Giorgia Meloni: Ich bin Giorgia

Okt. 21, 2025 at 23:37 65

Gleich vorneweg: Die Autobiographie von Giorgia Meloni, Ich bin Giorgia. Mein Wurzeln, meine Vorstellungen, ist unterhaltend geschrieben, leicht zu lesen, allerdings mit vielen Details, die sich nur Italienern bzw. mit der italienischen Politik vertrauten Lesern erschliesst. Der Kontrast zum unreflektierten Geschwurbel von Angela Merkel ist gross, was allerdings nicht bedeutet, dass der Schreibende nach der Lektüre ins Lager der Fratelli d’Italia gewechselt hat.

Giorgia Meloni: Ich bin Giorgia. Mein Wurzeln, meine Vorstellungen. Europa Verlag, 2025, 384 Seiten. ISBN-10 : ‎ 3958906540; ISBN-13: ‎ 978-3958906549. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und das Buch bestellen bei Amazon.de.

Am 19. Oktober 2019 sprach die Rechtspopulistin der Fratelli d’Italia laut eigenen Angaben rund 20 Minuten lang aus dem Stegreif auf der Piazza San Giovanni in Rom vor 200.000 Menschen. Zusammen auf der Bühne waren ihre Verbündeten der Mitte-Rechts-Koalition, Silvio Berlusconi von der Forza Italia und Matteo Salvini von der Lega, um gegen den Amtsantritt der zweiten Regierung Conte zu demonstrieren, die «man» laut der Autorin über die Köpfe der Bürger hinweg gebildet hatte.

Sie beendete ihre Rede mit den Worten: »Ich bin Giorgia. Ich bin eine Frau. Ich bin eine Mutter. Ich bin Italienerin. Ich bin Christin. Und das werde ich mir nicht nehmen lassen.« Die Menge auf der Piazza applaudierte. Die Veranstaltung war ein Erfolg. Doch Giorgia Meloni unterstreicht, dass sie noch nicht ahnen konnte, welches enorme Echo diese Worte in den folgenden Monaten finden sollten.

Tommaso Zorzi, späterer Sieger des Grande Fratello (Big Brother), hatte auf Instagram eine Aufforderung zum Protest gepostet. E MEM & J, zwei junge Mailänder DJs, hatten ihre Worte mit einem Discobeat geremixt in der Absicht, eine Satire daraus zu machen, sodass die Botschaft am Ende lächerlich wirken sollte. Doch es kam anders. Der Song war einfach zu gut, zu sehr zum Tanzen geeignet und zu mitreissend. Innerhalb weniger Wochen tauchte das Stück überall auf. In allen Klubs wurde danach getanzt. Das Lied wurde sogar mit einer goldenen Schallplatte ausgezeichnet.

Die merkwürdige Mischung aus politischer Rede, Discosound und Tanzbewegungen eroberte das Internet und machte Giorgia Meloni populär, vor allem bei den nach 2000 Geborenen. Was als Waffe gegen ihre Ideen gedacht war, sorgte paradoxerweise für ihre noch stärkere Verbreitung. Von einem Tag auf den anderen wurde sie dadurch von einer langweiligen Politikerin zu einer Art Pop-Ikone. Diese ganze Sache habe den Anstoss für ihre Entscheidung gegeben, dieses Buch zu schreiben, das 2021 in Italien unter dem italienischen Originaltitel Io sono Giorgia bei Rizzoli, Mondadori Libri S.p.A., erschien.

Ihr Buch sieht Giorgia Meloni nicht als das theoretische Manifest der italienischen Rechten. Es könne allenfalls die Erzählung eines Lebens sein, das bisher mit dem Ziel gelebt worden sei, zum Wachstum der Rechten beizutragen, ohne dabei sich selbst zu verleugnen. Dieses Buch sei im Grunde genommen keine Autobiografie, weil sie nämlich hoffe, dass sie nicht morgen sterbe. Autobiografien machten ja erst am Ende des Lebens Sinn. Dieses Buch sei ein Mittel festzuhalten, wer sie sei, und woran sie glaube, hier und jetzt. Für diejenigen, die die Geduld hätten, es zu lesen, und für sich selbst.

Politiker seien ganz normale Menschen. Es gebe gute und schlechte. Das hier sei ihre Wahrheit, aufrichtig erzählt, möge sie ihren Lesern gefallen oder nicht.

Vielleicht habe sie vor allem für sich selbst angefangen zu schreiben. Sie sei nämlich an einem Wendepunkt ihres Lebens. Weit genug vorne im Rampenlicht, um etwas zu bewirken, aber noch nicht vor dem Risiko gefeit, sich selber zu verlieren. Die grösste Herausforderung für Menschen, die den Weg der Politik eingeschlagen hätten, bestehe darin, es zu schaffen, ein Zeichen der eigenen Präsenz zu hinterlassen, ohne dabei gleichzeitig den Kern der eigenen Identität aufzugeben, also meist den Teil, der einen unmittelbar dazu gebracht habe, sich für Politik einzusetzen. Am Ende gehe es um die Frage, habe ich das System verändert, oder habe ich es zugelassen, dass das System mich verändert hat?

Zu ihrer Kindheit schreibt die 1977 in Rom geborene Giorgia Meloni, dass sie alles ihrer Mutter verdanke. Diese hatte bereits eine anderthalbjährige Tochter, als sie mit 23 Jahren mit Giorgia erneut schwanger war. Sie hatte sich bereits vom Vater getrennt. Sie sei eigensinnig gewesen. Der Vater, Steuerberater aus dem Norden von Rom, habe Mutter und Kind nach der Entbindung nicht einmal im Krankenhaus abgeholt.

Als Giorgia noch sehr klein war, verschwand der Vater – den sie zumeist nicht beim Namen nennt  – mit seinem Boot auf die Kanarischen Inseln. Als die wichtigste Person bis zur Geburt ihrer Tochter Ginevra bezeichnet die heutige Ministerpräsidentin ihre Schwester. Noch heute fehle ihr etwas, wenn sie nicht mindestens einmal am Tag ihre Stimme höre.

Giorgia wuchs nicht nur mit ihrer alleinerziehenden Mutter auf, sondern verbrachte auch viel Zeit bei ihren Grosseltern. Die Grossmutter sei nicht gerade eine Ernährungswissenschaftlerin gewesen. Zum Abendessen habe es jeden Abend Milch und Kekse gegeben. Mit 9 Jahren habe sie deshalb 65 Kilo gewogen. Ihre Grossmutter habe ihren Stoffwechsel ruiniert. Dennoch sei Giorgia ihrer Grossmutter immer als zu dünn erschienen. Diese und noch viele andere Anekdoten und Einsichten zu ihrer Kindheit gibt es in Melonis Autobiografie zu lesen.

Im zarten Alter von 15 Jahren trat Giorgia Meloni dem Movimento Sociale Italiano (MSI) bei, das sich in der Nachfolge von Mussolinis Faschisten sah. Die Wahl traf sie mehr aus Instinkt als aufgrund einer rational abgewogenen Entscheidung, so die Autorin. In der Ortsgruppe Garbatella fand sie nach eigener Aussage ihre zweite Familie. Sie war aktiv in der Jugendorganisation Fronte della Gioventù. Der Auslöser für ihre Entscheidung sei das Attentat (mit Todesfolge) auf den Anti-Mafia Richter Paolo Borsellino vom 19. Juli 1992 gewesen.

Es war die Zeit der Korruptionsuntersuchungen der „sauberen Hände“ (Mani Pulite). Laut Giorgia Meloni war das Movimento Sociale Italiano gänzlich unbeteiligt an den Unterschlagungen und Korruptionsfällen. Sie hätte hinzufügen können, weil das MSI eine Splittergruppe ohne politischen Einfluss war.

Bei ihrem ersten Besuch in der MSI-Ortsgruppe traf die Fünfzehnjährige nur auf Männer. Unter ihnen war Marco Marsilio (*1968), der heute Präsident der Region Abruzzen ist (Meloni schrieb ihre Autobiografie 2021; Marsilio wurde 2023 als erster Präsident der Region seit der Einführung der Direktwahl wiedergewählt). Die junge Giorgia wurde zum damaligen Abteilungssekretär, Andrea De Priamo (*1971) alias Peo, geführt, der heute (2021) Fraktionsvorsitzender der Fratelli d’Italia (FdI) in der kapitolinischen Versammlung, der Stadtrat von Rom, ist (2022 wurde er als Senator für die FdI in Italiens Oberhaus gewählt). Peo und Giorgia tauschten ihre privaten Telefonnummern aus und schrieben sie jeweils auf das Flugblatt einer Demonstration, das sie in der Mitte durchschnitten, ein Souvenir, das sie beide noch heute aufbewahrten.

Meloni fügt hier noch eine weitere Anekdote an: Andrea De Priamo sagte später dazu, Giorgia sei in einem rosa Anzug bei MSI aufgetaucht. Die heutige Premierministerin wendet sich entschieden gegen diese Hauptstadtlegende. Sie habe nie in ihrem Leben einen rosa Anzug getragen oder besessen. Sie sei damals noch jung gewesen, doch selbst sie habe genug Verstand besessen, bei der (faschistischen) Jugendfront nicht in Rosa aufzutauchen.

Neben unterhaltsamen Anekdoten finden sich in Ich bin Giorgia auch tiefer lotende Bemerkungen. Die jungen Leute, die sich politisch am stärksten engagierten, suchten nach Bezugspunkten, nach ihrem Platz in der Welt, sie wollten irgendwie dazugehören. So sei es auch bei anderen Gruppierungen wie Kirchengemeinden, bei gemeinnütziger Arbeit, im Vereinswesen. Sich als Teil von etwas Wichtigerem zu fühlen, gebe Selbstsicherheit.

In diesem Zusammenhang schreibt Meloni, sie habe immer die unbequemen Positionen viel komfortabler gefunden. So sei sie zum Beispiel nie der Meinung gewesen, dass Gras rauchen unkonventionell sei. Wenn es alle taten, sei es unkonventionell, Nein zu sagen. Einmal in der Politik, habe diese Einschätzung sie zu einem der gelungsten Slogans der Jugendfront gebracht: „Gras? Was für Kaninchen.“

Bezüglich Europa führt Giorgia Meloni aus: „Man sagt, dass wir antieuropäisch sind, aber das ist ganz und gar falsch; man braucht nur eines der Lieder der sogenannten neoprogressiven Musik zu hören, wie Sulla Strada von der Gruppe Compagnia dell’Anello: Das ist ein Lied über das Europa der Völker und der Vaterländer, über Europa als Träger von Zivilisation und europäischer Solidarität, als grosses geopolitisches Projekt. Wir hatten damals eine genaue Vorstellung von Europa, eine, die wir noch heute verteidigen und umsetzen wollen: eine Union freier europäischer Völker, gegründet auf deren Identität und fähig, die grossen Fragen gemeinsam zu lösen. Ein Europa, das sich von der heutigen Europäischen Union, einem undefinierbaren Gebilde in den Händen obskurer Bürokraten, das auf nationale Identitäten keinen Wert legt oder diese sogar ganz abschaffen will, stark unterscheidet.“

Zum Fall der Berliner Mauer schreibt die Autobiografin, das sei für sie (die Rechten) „ein einziges grosses Fest“ gewesen. In den Jahrzehnten, in denen alle so getan hätten, als ob es sie nichts anginge, oder sie den Kommunisten Glauben schenkten, habe die Rechte die von der kommunistischen Diktatur unterdrückten Menschen in Osteuropa nicht vergessen. Dafür führt Meloni „ein gutes musikalisches Beispiel“ an: Francesco Pingitore, Gründer des Variétés Bagaglino, habe nach der Invasion der sowjetischen Panzer in Ungarn ein Lied geschrieben, das bei „uns“ (den Rechten, den Italienern?) ganze Generationen gesungen hätten: Avanti ragazzi di Buda. Der ungarische Premierminister Viktor Orban habe 2019 als Gast beim (von den Fratelli d’Italia organisierten) Atrejù-Festival Italien in einer Rede gedankt: »Das schönste Lied über die ungarische Revolution von 1956 wurde von den Italienern geschrieben, es fängt so an: ›Avanti ragazzi di Buda‹.« Beim Festival habe es nur einen Augenblick gedauert, ehe das Publikum begonnen habe, stehend zu singen, zuerst leise, dann immer lauter. Tausende Menschen seien im Saal gewesen, und alle hätten sich daran erinnert, woher sie kamen, so Giorgia Meloni, die anfügte, dies sei in mehr als 20 Jahren Atrejù-Festival der mit Abstand bewegendste Moment gewesen.

An anderer Stelle behauptet Giorgia Meloni, ihre Bewegung (jene des MSI bzw. der FdI) habe Menschen von höchster Integrität hervorgebracht, denn Jugendpolitik (für das MSI bzw. die FdI) zu machen habe bedeutet, Nachteile in Kauf zu nehmen. Das habe Kühnheit und starke Motivation erfordert. Das sei nicht aus Opportunismus geschehen. Jemand, der Ambitionen hatte, politisch Karriere zu machen, haben damals als wirklich widerwärtig gegolten. Wie erwähnt hatte Giorgia Meloni zuvor Viktor Orban lobend erwähnt, einen durch und durch dubiosen und korrupten Politiker. Er kommt nicht weiter im Buch vor. Doch von ihr kommt kein kritisches Wort zu solchen dubiosen Politikern der heutigen Rechten.

Mussolini und der Faschismus nehmen ebenfalls nicht viel Raum in ihrer Autobiografie ein. Immerhin erwähnt sie den ersten Parteitag der Alleanza Nationale als Nachfolgepartei vom Movimento Sociale Italiano im Januar 1995. „Für uns war die Wende von Fiuggi […], ihre Distanzierung vom Faschismus und ihre Hinwendung zu einer demokratisch-rechtskonservativen Partei ein Schritt der Normalisierung. Viele von uns haben Jahre später unter dem Zusammenschluss von Alleanza Nazionale und der Partei Il Popolo della Libertà (PDL) viel mehr gelitten. Die Wende von Fiuggi bedeutete, dass unsere parlamentarischen Anträge von da an grössere Chancen hatten, angenommen zu werden. Der spätere Zusammenschluss der Parteien im PDL brachte hingegen die Gefahr mit sich, dass der gemeinsam erreichte Bestand verwässert und geschwächt wurde, und das ist dann zum Teil ja tatsächlich passiert.“

Giorgia Meloni sieht ihr politisches Lager als jenes der Aufgeschlossenen: „Wir waren immer gegen eine gewisse »Starrköpfigkeit« immun gewesen, gegen nostalgische Folklore, derer sich unsere Gegner bedienten. Die haben wir ganz im Gegenteil bekämpft, weil wir genau wussten, dass sich mit Nostalgie nichts aufbauen lässt. Wenn man wirklich Politik machen will, muss man sich dem Problem der Zustimmung stellen. Man muss von den Leuten auf der Strasse verstanden werden, denen ideologische Verdrehungen fremd sind, und die Führung suchen. Wenn die eigenen Vorstellungen niemanden überzeugen und nur einer kleinen ausgewählten Gruppe vorbehalten bleiben, verteidigt man sie nicht. Das kann man nur, wenn sie von anderen geteilt werden.“

Bezüglich dem starken Geschlecht führt die Autorin unter anderem an, die Rechte in Italien habe die grösste Anzahl von Frauen in Führungspositionen. Sie sei in die Führung der Alleanza Nazionale gewählt worden, während dem Matteo Renzi bei der Aufstellung seiner neuen Partei Italia Viva Teresa Bellanova an die Führungsspitze und Maria Elena Boschi zur Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus ernannte – beide wurden also nicht gewählt, sondern von einem Mann ernannt, der danach behauptete, seine Partei sei die feministischste in der Geschichte Italiens.

Giorgia Meloni erinnert daran, wie zum Beispiel Schauspielerinnen, Stammgäste im Fernsehprogramm der (staatlichen) RAI, (sexistische) Witze über sie rissen, als sie Mutter wurde, ohne verheiratet zu sein. Sie erwähnt neben der Verlogenheit vieler auf der Linken allerdings auch die damalige Verteidigungsministerin Roberta Pinotti des Partito Democratico, die ihr ein Paar Babyschühchen mit der schönen Botschaft sandte: „Gar nicht beachten, nur schauen und einfach weitergehen.“

Die Diskriminierung als Frau habe sie dazu bewogen, sich für das Bürgermeisteramt in Rom zu bewerben. Guido Betolaso, damals Leiter des Zivilschutzes und inoffizieller Bürgermeisterkandidat der rechten Mitte, sagte im Fernsehen: „Jetzt muss Frau Meloni Mutter sein.“ Sie habe am Ende die Wahl verloren, doch als Frau und Mutter gewonnen, so das Fazit von Giorgia Meloni.

Die Autorin schreibt an anderer Stelle, Frauen seien konkreter, aber auch stolzer, und es widerstrebe ihnen mehr, sich auf Korruption einzulassen und zu betrügen. Sie erwähnt ebenfalls, wie sie mit 21 Jahren im roten Wahlkreis Garbatella als Kandidatin für den Provinzrat von Rom antrat und dank eines frechen Wahlkampfes mit verrückten Ideen unerwarteterweise gewählt wurde – auf Platz 17 für die Alleanza Nazionale, die insgesamt 18 Sitze gewann.

1996 wurde sie an die Spitze der Azione Studentesca gewählt, der Studentenorganisation der Partei Alleanza Nazionale. Mit 29 Jahren wurde sie Journalistin. 2006 wurde sie ins Abgeordnetenhaus gewählt. In der XV. Legislaturperiode bekleidete sie das Amt der Vizepräsidentin der Abgeordnetenkammer. Sie hält bis heute den Rekord des jüngsten Ministers in der republikanischen Geschichte: 2008 übernahm sie das Amt der Jugendministerin unter Ministerpräsident Berlusconi. Am 21. Dezember 2012 war sie eine Mitgründerin der Fratelli d’Italia – heute die grösste Partei Italiens –, deren Landesvorsitzende sie seit 2014 ist. Am 28. September 2020 wurde sie zur Vorsitzenden der europäischen Konservativen und Reformisten (ECR Party) gewählt. Am 22. Oktober 2022 stieg sie nach der Parlamentswahl zur ersten Ministerpräsidentin in Italiens Geschichte auf, an der Spitze einer Mitte-Rechts-Regierung, gebildet von ihrer rechtsextremen Partei FdI, der noch rechtsextremeren Lega des Putin-Verehrers Matteo Salvini und der Mitte-Rechts-Partei Forza Italia des 2023 verstorbenen Populisten Silvio Berlusconi.

Zurück zur Autobiografie von Giorgia Meloni, die 2021 veröffentlicht wurde, als ihre Partei FdI lediglich 4,37% der Wähler vertrat (Parlamentswahl 2018), also vor ihrem Aufstieg zur Ministerpräsidentin (2022 wurde FdI zur stärksten Partei mit 25,98%!), vor ihrer politischen Rezentrierung und vor Putins Eskalation des Krieges gegen die Ukraine. Als Regierungschefin steht Meloni heute klar hinter der Ukraine und gegen Putin, für die EU und die NATO, allerdings auch für Sympathie für Donald Trump und andere Rechte in den USA und anderswo.

Putin kommt im Buch nicht vor. Allerdings schreibt sie: „… Russland ist Teil unseres europäischen Wertesystems, verteidigt die christliche Identität und bekämpft den islamischen Fundamentalismus. Es muss dies in Frieden mit seinen Nachbarn tun, und die europäischen Staaten, die an den grossen russischen Bären angrenzen, müssen gelassen in die Zukunft blicken können, ohne eine Rückkehr der aggressiven imperialen Politik Moskaus befürchten zu müssen. Wir brauchen ein Gleichgewicht, das einen endgültigen Frieden zwischen Europa und Russland sicherstellt, und das wird nicht mit der kurzsichtigen Politik einer machtbetonten Konfrontation erreicht, die zuerst Barack Obama und jetzt Joe Biden so sehr schätzen. Wenn uns das auf intelligente Weise gelingt, werden sowohl der Westen als auch Russland stärker und sicherer sein. Und der chinesische Drache wird ein wenig einsamer sein.“

Fast – allerdings nur fast – wie Putin bezüglich der Russen in aller Welt klingt Meloni, wenn sie schreibt: „Aussenpolitik bedeutet auch, sich um die Italiener in der Welt zu kümmern. Wie uns der grosse Mirko Tremaglia gelehrt hat, gibt es überall dort, wo einer unserer Landsleute lebt, eine wichtige Garnison des Italienischen, die es zu schützen und zu fördern gilt.“ Für Putin ist Russland ja dort, wo Russen leben.

Zu Trump ist unter anderem zu lesen, dass er nicht zufällig in mehr als 40 Jahren der einzige Präsident der USA sei, der in seiner ersten Amtszeit keinen Krieg angefangen habe, im Gegensatz zum Friedensnobelpreisträger Barack Obama. Das Gleiche gelte für die Innenpolitik. Hierzu notiert sie: „Was ist es denn, wenn nicht eine Art Taliban-Instinkt, der Kapitalisten und linke Vordenker dazu bringt, die Einschränkung der freien Meinungsäusserung zu fordern und durchzusetzen, als läuternde Praxis gegen die »Sünder«? Was ist denn der bilderstürmerische Kampf der Black Lives Matter im Namen einer puritanischen Neuschreibung der Geschichte und der Gesellschaft – von der Linken auf der ganzen Welt mit grossem Verständnis verfolgt – gegen die Grossen der Vergangenheit anderes, wenn nicht Fanatismus? Vor diesem Hintergrund interpretiere ich rechts sein in dieser Zeit, mehr denn je, als einen Akt des Widerstands im Namen der Freiheit, des Vertrauens in die Menschen und der Eintracht unter den Völkern. Frieden und Freiheit müssen heute wie gestern gerade gegen die Gewalt dieser fanatischen »Demokraten« verteidigt werden.“

Giorgia Meloni verortete sich in ihrer Autobiografie 2021 klar auf der politischen Rechten. Zum ehemaligen, faschistischen MSI-Führers Giorgio Almirante finden sich einige wenige Worte, allerdings keine kritischen. Mussolinis-Slogan von Gott, Vaterland und Familie (dio, patria e famiglia) kommt im Buch vor, allerdings so:

„Aus dem Bewusstsein dieser Identität – entstanden aus dem Glauben, der Herkunft, der Kultur, aus den Eigenheiten, mit denen wir geboren werden und aufwachsen oder, einfacher gesagt, aus Gott, Vaterland und Familie, um Giuseppe Mazzini zu zitieren und nicht etwa einen faschistischen Slogan, wie einige Unwissende manchmal behaupten – leitet sich eine klare und folgerichtige Vorstellung von der Welt ab.“

Unter dem Stichwort Familie finden sich vor allem ihre Ausführungen zu ihrer eigenen. Sie hält allerdings auch fest: „Denn für die Ideologie des Globalismus ist Identität der Hauptfeind, den es zu vernichten gilt. Wenn man es genau betrachtet, wird alles, was Identität stiftet, alles, was uns unterscheidet, mit allen Mitteln bekämpft. Die Familie genauso wie die Nation, die geschlechtliche Identität genauso wie die Religion. Alle diese Dinge werden als ein Vermächtnis aus der Vergangenheit beschrieben, als etwas Veraltetes, das überwunden werden muss. Die Aufgabe derer, die sich, wie ich, als konservativ bezeichnen, besteht darin, diese Dinge zu verteidigen.“

Unter Christentum ist zu lesen, dass dieses den Menschen und seinen freien Willen in den Mittelpunkt stelle, anders als der Islam. Die Säkularität des Staates sei die Grundlage für die christliche Religion, was für den Islam unvorstellbar sei. Der Islam könne nur politisch sein, durch die Bejahung der Scharia, dem im Koran festgehaltenen Rechts- und Gesellschaftsmodell. Meloni möchte, dass der griechisch-römisch-christliche Ansatz in Italien und in Europa der vorherrschende bleibe. Sie fragt rhetorisch: „Muss ich mich deswegen als Ausländerfeind fühlen oder als intolerant?“

Der beste Weg für einen Patrioten, sich der Außenpolitik zu nähern, könne heute nur im nationalen Interesse liegen. Das habe sie Regierungschef Mario Draghi gesagt, als dieser in seiner Antrittsrede stolz erklärte, seine Regierung werde »proeuropäisch und proatlantisch« sein. Das sei nicht der Punkt, so Meloni, denn Italien sei bereits Teil Europas und der NATO. Sie führte aus: „Die Frage, die diejenigen, die uns in den letzten Jahren regiert haben, nicht beantworten konnten, ist vielmehr, wie Italien sich innerhalb dieser supranationalen Organisationen verhalten soll. Entweder mit dem Stolz und der Kraft, die einer Weltmacht angemessen sind, oder als Kolonie, die die Weisungen der Partnerund Konkurrenten sklavisch befolgt.“ Italien als Weltmacht?

Am Ende ihres Buches schrieb Giorgia Meloni, von Verschwörungstheorien angehaucht, Italien sei ein Land mit halber Souveränität und daher der Einmischung von aussen ausgesetzt. Dazu zählte sie Wirtschafts- und Finanzmächte. Nicht die volle Souveränität zu haben, bedeute, sich einem europäischen System anschliessen zu müssen, das für Italien nachteilig sei. Für Meloni war die Schaffung eines Präsidialsystem das Ziel, „die Reform der Reformen.“ Sie fügte hinzu, eine Nation, die sich nicht selbst kontrollieren könne, bezahle mit Abstrichen bei Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Arbeitsplätzen, verliere Würde und Zukunft. Sie gelobte, weiter für einen direkt von den Italienern gewählten Präsidenten der Republik zu kämpfen, und eine Regierung, die unmittelbar dem Volk verantwortlich sei. Sie fügte hinzu, sie wisse, dass dies das derzeitige Machtsystem in Italien und Europa am meisten fürchteten, und deshalb wisse sie, dass es das Richtige sei.

Dies sind nur einige Angaben aus der lesenswerten Autobiographie von Giorgia Meloni, Pflichtlektüre für alle, die sich mit dem heutigen Italien befassen: Ich bin Giorgia. Mein Wurzeln, meine Vorstellungen. Europa Verlag, 2025, 384 Seiten. ISBN-10 : ‎ 3958906540; ISBN-13: ‎ 978-3958906549. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und das Buch bestellen bei Amazon.de.

Zitate und Teilzitate in dieser Rezension/Buchkritik von Ich bin Giorgia. Mein Wurzeln, meine Vorstellungen sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.

Rezension/Buchkritik der Autobiographie von Giorgia Meloni vom 21. Oktober 2025. Hinzugefügt um 23:37 deutscher Zeit.