Der junge, aber bereits politisch erfahrende Wahlsieger Sebastian Kurz (*1986) von der konservativen ÖVP hat wie erwartet mit Christian Strache von der rechtspopulistischen FPÖ eine Regierung gebildet. Die ÖVP war bei der österreichischen Nationalratswahl vom 15. Oktober 2017 mit 31,47% (+7,48%) auf dem ersten, die FPÖ mit 25,97% (+5,46%) auf dem dritten Platz gelandet. Dazwischen lag die SPÖ des geschlagenen Kanzlers und sozialdemokratischen Parteivorsitzenden Christian Kern mit 26,86% (+0,04%), der nun auf den Bänken der Opposition Platz nehmen muss.
Die sich seit dem 18. Dezember 2017 im Amt befindliche Regierung Kurz rückt flüchtlings- und wirtschaftspolitisch nach rechts. Die Grundlage der Zusammenarbeit bildet das Regierungsprogramm Zusammen für unser Österreich. Regierungsprogramm 2017-2022, das in einer 15-seitigen Kurz- und in einer 182-seitigen Langversion existiert.
Darin wird Österreich als „eines der schönsten und lebenswertesten Länder der Welt“ gelobt, gleichzeitig zurecht jedoch darauf hingewiesen, dass die Alpenrepublik „in manchen Bereichen den Anschluss an die Spitze in Europa verloren“ hat.
Um Angriffe auf die neue, zweite schwarz-blaue Regierung von der EU her zu verhindern, hat wohl Bundeskanzler Kurz ins Regierungsprogramm reinschreiben lassen, dass die Bundesregierung „eine klar pro-europäische Ausrichtung“ habe. Gleichzeitig wird (zurecht) betont, dass die EU im Sinn der Subsidiarität weiterentwickelt werden soll.
Sebastian Kurz hat seine ÖVP vor den Wahlen von Blau auf Türkis umgefärbt, weshalb jetzt von einer türkis-blauen Koalition die Rede ist. Alter Wein in neuen Schläuchen? Nein, nicht ganz.
Nach siebenwöchigen Verhandlungen kann die Regierung nach auf der Lage eines Programms regieren, dass zumindest einige Ansätze in die richtige Richtung zeigt. Die Abgabenquote von 43% soll auf 40% gesenkt werden, wobei nicht ganz klar ist, wie genau. Immerhin soll in der Verfassung eine Schuldenbremse festgeschrieben werden. Die türkis-blaue Koalition will gleichzeitig die Lohnsteuer pro Kind um 1500 Euro reduzieren („Familienbonus Plus“), die Steuersätze für Bürger und Unternehmen sowie die Lohnzusatzkosten senken, das Steuerrecht vereinfachen, die Bürokratie für Bürger und Unternehmen reduzieren (die Informationspflichten für Unternehmen und Schutzvorschriften abbauen).
Die Zuwanderung soll sich in Zukunft stärker am Arbeitsmarkt, am Bedarf der Unternehmen orientieren, ein grösseres Augenmerk auf die Qualifikation der Zuwanderer gelegt werden, Arbeitslosengeld und soziale Hilfen sollen so geändert werden, dass der Anreiz zu Annahme einer Arbeit steigt. Die Arbeitszeitflexibilisierung soll vorangetrieben werden.
Zum Thema Migration und Flüchtlinge gehört die Einführung einer Bildungspflicht, das Deutschlernen vor dem Schuleintritt, der Kampf (Stopp) gegen die illegale Migration, mehr Sicherheit durch mehr Polizei sowie härtere Strafen bei Gewalt- und Sexualdelikten.
Doch viele Probleme Österreichs werden noch nicht angegangen. So wagte die Regierung Kurz es nicht, die Pflichtmitgliedschaft in den politisierten Kammern (Arbeitnehmer und Unternehmer) abzuschaffen, wie sie von der FPÖ noch zuletzt im Wahlkampf gefordert worden war.
Zudem liegt das effektive Pensionsalter in Österreich bei rund 60 Jahren, wobei bereits heute eine Finanzierungslücke im staatlichen Renten-/Pensionssystem festzustellen ist. Die FAZ zitiert zu diesem Thema Franz Schellhorn der Denkfabrik Agenda Austria, der zurecht darauf hinweist, dass die Finanzierungslücke im österreichischen Pensionssystem bereits heute €21 Milliarden pro Jahr beträgt, was ein Viertel des Bundeshaushalts ausmacht. So kann es nicht weitergehen.
Immerhin werden unnötige, teure, rot-schwarze Förderprogramme für neue Arbeitsplätze der letzten grossen Koalition zurückgenommen, namentlich der „Beschäftigungsbonus“ und die „Aktion 20,000“. 2017 wuchs das österreichische Bruttosozialprodukt um rund 3%. Da ist solcher Aktionismus weder nötig noch zielführend. Die Arbeitslosenquote Ende 2017 von 5,4% nach Eurostat-Definition (mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 9,3%) gibt allerdings nicht die wahre Lage am Arbeitsmarkt wieder, da sie nach österreichischer Definition bei 9,4% liegt, was das Vertrauen in die Statistiken der EU nicht gerade erhöht.
Die Regierung Kurz
Die Regierung Kurz rückt flüchtlings- und wirtschaftspolitisch nach rechts. Bundeskanzler Sebastian Kurz von der ÖVP hat sich während der Flüchtlingskrise und im Wahlkampf für einen harten, restriktiven Flüchtlingskurs eingesetzt und schon mal so getan, als hätte er die Balkanroute eigenhändig geschlossen.
Der Vizekanzler und Minister für den öffentlichen Dienst und Sport – warum so ein unbedeutendes Ministerium – Heinz-Christian Strache von der FPÖ politisiert als Rechtspopulist seit Jahren am rechten Rand, was im Aufwind gegeben hat, wobei er als Jugendlicher gar mit der extremen Rechten keine Berührungsängste hatte.
Die parteilose, von der FPÖ nominierte Aussen-, EU- und Integrationsministerin Karin Kneissl hat ihre Kindheit in Jordanien verbracht und später Jura und Arabistik studiert. Ihre Dissertation verfasste sich zum Thema des Grenzbegriffs der Konfliktparteien im Nahen Osten. Sie hat in Wien, Ammann, Jerusalem und Paris (ENA) studiert. Sie war im diplomatischen Dienst, als Journalistin für Presse und ORF, an der Unis in Wien, Beirut, etc. tätig. Sie gilt als Spezialistin für den Nahen Osten und den Energiesektor. Sie kritisierte 2015 die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel sowie das von ihr in die Wege geleitete EU-Türkei-Abkommen vom 18. März 2016. Zudem äusserte sie sich 2016 abfällig über EU-Kommissionspräsident Juncker.
Der Innenminister der Regierung Kurz heisst Herbert Kickl. Der Ex-FPÖ-Generalsekretär ist rhetorisch brillant und hat einst für Jörg Haider Reden verfasst. Zu den Rechtsextremen grenzt er sich nicht wirklich ab. Zu seinem Kommunikationschef im Innenministerium berief er Alexander Höferl, der unter anderem die rechtspopulistische, fremdenfeindliche, pro-russische Internetplattform unzensuriert.at gegründet hat.
Justizminister, zuständig für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz, wird der parteilose, von der ÖVP portierte Josef Moser, der von 2004 bis 2016 Präsident des österreichischen Rechnungshofes war.
Finanzminister wird der parteilose, von der ÖVP nominierte Hartwig Löger, der unter anderem von 2011 bis 2017 Vorstandvorsitzender der UNIQA-Versicherung gewesen war.
Ministerin für Land-, Wasser- und Forstwirtschaft sowie Umwelt ist die ÖVP-Politikerin Elisabeth Köstinger, die 2017 gut einen Monat lang Präsidentin des österreichischen Nationalrats gewesen war. Ab Mai 2017 war sie zuvor ÖVP-Generalsekretärin gewesen. Seit 2009 ist sie Vizepräsidentin des Österreichischen Bauernbundes.
Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz ist die FPÖ-Politikerin Beate Hartinger-Klein, die zuvor in Firmen als Steuerberaterin und Zuständige für die interne Revision sowie als Lektorin an der Wirtschaftsuniversität Wien und an der Karl-Franzens-Universität in Graz tätig gewesen war, ehe sie Geschäftsführerin und später stellvertretende Generaldirektorin des Hauptverbandes der österreichischen Versicherungsträger wurde. Danach wechselte sie zu Deloitte Österreich, ehe sie von 2011 bis 2017 selbständig (was?) war. Sie sass zuletzt im Aufsichtsrat der Oberösterreichischen Gesundheits- und Spitals-AG. Ab 1996 war sie für die FPÖ in der Politik, zuerst als Abgeordnete im Steiermärkischen Landtag sowie von 1999 bis 2002 im Nationalrat.
Mario Kunasek von der FPÖ ist der neue Verteidigungsminister Österreichs. Von 2008 bis 2015 sass er für die FPÖ im Nationalrat. Zuletzt war er Abgeordneter im Landtag Steiermark und Landesparteiobmann der FPÖ-Steiermark. Im Militär war er ab 1997 Unteroffizier, ab 2005 Stabsunteroffizier.
Der nur knapp als Bundespräsidentschaftskandidat an Alexander Van der Bellen gescheiterte Norbert Hofer von der FPÖ ist der neue Minister für Verkehr, Innovation und Technologie der Regierung Kurz. Der langjährige FPÖ-Politiker erlangte im Kampf um die Bundespräsidentschaft einige Popularität sowie einen erhöhten Bekanntheitsgrad. Auch er gehört zu jene FPÖ-Ministern, die sich gegen Rechts nicht wirklich abgrenzen.
Der in Düsseldorf geborene, parteilose Heinz Fassmann wurde von der ÖVP als Minister für Wissenschaft und Forschung nominiert. Er war zuvor als Professor an der Uni Wien für Angewandte Geographie, Raumforschung und Raumordnung tätig.
Die parteilose, von der ÖVP portierte Margarete Schramböck ist Ministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort. Sie war zuletzt (von Mai 2016 bis Oktober 2017) CEO der A1 Telekom Austria. Zuvor war sie unter anderem für Alcatel sowie NextiraOne (dort als Geschäftsführerin) tätig.
Nach zu erwähnen sind die Molekularbiologin und Biochemikerin Juliane Bogner-Strauss und der ehemalige Philosophiestudent, der auch einen MBA erwarb, Gernot Blümel (beide ÖVP), der unter den ÖVP-Obmännern Michael Spindelegger und Reinhold Mitterlehner ÖVP-Generalsekretär war,e ehe er 2015 Landesparteiobmann der ÖVP Wien wurde. Sie sind in der Regierung Kurz als Kanzleramtsministerin für Frauen, Familie und Jugend bzw. als Kanzleramtsminister für EU, Kunst, Kultur und Medien tätig.
Yvonne Staat hat in der FAZ Anfang 2018 die Beziehungen der Herren Strache, Kickl, Hofer und Kunasek zur rechtextremen Szene in den letzten Jahren dargelegt. Da stellen sich viele Fragen. Solange sie in der Regierung keine rechtsextremen Taten folgen lassen, ist alles noch im grünen Bereich. Sollten sie jedoch rote Linien überschreiten und zum Beispiel den Rechtsstaat verletzen, müssen Köpfe rollen; nicht physisch, sondern politisch :).
Siehe zu Sebastian Kurz die Biografie von Nina Horaczek und Barbara Toth.
Artikel vom 4. Januar 2018 um 17:13 Wiener Zeit