Hôtel Provençal. Eine Geschichte der Côte d’Azur

Aug 27, 2021 at 18:13 2188

Lutz Hachmeister hat eine lesenswerte Geschichte eines vergessenen, seit Jahrzehnten verlassenen Hotels sowie der Côte d’Azur unter dem Titel Hôtel Provençal geschrieben.

Im englischen ist die himmelblaue Küste auch als French Riviera bekannt. Der Autor schreibt, er sei erstmals im Februar 1989 dort gewesen, in der von Kundigen bevorzugten Nebensaison. So begann der Tourismus an der Côte d’Azur: Als Winterdestination für den Adel, der der harten Jahreszeit in Grossbritannien, Russland und anderso entfliehen wollte. Lutz Hachmeister erwähnt denn auch weiter hinten in seinem Text, dass das alte Grand Hotel von Juan-les-Pins in den 1890er Jahren vorausschauend damit warb, dass es auch (!) im Sommer geöffnet sei.

Er erwähnt auch, woher der Name Côte d’Azur kommt: Vom gleichnamigen, 630-seitigen Werk aus dem Jahr 1887 des aus Dijon stammenden Regionalpolitikers Stéphen Liégeard, der die Winter in seiner Villa in Cannes verbrachte. Lutz Hachmeister erwähnt nicht, dass Liégeard unter Costa Azzurra seine Reise von Hyères in der Provence bis nach Genua in Ligurien beschrieb. Heute versteht man unter Côte d’Azur nur noch den französischen Teil, da Ligurien zu Italien gehört und weil sich schon in der Zeit von Liégeards Werk die alternativen Bezeichnungen French Riviera für den französischen und Riviera ligure für den italienischen Teil der Küste eingebürgert haben.

Im 1927 eröffneten Hôtel Provençal, dem damals mit Abstand grössten Arbeitgeber in Juan-les-Pins, stiegen einst Politiker, Schauspieler, Musiker und andere Berühmtheiten wie Winston Churchill, Lilian Harvey, Charlie Chaplin, Jack Warner, Miles Davis und Dizzy Gillespie ab, weil es damals laut Lutz Hachmeister als modernstes und aufregendstes Hotel der Côte d’Azur galt. 1977 soll das Hôtel Provençal von seinem neuen Besitzer, dem reichen Pariser Juwelier Alexandre Reza von einem Tag auf den anderen geschlossen worden sein.

Lutz Hachmeister findet die Schliessung des Hotels bis heute merkwürdig. Es liegt an der übergangslosen Grenze zwischen Juan-les-Pins und dem von zahlreichen milliardären, Oligarchen, Waffenhändlern und Edelganoven bewohnten Cap d’Antibes an einem der teuersten Küstenabschnitte der Welt. Er schreibt von einer Investmentaffäre, bei der es offenbar nicht nur um das Hotel selbst, sondern um das immense Areal drumherum geht: zwei vorgelagerte, ebenfalls verfallene Villen direkt am Meer, das alte Château Saint-Georges für besondere Gäste, Gesindehäuser, eine Art-Déco-Garage mit Appartements darüber – ein ganzes Stadtviertel an der Grenze zum Cap d’Antibes, das einst vom US-Multimillionär Frank J. Gould (1877–1956), dem  jüngsten Sohn des berüchtigten Jason Gould, dem seinerzeit meistgehassten Unternehmer der USA, entwickelt worden war.

Im Buch Hôtel Provençal geht es um die Entwicklung von Juan-lesPins, den Rivalitäten an der Côte d’Azur, um Frank J. Gould, den Aufstieg der French Riviera zum Vergnügungsparadies, das Hôtel Provençal im Zweiten Weltkrieg, die Nachkriegsgeschichte und das zweite Jazz Age von Juan-les-Pins, die ewige Hotelruine und mehr. Dieses Buch ist voller Geschichten und Anekdoten. Eine kurzweilige Lektüre.

In seinem Schlusswort schreibt der Autor unter anderem von 20 Millionen Euro, die in letzter Zeit in den Erhalt des Hôtel Provençal geflossen seien sowie von 100 Millionen Euro, die zusätzlich an Subunternehmer, Dienstleister und Architekten zu vergeben seien. Dabei beruft er sich auf den Chefplaner dieses Unterfangens, Matthew Murison. Lutz Hachmeister erwähnt ebenfalls viele andere Ruinen in Juan-les-Pins sowie, nach Industriellen, Emiren und Oligarchen, eine potenziell neue Klientel: schwerreiche Chinesen. Die Geschichte der Côte d’Azur wird weitergehen. So oder anders.

Lutz Hachmeister: Hôtel Provençal. Eine Geschichte der Côte d’Azur. Verlag C. Bertelsmann, April 2021, 239 Seiten. Das Buch bestellen bei Amazon.de.

Lutz Hachmeister (*1959 in Minden/Westfalen) ist Publizist, Filmemacher und Geschäftsführer des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik in Berlin und Köln. Der ehemalige Chef des Grimme-Instituts hat unter anderem die Dokumentarfilme Schleyer. Eine deutsche Geschichte (2003), Das Goebbels-Experiment (2005), Die Köche und die Sterne (2010) und The Real American – Joe McCarthy (2011) realisiert. In der Penguin Random House Verlagsgruppe erschienen von ihm u.a. die Sachbücher Nervöse Zone. Politik und Journalismus in der Berliner Republik (DVA, 2007) und Hannover. Ein deutsches Machtzentrum (DVA, 2016).

[29.8.2021: P.S. Lutz Hachmeister hat einen Dokumentarfilm zum Hôtel Provençal gedreht, den ich noch nicht gesehen habe].

Zitate und Teilzitate in dieser Buchkritik / Rezension sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Rezension / Buchkritik hinzugefügt am 27. August 2021 um 18:13 deutscher Zeit.