Félix Vallotton

Juni 02, 2025 at 20:50 707

2025 können wir gleichzeitig den 160. Geburtstag und den 100. Todestag des Schweizer Künstlers Félix Vallotton (1865–1925) feiern. Die Ausstellung an zwei Standorten im Kunst Museum Winterthur ist Teil der Veranstaltungsreihe 2025 | Année Vallotton, mit der das Musée Cantonal des Beaux-Arts Lausanne und die Fondation Félix Vallotton den Künstler schweizweit mit Ausstellungen, Publikationen und Anlässen ehrt.

Die Ausstellung Félix Vallotton. Illusions perdues, kuratiert von Andrea Lutz und David Schmidhauser, wird seit dem 12. April und noch bis zum 7. September 2025 an zwei Standorten des Kunst Museum Winterthur gezeigt: Im Museum Reinhart am Stadtgarten ist der Hauptteil der Schau mit Gemälden und Zeichnungen ausgestellt, während in der Villa Flora Vallottons Holzdrucke sowie Blumenstillleben zu entdecken sind.

Laut den Ausstellungsmachern werden in Winterthur insgesamt über 150 Werke aus allen Schaffensphasen, Gattungen und Techniken gezeigt, darunter zahlreiche Hauptwerke wie das ikonische La blanche et la noire.

Der Katalog ist eine  literarische Einladung zur Auseinandersetzung mit der Kunst Félix Vallottons. Die Abbildungen sind leider etwas klein geraten und es fehlt eine Biografie bzw. Chronologie. Herausgegeben von Andrea Lutz und David Schmidhauser: Félix Vallotton. Illusions Perdues. Kunst Museum Winterthur, Verlag Scheidegger & Spiess, April 2025, 198 Seiten mit 64 farbigen und 34 s/w Abbildungen, 17 x 24 cm, ISBN 978-3-03942-258-6. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und den Katalog bestellen bei Amazon.de.

Félix Vallotton gehörte zu Beginn seiner Karriere während der Belle Époque zur Künstlergruppe Nabis, später vertrat er die Stilrichtung des Verismus. Der Ausstellungs- und Katalogtitel Illusions perdues ist dem gleichnamigen, dreiteiligen Roman von Honoré de Balzac entnommen. In seinem monumentalen Gesellschaftsporträt, einer Comédie humaine, setzt er sich kritisch mit den neuen Errungenschaften Bürgertum und Warengesellschaft auseinander. Sein zwischen 1837 und 1843 entstandener Dreiteiler ist eine Kritik des Kapitalismus mit dem eindeutigen Fazit: Verlorene Illusionen (Illusions perdues).

Laut den Ausstellungsmachern ist die Kunst von Félix Vallotton ebenfalls ein präzise beobachtetes, messerscharfes, kritisches Abbild der Gesellschaft. Dies manifestiere sich zunächst in seinen Holzschnitten und zeige sich später in seiner Malerei. Vallotton wurde Vertreter eines Verismus, der sich in seiner klassischen Ehrlichkeit vom Malerischen des Impressionismus abhebe, ganz ähnlich wie Balzac mit seinem Realismus zur Überwindung der schwärmerischen Romantik beigetragen habe. Inhaltlich orientiere sich die Schau an den Verlorenen Illusionen. Mit der Illusion sei ein Grundthema der Malerei angesprochen: das Vortäuschens der Wirklichkeit . Dies sei im Zeitalter der Moderne jedoch zusehends verloren gegangen. Vallottons Nabis-Freund Maurice Denis habe dies deutlicher als jeder andere formuliert: «Es sollte bedacht werden, dass ein Bild, bevor es ein Schlachtpferd, eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote ist, im Wesentlichen eine gewöhnliche Fläche ist, überzogen mit in bestimmter Weise angeordneten Farben.»

Andrea Lutz und David Schmidhauser betonen, die Bezüge zwischen Kunst und Literatur, auf die der Titel von Ausstellung und Katalog verweist. Vallotton sei selbst ein Schreiber gewesen, der mehrere Romane und Theaterstücke verfasste. Die Literatur sei in seinem kreativen Schaffen durchaus ein Medium gewesen, mit dem er sich auszudrücken verstand, indem er sich zuhause fühlte. Ausserdem biete die Literatur als Medium der Kunstbetrachtung völlig neue Möglichkeiten, sich Gemälden anzunähern, Bilder zu betrachten und sie zu verstehen. In diesem Sinne wolle die Ausstellung nicht bloss eine schöne Bildergalerie vorstellen, sondern sie solle zudem dazu anregen, Vallotton unter neuen Perspektiven zu lesen.

Die Ausstellungsmacher unterstreichen, Vallottons figurativer Zugriff auf die Welt führe zu einfach lesbaren Sujets, sein Stil sei von einer solch klaren Deutlichkeit und gleichzeitiger Nüchternheit geprägt, dass sie als wahre Beschreibungen verstanden werden könnten. Auch wenn der Begriff des Realismus nicht korrekt sei, so sei doch die Realität, nicht das Fantastische, sein Ding gewesen. Wenngleich Vallottons Sujets anmuteten, als seien sie aus dem richtigen Leben genommen, als habe er gemalt, was er wahrhaft sah, erschienen sie vielfach als eine Reflexion seiner eigenen Wahrnehmung, die neue Inhalte an die Oberfläche seiner Malerei habe dringen lassen.

Andrea Lutz und David Schmidhauser heben hervor, insbesondere bei seinen Blicken durch Enfiladen und Vorhänge tauche die Welt des Theaters und der Bühne auf. Das Geschehen werde jedoch nur angedeutet, eine Ausgangslage angeboten, die sich in den Köpfen der Betrachtenden zu ganzen Geschichten entfalten könne. Besonders augenfällig sei dies in Vallottons Intimités-Serie, in der die suggestiven Bildtitel zusätzliche Spannung erzeugten und eine Handlung davor und danach geradezu aufdrängten, in der es oft um Enttäuschung, Verlust und verlorene Illusionen gehe.

Laut den Ausstellungsmachern suchte Vallotton weder des Pinselexperiment wie die Impressionisten und ihre Erben, noch suchte den Neuanfang und die Zerstörung wie die Kubisten. Vielmehr habe er sich an den Grössen der figurativen, naturalistischen Kunst orientiert, allen voran Jean-Auguste-Dominique Ingres, der wie ein Pate über seinen Akten zu schweben scheine. Angeblich habe der Künstler, als er zum ersten Mal vor dem Bain turc von Ingres stand, weinen müssen.

Andrea Lutz und David Schmidhauser betonen, dass gerade im Vergleich mit Ingres die Modernität Vallottons zu Tage trete. Die Kunst diente ihm nicht mehr dazu, eine Illusion hervorzurufen. Gleichzeitig sei es schwierig, Vallottons Werk und Stil in seiner Zeit zu verorten. Es sei äusserst bezeichnend, dass ihn selbst die Nabis in seiner frühen Zeit als «Nabis étranger» wahrgenommen hätten. Vallotton scheine aus der Zeit gefallen, der Zeit voraus und letztlich doch mittendrin zu sein.

Félix Vallotton verstarb 1925, im Jahr, in dem Gustav Hartlaub in der Kunsthalle Mannheim die legendäre Ausstellung Neue Sachlichkeit zeigte. Neue Sachlichkeit? Andrea Lutz und David Schmidhauser betonen: Vielmehr magischer Realismus. Die Klarheit von Vallottons Malerei, die Fokussierung auf Linie und Umriss, die genaue Beschreibung und das feine Nachzeichnen stünden häufig im Kontrast zur Unschärfe der Narration. Die eigentliche Bildaussage bleibe oft offen, liege in der Fantasie der Betrachtenden.

Für Félix Vallotton selbst habe es nicht die eine Geschichte, die eine richtige Wahrheit gegeben. Sein Œuvre sei wie die Comédie humaine ein umfassendes Abbild seiner Zeit. Man könne es wörtlich nehmen und sei aufs Beste unterhalten. Doch seine Tiefgründigkeit, der wahre Kern seiner Werke erschliesse sich erst durch das Lesen zwischen den Zeilen.

Neben dieser Einführung von Andrea Lutz und David Schmidhauser und der Abbildung der ausgestellten Werke gibt es im Katalog zudem noch Essays von Rudolf Stamm, Simone Lappert, Florian Illies und Zsuzsanna Gahse sowie einen Nachruf an die Sammlerin Hedy Hahnloser und ein Nachwort von Konrad Bitterli zu den Beziehungen von Winterthur zu Paris zu lesen. Konrad Bitterli erinnert daran, dass der 1865 in Lausanne geborene Félix Vallotton bereits 1882 seine Heimat in Richtung Paris verliess, wo er rasch Anschluss an die Pariser Avantgarde fand und sich der Künstlergruppe Nabis anschloss. 1899 heiratete er Gabrielle Rodrigues-Henriques, die aus einer renommierten Galeristenfamilie stammte, und fand Zugang zum gehobenen Pariser Bürgertum. Im Jahr 1900 nahm er die französische Staatsbürgerschaft an. Sein Verhältnis zur Schweiz blieb zeitlebens ambivalent, seine Ausstellungen in der Schweiz umstritten. Allerdings nicht so in Winterthur: Hier wurde Félix Vallotton gefeiert.

Die jetzige, sehenswerte Ausstellung an zwei Standorten des Kunst Museum Winterthur ist wie eingangs erwähnt noch bis zum 7. September 2025 zu sehen.

Herausgegeben von Andrea Lutz und David Schmidhauser: Félix Vallotton. Illusions Perdues. Kunst Museum Winterthur, Verlag Scheidegger & Spiess, April 2025, 198 Seiten mit 64 farbigen und 34 s/w Abbildungen, 17 x 24 cm, ISBN 978-3-03942-258-6. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und den Katalog bestellen bei Amazon.de.

Zitate und Teilzitate in dieser Ausstellungsrezension/Katalogkritik von Félix Vallotton. Illusions perdues sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.

Rezension/Katalogkritik/Ausstellungskritik von Félix Vallotton. Illusions perdues vom 2. Juni 2025 um 19:50 Schweizer Zeit.