Jakob Tuggener – Die 4 Jahreszeiten

Feb 10, 2024 at 16:22 468

Zusammen mit Werner Bischof, Gotthard Schuh, Paul Senn und Walter Läubli hat Jakob Tuggener (*Zürich 1904; † Zürich 1988) das „Kollegium Schweizerischer Photographen“ gegründet, das laut Martin Gasser in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre unter anderem mit der Ausstellung „Photographie als Ausdruck“ (1955) im Helmhaus Zürich die Schweizer Fotoszene entscheidend prägte.

Laut Martin Gasser waren die Arbeiten der fünf Fotografen zwar sehr unterschiedlich, doch einte sie die moderne Autorenfotografie, die sich markant von der damals in der Schweiz noch immer dominierenden Sachfotografie abhob. Dank der Vermittlung von Robert Frank war Jakob Tuggener zudem in den Ausstellungen „Post-War European Photography“ (1953) und „The Family of Man“ (1955) im Museum of Modern Art in New York City vertreten. Gleichzeitig beteiligte sich der Schweizer Fotograf an Otto Steinerts Ausstellungen zur „subjektiven fotografie“ (1951 und 1954) in Deutschland, was sein internationales Ansehen ebenfalls förderte. Doch in seinem Heimatland blieb Jakob Tuggener vor allem einem Insiderpublikum bekannt, zumal er sich 1960 in eine kleine Atelierwohnung zurückgezogen hatte, wo er von der Öffentlichkeit unbehelligt malen und an seinen Stummfilmen und Fotobuchmaquetten arbeiten konnte.

Die Fotostiftung Schweiz zeigt vom 10. Februar bis am 20. Mai 2024 die Ausstellung Jakob Tuggener – Die 4 Jahreszeiten / The 4 Seasons. Der gleichnamige, die Schau begleitende Katalog enthält Texte von Martin Gasser und Peter Pfrunder (zweisprachig dt. + engl., Steidl Verlag, Februar 2024, 167 Seiten. Alle Cookies akzeptieren um direkt bei Amazon zur Seite mit dem Buch zu kommen – wir erhalten eine Kommission: Amazon.de), dem die obigen Angaben entnommen sind.

Martin Gasser schreibt in seinem Katalog-Essay „Die 4 Jahreszeiten“, dass Jakob Tuggeners vier gebundene Original-Buchmaquetten Der Frühling, Der Sommer, Der Herbst und Der Winter 1973/74 unter dem gemeinsamen Übertitel Die 4 Jahreszeiten im Vorfeld der Retrospektive seines Werkes im Helmhaus Zürich („Jakob Tuggener, Fotografien 1930 bis heute“) zu seinem 70. Geburtstag entstanden.

Die ursprünglichen 4 Jahreszeiten von 1942/43 mit Aufnahmen aus der Vorkriegszeit sowie vor allem aus Oeschgen im Fricktal, wo er 1942 als Wachsoldat in einem Interniertenlager für polnische Soldaten stationiert war, umfasst gut 100 Fotos. Die 4 Jahreszeiten mit individuellen Bänden zum Frühling, Sommer, Herbst und Winter, die er zwischen März 1973 und Februar 1974 fertigstellte, war im Umfang um etwa das Vierfache angewachsen.

Martin Gasser betont, dass das Format der Maquetten von 1974 immer noch 30 x 24 cm betrug und sich das Layout der Bilder ebenfalls nicht geändert hatte. Die Aufnahmen stammen zwar zu einem guten Teil noch immer aus den 1930er- und 40er-Jahren, doch hatte Jakob Tuggener zusätzlich viele in den darauffolgenden Jahrzehnten entstandene Werke aufgenommen, darunter solche aus dem Kontext der Mappe Zürcher Oberland aud den 1950er- Jahren sowie einzelne Fotos aus den frühen 1970er-Jahren.

Die grossen auf die vier Jahreszeiten bezogenen Themen blieben über die Jahrzehnte hinweg identisch: das Bestellen der Felder im Frühling, das Heuen im Sommer, die Ernte im Herbst, die winterliche Waldarbeit. Es handelt sich immer um Einzelbilder, die entweder je auf einer Seite angeordnet oder als randlose Doppelseiten angeordnet sind. Wie in der Mappe Uf em Land erzählt Jakob Tuggener in kurzen Bildfolgen kleine Geschichten, deren Themen sich ebenfalls nicht verändert haben.

In seinem Leben schuf der Fotograf knapp 70 persönliche und selbst gestaltete Bücher-Unikate, von denen jedoch lediglich 1943 das Werk Fabrik. Ein Bildepos der Technik veröffentlicht wurde und laut Martin Gasser sein internationales Renommée als aussergewöhnlicher Künstler begründete. Laut dem Katalog-Essay waren Ballnächte (siehe dazu: Jakob Tuggener: Ballnächte 1934-1950 / Ball Nights 1934-1950, Scalo Verlag, Zürich, 2006, 144 S.; bei Amazon.de) und Technik die beiden Hauptthemen im Schaffen von Jakob Tuggener. Der Fotograf wurde laut Martin Gasser zumeist auf die Rolle des gesellschaftskritischen Fotografen reduziert, der die Haute volée und die Welt der Arbeiter gegeneinander ausspielte, wogegen er sich jedoch stets gewehrt haben soll. Bei der Auswahl der Fotos für seine Retrospektive im Jahr 1974 trug er diesem Umstand Rechnung. Mit Arbeiten seiner Reisen durch Europa und vor allem des Landlebens setzte er neue Akzente in einer Ausstellung, die zwar um die zentralen Themen „Arbeit in der Industrie“ und „luxuriöse Bälle“ kreiste, aber mit „Die Natur der Schweiz“ begann und mit „Zuletzt wieder die Ruhe und Erde des Bauernlebens“ endete.

Die knapp 70 Maquetten, die er während seines Lebens schuf, stellten für Jakob Tuggener eine Art stumme Filme dar. Sie kamen ohne Text aus. Der Kritiker Max Eichenberger nannte seine Photographien visuelle Dichtungen bzw. poetische Verdichtungen der Realität. Jakob Tuggener definierte seine Fotos wie folgt: „Das sind Dichtungen, nichts anderes, das sind Kompositionen, die atmen.“ Laut Martin Gasser bezeichnete sich der Fotograf selbstbewusst als „fotografischer Dichter römisch Eins“.

Der anspruchslose Jakob Tuggener arbeitete anders als seine Kollegen nur selten für Illustrierte. Er verstand sich als Künstler, der die Realität nicht nur abbildet, sondern sein subjektives Erleben der äusseren Welt künstlerisch umsetzt und dem Betrachter wieder erlebbar macht.

Laut Martin Gasser schreibt Jakob Tuggener in der Einleitung zu seiner Retrospektive im Helmhaus Zürich von 1974 selbst: „Tuggeners Welt ist das Inwendige, nicht das Ausserhalb-Uns. Zwar ist die Fotografie auf die Realität angewiesen, doch spürt man gerade bei ihm die Zeichen seines Geborenseins: Wassermann und Fische: Fantasie und Geheimnis. Sie durchdringen alle seine Bilder, sei es Malerei, Fotos oder Stummfilme. Er lebt als Einsiedler in seiner Künstlerklause und hat herrliche Ruhe vor Telefon und Besuchern. Dort fantasiert er an seinen Fotobüchern, dort verdichten sich die Vorstellungen seiner Stummfilme oder die expressiven Malereien seiner Seele. Er ist glücklich mit nur zwei Dingen, seiner Arbeit und der Liebe seiner jungen Frau.“

Arnold Kübler schrieb 1946 in der Zeitschrift Du bei der Vorstellung einer kleinen Auswahl von Fotografien von Jakob Tuggener, dass dieser in seinen Arbeiten versucht habe das innere Leben der (abgebildeten) Menschen und Dinge anzudeuten. Mit den Mitteln von Abfolge und Gegenüberstellung erreiche er einen künstlerischen Ausdruck, der weit über das Dokumentarische herausgehe.

Der Katalog zur Ausstellung in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur vom 10. Februar bis am 20. Mai 2024: Jakob Tuggener – Die 4 Jahreszeiten / The 4 Seasons. Mit Texten von Martin Gasser und Peter Pfrunder, zweisprachig (dt. + engl.), Steidl Verlag, Februar 2024, 167 Seiten. Alle Cookies akzeptieren um direkt bei Amazon zur Seite mit dem Buch zu kommen (wir erhalten eine Kommission): Amazon.de.

Zitate und Teilzitate in dieser Ausstellungskritik / Buchrezension / Rezension von Jakob Tuggener – Die 4 Jahreszeiten / The 4 Seasons sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.

Ausstellungskritik / Buchrezension / Rezension hinzugefügt am 10. Februar 2024 um 16:22 Schweizer Zeit. Korrektur um 17:00 Fotostiftung Schweiz nicht Fotomuseum Winterthur (die zwei Museen liegen gleich nebeneinander).