Leonardo – Dürer. Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Grund.

Mai 06, 2025 at 23:12 530

Seit dem 7. März und noch bis am 9. Juni 2025 zeigt die Albertina in Wien die Ausstellung Leonardo – Dürer. Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Grund.

Dazu erschienen ist der gleichnamige, hervorragend illustrierte Katalog mit fachkundigen Essays, herausgegeben von Ralph Gleis, Achim Gnann, Christof Metzger. Mit Beiträgen von Beiträge von N. Büttner, L. Eder, A. Gnann, D. Korbacher, D. Laurenza, C. Metzger, E. Michel,K. Zgraja. Hirmer Verlag, 2025, 400 Seiten mit 180 Abbildungen, 24 x 30 cm, gebunden, ISBN: 978-3-7774-4467-3. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und den Katalog bestellen bei Amazon.de; English edition at Amazon.de and Amazon.com.

Leonardo da Vinci (1452-1519) und Albrecht Dürer (1471-1528) gehören zu den herausragenden Künstlern der Renaissance. Die Wiedergeburt der griechischen und römischen Antike breitete sich in den zwei Jahrhunderten nach 1400 von Italien ausgehend über ganz Europa aus. Die Zeichnung hatte laut den Ausstellungsmachern an diesem Aufbruch besonderen Anteil: Die Herstellung von Papier wurde damals endlich auch in Europa möglich. Viele neue Zeichenmittel wurden entdeckt, was Künstler zu immer grösserer Experimentierfreude inspirierte.

Das Zeichnen auf farbigen Untergründen wurde erstmals von Cennino Cennini (um 1370 – vor 1427) in seinem Libro dell’arte, einem Lehrbuch zur künstlerischen Praxis, beschrieben. Er charakterisiertdie Technik als „porta“, als Tor zur Malerei. Denn das kontrastreiche Zeichnen auf farbigen Untergründen eigne sich insbesondere zum Studium des „rilievo“, des Eindrucks von Dreidimensionalität, und von Licht und Schattenwirkungen, des Chiaroscuro. Darüber hinaus schule die Hell-Dunkel-Zeichnung den angehenden Künstler gerade aufgrund der reduzierten Farbpalette im Umgang mit den Farben.

Leonardo da Vinci hat für seine Studien häufig ein farbig präpariertes Papier verwendet. Er wählte in seiner Frühzeit in Florenz in den 1470er-Jahren für seine Blätter auffällig verschiedene Grundierungen in leuchtend roten, orangen, hellvioletten, rosa- und cremefarbenen Tönen. Auf allen zeichnete er mit dem Metallstift, dessen Linien er bisweilen mit der Feder nachzog, um die Motive herauszuarbeiten und zu präzisieren. Nach seiner Übersiedelung nach Mailand um 1482 griff er besonders gerne zu einem zuvor nur selten verwendeten blau grundierten Papier.

Nördlich der Alpen verwendeten Künstler Monogramme, eine auffällig angebrachte Datierung, Widmungsinschriften, gezeichnete Rahmenlinien und schliesslich Kompositionen, die kopiert oder sogar in Kleinstauflage gingen. Dies hob diese Arbeiten ab Mitte des 15. Jahrhunderts als preziöse Schaustücke aus der Masse des eher zügig entstandenen Werkstattmaterials heraus.

Albrecht Dürer zeichnete seine Motive gerne auf einem blauen bzw. blaugrünen Grund. Nördlich der Alpen bedienten Hell-Dunkel-Zeichnungen das zunehmende Bedürfnis des spätmittelalterlichen Publikums nach erlesenen Werken der Kunst. Das war mit massenhaft hergestellten Druckgrafiken möglich. Für anspruchsvollere Kundenwünsche kamen gezeichnete Einzelstücke auf den Markt.

Der neue Generaldirektor der Albertina, Ralph Gleis, für den Leonardo – Dürer. Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Grund die Antrittsausstellung ist, legt in seinem Vorwort dar, dass den Künstlern der Renaissance der Gedanke kam, den Zeichenträger farbig zu grundieren bzw. Papiere zu verwenden, die bereits im Herstellungsprozess getönt worden waren. So ergaben sich ganz neue ästhetische Erfahrungen. Der farbige Zeichengrund führte zu einer Reduzierung der Kontrastwirkung und damit zu einer gewissen Harmonisierung des Bildes. Zudem bewirkte die Einbeziehung einer Farbkomponente den Eindruck materieller Kostbarkeit. Auf dem Farbgrund konnte nicht nur ganz traditionell mit den gängigen Werkzeugen und Materialien wie Feder, Pinsel, Kreide, Kohle oder Stiften gezeichnet werden, sondern, sondern er erlaubte sowohl ins Dunkle als auch ins Helle zu arbeiten. Die Zeichner reduzierten alles Darstellbare auf konträre Lichtverhältnisse. Sie arbeiteten laut Ralph Gleis mit maximal drei Tongraden. Die Idee der Hell-Dunkel-Zeichnung, des chiaroscuro nel disegno, war nördlich wie südlich der Alpen geboren.

Die Ausstellung in der Albertina zeigt neben herausragenden Werken aus der Albertina herausragende Leihgaben aus den Kunstsammlungen und Museen Augsburg, dem Kupferstichkabinett Berlin, dem Fitzwilliam Museum Cambridge, der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau, der Graphischen Sammlung der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg, den Gallerie degli Uffizi in Florenz, dem Städel Museum in Frankfurt am Main, der Hamburger Kunsthalle, dem British Museum London, der Staatlichen Graphischen Sammlung München, dem Metropolitan Museum New York, dem Musée du Louvre Paris, dem Hauptstaatsarchiv Stuttgart, den Musei Reali in Turin, den Gallerie dell’Accademia in Venedig und dem Royal Collection Trust Windsor Castle.

Mit den Albertina-Kuratoren Achim Gnann und Christof Metzger erarbeiteten zwei Experten der Zeichenkunst des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit das Konzept zu Ausstellung und Katalog, zu dem sie wesentliche Teile verfassten. Hinzu kommen Beiträge von den Fachleuten Margherita Clavarino Allerberger, Lydia Eder, Eva Glück, Eva Michelm Carmen C. Bambach, Nils Büttner, Dagmar Korbacher, Domenico Laurenza, Baptiste Roelly und Karolina Zgraja.

Die Katalogbeiträge führen in ganz unterschiedliche Aspekte des Zeichnens auf farbigem Grund ein. So lernt der Leser viel über technische und handwerkliche Bedingungen in der Zeit der Renaissance, über variierende ästhetische Konzepte und Fragen zur Bildwahrnehmung. Ergänzt werden die Essays durch Einzelbeschreibungen der Objekte, die Fragen zur Funktion, zum historischen Kontext, zu besonderen Bildmotiven und mehr vertiefen.

Mythologie, Religiosität und Geschichte, Alltags- und Reiseszenen – Kernthemen des 15. Jahrhunderts stehen im Zentrum von Leonardos und Dürers Zeichenkunst. Im Zusammenspiel von Hell und Dunkel auf farbigem Papier entfalten die Darstellungen ihren Zauber. Werke beider Meister treffen auf Blätter ihrer Zeitgenossen. Wie konnte sich diese Kunstform als eigenständig behaupten und was machte sie so beliebt und erfolgreich?

In der Ausstellung in der Albertina treffen zum ersten Mal 26 Zeichnungen Albrecht Dürers auf ebenso viele Arbeiten von Leonardo da Vinci. Hinzu kommen herausragende Blätter von Raffael, Tizian, Albrecht Altdorfer, Hans Baldung Grien, Hans Holbein d. Ä. und weiteren Meistern der Renaissance. Insgesamt sind in Wien knapp 150 Kunstwerke zu bewundern.

Erstmals wird die Entwicklung in Italien und in Europa nördlich der Alpen im wechselseitigen Zusammenhang gesehen. In Italien spielten Zeichnungen auf farbigem Papier eher eine Rolle als Skizzen und Studien im künstlerischen Werkprozess. Im nördlichen Europa wurden sie als eigenständige Kunstwerke en miniature geschätzt. Insbesondere im deutschsprachigen Raum wurden Zeichnungen auf farbigem Grund für detailreiche Darstellungen religiöser oder mythologischer Themen genutzt.

„In Italien wird die Hell-Dunkel-Technik bereits seit dem frühen 14. Jahrhundert verwendet: vornehmlich benutzten die Künstler farbig präparierte Zeichnungen für Figurenstudien und bereiteten damit ihre Gemälde vor. Die Ausstellung stellt die Entwicklung der Farbgrundzeichnung chronologisch dar, untersucht den Gebrauch farbig grundierter Zeichnungen bei einzelnen Künstlern und arbeitet auch Bezüge zur damaligen Druckgrafik heraus“, so Kurator Achim Gnann.

War der Chiaroscuro-Zeichnung in Italien ihr fester Platz im Werkprozess zugewiesen, so wurde sie im deutschen Sprachraum seit dem mittleren 15. Jahrhundert für delikate szenische Darstellungen bevorzugt: „Im Gegensatz zu Italien handelt es sich vor Dürer nie um Entwurfszeichnungen, sondern um kostbare Schau- und Sammlerstücke. […] Allein die vielen Sujets aus Geschichte, Mythologie, Religion und auch Volksglauben demonstrieren, dass die Künstler auf die Begehrlichkeiten einer neuen, gebildeten Kundenschicht abzielten“, so Kurator Christof Metzger.

In der Albertina sind unter anderem Vorarbeiten Albrecht Dürers zum Heller-Altar zu sehen; siehe zu diesem zerstörten Werk das Buch von Ulinka Rublack. Im Albertina-Katalog ist dazu zu lesen, 19 auf 1508 datierte Hell-Dunkel-Studien zu diesem Tafelgemälde hätten sich erhalten, darunter mehrere Gewandstudien.

Christoph Metzger erläutert dazu im Katalog, bei zwei Studien sei zu erkennen, dass sie für eine sitzende Figur bestimmt waren: Die Knie seien zu erahnen und unten schaue jeweils ein Fuss hervor. Verwendet wurde für den Heller-Altar die Variante mit dem über das eine Knie umgeschlagenen Mantelsaum (Kat. 60), und zwar als Bekleidung des oben in den Wolken thronenden Gottvaters. Das zweite Blatt (Kat. 61) scheine dazu einen Alternativentwurf zu bieten, der schlussendlich keine Verwendung fand, aber zehn Jahre später von Albrecht Dürer für das Mariengewand im Kupferstich Die Jungfrau von zwei Engeln gekrönt benutzt wurde. Keines der beiden Blätter trage Datum oder Monogramm. Das dritte Blatt zum Heller-Altar (Kat. 62) biete Eigenartiges: Es zeige ein zartes und fast nur mit weisser Deckfarbe gezeichnetes Tuch und als Hauptmotiv links eine fallende Draperie, aus der knapp unterhalb der Mitte ein gebogenes Gebilde rage, das sich bei genauerer Betrachtung als zwei Ärmel entpuppe. Versetze man die Ärmel an der linken Draperie etwas nach links oben und platziere die rechts dargestellte Draperie darunter, entstehe daraus der Körper jenes Apostels, der auf der rechten Seite der Altar-Mitteltafel himmelwärts blicke und die berühmt gewordenen Betenden Hände emporrecke (Kat. 75). Solche gestalterischen Wagnisse zeigten, dass Albrecht Dürer solche Blätter für weit mehr als blosse Werkbehelfe hielt. Blicke man zurück auf das venezianische Blatt für die Madonna mit dem Zeisig, falle bei den Studien für den Heller-Altar zudem die viel delikatere Ausarbeitung im Detail auf. In Nürnberg habe Dürer, wie nördlich der Alpen üblich, auf sorgfältig grundierte Papiere zurückgegriffen, die gegenüber den grobfaserigen venezianischen Produkten feinste Pinselarbeit bei noch sowinzigen Oberflächendetails erlaubt hätten.

Dies sind nur einige wenige Angaben zu einem Katalog und einer Ausstellung, die eine Reise nach Wien lohnen.

Der Katalog: Leonardo – Dürer. Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Grund. Herausgegeben von Ralph Gleis, Achim Gnann, Christof Metzger. Mit Beiträgen von Beiträge von N. Büttner, L. Eder, A. Gnann, D. Korbacher, D. Laurenza, C. Metzger, E. Michel,K. Zgraja. Hirmer Verlag, 2025, 400 Seiten mit 180 Abbildungen, 24 x 30 cm, gebunden, ISBN: 978-3-7774-4467-3. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei unverändertem Preis – und den Katalog bestellen bei Amazon.de; English edition at Amazon.de and Amazon.com.

Zitate und Teilzitate in dieser Ausstellungsrezension/Buchkritik von Leonardo – Dürer. Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Grund sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.

Rezension/Buchkritik von Leonardo – Dürer. Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Grund vom 6. Mai 2025 um 23:12 Wiener Zeit.