Die Albertina in Wien sollte eigentlich noch bis am 24. Mai 2020 die von Matthias Frehner kuratierte Ausstellung Van Gogh, Cézanne, Matisse, Hodler. Die Sammlung Hahnloser zeigen. Wegen der aktuellen Coronavirus-Epidemie ist das Museum leider geschlossen. Immerhin können Sie noch den lesens- und sehenswerten Katalog konsultieren.
Ich kenne die Sammlung noch aus der Villa Flora des Sammlerehepaares Arthur und Hedy Hahnloser in Winterthur, die als Museum dem Publikum bis 2014 geöffnet war. Zur Zeit wird das Gebäude renoviert und soll 2022 als dritter Standort des Kunstmuseums Winterthur wiedereröffnet werden. Die Villa Flora ist weitgehend im Originalzustand erhalten und wurde 2018 dem Kanton Zürich von den Urenkelinnen des Sammlerehepaars mit der Auflage geschenkt, sie dauerhaft der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Hedy Hahnloser-Bühler (1873–1952) war eine ausgebildete Malerin und die Tochter des Textilherstellers Karl Bühler-Blumer. Ihr Mann war der Augenarzt Arthur Hahnloser (1870–1936). Ihre Kollektion gehört zu den bedeutendsten Privatsammlungen der Schweiz.
Sie sammelten bedeutende Werke von herausragenden Künstlern aus dem Ausland wie Manet, Renoir, Cézanne, van Gogh, Toulouse-Lautrec, Bonnard, Matisse sowie bedeutenden Schweizer Malern wie Hodler, Giovanni Giacometti und Valloton. Die Sammler waren mit vielen Künstlern befreundet, was der Katalog nicht nur mit Artikeln, sondern auch Fotos belegt.
Im Titel des Ausstellungskatalogs findet man die Namen Van Gogh, Cézanne, Matisse, Hodler, doch als Herzstücke der Sammlung Hahnloser bezeichnet in seinem Vorwort der Generaldirektor der Albertina, Klaus Albrecht Schröder, die Werke des Post-Expressionisten und Nabis-Vertreters Pierre Bonnard (1867-1947) und des Schweizer Nabis-Künstlers Félix Valloton (1865-1925).
Zu den ersten Künstlerfreunden von Arthur und Hedy Hahnloser gehörten die Schweizer Maler Giovanni Giacometti und Ferdinand Hodler. Giacometti machte das Sammlerehepaar mit den Werken von Vincent van Gogh und den französischen Impressionisten bekannt. Zum wichtigsten Künstlerfreund der Sammler avancierte jedoch Félix Valloton, der die wichtigsten Kontakte zu Künstlern und Galeristen herstellte. Über Valloton kam die Verbindung zu Pierre Bonnard, Henri Manguin, Henri Matisse, Odilon Redon und Aristide Maillol zustande. Das Ehepaar Hahnloser gab bei den Künstlern Werke in Auftrag und beschenkte Museen ebenso wie befreundete Sammler mit Werken „ihrer Künstler“. Laut dem Generaldirektor der Albertina wird diese Verschränkung von privatem und öffentlichem Sammeln heute als „Prinzip Hahnloser“ definiert.
Hedy Hahnloser und ihr Flora-Kreis von Kunstfreunden waren zuerst von der französischen Kunst nicht begeistert. Trotz allem Genie bezeichnete Hedy die französischen Werke als oberflächlich. Doch durch die Vermittlung des in Paris lebenden Winterthurer Malers Carl Montag (1880-1956) öffneten sich Hedy und der Flora-Kreis rasch dieser für sie neuen Kunst.
Die Sammlung Hahnloser des 1898 getrauten Ehepaares entstand im Wesentlichen in den Jahren von 1907 bis 1936. Neben Gemälden umfasst sie Plastiken und Papierarbeiten in herausragender Qualität und Zahl. In der Albertina in Wien kann nur eine Auswahl von Hauptwerken der in der Sammlung Hahnloser vertretenen Künstler präsentiert werden. Diese Arbeiten treten in einen Dialog mit Werken der Klassischen Moderne der Sammlung Batliner, die seit 2007 in der Albertina zuhause sind.
Die Sammlung Hahnloser lebt vor allem von der Freundschaft der Sammler mit verschiedenen, herausragenden Künstlern, während dem die Sammlung Batliner in den 1950er Jahren ohne direkten Bezug zu den bereits im Kunstkanon etablierten Künstlern der Klassischen Moderne entstand.
Die Hahnlosers sammelten, ohne grosse, Vorkenntnisse, was ihnen gefiel. Picasso und der Kubismus sowie der Weg in die Abstraktion zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging an ihnen weitgehend vorbei. Laut Kurator Matthias Frehner suchten sie den direkten Kontakt zu Gegenwartskünstlern, bei denen sie first choice hatten und spontan, zu noch tiefen Preisen, mehrere Gemälde auf einmal und Grafiken gar stapelweise einkauften.
Arthur und Hedy Hahnloser gehörten zur zweiten Generation des front moderne, der Sammler, die Realisten und Impressionisten sammelten, die damals bereits anerkannte Grössen waren und im deutschen Sprachbereich durch das Buch Entwicklungsgeschichte der Modernen Kunst von Julius Meier-Graefe zu Popularität gekommen waren. Die Hahnlosers öffneten den Blick der Schweizer Sammler für in Frankreich arbeitende Künstler.
Die Sammlung Hahnloser verfolgte eine Strategie der „national-transnationalen Symbiose“, bei der die Bedeutung der Avantgarde in Frankreich und der Schweiz hervorgehoben wurde. Das Ehepaar kaufte Werke von Impressionisten, Nabis und Fauves und stellte sie Arbeiten von Hodler und Giovanni Giacometti gegenüber. Matthias Frehner verweist auf Sylvie Patry, die die französische Moderne in der Sammlung Hahnloser mit derjenigen in den Sammlungen von Iwan Morosow und Sergei Schtschukin in Moskau, Marcell Nemes in Budapest, Gertrude Stein in Paris, Karl Ernst Osthaus in Hagen sowie Oskar Reinhart in Winterthur vergleicht.
1940 wurde im Kunstmuseum Luzern eine Auswahl von 250 Meisterwerken aus der Sammlung Hahnloser gezeigt, die ingesamt rund 500 Gemälde, Plastiken und Papierarbeiten umfasste. In der Albertina in Wien sind nun 112 Werke von 15 Künstlern zu sehen, wovon rund 80 aus der Sammlung Hahnloser stammen, ergänzt durch Hahnloser-Schenkungen an die Kunstmuseen von Winterthur und Bern; in der Schweizerischen Hauptstadt befinden sich seit 2016 bedeutende Teile der ursprünglichen Sammlung Hahnloser als Deposit der Hahnloser/Jaeggli Stiftung der Enkelgeneration des Sammlerehepaars; nach Bern kamen die Werke nicht zuletzt auf Betreiben von Matthias Frehner, der damals das dortige Kunstmuseum leitete.
Im Katalog beschreibt Matthias Frehner ausführlich die Sammlungsentstehung und geht auf die gesammelten Künstler einzeln ein. Die Enkelin des Sammlerehepaares, Margrit Hahnloser-Ingold, widmet sich in ihrem Katalogbeitrag ebenfalls den Sammlern und ihren Künstlern. Ein weiterer Artikel widmet sich Hans Robert Hahnloser. Der Sohn des Sammlerehepaares studierte in Wien Kunstgeschichte. Die Urenkelin von Hedy, Bettina Hahnloser, beschreibt seine Beziehung zu seinem Professor und Mentor, dem Kunsthistoriker Julius von Schlosser. Lesenswert sind zudem die Einträge zu den ausgestellten Werken und Künstlern. Bereichert wird der Band nicht nur durch die abgebildeten Meisterwerke, sondern zudem durch historische Fotos. Der Band behandelt unbekannte Aspekte aus dem Leben der Künstler, ihres Schaffens sowie der Motivation und Leidenschaft der Sammler.
Der Katalog zur Ausstellung von Matthias Frehner, Klaus Albrecht Schröder, Hg.: Van Gogh, Cézanne, Matisse, Hodler. Die Sammlung Hahnloser. Mit Beiträgen von Matthias Frehner, B. Hahnloser, M. Hahnloser, G. Kirpicsenko, R. Koella, S. Ligas, H. Widauer. Hirmer Verlag, Februar 2020, 288 Seiten mit 180 Abbildungen in Farbe, 24,5 x 28,5 cm, gebunden. Die deutsche Ausgabe bestellen. English edition: Van Gogh, Cézanne, Matisse, Hodler: The Hahnloser Collection. Order the English catalogue from Amazon.com, Amazon.uk, Amazon.de, Amazon.fr.
Der Ausstellungskatalog bildet die Hauptquelle für diese Rezension. Zitate und Teilzitate sind zur besseren Lesbarkeit nicht mit Gänsefüsschen ausgezeichnet.
Buchkritik / Rezension vom 13. März 2020 hinzugefügt um 19:00 österreichischer Zeit.