Mit Boris auf dem Weg nach Fantasien

Dez 14, 2019 at 13:48 2399

Das britische Wahlrecht macht es möglich, dass Boris Johnson und seine konservativen Tories mit 43,6% (lediglich +1,1% gegenüber 2017) der Stimmen eine klare absolute Mehrheit von 365 Mandaten (+47) im Unterhaus mit insgesamt 650 Sitzen holte.

Lediglich 67,3% der Wähler bewegten sich am 12. Dezember 2019 an die Urnen, obwohl die langfristige Zukunft des Vereinigten Königkreiches davon abhing. Immerhin ist nun klar wohin der Weg gehen soll. Indirekt wurde der Brexit-Plan von Boris Johnson gebilligt. Das Vereinigte Königreich soll am 31. Januar 2020 die Europäische Union verlassen. Allerdings gingen 43.6% der Wähler Boris erneut auf den Leim. So wie das Brexit-Referendum auf dreisten Lügen beruhte, so war der Slogan der Unterhauswahl verlogen: Lasst uns den Brexit hinter uns bringen (Let’s get Brexit done). Der suggerierte nämlich dem Wähler, der nach drei Jahren fruchtloser Debatten, in denen nichts entschieden wurden, dass mit der Wahl und dem von Premierminister Boris Johnson ausgehandelten Deal die Sache vorbei sei.

Nichts könnte ferner der Wahrheit sein. Sobald das Unterhaus dem Deal von Boris mit der EU im Parlament zustimmt, fangen die Verhandlungen zu den Einzelheiten des Brexit-Abkommens erst an. Das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada brauchte 7 Jahren, ehe es verabschiedet werden konnte. Die Idee, dass es mit dem Vereinigten Königreich einfacher gehen wird, ist eine Illusion. Das wäre nur in dem Fall so, in dem Grossbritannien in der Zollunion und im Gemeinsamen Markt bleiben würde. Dann könnte das Land gleich in der EU bleiben: Remain. Doch die Brexiters wollen ja so viel Unabhängigkeit von der EU wie möglich gewinnen um Freihandelsabkommen nach ihrem Gusto mit Ländern rund um den Globus abzuschliessen. Doch das Vereinigte Königreich ist heute finanziell, wirtschaftlich und rechtlich zu grossen Teilen in die EU integriert. Nicht nur tätigen die Briten rund 50% der Importe und Exporte mit der EU, sie sind auch rechtlich eng mit der EU verbunden. Das bedeutet, je weiter sich Boris Johnson und seine Regierung von der EU entfernen möchten, je mehr muss verhandelt werden und je komplizierter wird es.

Wir leben in einer vernetzten Welt. Die Lieferketten in der Automobilindustrie sind ein bekanntes Beispiel. Hier sind die Verbindungen zu Deutschland, dem grössten Investor in diesem Sektor im Vereinigten Königreich, besonders eng. Autoteile und danach fertige Autos werden zwischen dem Königreich auf der Insel und dem „Kontinent“ hin- und hergefahren. Da kann man sich komplizierte Zollabfertigungen nicht leisten.

Natürlich kann das Vereinigte Königreich langfristig ausserhalb der EU prosperieren. Doch es macht wenig sein. Die Briten wie die Europäer werden beide geschwächt. Insbesondere Putin und Trump reiben sich die Hände.

Ein paar Worte zur Opposition: Die Stärke von Boris Johnson und den Tories beruht vor allem auf der Schwäche der Opposition. Bezüglich der Kernfrage Brexit wollte sich der Labour-Führer Jeremy Corbyn auf keine klare Botschaft festlegen. Er war eigentlich schon immer – seit sich die Frage in den 1970er Jahren erstmals stellte – ein Brexiter. Für ihn ist die EU eine Art neoliberales Projekt. Er trauert dem Sozialismus nach. 2019 träumte er von einem Soft-Brexit, den er mit der EU nach seinem Wahlsieg als Premier aushandeln wollte. Corbyn wollte danach dem Wähler in einem Referendum die Wahl zwischen seinem EU-Deal und Remain lassen. Doch das das wäre keine echte Wahl für Brexiters gewesen. Die wirklichen Brexiters unter seinen Wählern wollen keinen Soft-Brexit, und die Remainers in seiner Partei ebenfalls nicht, denn die Briten haben heute mit der EU-Mitgliedschaft bereits den besten Deal. Deshalb holte Labour nur 32,5% (-7,8%!), das schwächste Ergebnis seit 1935. Labour gewann neu 203 Sitze (-59 gegenüber 2017). Insbesondere in Englands Norden und in den Midlands verlor Jeremy Corbyn jahrzehntelange Labour-Wahlkreise an die Konservativen.

Doch nicht nur Jeremy Corbyns verfehlte Brexit-Strategie kostete Labour Stimmen, sondern ebenfalls sein radikal linkes Wahlprogramm. Corbyn bedauert bis heute das Ende der Sowjetunion. Er träumt vom Cuba Castros und vom Venezuela von Chavez und Maduro. Um nicht mehr so stark anzustossen, verlegte er sich auf Lob für das „schwedische Modell“ des Sozialstaates der 1960er und 1970er Jahre, von dem sich allerdings selbst die schwedischen Sozialdemokraten schon lange verabschiedet haben. Kurzum: Jeremy Corbyn ist ein linker Spinner. Dass ihm dennoch 32,5% der Wähler ihre Stimme gaben, lässt den Beobachter erschauern. Sein Wahlprogramm enthielt Punkte wie die Vier-Tage-Arbeitswoche, viele Verstaatlichungen (Eisenbahn, Post, Energie, Wasser, etc. sowie 10% grosser Unternehmen) und höhere Steuern.

Jeremy Corbyn zog die Konsequenzen aus dem Wahldebakel und kündigte an, bei den nächsten Unterhauswahlen die Labour-Partei nicht mehr anzuführen.

Die Liberaldemokraten der jungen Jo Swinson drangen im Wahlkampf mit ihrer Remain-Kampagne nicht durch. Obwohl sie sich klar für einen Verbleib in der EU einsetzte und in Umfragen eine knappe Mehrheit der Briten heute Remain stimmen würde, stagnierte die Partei. Zwar legten die Liberaldemokraten um 4,4% auf 12% massiv zu, am meisten aller Parteien, doch am Ende stehen sie auf Grund des Wahlrechts mit 11 Sitzen (-1) mit fast leeren Händen da. Parteichefin Jo Swinson trat von ihrem Amt als Parteichefin zurück. Sie verlor ihren Sitz in ihrem schottischen Wahlkreis an die SNP.

Womit wir beim zweiten grossen Gewinner des Abends wären: Die linke, schottisch-nationalistische SNP von Nicola Sturgeon. Die schottische Premierministerin und ihre Scottish National Party legten um 0,9% auf 3,9% zu. Damit gewannen sie 48 (+13) von ingesamt 59 Sitzen der Schotten im britischen Unterhaus. Nicola Sturgeon drängt auf ein zweiten Unabhängigkeitsreferendum, das ihr Boris Johnson verweigern will. Zurecht meint Sturgeon, die Schotten hätten 2014 zwar mit 55,3% zu 44,7% für den Verbleib Schottland im Vereinigten Königreich gestimmt, allerdings in der Meinung, Teil der EU zu bleiben, denn dies war bevor der Brexit auf die Tagesordnung kam. Beim Brexit-Referendum 2016 stimmten die Schotten mit 62% gegen 38% klar für den Verbleib in der EU.

Laut Umfragen würden heute rund 50% der Schotten für die Unabhängigkeit und nur 45% für den Verbleib im Vereinigten Königreich stimmen. Anders als Spanien gebenüber Katalonien könnte Premier Boris Johnson den Anschluss Schottlands an die EU mit seinem Veto nicht verhindern, denn das Vereinigte Königreich tritt ja demnächst aus der EU aus und wäre dann in den EU-Gremien nicht mehr stimmberechtigt. Doch Schottland ist wirtschaftlich und finanziell von Westminister, von Transferzahlungen abhängig. Schottland müsste zuerst seine Finanzen in Ordnung bringen und die Maastricht-Kriterien erfüllen, ehe es in die EU wieder aufgenommen werden könnte.

Boris Johnson führte zuletzt eine Minderheitsregierung an. Die Opposition hätte ihn mit vereinten Kräften jederzeit absetzen und zum Beispiel ein Referendum mit der Wahl zwischen dem Boris Johnson Deal und Remain durchführen können. Doch die Opposition erwies sich als unfähig.

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Boris Johnson (official photo as Foreign Secretary). Photo credit: www.gov.uk

Artikel vom 14. Dezember 2019 um 13:48 deutscher Zeit.