Jean Dubuffet – Metamorphosen der Landschaft

Feb 25, 2016 at 11:22 1986

Katalog und Ausstellung in der Fondation Beyeler. Noch bis am 8. Mai 2016.

Noch bis am 8. Mai 2016 ist in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel die grossartige, von Raphaël Bouvier kuratierte Ausstellung Jean Dubuffet – Metamorphosen der Landschaft zu sehen (Amazon.de).

Der Titel ist insofern irreführend, als es sich nicht um eine Ausstellung von Werken der Landschaftsmalerei handelt. Vielmehr leitet sich der Name von Jean Dubuffets Konzept von Landschaft aus, bei dem sich in Körpern, Gesichtern und Objekten Strukturen und Texturen von Landschaften herausbilden können. Die Landschaft wird zum Körper, der Körper zur Landschaft. „Alles ist Landschaft“, werde daher Dubuffet laut den Ausstellungsmachern oft sinngemäss zitiert. Die Landschaft visualisiert für den Künstler die immaterielle Welt, die den Geist des Menschen bewohnt. Es geht ihm nicht um die Suche nach der idyllischen Landschaft, sondern er untersucht vielmehr den kargen Boden, ja manchmal gar nur dessen geologische Grundstruktur.

Von Jean Dubuffet (Le Havre 1901 – Paris 1985) sind in der Fondation Beyeler über 100 Werke aus allen Schaffensphasen des Künstlers zu bewundern, darunter das Gesamtkunstwerk Coucou Bazar, in dem Malerei, Skulptur, Theater, Tanz und Musik zu einer raumgreifenden Installation zusammenfinden. Das Tanz-Musik-Theater Coucou Bazar feierte 1973 anlässlich der Dubuffet-Retrospektive im New Yorker Solomon R. Guggenheim Museum seine Premiere.

Jean Dubuffet inspirierte viele nachfolgende Künstler. Zu ihnen gehören David Hockney, Georg Baselitz, Claes Oldenburg, Keith Haring, Mike Kelley und viele andere. Für die Ausstellung in Riehen machten zudem die Künstler Miquel Barceló und Ugo Rondinone erstmals Aussagen zu Jean Dubuffet und seiner Kunst.

Biographisches zu Jean Dubuffet

Jean Dubuffet wird 1901 in Le Havre als Sohn eines Weinhändlers geboren. Nach dem Abitur geht er 1918 nach Paris und besuchte Malkurse an der Académie Julian, die er aber bald wieder verlässt, um eigenständig zu arbeiten. 1924 überkommen ihn Zweifel an der Bedeutung von Kunst und Kultur, weshalb er in den folgenden acht Jahren die Malerei aufgibt.

1927 heiratet er Paulette Bret. In jenem Jahr stirbt sein Vater. Zwei Jahre später kommt seine Tochter Isalmina auf die Welt. 1930-32 gründet er seine eigene Weingrosshandlung in Paris. Von 1933-36 mietet er sich ein Atelier in der französischen Hauptstadt und lässt sich scheiden. Er verpachtet sein Weingeschäft, um sich auf die Malerei konzentrieren zu können. Er lernt Emilie Carlu, genannt, Lili, kennen, die er im Dezemer 1937 heiratet. Um seine Weinhandlung vor dem Bankrott zu retten, gibt er die Malerei 1937-40 erneut auf. In wird in den Militärdienst eingezogen und bald wieder entlassen. Zurück in Paris kümmert er sich erneut um seine Weinhandlung. 1942 – mitten im Zweiten Weltkrieg – entschliesst er sich, sich fortan ganz der Kunst zu widmen. Die Verpachtung seiner Weinhandlung macht ihn finanziell unabhängig.

Jean Dubuffet – Metamorphosen der Landschaft. Hatje Cantz Verlag, 2016, 227 Seiten und zirka 160 Abbildungen in Farbe. Bestellen bei Amazon.de. Weitere Bücher zu Jean Dubuffet: Amazon.de.

Werkphasen im Schaffen von Jean Dubuffet

Inspiriert von der Formensprache und Erzählweise der Werke von Kindern sowie von Werken von psychiatrischen Pflegefällen in Kliniken in Bern und Genf schuf Jean Dubuffet eine Kunst, die mit überkommenen Traditionen brach. Er experimentierte mit neuen Techniken und Materialien. Dazu gehörten Sand, Kieselsteinchen, Teer, Kohlestaub, Schlacken, Schwämme und Schmetterlingsflügel, aus denen er Bilder, „Landschaften“ sowie Stadtlandschaften – mit Blick in deren Innenleben – gestaltet.

Dabei markiert das in der Fondation Beyeler zu sehende und aus einer Privatsammlung stammende, farbenfrohe Figurenbild Gardes du Corpsvon 1943 aus seiner ersten Werkgruppe Marionnettes de la ville et de la campagne den eigentlichen Wendepunkt im Schaffen von Jean Dubuffet.

1944 hatte Jean Dubuffet in der Galerie René Drouin in Paris – die in der Folge regelmässig seine Werke zeigen sollte – seine erste Einzelausstellung, die kontroverse Debatten auslöste.

Nach Kriegsende besuchte Jean Dubuffet 1945 verschiedene psychiatrische Kliniken in Bern und Genf, wobei er sich eingehend mit den von den Patienten geschaffenen Kunstwerken auseinandersetzte, für die er den Begriff Art Brut prägte. Er schuf zudem die Collection de l’Art Brut in Lausanne, die er 1971 der Stadt als Schenkung übergab. Das sehenswerte Museum wurde 1975-76 mit seiner Werkserie Théatres de mémoire eröffnet und existiert noch heute. Es zeigt Werke vieler Psychiatriefälle, darunter vom als „Le Prisonnier de Bâle“ bekannt gewordenen Joseph Giavarini, die Jean Dubuffet inspirierten.

In den frühen 1940er Jähren tragt der Künstler oft eine Art von Farbteig auf, die er reliefartig, pastos auf dem Bildträger modelliert. Seine Werke erhalten so eine haptische Qualität. Durch Schichten, Kratzen und Graben gestaltet er seine Hautes Pâtes. Die intensive Farbigkeit der frühen Bilder weicht zumeist einer auf Erdtöne reduzierten Palette.

1946 und 1947 porträtiert Jean Dubuffet Freunde und Bekannte unter dem ironischen Titel „Schöner als sie glauben“ (Plus beaux qu’ils croient). Die grotesken Gesichter können als miniaturisierte Gesichter wahrgenommen werden.

Die kalten Winter von 1947 bis 1949 lassen Jean Dubuffet und seine Frau Lili wiederholt in die warmen Wüstenregionen Algeriens reisen, wo eine Reihe von Werken unter dem Titel Roses d’Allah, clowns du désert entstehen. Eine neue Landschaftsauffassung bringt einen neuen Figurentyp mit ballonförmigen Köpfen und entsprechenden Körpern hervor.

1949 entstand seine Werkserie Paysages grotesques. Zudem veröffentlichte er sein Manifest L’Art brut préféré aux arts culturels.

Mit seinen Corps de dames bricht der Künstler mit den ästhetischen Konventionen des Frauenportraits. Gleichzeitig führt er die Tradition der anthropomorphen Landschaft als auch die Tradition sprachlicher Körper-Landschaft-Metaphern fort. Körperlandschaften und Landschaftskörper entstehen. Mit seinen „geistigen“ Landschaften, den Paysages du mental, verlagert er von 1950 bis 1952 das Bedeutungsfeld vom Geologischen auf das Gedankliche.

Mit seinen Tables und Pâtes battues entwickelt Jean Dubuffet ab 1953 eine weitere Technik im materiellen Umgang mit der Farbe, wobei er eine glatte Farbpaste mit dem Spachtel über die zuvor angelegten nassen Farbschichten aufträgt, wobei die Untermalungen teilweise weiterhin durchscheinen. In die noch cremig-pastose Farbe gräbt er danach mit dem Spachtel Figuren und Markierungen flüchtig ein. Darstellungen von Landschaften und Tischen (Tables paysagées) herrschen in dieser Werkgruppe vor. Landschaften entstehen als Stillleben und Objekte.

Die Landschaft als Material steht im Vordergrund, als er zwischen 1953 und 1955 kleinformatige Werkcollagen mit bunten Schmetterlingsflügeln schafft. Darin reflektiert er zudem das Wechselspiel von Tod und Neuschöpfung in Natur und Kunst. Nach den Ailes de papillons wechselt er ab 1954 zur Werkreihe Petites statues de la vie précaire, wobei er die Materie in die dritte Dimension überführt. Doch anstelle von Marmor und Bronze verwendet Jean Dubuffet für seine Skulpturen Materialien wie Schwämme, Treibholz, Lavasteine, Holzkohle und Schlacke, aus denen er erdgeistartige Wesen schafft.

Angeregt durch seinen mehrjährigen Aufenthalt ab 1955 im südfranzösischen Vence (siehe zu Vence den Artikel La Colombe d’Or), wo er sich ein Atelier einrichtete, widmet sich Jean Dubuffet ab Mitte der 1950er Jahre in seinen Tableaux d’assemblages der Zerlegung und (Re-) Konstruktion der Landschaft. Ausgehend von den Collagen mit Schmetterlingsflügeln überträgt er dieses Verfahren nun auf die Malerei, wobei er Leinwände zerschneidet und neu zusammenfügt. Neben dem anatomischen und geologischen Blick kommt zugleich eine mythische Prägung in sein Werk, die grundsätzliche Suche nach der Ursprünglichkeit.

Ab Mitte der 1950er Jahre experimentiert er mit Strukturen, die disparate Landschaftsflächen schaffen, wobei er monumentale Naturansichten vermeidet. In seiner Werkreihe Topographies feiert er die Böden von Landschaften. In den Texturologies kreiert er grenzenlose, natürliche Flächen, die er durch Spritzen, Kratzen, Schmirgeln und Schaben herausarbeitet. In den Matériologies integriert er künstliche Materialien wie Silber- und Goldfolie in seine Werke.

Ab 1961 folgt mit der Serie Paris Circus ein Neuanfang im Schaffen der Künstler. Neben musikalischen Experimenten kümmert er sich nun um urbane Landschaften. Mit der Hinwendung zur Stadtlandschaft einher geht die Wiederentdeckung der Farbigkeit in seinem Werk. Das Strassenleben von imaginären Metropolen, inspiriert von Paris, wird in knalligen Bildern gefeiert, wobei Gegensätze von Innen und Aussen, Ferne und Nähe, Höhe und Niedrigkeit, Weite und Enge sowie Tiefe und Fläche aufeinanderstossen. Gängige Raumerfahrungen werden durch einen teilweise kindlichen Blick in Frage gestellt.

Mit L’Hourloupe schliesslich schafft Jean Dubuffet zwischen 1962 und 1974 seinen umfassendsten Werkzyklus, den er mit einem mehrdeutigen Neologismus bezeichnet. Neben Gemälden, Grafiken und Skulpturen entstehen skulpturale, architektonische und theatrale Installationen, die ursprünglich auf beiläufige Kugelschreiberkritzeleien beim Telefonieren zurückgehen. Der Künstler verwendet nun synthetische Materialien wie Polystyrol, Polyester und Epoxidharz für seine Skulpturen und Installationen, die oft monumentale Dimensionen annehmen.

In seinen letzten zehn Lebensjahren widmet sich Jean Dubuffet den Werkzyklen Théâtres de mémoireMires und Non-lieux. Ein Text von Frances Yates inspirierte ihn zur Serie Théâtres de mémoire, die er von 1975 bis 1978 erarbeitete und die ein Art Retrospektive seines Werkes in grossformatigen Assemblagen darstellt. In den Mires und Non-lieuxschliesslich widmet er sich nicht mehr äusseren Landschaften, sondern konzentriert sich auf die innere abstrakte Gedanken- und Geisteswelt. Daraus leitet er das „Nicht-stattgefunden-Haben“ und die „Einstellung des Verfahrens“ ab, womit er am Ende seine eigene künstlerische Arbeit in Frage stellt.

Laut den Ausstellungsmachern verweist das Transformationspotenzial der Landschaft im Werk von Jean Dubuffet auf eine grundsätzliche Relativierung menschlicher Dominanz und kultureller Konventionen. Damit verfolge er einen allgegenwärtigen Grundsatz künstlerischer Freiheit und Reflexion. Der Künstler notierte dazu: „Ich glaube, in meinen Arbeiten ging es mir immer darum, darzustellen, woraus unser Denken besteht. Nicht die objektive Welt darzustellen, sondern das, wozu sie im Denken wird.“

1985 schrieb Jean Dubuffet innerhalb weniger Wochen seine Autobiographie mit dem daher bezeichnenden Titel Biographie au pas de course. Er starb am 12. Mai 1985 in Paris im Alter von 84 Jahren.

Ernst Beyeler und Jean Dubuffet

Der Kunsthändler Ernst Beyeler lernte in den späten 1950er Jahren Jean Dubuffet kennen. Trotz anfänglicher Zurückhaltung entwickelte sich nach und nach eine intensive Zusammenarbeit, die von 1964 bis 1971 schliesslich zu einem Exklusivvertrag für die neu entstehenden Werke des Zyklus L’Hourloupe führten, den sich die Basler Galerie Beyeler mit der Galerie Jeanne Bucher in Paris teilte.

1965 erfolgte die erste Ausstellung in der Galerie Beyeler in Basel, wo Jean Dubuffet bis 1976 regelmässig ausstellen sollte.

Jean Dubuffet blieb der einzige Künstler, den Ernst Beyeler so vertrat. Der Galerist trug massgeblich zur Etablierung von Dubuffets Werk in Europa bei. Der Künstler war bis dahin vor allem dank der New Yorker Galerie von Pierre Matisse bekannt geworden, wo er ab 1947 regelmässig ausstellte.

Im Lauf der Jahrzehnte verkaufte die Galerie Beyeler über 750 Werke von Jean Dubuffet und widmetet dem Künstler zwischen 1965 und 2009 zudem sechs Einzelausstellungen.

Die Doppelausstellung des Künstlers im Jahr 1970 im Kunstmuseum und in der Kunsthalle Basel wurde nicht zuletzt dank der engen und vertrauensvollen Verbindung von Ernst Beyeler zu Jean Dubuffet möglich gemacht.

Die Landschaftsbilder von Jean Dubuffet bilden einen Schwerpunkt in der Sammlung Beyeler, die 2011 mit der Schenkung der Collection Renard eine wertvolle Ergänzung dieser Werkgruppe erfuhr.

Der Katalog Jean Dubuffet – Metamorphosen der Landschaft

Die fünfzehn Artikel im Katalog ergänzt durch eine Biografie und Auswahlbibliographie und natürlich die Abbildung aller Werke, bieten eine Einführung in „Dubuffets Metamorphosen der Landschaft“ und untersuchen die verschiedenen, oben genannten Landschaften im Werk des Künstlers (Körperlandschaften, Landschaftskörper, Objekt und Stillleben, etc.). Der Band enthält sicher über 20 Werke, die ich mir sofort ins Zimmer hängen würde, wenn sie den käuflich zu erwerben wären und mein Bankkonto dick genug wäre. Kurzum, ein Besuch in der Fondation Beyeler und der Erwerb des Katalogs lohnen sich wieder einmal.

Jean Dubuffet – Metamorphosen der Landschaft. Der Katalog zur Ausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel. Noch bis am 8. Mai 2016. Katalog: Hatje Cantz Verlag, 2016, 227 Seiten und zirka 160 Abbildungen in Farbe. Das Buch bestellen bei Amazon.de. Weitere Bücher zu Jean Dubuffet bei Amazon.de.

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