Präsident Macron hat bei der Parlamentswahl die erwünschte absolute Mehrheit mit 308 von 577 Abgeordneten erhalten, zu denen man noch die 42 Parlamentarier des kleinen Koalitionspartners MoDem hinzufügen muss. Zudem sind einige weitere Parlamentarier bereit, mit der Regierung konstruktiv zusammen zu arbeiten. Zu diesen gehören rund 38 Abgeordnete (20 ehemalige LR und 18 UDI), die zusammen die neue Fraktion Les Républicains constructifs, UDI et indépendants (LRCUI) gegründet haben. In ihren Rängen sind Persönlichkeiten wie Thierry Solère, Franck Rieser, Jean-Christophe Lagarde und andere. Kurzum: Die Republikaner fallen auseinander.
Auf der Linken sieht es nicht anders aus. Die Sozialisten könnten ebenfalls auseinanderbrechen in Konstruktive, Pragmatiker und Opportunisten auf der einen und Hardliner, Ideologen und linke Spinner auf der anderen Seiten.
Auf der extremen Linken arbeiten Kommunisten und Vertreter von La France insoumise des Volkstribuns Jean-Luc Mélencon bereits nicht mehr zusammen.
Auf der extremen Rechten könnte ebenfalls ein Zerfallsprozess einsetzen. Marine Le Pen ist seit ihrer erbärmlichen Vorstellung im TV-Duell gegen Emmanuel Macron vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen nicht mehr unumstritten. Ihre Nichte Marion Maréchal-Le Pen hat ihren (temporären) Rückzug von der Politik verkündet, während dem der Architekt der sozialen Öffnung des Front National (FN) nach Links, Florian Philippot, bei den Parlamentswahlen in der Region Moselle gegen einen Kandidaten von Macrons La République en marche ! (LREM) im entscheidenden Wahlgang mit 43% der Stimmen chancenlos blieb. Allerdings hatte es die Strategie von Florian Philippot dem FN erlaubt, die Arbeiter von den Sozialisten weg zu sich zu locken und damit im ersten Präsidentschaftswahlgang auf 21,3% und im zweiten Wahlgang gar auf historische 33,9% zu klettern. Dass der FN dennoch gegen Macron chancenlos blieb, lag allerdings ebenfalls and Le Pens- und Philippots-Strategie. Sie setzten auf einen anti-Euro-, anti-EU- und anti-Nato-Kurs, der beim Wähler nicht gut ankam.
Bei den Republikaner und den Sozialisten gibt es keine unumstrittenen, natürlichen Führer mehr. Die wortgewaltigste Opposition dürfte fortan im Parlament von Marine Le Pen und von Jean-Luc Mélenchon kommen, die beide nicht gerade dafür bekannt, realistische, konstruktive Vorschläge zu machen.
In der Affäre Richard Ferrand hielt Präsident Macron zu seinem Mitstreiter. Dieser musste zwar als Minister zurücktreten, wurde jedoch Präsident der LREM-Fraktion im Abgeordnetenhaus, was nicht sehr glaubwürdig ist. Die drei MoDem-Minister François Bayrou, Sylvie Goulard und Marielle de Sarnez traten ebenfalls zurück, was bei ihnen auf eine Affäre wegen angeblichen Scheinbeschäftigungen von Parlamentsassistenten im EU-Parlament zurückzuführen ist. Da der FN ebenfalls von einem gleichgelagerten Skandal betroffen ist, blieb den MoDem-Ministern eigentlich gar keine andere Wahl, insbesondere. Bis das sich in ihren Köpfen festsetzte, dauerte es allerdings ein wenig.
François Bayrou und Marielle de Sarnez wollten eigentlich an ihren Posten festhalten. Präsident Macron drängte sie anscheinend nicht zum Rücktritt. Erst einen Tag nachdem Sylvie Goulard von sich aus das Handtuch geworfen hatte, kamen François Bayrou und Marielle de Sarnez unter Zugzwang. Ansonsten hätten sie versucht, die Sache auszusitzen.
Marielle de Sarnez wollte analog zu Richard Ferrand von ihrem Ministerposten auf den Vorsitz der MoDem-Fraktion in der Nationalversammlung wechseln. Erst am 25. Juni 2017 verzichtete sie darauf. Sie will nun stattdessen versuchen, eine Parlamentskommission zu präsidieren.
Der Rücktritt von François Bayrou war von Präsident Macron nicht gewollt. Doch dürfen er und sein Premierminister Philippe darüber erleichtert sein. Bayrou war schon immer ein kleiner Chef, der sich für einen grossen hält. Er hatte schon immer seinen eigenen Kopf und die von ihm einst übernommene UDF neu unter dem Namen MoDem in die politische Wildnis geführt. Dank Macron, dem er in einem entscheidenden Moment der Kampagne half, kam er zurück. Er konnte gar als Minister die von ihm ehrlich gewollte „Moralisierung der Politik“ einleiten. Allerdings ist er (vorerst) am eigenen Anspruch gescheitert und musste, der Glaubwürdigkeit wegen, frühzeitig das Feld räumen, um seine eigene Reform sowie das „Projekt Macron“ insgesamt nicht zu gefährden.
Das bringt uns zurück zu Präsident Macron, der Richard Ferrand als Vorsitzender der LREM-Fraktion in der Nationalversammlung durchsetzte, und zwar in altem Stil: Es gab keine geheime Abstimmung, sondern die Parlamentarier mussten sich durch Handaufheben für oder gegen Richard Ferrand entscheiden. Nur 2 der 308 Parlamentarier enthielten sich der Stimme. Alle anderen stellten sich hinter Richard Ferrand, der übrigens keinen Gegenkandidaten/keine Gegenkandidatin fürchten muss.
All das war und ist nicht sehr erbauend. Präsident Macron ist zur Zeit ohne Gegner. Er ist sich selbst der grösste Gegner. Sollte er in den kommenden fünf Jahren entscheidende Reformen durchbringen und dadurch die Arbeitslosigkeit in Frankreich substantiell senken können, wird kein Hahn mehr nach dem unschönen Anfang seiner Präsidentschaft krähen. Sollte er jedoch mit der Durchsetzung der dringend notwendigen Strukturreformen scheitern, werden viele darauf verweisen, dass von Anfang an zuviel alter Wein in neuen Schläuchen war.
Noch überwiegt die Hoffnung. Die Zeichen stehen gut. Präsident Macron und die zweite Regierung Philippe haben noch immer Rückenwind. Der Reformstau in Frankreich könnte überwunden werden.
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Photo von Präsident Macron. French President Macron at the Tallinn Digital Summit on September 28, 2017. Photo: Wikimedia Commons. Free photo licensed under the Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.
Artikel vom 26. Juni 2017 um 22:09 deutscher Zeit.