Im Berliner Abgeordnetenhaus mit insgesamt 159 Sitzen stellt die CDU 52 Abgeordnete, die SPD 34. Genau 80 Stimmen reichen zur absoluten Mehrheit. Schwarz-Rot verfügt über 86 Sitze. Da sollte die Wahl von Kai Wegner (CDU) zum neuen Regierenden Bürgermeister von Berlin eigentlich eine Formalität sein. Doch im ersten Wahlgang kam er nur auf erbärmliche 71 Stimmen! Da hatten wohl verärgerte, linke Sozialdemokraten ihrem Unmut freien Lauf gelassen, denn Franziska Giffey hätte locker als Regierende Bürgermeisterin einer Rot-Grün-Roten Regierung weitermachen können, da diese Linkskoalition nach der Wahl im Februar 2023 über eine klare absolute Mehrheit von 90 Stimmen verfügt.
Im zweiten Wahlgang reichte es Kai Wegner erneut nicht zur Wahlgang. Er kam auf 79 Stimmen. Es fehlte ihm also lediglich eine Stimme zum Sprung ins Rote Rathaus. Im dritten, letzten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit für die Wahl zum Regierenden Bürgermeister. Das heisst, Kai Wegner braucht nur mehr Ja- als Nein-Stimmen. Die Opposition von Grünen, Linken und AfD verfügt über 73 Stimmen.
Die Sitzung wurde nach dem zweiten Wahlgang bis um 15:30 Uhr unterbrochen. Doch dann ging es immer noch nicht weiter. Auf Antrag von Grünen und Linken wurde die Sitzung erneut um 30 Minuten unterbrochen, damit der Ältestenrat des Abgeordnetenhauses angeblich offene rechtliche Fragen klären konnte. Grüne und Linke beantragten gar, den dritten Wahlgang zu verschieben. Der Antrag wurde abgelehnt.
Im dritten Wahlgang kam Kai Wegner auf 86 Stimmen (absolute Mehrheit) und ist nun offiziell der neue Regierende Bürgermeister von Berlin – vorerst dritter Klasse. Es gab 70 Gegenstimmen und 3 Enthaltungen.
Der Rest der bereits laufenden Legislaturperiode könnte hart werden. Raufen sich CDU und SPD zusammen, so wird der dritte Wahlgang eine unschöne Fussnote bleiben. Zerfallen SPD und/oder die Grosse Koalition, wird das Durchdrücken der Wahl Wegners im dritten Anlauf als Fanal für das kommende Unheil gesehen werden.
[P.S. 17:00 und 17:30 Die AfD behauptet, sie habe Kai Wegner mitgewählt. Die Wahl ist geheim. Möglich wäre es, auch wenn 86 Stimmen genau der Abgeordnetenzahl von Schwarz-Rot entspricht. Die AfD hat 17 Abgeordnete. Hätten sie geschlossen für Wegner gestimmt, kämen nur 69 Stimmen aus CDU und SPD, also 1 Stimme weniger als die 70 Stimmen gegen Wegner. Alles Spekulation.]
Bei der Februarwahl 2023 fragte infratest dimap die Wähler der SPD, ob sie Rot-Grün-Rot eine gute Koalition finden. Eine Mehrheit von 54% bejahten dies, nur 32% sagten dies über eine grosse Koalition von CDU und SPD.
Doch Franziska Giffey wollte sich eine Neuauflage von Rot-Grün-Rot nicht antun. Um dies zu vermeiden, war sie gar bereit, auf das Amt der Regierenden Bürgermeisterin zu verzichten. Nach Sondierungsgesprächen mit den Grünen, der Linken und der CDU fasste die Sondierungskommission der SPD Berlin (Franziska Giffey, Raed Saleh, Cansel Kiziltepe, Kian Niroomand, Ina Czyborra, Rona Tietje und Michael Biel) die Entscheidung, dem Landesvorstand der SPD Berlin die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU Berlin zu empfehlen. Die Spitzen der Berliner SPD konnten sich natürlich Hoffnung auf Sitze im Senat (also der Regierung) machen.
Der mit der CDU ausgehandelte 135-seitige Koalitionsvertrag trug schliesslich vor allem die Handschrift der SPD. Für CDU und SPD gab es jeweils fünf Sitze im Senat; hinzu kommt für die CDU das Bürgermeisteramt. Bei einem CDU-Parteitag wurde der Koalitionsvertrag ohne Gegenstimme, also einstimmig, angenommen. Bei der SPD hingegen stimmten am Ende bei einem Mitgliedervotum nur 6179 Mitglieder für eine Koalition mit der CDU, 5200 dagegen. Das entsprach einer Zustimmung von nur 54,3%, bei einer Ablehnung von knapp 45,7%. Dabei darf angenommen werden, dass viele nur zustimmten, weil sie wohl annahmen, dass sonst das Kind in denn Brunnen fallen würde, da Franziska Giffey und die SPD-Spitze das Tischtuch zu Grünen und Linken weitgehend zerschnitten hatten.
Mehrere sozialdemokratische Kreisverbände, die starke SPD-Jugendorganisation Jusos und Gewerkschaften sprachen sich gegen den Koalitionsvertrag, gegen eine Grosse Koalition mit der CDU aus.
Frau Giffey hatte am 13. April 2023 in der Sendung Lanz gesagt, Verkehr, Sicherheit, funktionierende Stadt und bezahlbarer Wohnraum seien die Themen gewesen, bei denen die Berliner Veränderungen sehen wollten. Daher ihre Entscheidung für eine Koalition mit der CDU.
Die spinnen, die Römer – pardon: Berlins zerstrittene Sozialdemokraten!
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Das Foto oben zeigt Kai Wegner (*1972). Foto von Sven Teschke aus dem Jahr 2014 / Creative Commons CC-by-sa-3.0 via Wikipedia.
Artikel vom 27. April 2023 um 16:44 deutscher Zeit. 17:00 und 17:30 Info zu AfD hinzugefügt.