Die Biografie von Werner Biermann: Strauss. Aufstieg und Fall einer Familie. Buchkritik / Rezension.
Schon zu Lebzeiten schien Franz Josef Strauss (1915-1988) manchem Beobachter eine schwer fassbare Persönlichkeit zu sein. Selbst heutigen Biografen scheint er sich noch zu entziehen. Eine im Vorfeld von Stoibers Kanzlerkandidatur bei einem renommierten Verlag angekündigtes Strauss-Biografie wurde nie veröffentlicht.
Die Buch des Journalisten und Filmemachers Werner Biermann (Strauss. Aufstieg und Fall einer Familie; Amazon.de) richtet sich an ein grösseres Publikum und kommt daher ohne Fussnoten aus. Immerhin hat er 25 Zeitzeugen zum Thema interviewt, ohne allerdings bedeutende neue Erkenntnisse zu präsentieren. Die Jugend des Vollblutpolitikers schildert der Autor noch detailliert, doch danach leuchtet er zu viele Leistungen und Fehler des Vollblutpolitikers nicht oder nur ungenügend aus. Dem Untertitel „Aufstieg und Fall einer Familie“ wird er nicht gerecht, da er sich abgesehen von den letzten 20 Seiten auf Franz Josef Strauss konzentriert.
Der Mann aus einfachen Verhältnissen, der 1935 das beste Abitur in Bayern und 1940 das beste Staatsexamen in Bayern seit 1919 machte, verdiente bereits als Student zeitweilig mehr als seine Schwester in einer guten kaufmännischen Stellung. Sein ausgeprägter Erwerbssinn sollte den Politiker Franz Josef Strauss in der Bundesrepublik auf Abwege führen. Er akzeptierte nicht nur regelmässig Schwarzgelder für seine Partei, sondern bereicherte sich auch selbst. Biermann erwähnt einige schockierende Beispiele, doch kommende Biografen sollten hier noch tiefer loten.
Zuvor bewährte sich Franz Josef Strauss im Krieg. Nicht als glühender Nazi, wie die Linke in Wahlkämpfen behauptete – wie sein Vater hasste er das Verbrecherregime -, sondern als Leutnant, der sich durch Zivilcourage und Anstand auszeichnete und so kurz vor Kriegsende einen „Deserteur“ vor der Exekution durch SS-Männer rettete.
Nach dem Krieg wurde Strauss mit einem herausragenden Persilschein ausgestattet, der ihn zu einem der „schärfsten, überlegendsten und erfolgreichsten Gegner des Nationalsozialismus“ stilisierte, was „ein reines Phantasie-Produkt“ war, so Biermann, von dem Strauss allerdings wenig Gebrauch machte.
In der Bundesrepublik machte Strauss rasch politisch Karriere. Biermann portraitiert anschaulich die Karriere des Atom- und Verteidigungsexperten Strauss, der am Stuhl von Theodor Blank sägte, um diesen als Verteidigungsminister zu beerben, ehe er über die Spiegel-Affäre stolperte.
Beginnend mit der alkoholreichen Nacht vom 9. auf den 10. März 1957 verfolgt Biermann detailreich den epischen, jahrzehntelangen Kampf zwischen dem Barock-Charakter Strauss und dem zynischen Puritaner Rudolf Augstein, Chefredaktor der Wochenzeitschrift Der Spiegel, ohne je darauf hinzuweisen, dass sich in der Spiegel-Redaktion einige Alt-Nazis tummelten (Paul Karl Schmidt, Horst Mahnke, Georg Wolff). Hingegen überrascht er wohl manchen Leser mit dem Hinweis auf Geheimtreffen von Augstein und Strauss in den letzten Lebensjahren des bayerischen Ministerpräsidenten, welche die heimliche Versöhnung der zwei Streithähne belegen.
Biermann erwähnt, dass Finanzminister Strauss und Wirtschaftsminister Schiller in der Grossen Koalition von 1966 bis 1969 zuerst als das „doppelte Lottchen“ und später als „Plisch und Plum“ hoch im Kurs standen. Was sie erreichten, handelt er viel zu kurz auf zwei Seiten ab. Strauss‘ Verdienste ab 1978 als Ministerpräsident in Bayern sind dem Autor nur wenige Sätze wert. Skandale, Personaldebatten, Intrigen und Privates nehmen mehr Platz ein als die Substanz und die Resultate seiner Politik.
Biermann beschreibt den skrupellosen Rhetoriker Strauss, der sich durch – manchmal bierselige – Reden selbst um höhere Staatsämter brachte. Seine Ehekrisen beleuchtet er ebenfalls. In der ernsthaftesten Affäre hätte der gestandene Politiker fast seine Frau verlassen, um mit einem minderjährigen Mädchen einen Neuanfang zu starten, was das Ende seiner Politikerkarriere bedeutet hätte.
Strauss‘ intellektuelle Ehefrau Marianne aus vermögenden Haus beschreibt Biermann mit den Worten Helmut Kohls als „heimliche Generalsekretärin der CSU“. 1996 kauft eine Hausfrau in Bayern elf Ordner mit Altpapier, die sich als Originalakten und Kontoauszüge des 1971 verstorbenen Schatzmeisters der CSU, Wolfgang Pohle, erweisen. Sie bietet die Akten dem Spiegel an. Nun wird klar, dass Marianne Strauss schwarze Spendengelder in Millionenhöhe verwaltete, ohne ein Parteimandat auszuüben, aber mit der Sachkenntnis der Volkswirtschaftlerin. Biermann legt dar, wie die CSU systematisch Firmen um Gelder anging. Strauss selbst nahm selbst Geld ein, direkt und bar, das nicht nur für die Partei, sondern zur eigenen Verfügung „gespendet“ wurde. Das barocke Finanzgebaren von Franz Josef Strauss stellt Biermann zwar auf mehreren Seiten ausführlich dar, doch verdient dieses Thema eine noch systematischere und profundere Analyse, ja wohl ein eigenes Buch.
Im Zusammenhang mit dem gescheiterten Kanzlersturz von Barzel gegen Brandt verweist Biermann zurecht darauf, dass die SPD/FDP-Mehrheit schrumpfte, weil „in diesem Zusammenhang wohl auch viel Geld [floss]“. Am Schluss fehlten Barzel dennoch überraschend drei Stimmen aus den eigenen Reihen. Dass Brandt im Amt blieb, weil die DDR für Brandt Stimmen der Opposition gekauft hatte, verschweigt der Autor.
Strauss endete erneut auf den harten Oppositionsbänken und forderte eine Strategie der totalen Konfrontation. Sein Versuch, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufzulösen und getrennt anzutreten, scheitert jedoch kläglich. Nicht nur hier zögert der „Draufgänger“ und gibt klein bei. Es ist die Zeit, in der Strauss Kohl intern der Unfähigkeit bezichtigt, was natürlich am nächsten Tag imSpiegel zu lesen war. Gleichzeitig profilierte Strauss sich 1975 auf unerwartete Weise mit einer Reise nach China, wo er als erster deutscher Politiker von Mao empfangen wurde, was nicht nur die Prawda und Kanzler Schmidt verärgerte, sondern zudem die Grüppchen der westdeutschen Maoisten aus der Fassung brachte. Dass der „weise Lehrer der Völker“ den „faschistoiden Kriegstreiber“ und „Atomwaffen-Imperialisten“ Strauss traf, brachte ihre ideologische Welt durcheinander, wie Biermann genüsslich anmerkt. Dass Mao zusammen mit Hitler, Stalin und einigen anderen zu den grössten Verbrechern des 20. Jahrhunderts gehört, verschweigt Biermann.
Strauss reiste später zudem nach Chile zu Pinochet und zeigte sich mit dem Apartheidregime in Südafrika. Insgeheim setzte er sich bei Pinochet für die Demokratisierung ein und in Südafrika für die Freilassung von Nelson Mandela, was dieser nach seiner Haftentlassung 1990 anerkannte. Der Öffentlichkeit blieben diese Seiten von Strauss‘ Besuchen bei zweifelhaften Regimes und Politikern zu dessen Lebzeiten verborgen, was sein negatives Image verstärkte.
In den 1970er Jahren war das politische Klima so vergiftet und wurden die Terroristen als so gefährlich eingeschätzt, dass Marianne Strauss grosse Mengen an Bargeld in ihrer Handtasche in die Schweiz brachte, um im Fall einer notwendigen Flucht ins Ausland das Geld jederzeit verfügbar zu haben.
Nach Barzels misslungenem konstruktivem Misstrauensvotum gegen Brandt und Kohls Wahlniederlage forderte Strauss die Kanzlerkandidatur für sich. Mit der Unterstützung der Springer-Presse bereitete sich Strauss auf den Wahlkampf 1980 vor. Helmut Kohl gab klein bei. Vielleicht habe er die Chance gesehen, so den Widersacher nach dem Scheitern seiner Kandidatur loszuwerden, mutmasst Biermann. Der Wahlkampf Schmidt gegen Brandt polarisierte. Augsteins Spiegel und andere Strauss kritisch gegenüberstehende Blätter schossen aus allen Rohren. Die FAZ titelte „Hetzte statt Wahlkampf“. In Wahrheit schätzten sich Schmidt und Strauss. Bei späteren Begegnungen habe Schmidt seinen früheren Konkurrenten mit den Worten begrüsst: „Na Sie alter Gauner?“, worauf dieser scherzhaft geantwortet habe: „Na, Sie alter Lump.“ Beide hätten den kumpelhaften Machostil aus dem Krieg gepflegt, zitiert Biermann Jürgen Leinemann. Strauss‘ Konfrontationsstrategie gegen die SPD scheiterte ebenso wie sein Versuch, die Fraktionsgemeinschaft der CSU mit der CDU aufzulösen.
Strauss‘ barocken Politikstil illustrieren die Silbermünzen mit seinem Bild, die der Landesvater an tüchtige Landeskinder als „ehrende Anerkennung“ verteilte. Er machte aus Bayern allmählich „ein Amigoland, ein Beziehungsgestrüpp, in dem sich seine Nachfolger heillos verheddern“ sollten, so Biermann. Es ist die Zeit der regelmässigen Schwarzgeldzahlungen von Eduard Zwick an Strauss und die CSU, „zeitweilig 20000 Mark monatlich“, weshalb Zwick meinte, er müsse nicht noch obendrein Steuern bezahlen. Den Selfmade-Geschäftsmann, Spekulanten und Waffenhändler Karlheinz Schreiber bittet Strauss, seinen Sohn Max unter seine Fittiche zu nehmen und ihn in die Geschäftswelt einzuführen. Friedrich Karl Flick gab Strauss über die Jahre insgesamt 950,000 Mark „für eine bestimmte politische Linie“, nicht für irgendwelche Leistungen, so Strauss. Otto Graf Lambsdorff und Hans Friedrichs gingen in der Flick-Affäre unter, „ausgerechnet Franz Josef Strauss“ sei ungeschoren davongekommen, bemerkt Biermann.
Als Strauss 1978 Ministerpräsident wurde, sei er bereits vielfacher Millionär gewesen. Es werde wohl auf immer unklar bleiben, ob er nicht Teile der enormen Summen, die ihm in die Hand gedrückt oder überwiesen wurden, in die eigene Tasche gesteckt oder illegal für Parteizwecke verwendet habe, bemerkt Biermann vage. Zuvor äussert er allerdings den Verdacht, dass Strauss, dass bei seinem Airbus-Amt für die CSU oder sogar für seine privatwirtschaftlichen Zwecke Geld geflossen sei.
Strauss förderte als Verteidigungsminister und später als Ministerpräsident „mit zäher Geduld – und mit viel Geld aus Bonn“ die Bildung des Luft- und Raumfahrtkonzerns MBB, der später in der DASA aufging, den BMW-Motorenbau in München-Allbach, MAN, die Entwicklung des Airbus, etc. Biermann handelt die Wirtschafts- und Strukturpolitik von FJS zu kurz ab.
Dem Treffen mit dem DDR-Staatssekretär Schalck-Golodkowski und der Einfädlung des eine Milliarde Kredits von 1983 an den ostdeutschen Unrechtsstaat räumt Biermann dann wieder viel mehr Raum ein. Die Strauss-Anhänger sind über die Aktion der Galionsfigur des Antikommunismus entsetzt. Sie hätten nicht begriffen, dass bei Strauss schon immer ein grundlegender Unterschied zwischen seinen lauten Sprüchen und seinem politischen Handeln bestanden habe.
Ein zweifelhaftes Nebengeschäft von Strauss stellt Biermann etwas ausführlicher dar: sein 15%-Anteil an der Werbeagentur „Contas“ seines Freundes Walter Schöll. Dabei handelt es sich um Privatgeschäfte, die nach Artikel 57 der bayerischen Landesverfassung für eine Ministerpräsidenten verboten sind. Zudem lebte die Contas hauptsächlich von Werbeaufträgen der bayerischen Ministerien, der staatlichen und halbstaatlichen Betriebe und Verbände. Hier zitiert Biermann den Strauss-Biografen Wolfram Bickerich mit den Worten: „Strauss konnte am eigenen Kabinettstisch entscheiden, ob er sich bereichern wollte oder nicht.“
Nach dem Tod seiner Frau Marianne 1984 sei Strauss geschockt gewesen. Seit der 15 Jahre zurückliegenden Affäre mit einem Teenager habe Strauss nie mehr an seiner Ehe gezweifelt. Die mit 54 Jahren Verstorbene hatte die Hälfte ihres Lebens mit FJS geteilt. Erst zweieinhalb Jahre nach dem Tod von Marianne lernte der 71-Jährige seine letzte Liebe, Renate Piller, kennen, die von seinen Kindern allerdings abgelehnt wurde. Strauss starb allerdings bevor diese Beziehung in eine Ehe münden konnte.
1994 liess Edmund Stoiber eine Bombe platzen, als er mitteilte, er habe im Gegensatz zu seinen Vorgängern Franz Josef Strauss und Max Streibl „niemals Gelder als Testamentsvollstrecker angenommen“. Binnen weniger Tagen deckten Journalisten die Hintergründe dieser kryptischen Bemerkung auf. Strauss und später Streibl kassierten jährlich 300,000 Mark Honorar von der Baur-Stiftung des gleichnamigen Versandhauses. Dabei traf Strauss nur einmal die anderen Testamentsvollstrecker sowie die Manager von Baur, kassierte folglich ohne Gegenleistung. Das Geld verwendete er für sich, spendete es nicht etwa für gemeinnützige Zwecke.
Erst Max Strauss musste für Verfehlungen zahlen und ins Gefängnis wandern. Tochter Monika Hohlmeier stolperte über Politikaffären und musste von allen Parteiämtern zurücktreten, wobei noch nicht klar ist, ob sie vielleicht nicht doch noch ein Comeback hinbekommt. Der zweite Sohn Franz Georg promovierte hingegen vor einigen Jahren über europäisches Recht. Er konnte als einziger den dunklen Schatten des Vaters überwinden.
Zur flüssig geschriebenen Franz Josef Strauss-Biografie von Biermann sollte greifen, wer mit Lücken leben kann. Es macht zumindest Lust auf mehr. Ein Standardwerk zu Franz Josef Strauss ist weiterhin nicht in Sicht.
Werner Biermann: Strauss. Aufstieg und Fall einer Familie. Rowohlt Berlin, 2006, 351 S. Biographie bestellen bei Amazon.de.
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