Der Zeichner, Lithograf und Maler Honoré Daumier (1808-1879) begleitete mit seinen Karikaturen die politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Umbrüche seiner Zeit mit Revolutionen, Hungersnöten, Erfindungen und mehr. Sein bissiger, scharfsinniger Humor begeistert auch heute noch.
Der streitbare Frankfurter Anwalt Hans-Jürgen Hellwig hat in rund sechs Jahrzehnten eine Sammlung von über 4.200 Lithografien und Holzstichen, 20 Zeichnungen, 2 Gemälden und 36 Bronzen von Honoré Daumier zusammengetragen, die zahlreiche Unikate mit handschriftlichen Annotationen umfasst, die er dem Städel Museum in Frankfurt am Main vermacht hat. Der Sammler ist seit über 30 Jahren Vorstandsmitglied im Städelschen Museums-Verein.
Eine Auswahl von rund 120 seiner von Daumier gesammelten Werke wird seit dem 24. Januar 2024 und noch bis am 12. Mai 2024 im Städel Museum in einer temporären Ausstellung unter dem Titel Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig präsentiert.
Dazu erschien ein gleichnamiger Katalog, herausgegeben von Astrid Reuter: Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig. Mit Beiträgen von A. Eiling, H.-J. Hellwig, A. Reuter, D. Schäfer, M. Sonnabend, H. Ziegler. Hirmer Verlag, 2024, 240 Seiten mit 170 Abbildungen in Farbe, 23 x 28 cm. Das Buch bestellen bei (alle Cookies akzeptieren, um direkt zur Seite zu kommen; wir erhalten eine Kommission) Amazon.de.
Im Katalog finden sich unter anderem Beiträge vom Sammler Hans-Jürgen Hellwig zum Verhältnis von Kunst, Macht und Politik, zu Daumier und der Politik seiner Zeit, von Dorit Schäfer zu Daumiers Gesellschaftskarikaturen, von Hendrik Ziegler zur Frage, was Satire darf bzw. zu Daumier und der deutschen politischen Karikatur der 1848er-Revolution, sowie Astrid Reuter ein Essay zum Thema Daumier im Blick von Künstlern und Sammlern um 1900.
Hans-Jürgen Hellwig erläutert, dass er nicht nur Lithografien sammelte, sondern auch Abzüge vor der Legende, Abzüge mit handschriftlichen Legenden, bevor sie gedruckt wurde, Abzüge mit der handschriftlichen Bestätigung des Druckers gegenüber den Behörden, dass die Abzüge genau entsprechend diesem Blatt und nicht anders hergestellt werden, und – besonders selten – Abzüge mit dem handschriftlichen Vermerk des Zensors, wobei es sich natürlich um Unikate handelt. Später dehnte er seine Sammlung in Richtung Skulpturen und Zeichnungen aus.
In seinem Katalog-Essay schreibt Hans-Jürgen Hellwig, dass Honoré Daumier bereits ab seinem 14. Lebensjahr seine zeichnerischen Fähigkeiten vor allem dadurch geschult hatte, dass er regelmässig im Pariser Louvre antike Skulpturen kopierte. So wurde er ein Meister in der Darstellung von menschlichen Körpern.
Bei ihm stimmten nicht nur Haltung und Proportionen, sondern der Künstler verstand es laut dem Sammler zudem, durch den Einsatz von Licht und Schatten sowie den Gegensatz von Schwarz und Weiss mit differenzierten Abstufungen und Übergängen den auf eine zweidimensionale Fläche gezeichneten Körpern eine dreidimensionale, skulpturale Wirkung zu geben. Die Lithografie war für diese Darstellellung besonders geeignet. Diese damals neuartige Technik hatte Honoré Daumier bei einem Spezialisten dieses Druckverfahrens gelernt. So konnte er bereits 1829 mit 21 Jahren die mittellosen Eltern und neun jüngere Geschwister mit seinen druckgrafischen Arbeiten ernähren.
Die entscheidende Wende im Leben von Honoré Daumier kam im Jahr 1830. Sie prägte ihn und seinen Zeichenstift zum politischen Kämpfer. Der seit 1824 regierende französische König Karl X. (1757–1836) aus dem Haus Bourbon löste in einem Streit über die von ihm eingeführte Pressezensur durch weitere königliche Ordonnanzen unter Verfassungsbruch zweimal das Parlament auf. Da er dort über keine Mehrheit verfügte, erhöhte er für die Neuwahl den Wahlzensus, wodurch drei Viertel der zuvor Wahlberechtigten das Wahlrecht verloren. Zudem verschärfte er die Zensur. Laut Hans-Jürgen Hellwig waren es vor allem Handwerker und sonstige Kleinbürger, die bereits die Revolution von 1789 ausgelöst hatten, die nun auf die Barrikaden gingen und erneut (wie 1792) die Tuilerien stürmten. Nach drei Tagen desertierten die Regierungstruppen, Karl X. dankte ab und ging ins Exil. Die Aufständischen hatten bei fast 3.000 Toten und Verwundeten gesiegt. Europaweit kam es zu Unruhen, Aufständen, Umstürzen und neuen Verfassungen. In der Schweiz wurde z.B. der (liberal dominierte) Bundesstaat gegründet.
Hans-Jürgen Hellwig erläutert, dass sich in Paris die Republikaner und die Liberalen ihres Erfolges zu früh freuten. Louis-Philippe von Orléans (1773–1850) aus einer Nebenlinie der Bourbonen wurde nach wenigen Tagen von General Lafayette (1757–1834), der Ikone der Republikaner, auf das Schild gehoben. Louis-Philippe wurde zum „Bürgerkönig“, die „Juli-Monarchie“ begann.
Republikaner und Liberale gaben allerdings nicht auf. Hans-Jürgen Hellwig schreibt, dass sie zahlreiche neue Zeitungen gründeten, um mit ihnen den Kampf für die Republik fortzusetzen. Die Startbedingungen dafür waren gut, denn die zwischen König und Parlament vereinbarte neue Verfassung sah im Rahmen der Gesetze Pressefreiheit vor und verbot die Wiedereinführung der Zensur. Die bedeutendste unter den Neugründungen war La Caricature, herausgegebenvon Charles Philipon. Dieser sah sich, wie er selbst sagte, als Verteidiger des Gedankenguts der Französischen Revolution. Der 22-jährige Honoré Daumier wurde der Hauptzeichner bei La Caricature. Seine Karriere als Karikaturist war nun richtig lanciert.
Dies sind nur einige wenige Angaben aus dem lesenswerten Katalog zur Ausstellung, der zudem reich illustriert ist.
Herausgegeben von Astrid Reuter: Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig. Mit Beiträgen von A. Eiling, H.-J. Hellwig, A. Reuter, D. Schäfer, M. Sonnabend, H. Ziegler. Hirmer Verlag, 2024, 240 Seiten mit 170 Abbildungen in Farbe, 23 x 28 cm. Das Buch bestellen bei (alle Cookies akzeptieren, um direkt zur Seite zu kommen; wir erhalten eine Kommission) Amazon.de.
Siehe zu Honoré Daumier den Artikel zu Ausstellung in der Phillips Collection in Washington, D.C. aus dem Jahr 2000, der eine kurze Biografie enthält.
Zitate und Teilzitate in dieser Buchkritik / Rezension / Ausstellungskritik zu Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.
Rezension / Buchkritik / Ausstellungskritik vom 21. April 2024 um 15:49 deutscher Zeit. Tippfehler korrigiert am 24. April 2024 um 18:47: „2024“ statt „204“ (Jahr der Publikation).