsorge für angespannte Zeiten nicht getroffen“ habe. „Dabei hat Ihre Koalition schlichtweg mehr Glück als Verstand: Gegenüber der ersten schwarz-gelben Finanzplanung für den Zeitraum 2010/13 haben sich die Steuereinnahmen…, die Zinsausgaben … [und] die Arbeitsmarktausgaben deutlich günstiger entwickelt. Das dürfte Sie in einer Grössenordnung von 130 Milliarden Euro entlastet haben. Darüber hinaus kann der Bundesfinanzminister… deutsche Staatsanleihen zu einem Nahezu-Null-Zins platzieren, weil viele Deutschland als sicheren Hafen suchen…“ Der Allianz-Versicherungskonzern rechnete aus, dass daraus eine jährliche Zinsersparnis von 10 Milliarden Euro für den deutschen Staatshaushalt entsteht, wie Peer Steinbrück zuecht ausführte.
Die Wahrheit ist folglich dass es die Regierung Merkel trotz €130 Milliarden Sonderentlastungen nicht geschafft hat, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Noch viel schlimmer, es wurde keine Vorsorge für bevorstehende Milliardenverluste getroffen, die sich aus der Konkursverschleppung im Falle Griechenlands ergibt. Da bleibt Angela Merkel nach wie vor bei den Märchen von Garantien, Krediten und einem wundervollen Ende der „Rettung“ Griechenlands. Natürlich hat das Land Fortschritte gemacht, wenn auch zu wenige, und bewegt sich langsam in die richtige Richtung. Die Schuldenquote Griechenlands liegt jedoch bei rund 190% des BIP. Die Schulden belaufen sich auf über €300 Milliarden. Wer Laufzeiten verlängert oder Zinsen senkt, der schreibt natürlich einen Teil der Schulden ab. Was im November 2012 bezüglich Griechenland verabschiedet wurde, reicht nicht, um das bankrotte Land auf die Gewinnerstrasse zurückzubringen. Die Kanzlerin versucht, die wahre Dimension des Desasters bis nach der Bundestagswahl nicht ans Licht kommen zu lassen. Deutschland hat sich in eine Haftungsunion begeben. Die Vergemeinschaftung der Schulden hat stattgefunden. Scheibchenweise wurden Versprechen gebrochen und rote Linien überschritten. Und Griechenland ist nicht alleine, auch wenn dieses Land den einzigen hoffnungslosen Fall darstellt, solange es nicht zu einem massiven Schuldenschnitt kommt, mit Konsequenzen für den deutschen Steuerzahler. Den Regierungsfraktionen schwant Böses. Deshalb hatte die Kanzlerin bei der November-Abstimmung für neue Griechenland-Kredite keine Kanzlermehrheit hinter sich. Gerettet von SPD und Grünen!
Auch Spanien, mit einer Arbeitslosenquote von über 25% und einer Jugendarbeitslosigkeit von 50%, hat noch einen langen Weg vor sich. Portugal, Irland und Italien stellen weitere Baustellen innerhalb der Eurozone dar, die allerdings alle zur Hoffnung Anlass geben. Nicht vergessen werden darf Frankreich, das unter dem sozialistischen Präsidenten Hollande und seiner Regierung (noch) in die falsche Richtung läuft, wenn auch zuletzt eine erste, überfällige Kurskorrektur erfolgte.
Angela Merkel muss eine äusserst magere Bilanz verantworten. CDU und CSU haben alles gemacht, damit die FDP nach der Bundestagswahl nicht noch stärker wird. Die Liberalen selbst haben sich zudem alles andere als geschickt angestellt. So konnte von der Schwarz-Gelben Agenda in der „Wunschkoalition“ fast nichts durchgesetzt werden. Nur ein Stichwort: Keiner spricht mehr von einer radikalen Vereinfachung das hanebüchenen Steuerrechts in Deutschland. Mit der Mängelliste der Regierung und ihrer Vertreter in Kabinett und Parlament könnte man ein ganzes Buch füllen.
Deutschland steht im europäischen Vergleich nicht schlecht da. Doch Griechenland, Spanien oder selbst Frankreich sind keine seriösen Konkurrenten, mit denen man sich messen kann. Kurzum: Liebe Frau Merkel, es wird Zeit, dass sie gehen! Wir werden noch bis zur nächsten Bundestagswahl warten müssen, bis der Traum wahr werden kann. Zur Zeit stinkt es allerdings wieder stark nach einer Neuauflage der grossen Koalition. Wenn die Kanzlerin auch nur einen Funken Verstand hat, wird sie den Weg für eine neue Kraft frei machen. Doch wer soll das sein? Das Kabinett präsentiert Durchschnittspolitiker, und auf den Oppositionsbänken sieht es noch düsterer aus. Mit Steinbrück könnte man halbwegs leben. Wäre er besser als Merkel? Immerhin wären ihm mehr Reformen zuzutrauen. Seine Chancen aufs Kanzleramt sind allerdings minimal. Nochmals vier Jahre mit Angie?!
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Foto von Angela Merkel hinzugefügt am 15. April 2020. Angela Merkel bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages am 12. März 2018. Foto: Sandro Halank, Wikipedia Commons.
Artikel vom 1. Dezember 2012 um 13:42