Kemmerich wird Ministerpräsident in Thüringen

Feb 05, 2020 at 15:30 922

Zuerst sah ich die Meldung beim ZDF online und dachte, die Webseite ist gehackt worden. Doch ein kurzer Blick auf Google News mit Meldungen aus verschiedenen Zeitungen zeigte: Kein Resultat von Hacking, keine Fake News, sondern einfach nur UNGLAUBLICH!

In den ersten zwei Wahlgängen im Thüringer Landtag, bei denen die Unterstützung der absoluten Mehrheit der 90 Parlamentarier nötig gewesen wäre, also 46 Stimmen, kam kein Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten auf den notwendigen Rückhalt. Bei der geheimen Wahl reichte im dritten Wahlgang dann die relative Mehrheit. Der Kandidat mit den meisten Stimmen wurde gewählt.

Die AfD hatte mit dem parteilosen Sundhausener Bürgermeister Christoph Kindermann zuerst einen eigenen Kandidaten ins Rennen geschickt. Im dritten Wahlgang erhielt dieser keine einzige Stimme. Die AfD hat folglich entschieden, im entscheidenden dritten Wahlgang für den Kandidaten der FDP, den liberalen Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag, Thomas Kemmerich (*1965), zu stimmen. Die Wahl war zwar geheim, doch wird angenommen, die AfD-Fraktion habe mehr oder weniger geschlossen für Kemmerich gestimmt.

AfD, CDU und FDP kommen im Thüringer Landtag zusammen auf 48 Stimmen. Die CDU gab nach der Wahl von Thomas Kemmerich an, die Vertreter der Union hätten sich bei den ersten zwei Wahlgängen der Stimme enthalten, bei der entscheidenden dritten Abstimmung dann für den Kandidaten der Mitte, Thomas Kemmerich von der FDP gestimmt. So kam der liberale Fraktionsvorsitzende auf 45 Stimmen, eine mehr, als der Kandidat von der Linken, der SPD und den Grünen, der nun abgewählte, beliebte Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken.

Bei der Landtagswahl in Thürigen von Ende September 2019 fuhren CDU und SPD die schlechtesten Ergebnisse ihrer Geschichte ein. Wie wir damals berichteten, war laut Umfrage eine Mehrheit der Thüringer mit Bodo Ramelow zufrieden und hätte sich eine Koalition der Linken zusammen mit der CDU gewünscht; selbst die CDU-Wähler waren dem nicht abgeneigt. Doch da die Linke auf Bundesebene unwählbar ist, wollte die CDU-Spitze im Bund dies unbedingt verhindern. Der CDU-Chef in Thüringen, Mike Mohring, schien am Wahlabend zuerst einer Koalition zwischen dem moderaten, untypischen und populären Ministerpräsidenten Bodo Ramelow von der Linken und seiner CDU nicht abgeneigt zu sein. Doch dann knickte er ein.

Bodo Ramelow selbst wollte eine Neuauflage seiner abgewählten rot-rot-grünen Koalition durchsetzen. Die Linke, SPD und Grüne stimmten dem zwischen ihnen ausgehandelten Koalitionsvertrag für eine Minderheitsregierung zu. Doch CDU und FDP sagten klar, dass sie eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung nicht von aussen unterstützen würden. Gleichzeitig sagten alle Parteien, sie würden nie mit der AfD zusammenarbeiten, weder direkt noch indirekt.

Mit der Wahl von Thomas Kemmerich von der FDP zum Ministerpräsidenten Thüringens, die nur mit der Hilfe der AfD-Fraktion möglich war, ist nun ein noch peinlicheres Resultat als eine Regierung von Linke und CDU zustande gekommen.

Nein, ich habe nicht plötzlich meine Liebe zur Linken entdeckt. Das Kind ist schon längst in den Brunnen gefallen. Nach der September-Wahl hätten Linke und CDU in sich gehen und das „Unmögliche“, vom Wähler jedoch Gewünschte, machen können: Dunkelrot-Schwarz mit einem moderaten, eigentlich sozialdemokratischen Ministerpräsidenten von der Linken, der Thüringen relativ vernünftig regiert und die Unterstützung der klaren Mehrheit des Wahlvolkes hat.

Mike Mohring von der CDU machte bereits klar, dass seine Partei Thomas Kemmerich unterstützen werde. Allerdings müsse dieser klarstellen, dass es keine Koalition mit der AfD gebe. CDU und FDP kommen allerdings gemeinsam lediglich auf 26 Stimmen im Thüringer Landtag mit 90 Abgeordneten.

Thomas Kemmerich seinerseits hatte laut MDR vor der Wahl gesagt, er würde die SPD-Minister behalten wollen. Der nun abgewählte SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee und der SPD-Fraktionschef Matthias Hey hatten dies jedoch abgelehnt. Sie hatten ja einen rot-rot-grünen Koalitionsvertrag ausgehandelt.

Wie geht es nun weiter? Kann Thomas Kemmerich tatsächlich ein Kabinett bilden, das die Unterstützung des Landtages erhält? Kommt es zu einer Expertenregierung? Gibt es bald Neuwahlen? So oder so geht Thüringen auf turbulente Zeiten zu.

Das Resultat im dritten Wahlgang: Kemmerich 45 Stimmen, Ramelow 44 Stimmen, Kindervater 0 Stimmen; ein Landtagsabgeordneter hatte sich der Stimme enthalten.

[Hinzugefügt am 6.2.2020 um 16:39 deutscher Zeit: Thomas Kemmerich hat endlich den Verstand benutzt und angekündigt, dass er vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktritt. Dass er gewählt wurde, konnte man ihm noch durchgehen lassen, denn die AfD hatte Kindervater im 3. Wahlgang ins Rennen geschickt, aber nicht für ihn gestimmt, sondern für Kemmerich. Doch niemand zwang Kemmerich, die Wahl anzunehmen].

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Das Foto zeigt Thomas Kemmerich (FDP). Photo Copyright: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0.

Artikel vom 5. Februar 2020 um 15:30. P.S. Aufdatiert um 21:38. Im Titel stand „Kurt Kemmerich“. Im Text der korrekte Name „Thomas Kemmerich“.