Frankreichs neue Regierung. Das zweite Kabinett Valls

Aug 26, 2014 at 19:12 427

Frankreich hat eine neue Regierung. Das neue, zweite Kabinett Valls kommt ohne die Frondeure Arnaud Montebourg und Benoît Hamon aus. Nicht mehr im Kabinett sitzen wollte die Parteilinke Aurélie Filippetti. Die schwarze Justizministerin Christiane Taubira hingegen, die sich in der Regierung Ayrault mit Manuel Valls (*1962) fetzte, bleibt im Kabinett. Sie ist insbesondere beim linken Flügel des PS beliebt, seit sie die Homo-Ehe (mariage pour tous) gegen viel konservativen Gegenwind durchgedrückt hat. Die Grünen, die noch im Kabinett Ayrault mit am Tisch sassen, um dann das schlingernde Regierungsschiff frühzeitig zu verlassen, sahen die Bedingungen nicht gegeben, nun ins Boot zurückzukehren. Die Radikale Partei hingegen war bereit, weiterhin im Kabinett vertreten zu sein.

Das zweite Kabinett Valls

Das zweite Kabinett Valls sieht wenige Veränderungen vor und wie folgt aus: Premierminister bleibt weiterhin Manuel Valls. Die wichtigste Personalie betraf das Wirtschaftsministerium, das nun neu von Emmanuel Macron (*1977) geleitet wird. Macron war bisher ein sozialliberaler Wirtschaftsberater von Präsident Hollande. Arnaud Montebourg musste aus der Regierung ausscheiden, auch wenn er dies nun als Verzicht zu verkaufen versucht. Michel Sapin verbleibt auf dem wichtigen Posten des Finanzministers. Aussenminister bleibt das politische Schwergewicht Laurent Fabius. Verteidigungsminister bleibt Jean-Yves Le Drian. François Rebsamen bleibt Arbeitsminister. Innenminister bleibt Bernard Cazeneuve. Landwirtschaftsminister und Regierungssprecher bleibt Stéphane Le Foll. Kultur- und Kommunikationsministerin wird die in Korea geborene Fleur Pellerin. Sie war unter Premierminister Ayrault Ministerin gewesen, verlor ihren Posten jedoch im ersten Kabinett Valls [Hinzugefügt am 26.8.14 um 19:54: Sie wurde im Kabinett Valls I zur Staatssekretärin für Aussenhandel, Tourismus und Auslandfranzosen herabgestuft]. Nun ist sie also zurück. Marilyse Lebranchu bleibt Ministerin für die Dezentralisation, die Staatsreform und den öffentlichen Dienst. Marisole Touraine bleibt Gesundheitsministerin und Sozialministerin und ist neu zusätzlich für Frauenrechte zuständig. Najat Vallautd-Belkacem wird neu Erziehungsministerin. Bisher war sie als Ministerin für die Gleichberechtigung der Frau, Städte, Jugend und Sport zuständig. Patrick Kanner wird neuer Jugend- und Sportminister. Harlem Désir bleibt Staatssekretär im Europaministerium. Die ehemalige Lebensgefährtin von Präsident Hollande, Ségolène Royal, bleibt Umwelt- und Energieministerin. Justizministerin bleibt Christiane Taubira (Walwari/PRG). Sie ist neben den drei Ministern/Staatssekretären der Radikalen Partei der Linken (PRG) die einzige, die nicht den Sozialisten (PS) angehört. Im Amt verbleiben für den PRG die Wohnbau- und Regionalentwicklungsministerin Sylvia Pinel, die Staatssekretärin für die Frankophonie, Annick Girardin, und der Staatssekretär für den Sport, Thierry Braillard.

Der Auslöser für die Bildung einer neuen Regierung

Ausgelöst wurde die Neumischung des Kabinetts durch Äusserungen von Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, der in einem Interview in Le Monde vom 24. August 2014 die wirtschaftspolitischen Entscheidungen seiner Regierung angriff, die seiner Meinung nach in eine Sackgasse führten. Sein Leutnant, Erziehungsminister Benoît Hamon, hieb in Le Parisien in dieselbe Kerbe und verlangte ebenfalls einen neuen Kurs der sozialistischen Regierung. An der jährlichen linken Fête de la Rose wiederholten die zwei ihre Aussagen, was Premierminister Valls nutzte, um den Rücktritt seiner Regierung zu verkünden und so von Präsident Hollande eine Klärung im Richtungskampf zu erzwingen.

Es machte nie Sinn, Arnaud Montebourg als Wirtschaftsminister ins erste Kabinett Valls aufzunehmen, wie damals bereits vermerkt, um so den linken Flügel der Sozialisten einzubinden. Montebourg und Valls vertreten gegensätzliche wirtschaftspolitische Ideen. Der Wirtschaftsminister wollte an alten sozialistischen Rezepten festhalten, während dem sein Premierminister einen reformorientierten, sozialdemokratischen Kurs durchsetzen will.

In einem im September 2014 erscheinenden Buch (Moi président) von Valentin Spitz wird Arnaud Montebourg mit den Worten zitiert, Hollande lüge die ganze Zeit, man könne mit ihm nicht diskutieren, er sehe sich en cohabitation mit Hollande, was implizit bedeutet dass sich Montebourg als nicht mehr der gleichen Partei angehörend betrachtet. Auf Französisch reimt es sich sogar: Hollande ment tout le temps. C’est pourquoi il est à 20%… Das überrascht nicht, da der geschasste Wirtschaftsminister seit einiger Zeit von einer neuen Partei der traditionellen Linken träumt. Das Geschirr zwischen den beiden Sozialisten wurde schon vor längerer Zeit zerschlagen. Allerdings werden Montebourg und seine Mitstreiter jetzt kaum zur Gründung einer neuen Partei schreiten, nicht zuletzt, weil ihnen die Mittel fehlen.

Der erst 52jährige Premierminister Manuel Valls hat bereits einen langen politischen Parcours hinter sich. Mit 20 unterstützte er bereits Michel Rocard, dessen Parlamentsattaché er mit 26 ab 1988 wurde. Ab 1997 diente er Premierminister Lionel Jospin. 2008 unterstützte er Ségolène Royal im PS-internen Kampf gegen Martine Aubry, und in den Vorwahlen 2011 François Hollande gegen Martine Aubry. 2011 war Valls übrigens ein Anhänger von Dominique Strauss-Kahn gewesen, ehe dieser über seine Libido stolperte. Danach trat Valls bei den sozialistischen Vorwahlen selbst an, ohne jedoch über die intellektuelle Statur und das politische Gewicht von Strauss-Kahn zu verfügen. Heute ist Premierminister Manuel Valls schon fast die letzte Hoffnung der reformorientierten Sozialisten, die sich als Sozialdemokraten sehen und deshalb von der Parteilinken als Abweichler von der reinen Lehre angefeindet werden.

Präsident François Hollande war zuvor lange Jahre Parteisekretär. Er versuchte zwischen den verschiedenen Strömungen zu vermitteln, ohne sich selbst festzulegen. Zu Beginn seines Präsidentschaftsmandates rannte er nach Links, insbesondere mit dem falschen Rezept höherer Steuern für die Reichen. Die Regierung Ayrault erlitt damit Schiffbruch und musste ausgewechselt werden. Doch ins nachfolgende erste Kabinett Valls kamen dann doch weitgehend wieder die gleichen, teilweise reformfeindlichen Köpfe.

Der seither eingeschlagene sozialdemokratische Kurs ist – zumindest bis heute – keinesfalls ein revolutionärer. Immerhin setzten der Präsident und sein neuer Premier vermehrt auf wirtschaftsfreundlichere Massnahmen. Doch eine Austeritätspolitik, wie von der Linken allgemein beklagt, hat es in Frankreich noch gar nicht gegeben. 2014 wird das Land erneut das Maastrichter 3%-Defizitziel verfehlen. Noch viel wichtiger ist jedoch, dass bis heute selbst unter Manuel Valls die Strukturreformen noch nicht seriös in Angriff genommen worden. Fundamentale Massnahmen sind überfällig.

Die Linke im PS

Was die reformfeindliche Linke angeht, so ist festzuhalten, dass Arnaud Montebourg als einziger Quadra des PS mit einer eigenen Hausmacht, einem richtigen Courant mit Leutnants und Fusssoldaten, aufwarten kann. [Hinzugefügt am 28.7.2014: Das Gegenteil scheint glaubwürdiger: Er sei ein unkontrollierbarer Einzelkämpfer, der keine Gruppe langfristig um sich scharen könne. Wie auch immer, Präsident – seine grosse Ambition – wird er nie werden]. Doch mit seinen Interviews wollte er wohl kaum einen Bruch und seinen Rauswurf aus dem Kabinett provozieren. Er dachte viel eher, er käme mit seiner bisherigen Linie der Opposition innerhalb der Regierung durch, da Hollande die Partei zusammenhalten will.

Die einzige erstzunehmende Rivalin auf dem linken Flügel der Sozialisten ist für Montebourg zur Zeit Martine Aubry. Die 1950 geborene Bürgermeisterin von Lille (seit 2001) ist die Tochter des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors. Sie sitzt nicht in der Regierung und gilt daher für viele Linke weiterhin als unverbrauchte Hoffnung. Wie Montebourg hält sie nichts von Präsident Hollande. Sie ist die Dame hinter der 35-Stundenwoche. Im Kampf um den Parteivorsitz Ende 2009 hat sie beschissen und so Ségolène Royal mit einem Vorsprung von 42 Stimmen geschlagen. So sehen linke Hoffnungsträger im PS aus!

Ausserhalb des PS gibt es noch zumindest noch einen Häuptling, der gerne an der Spitze einer vereinten Linken stehen würde: Der 1951 in Tanger geborene, gnadenlose Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon mit seinem Front de Gauche. Er war einst Teil des PS, ehe er die Partei 2008 verliess, weil er der aufsteigenden Ségolène Royal einen Rechtskurs vorwarf. Für eine solche Perspektive muss man sehr links stehen. Die ehemalige Lebensgefährtin von François Hollande steht sicher rechts von Mélenchon, jedoch links von Valls.

In Frankreich hat sich bis heute die Erkenntnis noch nicht weitgehend durchgesetzt, dass der Sozialismus ein in der Praxis längst gescheiterter Irrweg ist. Die Führer der Linken sehen sich deshalb immer wieder verpflichtet, sozialistische Ideale hochzuhalten, selbst wenn sie nicht mehr daran glauben. Ein Teil glaubt noch immer daran. Der eigenen Basis Reformen zumuten, das will (fast) keiner.

Bei der politischen Rechten sieht es nicht viel besser aus. Rhetorisch geben sie sich zwar weit deutlicher als Reformer, doch wenn es um Taten geht, schrecken sie zurück und werden gleichzeitig vom Wähler zurückgepfiffen. Selbst der dynamische, als Reformer angetretene Nicolas Sarkozy versagte jämmerlich, brachte keine umfassenden Reformen auf die Beine. Wird nun das zweite Kabinett Valls dem französischen Trauerspiel ein Ende bereiten? Valls und Sarkozy sollen sich ja schätzen. Wird Valls nun zum Macher und Reformen wie Sarkozy nicht nur ankündigen, sondern auch durchziehen? Frankreich bleibt nicht mehr viel Zeit, ehe Schuldenlast und Reformstau wirklich brutale Massnahmen erfordern werden.

Hollande und Valls geht im schlimmsten Fall bei der Abstimmung über das nächste Budget die Luft aus. Wenn die Parteilinke einem Reformbudget die Zustimmung verweigert und kein rechter Politiker in Cohabitation mit dem sozialistischen Präsidenten regieren will, drohen vorgezogene Neuwahlen. Wäre das der Moment der grossen Reformen? Das ist nicht sicher. Die bürgerliche UMP ist heute ebenfalls zerstritten. Davon könnte am Ende die rechtspopulistische Marine Le Pen profitieren. Und dann könnte es in Europa richtig turbulent werden.

Noch sind wir nicht da. Vielleicht ringt sich die Regierung Valls II zu liberalen Reformen (insbesondere des Arbeitmarktes) durch. Im April 2014 angekündigt wurde ja bereits ein Sparplan in der Höhe von 50 Milliarden Euro, zu dem die Details bis heute fehlen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Manuel Valls: L’Exigence. Grasset, 2016, 96 pages. Das frz. Taschenbuch bestellen bei Amazon.de oder Amazon.fr.

Frz. Buch von Jean-Marc Ayrault: Matignon 2012. Une ambition raisonnée. Coiffard éditions, 2012, 438 pages. Commandez ce livre chez Amazon.de ou Amazon.fr.

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Artikel vom 26. August 2014 um 19:12 CEST. Bücher mit Buchumschlag hinzugefügt am 6. September 2020.