Macron gewinnt, doch Le Pen wird stärker, Frankreich rückt nach rechts

Apr 25, 2022 at 11:16 1602

Ja, das schlimmste Szenario bei der französischen Präsidentschaftswahl wurde vermieden: Laut dem Innenministerium gewinnt der Amtsinhaber Emmanuel Macron mit 58,54% der abgebenen Stimmen, doch die rechtsextreme Marine Le Pen kommt trotz Putins Krieg auf 41,46%. Frankreich rückt nach rechts.

Der liberale Präsident Macron steht in vielen Fragen rechts von der Mitte. Das Rassemblement National hat zwar einen neuen Namen, die Kandidatin hat viel Kreide gefressen, doch im Kern steht die Partei der EU und der NATO weiterhin ablehnend gegenüber. Bei der Wahl von Marine Le Pen wären die französische Republik, Europa und das westliche Bündnis in ihren Grundfesten erschüttert worden.

Doch auch so steht es um die Demokratie in Frankreich nicht gut. Obwohl Marine Le Pen in der Präsidentschaftsdebatte vom 20. April 2022 Emmanuel Macron nicht das Wasser reichen konnte, ja sich wie 2017 als für das Amt nicht geeignet präsentierte, erhielt sie über 2/5 der abgegebenen Stimmen. 28% der Wähler enthielten sich der Stimme. Das heisst, dass Macron nur 38,52% der eingeschriebenen Wähler von sich überzeugen konnte.

Im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl 2022 mit insgesamt 12 Kandidaten vereinten die extremen Rechten rund 37% der abgegeben Stimmen auf sich: Le Pen, Zemmour, Dupont-Aignon sowie der rechte Flügel (Ciotti, Wauqiez, etc.) von Les Républicains (LR) der einst moderaten Valéry Pécresse, die zu Beginn ihres Wahlkampfs gute Chancen hatte, sich dann jedoch auf der rechten Seite profilieren wollte (grand remplacement) und damit Schiffbruch erlitt und unter der 5%-Hürde blieb, weshalb ihr der Staat keine Wahlkampfkosten erstattet. Auf der extremen Linken kamen Mélenchon, Roussel, Poutou und Arthaud auf 25,5%. Das heisst, die Franzosen haben im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl 2022 mit 62,5% ihre Stimme extremen oder teilweise (LR) extremen Parteien gegeben.

Emmanuel Macron hat seit 2017 das Land weiter polarisiert, so mit unbedachten bzw. bewusst provokanten Sprüchen (so zuletzt am 4. Januar 2022: Les non-vaccinés, j’ai très envie de les emmerder). Die rechtsradikale Marine Le Pen kam in der ersten Wahlrunde 2022 auf 23,15% (2017: 21,3%), der extrem-linke Volkstribun Jean-Luc Mélenchon auf 21,95% (2017: 19,58). Präsident Macron hat bei seiner Wiederwahl mit 27,85% zwar einen grösseren Wahlanteil gewonnen als 2017 mit 24,01%, doch bereits am 10. April 2022 spielte die strategische Wahl (vote utile) eine Rolle, weshalb Valérie Pécresse auf den letzten Metern abstürzte (4,78%), weil viele ihrer potenziellen Wähler sicher sein wollten, dass es Präsident Macron in die Stichwahl schafft; Anne Hidalgo von den Sozialisten kam sogar nur auf 1,74%.

Nach der Wahl ist vor der Wahl: Am 12. und 19. Juni 2022 findet die französische Parlamentswahl statt, die über die Parteienfinanzierung sowie über die Regierungsfähigkeit von Präsident Macron entscheidet. 2017 gaben die französischen Wähler dem Präsidenten eine klare Mehrheit im Parlament. Diesmal ist dies keinesfalls sicher, ja unwahrscheinlich, denn Emmanuel Macron hat es verpasst, seine Partei La République en Marche in den Regionen, Städten und Dörfern zu verankern. Hinzu kommt, dass sein ehemaliger und heute populärer Premierminister Edouard Philippe mit seiner eigenen Partei Les Horizons antreten wird, denn 2027 würde er Macron gerne als Präsident beerben.

Mit Emmanuel Macrons LREM, Edouard Philippes Horizons, Marine Le Pens Rassemblement National und Jean-Luc Mélenchons Insoumis stehen vier Parteien mit starken Führern zur Auswahl. Nicht zu vergessen bleibt, dass Les Républicains in den Regionen, Städten und Gemeinden zur Zeit noch die stärkste Partei sind. Werden sie dort nun ebenfalls implodieren, da es ihnen an Führung und Profil mangelt? Werden ihre Kandidaten für Macron, Philippe oder als Unabhängige antreten? Im Moment scheint in Frankreich vieles möglich. Das reformbedürftige französische Wahlrecht begünstigt klar die grossen Parteien, weshalb sich viele Wähler nicht repräsentiert fühlen. Allfällige Wahlallianzen, so auf der extremen Rechten sowie auf der politischen Linken könnten die Karten bei den législatives 2022 zudem neu mischen. Kommt es zu einer Cohabitation? Müssen Präsident Macron und LREM die Macht bald mit Horizons, den Insoumis oder dem Rassemblement National teilen? Affaire à suivre.

Bücher zur Geschichte Frankreichs bei Amazon.de + Mikrowellen bei Amazon.de + Laptops bei Amazon.de

Das Foto zeigt Emmanuel Macron im April 2015. Foto Copyright © Claude Truong-Ngoc (via Wikipedia).

Artikel vom 25. April 2022 um 11:16 französischer Zeit.