Francesca Woodman

Mai 20, 2014 at 12:28 68497

Ausstellung und Katalog der Sammlung Verbund in Wien

Die Auseinandersetzung der Nachwelt mit der Kunst von Francesca Woodman setzte 1986 mit der Wanderausstellung der Hunter College Art Gallery in New York ein, für die Rosalind E. Krauss und Abigail Solomon-Godeau die ersten Essays zur Fotografin verfassten. Ende 2011 eröffnete die erste Ausstellung in 25 Jahren eines bedeutenden Museums mit Werken der Künstlerin ihre Türen. Auf diese Schau im San Francisco Museum of Modern Art folgte im darauffolgenden März jene im Guggenheim Museum in New York. Seither steht die 1981 mit erst 22 Jahren durch einen Sprung aus dem Fenster aus dem Leben geschiedene Francesco Woodman in der Kunstwelt hoch im Kurs. Das war auch bei der Art Basel im Juni 2012 zu bemerken. Gleich zwei Galerien boten Werke der Künstlerin an.

Die Galerie Hubert Winter aus Wien zeigte Estate Prints. Die nach dem Tod der Künstlerin vom Originalnegativ abgezogenen Werke wurden für stolze $8,000.- je Foto angeboten. Die Wiener Galerie ist mir positiv in Erinnerung geblieben, weil sie zu den zwei von ihr vertretenen Künstlerinnen – neben Francesca Woodman war dies Birgit Jürgenssen – vorbildliche Texte verfasst hatte.

Bei der New Yorker Galerie Marian Goodman, die bereits 1999 eine erste Francesca Woodman-Ausstellung organisiert hatte, kosteten Vintage Prints an der Art Basel 2002 bereits $50,000. Von der zu früh durch Freitod aus dem Leben geschiedenen Künstlerin gibt es ja nur wenige Werke. Das beschränkte Angebot und die bereits bemerkenswerte Nachfrage bestimmen den Preis. Bei Marian Goodman wurden an der Art Basel 2012 zudem die kurzen Videos von Francesco Woodman präsentiert, die insgesamt 11 Minuten und 43 Sekunden lang sind. Die zwischen 1975 und 1980 entstandenen Werke wurden nach dem Tod der Künstlerin auf eine DVD transferiert, also auf einem anderen Medium gespeichert. Die DVD existiert in einer Edition von 10 Stück, wobei jede DVD an der Art Basel 2012 unglaubliche $80,000 kostete. Wir leben in einer freien Welt mit einem freien Kunstmarkt, doch für einen angemessenen Preis hätte man drei Nullen streichen können, denn eine DVD ist eine DVD, wobei eine grössere Auflage (für Fans und Kunstinstitutionen weltweit) Sinn machen würde.

Herausgegeben von Gabriele Schor und Elisabeth Bronfen: Francesca Woodman. Werke aus der SAMMLUNG VERBUND. Verlag der Buchhandlung Walther König, Gebundene Ausgabe, 2014, 304 Seiten, ca. 193 Abbildungen. Die deutsche Ausgabe des Buches bestellen bei Amazon.de. Order the English edition of the book from Amazon.de and Amazon.com.

Francesca Woodman in der Sammlung Verbund in Wien

Noch bis am 21. Mai 2014 zeigt die SAMMLUNG VERBUND in Wien 80 Fotografien von Francesca Woodman. Die 2004 ins Leben gerufene Firmensammlung zeitgenössischer Kunst springt damit nicht auf einen fahrenden Zug auf, sondern sie hat ihre Woodman-Fotosammlung kontinuierlich seit der Eröffnung des Museums aufgebaut. Heute besitzt die SAMMLUNG VERBUND mit 80 Fotografien hinter dem New Yorker Nachlass der Künstlerin über die zweitgrösste Sammlung an Arbeiten von Francesca Woodman. 20 der in Wien zu sehenden Fotos von Francesca Woodman waren bisher noch nie öffentlich gezeigt worden.

Zur Eröffnung der Wiener Ausstellung erschien eine Monografie von Francesca Woodman. Sie schliesst ein Lücke im deutschsprachigen Raum.  Herausgegeben von Gabriele Schor und Elisabeth Bronfen enthält der umfassende Band neben 193 Abbildungen Essays von Betsy Berne, Elisabeth Bronfen, Johannes Binotto, Gabriele Schor, Abigail Solomon-Godeau und Beate Söntgen.

Nochmals ein Wort zur Art Basel: Dort ist die Kunst-Welt immer besonders klein. Deshalb traf ich 2012 auf der weltweit führenden Kunstmesse auch die Mutter von Francesca Woodman, die wie ihr Mann ebenfalls Künstlerin ist und mit Keramikarbeiten bei einer Galerie vertreten war. In einem kurzen Gespräch erzählte mir Betty Woodman, dass die ersten Worte ihrer Tochter, obwohl in Denver geboren, italienisch und nicht englisch gewesen seien. Das Künstlerehepaar ist von Italien begeistert, weshalb die Tochter bewusst einen italienischen Namen erhielt und die Familie im bel paese lebte, als Francesca mit noch nicht einmal zwei Jahren zu sprechen begann.

Ein Gang an die Art Basel lohnt sich also immer, auch wenn die Preise dort oft sehr hoch sind, wobei der Kunstmarkt in den letzten Jahren ohnehin allgemein überhitzt scheint, nicht zuletzt, weil die US-Notenbank und die EZB viel billiges Geld in den Kreislauf gepumpt haben. Doch das ist eine andere Geschichte.

Die Deutung von Kunst liegt im Auge des Betrachters. Die oft enigmatischen Werke der am 19. Januar 1981 aus dem Leben geschiedenen Künstlerin, die erst am Anfang ihrer Karriere stand, lassen besonders viel Spielraum für Spekulationen. In geheimnisvollen Fotos und kurzen Videos inszenierte sich Francesca Woodman auffällig oft selbst, ohne zuviel von sich Preis zu geben. Sie bleibt ein Mysterium, dass jeder Betrachter ihrer Kunst anders deuten kann, da ihre Werke angesichts ihres Alters erstaunlich vielschichtig sind.

Die am 3. April 1958 als Tochter der Künstler Betty und George Woodman zur Welt gekommene Francesca wuchs in Colorado und Italien zweisprachig auf. Von 1975 bis 1978 studierte sie an der Rhode Island School of Design in Providence, was auch ein Studienjahr in Rom einschloss. Doch ihre Auseinandersetzung mit der Fotografie setzte bereits im Sommer 1973 in Boulder, Colorado ein, wo sie auf einer Bank sitzend mit abgewandtem Gesicht ihr Self Portrait at Thirteen schoss. Ihren Unterhalt verdiente die junge Dame bis zur ihrem Tod noch nicht als Künstlerin, sondern hauptsächlich als Sekretärin, Fotoassistentin, Akt-Modell sowie mit einigen Mode-Fotografien.

Bis 1980 sollte ein formal erstaunliches fotografisches Werk entstehen. Auf ihren Arbeiten ist Francesca Woodman wie im erwähnten ersten Selbstportrait oft anwesend-abwesend, zeigt sich dem Betrachter (oft nackt) und versucht sich ihm gleichzeitig zu entziehen. Ihre flüchtige, evasive Erscheinung in ihrer Kunst wird nachträglich „oft als ästhetische Vorwegnahme ihres Suizids gedeutet“ (Gabriele Schor). Die Wiener Ausstellung versucht dieser gängigen Interpretation entgegen zu treten und „mit neuen Betrachtungen einen anderen Horizont“ zur Lektüre ihrer Kunst zu eröffnen.

So deutet Elisabeth Bronfen in ihrem Katalogessay „das Verschwinden des Weiblichen Körpers hinter Tapeten, Kaminsimsen und Vitrinen ins Produktive und entdeckt darin eine Inszenierung der Künstlerin, die das Werk als strenge formale Intervention in diversen Gattungen wie dem Selbstportrait, dem Stillleben und dem melodramatischen tabelau vivant versteht“ (Gabriele Schor).

Abigail Solomon-Godeau wirft einen Blick auf die 30jährige Rezeption des Werkes von Francesca Woodman und „verankert [ihre] Arbeiten mit neuen Argumenten in einem feministischen und kunsthistorischen Kontext“ (Gabriele Schor). Johannes Binotto zeigt wie Francesco Woodman die Gesetze von Schwerkraft, Geometrie und Statik in ihren Arbeiten scheinbar ausser Kraft setzt. Beate Söntgen untersucht die Beziehung zwischen dem weiblichen Körper, dem Raum und dem Interieur in den Arbeiten der Künstlerin. Gabriele Schor ihrerseits untersucht Francesca Woodmans Umgang mit Requisiten wie Spiegel, Handschuh und Tapete. Betsy Berne, eine Freundin von Francesca Woodman, steuert ihren Blick aus der Nähe auf die Künstlerin bei. Katarina Jerinic vom Woodman-Estate in New York verfasste die bebilderte Biografie.

Warum Francesca Woodman so jung aus dem Leben schied, wird für immer ungeklärt bleiben. Lag der Grund in der Ablehnung durch eine Kunstschule oder dem Ende einer grossen Liebe? Leben und Werk werden weiterhin Fragen aufwerfen und unterschiedliche Deutungen zulassen. Ihre Vorliebe für die Viktorianische Zeit und verfallene Räume mit einer vergangenen Ästhetik üben eine Faszination insbesondere auf Jugendliche aus, die dem Gothic verfallen sind.

Nur noch bis am 21. Mai 2014 lockt die SAMMLUNG VERBUND in Wien mit ihrer umfassenden Schau zu Francesco Woodman. Wer es nicht mehr in die Ausstellung schafft, kann sich mit Hilfe des Katalogs mit vielen Fotos und ausführlichen Artikeln ein Bild machen.

Das Buch zur Ausstellung

Herausgegeben von Gabriele Schor und Elisabeth Bronfen: Francesca Woodman. Werke aus der SAMMLUNG VERBUND. Verlag der Buchhandlung Walther König, Gebundene Ausgabe, 2014, 304 Seiten, ca. 193 Abbildungen. Die deutsche Ausgabe des Buches bestellen bei Amazon.de. Order the English edition of the book from Amazon.de and Amazon.com.

Chris Townsend: Francesca Woodman. Order the book from Amazon.com. Phaidon Press, 2006, 256 pages.

Corey Keller: Francesca Woodman. Hardcover, D.A.P. / San Francisco Museum of Modern Art, 2013, 224 pages. Order the book from Amazon.com. Das englischsprachige Buch bestellen bei Amazon.de.

Isabella Pedicini: Francesca Woodman: The Roman years: between flesh and film. Contrasto, 2012, 96 pages. Order the book from Amazon.com.

Artikel vom 20. Mai 2014.

Hinzugefügt am 9. Dezember 2019: 2019 verkaufte Sotheby’s bei einer online Auktion das kleine Foto Polka Dots (14cm x 14cm, ca. 1976) von Francesca Woodman, das die Künstlerin am Boden kauernd in einem gepunkteten Kleid zeigt, für $200,000.