Seit er im April 2016 seine eigene politische Bewegung En Marche ! gegründet hat, pfeifen es die Spatzen von den Dächern: Emmanuel Macron würde gerne Präsident werden. Doch der Weg dahin ist steinig.
Der junge, am 30. August aus eigenem Antrieb zurückgetretene Wirtschaftsminister Emmanuel Macron (*1977) gehört zu den beliebtesten französischen Politikern, nicht zuletzt, weil seine Landsleute eine Blutauffrischung der politischen Klasse vermissen. Doch er ist vor allem in Zentrum und bei der politischen Rechten beliebt, die mit Ex-Premierminister Alain Juppé (*1945), Ex-Premierminister François Fillon (*1954), Ex-Präsident Sarkozy (*1955) und dem ebenfalls noch relativ jungen und unverbrauchten Bruno Le Maire (*1969) eigene Kandidaten hat, an denen er kaum vorbeikommt. Einzig im Fall der Wahl von Nicolas Sarkozy zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner könnte sich vielleicht ein Fensterchen (window of opportunity) für Macron öffnen, da selbst auf der Rechten viele der Meinung sind, die Zeit des Ex-Präsidenten sei nun wirklich abgelaufen, während dem auf der Linken viele die Kröte Macron zu schlucken bereit wären, wenn damit Sarkozy verhindert werden könnte.
Premierminister Valls und Wirtschaftsminister Macron Rivalen waren Rivalen im winzigen wirtschaftsliberalen Biotop der sozialistischen Regierung und ihrer immer weniger werdenden Befürworter. Valls hatte für einen Sozialisten Unerhörtes gesagt, nämlich er liebe die Unternehmen (J’aime l’entreprise). Macron hatte sich angesichts von Präsident Hollandes geplanter Einführung einer Reichensteuer von 75% mit dem Spruch in kleiner Runde – der natürlich bald in grosser Runde bekannt wurde – hervorgetan, damit werde Frankreich zu Kuba, nur ohne Sonne (C’est Cuba sans le soleil !).
Valls und Macron unterscheiden sich allerdings in gesellschaftspolitischen Fragen, in denen Valls ein oft dubioses, rechtes Profil gezeigt hat, das ihn für höchste Ämter disqualifiziert, während dem Macron auch auf gesellschaftspolitischem Terrain liberale Ideen vertritt. Erbärmlich war der Einsatz von Premierminister Valls für die Aberkennung der französischen Nationalität für Terroristen, die Doppelbürger sind, sowie seine Unterstützung für das Burkini-Verbot. Damit steht er in einer Linie mit Rechtspopulisten wie Ex-Präsident Sarkozy und Rechtsextremen wie FN-Führerin Marine Le Pen.
Trotz seiner mageren Bilanz als Wirtschaftsminister wird Emmanuel Macron von einer Mehrheit der Franzosen als kompetent und dynamisch wahrgenommen, ganz im Gegensatz zu François Hollande, dessen Beliebtheitswerte bisher unbekannte Tiefen in der Geschichte der fünften Republik ausloten.
Indem Emmanuel Macron nun endlich die Regierung verlassen hat, in der man ihm zunehmend Knüppel vor die Beine geworfen hatte, gewinnt er nicht nur die politische Freiheit, die er braucht, um sich (bald) offen als Präsidentschaftskandidat profilieren zu können, sondern er gräbt Präsident Hollande weiter das Wasser ab, sodass dessen Chancen auf eine erfolgreiche Präsidentschaftskandidatur auf Null sinken. Mit dem Linksaussen-Volkstribun Jean-Luc Mélenchon, dem Vorgänger von Macron als Wirtschaftsminister, Arnaud Montebourg, sowie nun mit Emmanuel Macron selbst stehen drei potenzielle Präsidentschaftskandidaten von Mitte-Links bis Linksradikal bereit, die sich nicht an den sozialistischen Vorwahlen beteiligen werden. Überhaupt schon das Faktum, dass sich ein regierender Präsident Vorwahlen stellen muss oder müsste, zeigt die fehlende Autorität von François Hollande, den selbst im eigenen Lager ausser ein paar Getreuen wie Landwirtschaftsminister und Regierungssprecher Stéphane Le Foll niemand mehr Ernst nimmt.
Wie gross Macron als Gefahr für Linke und Rechte wahrgenommen wird, zeigt sich an den Reaktionen auf seinen Regierungsaustritt. Er soll als böser Verräter gebrandmarkt werden. Die Tageszeitung Le Monde zitierte Präsident Hollande gar mit den Worten: „Er hat mich mit Methode verraten (Il m’a trahi avec méthode).“ Allerdings hatten Präsident Hollande und Premierminister Valls ebenso Macron verraten, indem sie seine Arbeitsmarktreform torpedierten, ja ihn nicht einmal seine zweite Gesetzesvorlage präsentieren liessen, sondern diese der Arbeitsministerin Myriam El Khomri übergaben. Die Regierung Valls hat eine äusserst verwässerte Vorlage ohne Unterstützung durch das Parlament dank Artikel 49.3 der Verfassung in Kraft gesetzt.
Emmanuel Macron mag zwar beliebt sein, doch ohne Rückhalt einer Partei – er sagt selbst von sich, er sei kein Sozialist – wird es im Parteienstaat Frankreich schwierig, sich zum Präsidenten wählen zu lassen. Er ist nicht nur parteilos, sondern wundern zudem noch nie in ein Amt gewählt. In Frankreich werden die Parteien vom Staat finanziert. Milliardäre können nicht wie in den USA Kandidaten mit Millionensummen unterstützen. Geld könnte er wohl noch durch motivierte Anhänger auftreiben, doch sollte er entgegen allen Erwartungen doch zum Präsidenten gewählt werden, so stellte sich die Frage, mit wem will er regieren und wie will er seine Ideen ohne Mehrheit im Parlament durchsetzen?
Immerhin kann Emmanuel Macron auf einige wenige bedeutende und zum Teil prominente Unterstützer zählen. Zu ihnen gehören Jacques Attali (der sich inzwischen etwas kritischer äusserst), der schon Präsident Mitterrand beriet, und Henry Hermand, der einst die Premierminister Pierre Mendès France und Michel Rocard unterstütze. Der im Juli 2016 verstorbene Rocard selbst gehörte allerdings nicht zu den Mentoren von Emmanuel Macron. Das zur Zeit einzige aktive Schwergewicht der Sozialisten, das den ehemaligen Wirtschaftsminister auf seinem Marsch in Richtung Präsidentenamt unterstützt, ist der seit 2001 amtierende Bürgermeister der Stadt Lyon, Gérard Collomb. Allerdings dürften sich weitere Unterstützer finden, sollten die Umstände darauf hindeuten, dass Emmanuel Macron eine reelle Chance hat, zum nächsten französischen Präsidenten gewählt zu werden. Es sollen sich immerhin bereits rund 30 Abgeordnete und 20 Senatoren angehört haben, was der ehemalige Rothschild-Bankier zu sagen hat.
Noch ist Emmanuel Macron nicht offizieller Präsidentschaftskandidat. Doch er ist dabei, seine Kandidatur weiter vorzubereiten. Solange Sozialisten und Republikaner ihre Vorwahlen noch nicht abgehalten haben, eilt die Zeit noch nicht. Allerdings hat ihm das Abwarten seit April, der Lancierung seiner Bewegung En Marche !, Umfragestimmen gekostet. Trotz hoher Popularität ist seine Lage nicht einfach. Sollte der moderate ehemalige Premierminister Alain Juppé Präsidentschaftskandidat der Republikaner werden, könnte Macrons Traum für 2017 bereits ausgeträumt sein. Doch er ist noch jung. 2022 wäre noch immer früh genug.
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Emmanuel Macron im April 2015. Photo Copyright © Claude Truong-Ngoc. Photo hinzugefügt am 6. September 2020. Artikel vom 1. September 2016 um 11:56 Pariser Zeit.