Noch bis am 3. März 2019 zeigt das Zentrum Paul Klee (ZPK) in Bern die Ausstellung Emil Nolde: Vetter der Tiefe. Mit der Korrespondenz Nolde – Klee (Amazon.de). Zu sehen sind rund 170 Werke des norddeutschen Expressionisten, der 1867 als Emil Hansen geboren wurde, sowie zwei von Paul Klee (darunter das Werk „Nordischer Künstler“ von 1939, das wahrscheinlich Nolde zeigt). Die Arbeiten stammen zu einem grossen Teil aus der Nolde Stiftung Seebüll.
Von spätestens 1921 bis 1940 waren die Ehepaare Nolde und Klee regelmässig in Kontakt, wobei die zwei Künstler Emil und Paul nicht nur miteinander korrespondierten, sondern sich auch regelmässig trafen. Sie standen sich allerdings nicht so nahe wie Klee und Kandinsky. In den 30er Jahren kühlte die Beziehung wegen unterschiedlichen Einstellungen zum Nazi-Regime allerdings etwas ab.
Laut Kuratorin Fabienne Eggelhöfer liegt der Ursprung der grotesken, fantastischen, exotischen Werke von Emil Nolde in der Schweiz. Der als Holzbildhauer und Maler arbeitende Künstler wurde 1892 Lehrer an der Zeichnungsschule für Industrie und Gewerbe in St. Gallen. Im Lötschental begann er, Berge mit Gesichtern von Riesen, Trollen, fantastischen Gestalten zu versehen. Er wählte 30 Motive aus und schuf 1934 eine Postkartenserie, die so erfolgreich aufgenommen wurde, dass er 1897 den Schuldienst in St. Gallen quittieren und sich ganz seiner Kunst widmen konnte. Er studierte Kunst in München, reiste nach Paris und dann in seine norddeutsche Heimat. Insbesondere dort kam das Fantastische in Trollen und Spukgestalten in seinem Werk zum Ausdruck.
Wie viele andere Künstler fand Emil Nolde Inspiration in aussereuropäischen Kulturen, im «Ursprünglichen» und «Wilden», so in der Kunst indigener Völker in Afrika und Asien. Dabei interessierte ihn der Gegensatz zum Dekadenten seiner Zeit. Ihn beeinflussende Werke fand er nicht nur in Museen. 1913/14 reiste er mit seiner 1902 geehelichten dänischen Frau Ada in die Südsee, wo er «Eingeborene», «Wilde» zeichnete und malte. In seiner Autobiografie vermerkte Nolde, dass selbst das Phantastische irgendwie naturverbunden sei. Zudem war er der festen Überzeugung, dass ein Künstler in seiner eigenen Kultur verwurzelt bleiben müsse, um die Ursprünglichkeit erlangen zu können, um der deutschen Kunst ihr seit zweieinhalb Jahrhunderten verlorenes Deutschtum in neugeborener Formprägung und Vollfarbigkeit wiederzugeben.
Paul Klee bewunderte in der Kunst der indigenen Völker vor allem die Vereinfachung und Reduktion auf das Wesentliche und entlehnte von den Urvölkern dementsprechend die künstlerische Herangehensweise.
Doch das Exotische, Groteske, Wilde, Fantastische in seinen Werken missfiel den Nazis, weshalb er als «entarteter Künstler» eingestuft und aus der Reichskunstkammer ausgeschlossen wurde. Über 1000 seiner in deutschen Museen befindlichen Arbeiten wurden beschlagnahmt. In der Ausstellung «Entartete Kunst» zeigten die Nazis 50 seiner Werke. Das NSDAP-Parteimitglied Emil Nolde durfte seine Arbeiten nicht mehr öffentlich zeigen. Dabei sah er sich von den Nazis verkannt. Für ihn, den «nordischen» Künstler» und Antisemiten auf der Suche nach der «urdeutschen» Kunst, handelte es sich um ein Missverständnis. Er blieb Hitler-freundlich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Der öffentliche Bannstrahl schadete ihm finanziell nicht, da er weiterhin malen und Werke verkaufen konnte. Nach dem Krieg, bis zu seinem Tod 1956 stellte er sich erfolgreich als verfemter, «entarteter Künstler» und folglich als Nazi-Opfer dar, wobei er Nazi-freundliche und antisemitische Passagen in Neuauflagen seiner Biografie und anderen Schriften entfernte.
Wo Emil Nolde den dicken, knallbunten Farbauftrag wählte, da bevorzugte Paul Klee die feine Zeichnung, bei der Farben in einer einmaligen Subtilität zum Einsatz kamen. Beide einte die Begeisterung für die aussereuropäische Kunst, das «Wilde» und Exotische, das Fantastische und das Groteske. Die Ausstellung Emil Nolde: Vetter der Tiefe. Mit der Korrespondenz Nolde – Klee versucht nicht, die zwei Künstler zu vergleichen, sondern konzentriert sich auf die gemeinsamen Themen der in ihrem ästhetischen Empfinden doch sehr unterschiedlichen Männer – Nolde erdig, Klee ätherisch. Beide bedienten sich laut den Ausstellungsmachern des Grotesken, um so ein kritisches Auge auf zeitgenössische Ereignisse zu werfen. Obwohl der Künstlervereinigung Brücke (Nolde) bzw. Der Blaue Reiter (Klee) zugewandt, seien beide Künstler stets Einzelgänger geblieben. Nolde erkannte in Klee einen Seelenverwandten, so Fabienne Eggelhöfer, sich auf Noldes autobiografisches Buch Jahre der Kämpfe. 1902-1914 in der zweiten Auflage aus dem Jahr 1934 stützend.
Beide Künstler waren keinem Stil verpflichtet. Sie versuchten, alles Gelernte, die europäische künstlerische Tradition zu überwinden. Laut Fabienne Eggelhöfer schufen sie nicht nach der Natur, sondern wie die Natur. Für Nolde stand die Farbe im Vordergrund, für Klee hingegen bildete die der Punkt, der sich in Bewegung setzt und damit eine Linie bildet, das zentrale bildnerische Element.
Emil Nolde betrachtete vor allem seine Bilder mit fantastischen Wesen als befreiend, das sie ohne jegliches Vorbild entstanden seien. Wollen und Willen, Überlegung und Denken, alles sei wie ausgeschaltet gewesen, er sei nur Maler gewesen. Damit beschrieb er ein von den Surrealisten propagiertes und mit Klee in Verbindung gebrachtes Verfahren: die écriture automatique.
Klee und Nolde huldigten in ihren autobiografischen Schriften dem Mythos des von einem geheimen Funken befeuerten, aus sich heraus schöpfenden und zugleich der Natur als Medium dienenden Genie, so Fabienne Eggelhöfer. Wobei Nolde schon klar gewesen sei, dass er nicht völlig abschweifen dürfe, der Wurzeln in der Erde bedürfe. Während dem Klee seinen Stil als «kühle Romantik» bezeichnet habe, als eine realitätsbewusste und folglich unpathetische Romantik. Gleichzeitig bezeichnete er sich als diesseitig gar nicht fassbar, wohne er doch gerade so gut bei den Toten wie bei den Ungeborenen. Trotz dem distanzierten Standpunkt zum Diesseits habe er sich der Realität dennoch nie völlig entziehen wollen, so die Kuratorin. Beide Künstler hätten die Balance zwischen einer intuitiv fantastischen und einer rational realistischen Kunst gesucht. Mit Hilfe der Spontaneität und Ursprünglichkeit versuchten beide, das rational Gelernte und die akademische Kunst zu überwinden, wobei Nolde und Klee die Bedeutung des Kindlichen betonten.
Der deutsch-englische Katalog bietet Artikel zu Noldes Interesse am Anderen (Fabienne Eggelhöfer) und zur Freundschaft zwischen Nolde und Klee (Astrid Becker) sowie die Publikation des Briefwechsels zwischen Nolde und Klee (Fabienne Eggelhöfer und Nora Lohner). Der Bildteil ist nach Themen unterteilt: groteske Mythen, Begegnungen, Berliner Nachtleben Visionen in Abgeschiedenheit, exotische Stillleben, Suche nach Ursprünglichkeit, Traumbilder, Ausflüge ins Fantastische, Phantasien, Spukgestalten und ungemalte Bilder.
Buch / Katalog: Hrsg. Fabienne Eggelhöfer und Nina Zimmer: Emil Nolde: Vetter der Tiefe. Mit der Korrespondenz Nolde – Klee. Stiftung Paul Klee, Bern. Snoeck Verlag, 2018, 231 Seiten mit 100 farbigen Abbildungen. Das zweisprachige Buch (dt. und engl.) bestellen bei Amazon.de).
Der Artikel beruht auf dem Ausstellungskatalog, wobei Zitate und Teilzitate zwecks der besseren Lesbarkeit nicht mit Gänsefüsschen ausgezeichnet wurden.
Artikel vom 25. Januar 2019. Hinzugefügt um 00:13 ukrainischer Zeit.